Ex-Press XXIV

Blasen aus dem Mediensumpf.

Heute wollen wir uns den menschlichen Abgründen und Schreckensmeldungen widmen.

Zerrspiegel

Nachdem dem deutschen Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» sein Lieblings-Toyboy abhanden gekommen ist, das absurde Impeachment-Verfahren auch nur noch letzte Zuckungen hergibt, hat die Redaktion kurz, aber heftig nach einem neuen Feindbild gesucht. Und eines gefunden, bei dem der Nachschub kein Problem ist:

«Die düstere Welt enthemmter Männer. Feindbild Frau.»

Endlich mal wieder eine Titelstory, die einen echten Skandal aufdeckt: «Erst Hass, dann Mord: Der Onlinehetze gegen Frauen folgt tausendfach Gewalt im echten Leben. Behörden ignorieren das Problem, dabei sprechen Experten schon von Terror.»

Also nach der RAF, nach rechtem Terror, islamischem Terror der Männerterror. Muss ich als Mann nun damit rechnen, auf der Strasse putativ erschossen zu werden, obwohl ich gar keinen Sprengstoffgürtel trage? Meines Wissens auch selten bis nie enthemmt bin?

Nichts Gutes hat der «Spiegel» auch vom immer enthemmteren Virus zu vermelden: «Das Virus wird immer tödlicher», so das Titelzitat über einem Bericht aus Tschechien.

 

Damit erschreckt «Blick» die Leser

Das hier muss wohl ein Beitrag für die düstere Welt enthemmter Männer sein:

Gibt dem Wort Witwenschüttler eine neue Bedeutung: Schlittler und Beller.

Aber auch für enthemmte Skifahrer hat der Boulevard eine eiskalte Schreckensmeldung:

Wärme nur auf dem Klo. Aber wenn auch da was einfriert?

Kann man das noch toppen? Nichts ist unmöglich, sagt sich Flavia Schlittler:

 

Shiva als Untoter? Wusste er das vorher? Erschreckende Fragen.

 

 

Der verschleierte Tagi und die Grundrechte

Wie es sich für ein Qualitätsmedium gehört, erschreckt Tamedia seine Leser nicht mit schockierenden Nachrichten aus düsteren Welten oder aus dem Jenseits. Sondern der verzwergte Unter-Co-Chefredaktor warnt vor noch Schlimmerem: «Ein Angriff auf unsere Grundrechte», alarmiert er den wehrwilligen Staatsbürger mit einem Leid-, Pardon, Leitartikel.

Himmels willen, woher kommt der Feind, wogegen stellt Mario Stäuble ein mannhaftes «wehret den Anfängen»? Ob der Westentaschen-Kommentator wohl weiss, dass dieses Zitat Ovid als Warnung vor den Folgen des Sich-Verliebens formulierte? Wohl nicht, aber wogegen sollen wir uns nun wehren?

Gegen neue Beschneidungen unserer Freiheitsrechte wegen Corona? Kann nicht sein, das befürwortet Stäuble. Gegen schärfere Lockdowns? Schäuble ist dafür. Gegen drastischere Beschränkungen des öffentlichen Lebens? Stäuble schimpft regelmässig über fahrlässige und zögerliche Regierende. Gegen geöffnete Schulen? Schäuble mahnt und warnt.

Wer wagt den Angriff auf unsere Grundrechte?

Ja wer greift denn nun unsere Grundrechte an? Ach, jeder, der «Ja zum Verhüllungsverbot» sagt, greift diese Rechte an. Wahnsinn. Wird die Initiative angenommen, hat also eine Mehrheit unsere Grundrechte ramponiert. Zerstört. Zumindest erfolgreich angegriffen. Wie denn das?

Nun, Stäuble zeigt in zwei Schritten exemplarisch, dass er weder von Logik noch von Freiheitsrechten die geringste Ahnung hat. Abteilung Logik: «Nikab und Burka sind im Vergleich zum Spannungsfeld, das sich zwischen der Schweiz und ihrer muslimischen Bevölkerung auftut, schlicht kein nennenswertes Problem.» Das sei der erste Grund, diesen Angriff abzuwehren. Das ist noch gar nichts gegen das Spannungsfeld zwischen Stäuble und verständlichem Argumentieren.

Wo es einen ersten Grund gibt, hat’s noch mehr. Salbungsvoll zitiert Stäuble «unsere Verfassung» dieses «Basisdokument unserer Demokratie». Man ist froh, dass Schäuble im Tagi eigentlich nichts zu sagen hat. Das ist das Basisdokument unserer Gesellschaftsordnung, in dem unter anderem festgelegt ist, wie eine Initiative eingereicht werden kann und wann sie angenommen ist. Aber macht nix, es geht noch schlimmer:

«Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist eines dieser Grundrechte, sie ermöglicht es jeder Person, ihre Religiosität frei zu bekennen.»

Nein, Stäuble, nein. Welche geistige Wüste erhebt sich hier bis zum Horizont. Keine Freiheit ist absolut. Niemals. Ausgeschlossen. Absolute Freiheit wäre absolute Willkür, Faustrecht, die Aufgabe der Grundlage der Zivilisation. Freiheiten haben Grenzen. Sie hören zum Beispiel dort auf, wo die Freiheit des nächsten beschnitten würde. Wie und wo diese Grenzen gesetzt werden, bestimmt zum Beispiel in islamischen Staaten die Religion.

Was qualifiziert diesen Mann zum Journalisten?

In zivilisierten Staaten wie der Schweiz bestimmt das der Souverän. Wenn meine freie Religionsausübung von mir verlangen würde, jedem zweiten Passanten eine Kopfnuss zu verpassen, dann müsste man mir das leider verbieten. Wenn eine Religionsausübung verlangt, dass sich alle Frauen mittelalterlich zu verhüllen haben, weil sie sonst der enthemmten und düsteren Welt männlicher Gelüste ausgesetzt wären, Aufforderungen zur Respektierung einheimischer Bräuche und Traditionen nichts fruchten, dann muss das natürlich verboten werden.

 

Das Leben ist voller Risiken

Diesem altbekannten Motto lebt CH Media nach. Hätten Sie’s gewusst? Es gibt auch «Risikoholz», von dem «Forstarbeiter 300 Kubikmeter entfernen» mussten. Warum, weil Schneemassen oder klirrende Kälte die Bäume an ihre Grenzen treiben? Aber nein, wegen «Klimawandel», also der Erderwärmung. Schon eine harmlose Titelsetzung birgt das Risiko, sich mit einem schiefen Sprachbild lächerlich zu machen:

«Der Palmölsturm im Wasserglas».

Überhaupt kein Wasserglas stand bereit, als es in den USA ganz, ganz eng wurde: «So knapp entging Amerika beim Sturm auf das Kapitol einer Katastrophe». Worin hätte die bestanden? Nun, sowohl Vizepräsident Mike Pence wie auch Mitt Romney, gescheiterter Präsidentschaftskandidat und Trump-Kritiker, wären «fast dem Pöbel in die Hand gefallen». Anschliessend wären die USA zusammengebrochen, aber es ging nochmal gut.

Was allerdings die Karibik und Lateinamerika davon halten, dass «Amerika» einer Katastrophe entgangen sei? Sogar auf Kuba gibt es, aus vorrevolutionären Zeiten, eine fast identische Kopie des Kapitols, in diversen anderen amerikanischen Ländern auch. Die haben es gar nicht gerne, wenn Amerika gleichbedeutend mit USA verwendet wird.

 

Nicht die Nachricht ist hier die Katastrophe

Ich weiss, das tut nicht gut, aber wenn von Katastrophen die Rede ist, muss die grösste im Schweizer Journalismus erwähnt werden. Nein, das ist nicht «watson». Zwar auch schlimm, aber solange das die Familie Wanner aus dem eigenen Geldspeicher zahlt … Richtig geraten, dann bleibt ja nur noch ein Organ. Das offeriert an einem frostigen Samstag eiskalt drei Beiträge. Also genau genommen vier, aber einer beschreibt auf 7500 Anschlägen nur die anderen drei. Wie es halt so Brauch ist bei der «Republik».

Einer ist erfreulich kurz; eine Bildbetrachtung. Eine Frau schreibt über Frauenkunst, die unter dem Titel steht: «Is that a Banana in your pocket …» «Das ist keine Banane», überschreibt die «Republik» den Schüleraufsatz. Doppelte Katastrophe. «Is that a gun in your pocket or are you just happy to see me», so lautet das unsterbliche Zitat von Mae West; aus Zeiten, als Anzüglichkeiten noch Spass machten und keinen Ärger.

«Das ist keine Pfeife» lautet hingegen der berühmte Titel eines Abbildes einer Pfeife von Magritte. Was der in diesen Niederungen der Kunst zu suchen hat, bleibt ebenfalls schleierhaft.

Mit immerhin 15’000 Buchstaben erfreut der dritte Teil der «Serie Frauenstimmen» den Leser. Dazu kann ich nichts sagen; als ich sah, dass der Autor ein Mann ist, habe ich aus Solidarität mit Frauenstimmen aufgehört zu lesen.

Ein echter Scherzkeks, dieser Binswanger

Aber eine Katastrophe kommt bei der «Republik» nie allein. Abgehärtete Leser ahnen es schon: Schreiblocke Daniel Binswanger hat einen seiner gefürchteten Kommentare geschrieben. Die einzig gute Nachricht: nach 7712 Anschlägen ist die Qual vorbei. Auch der Feuilletonist bedient sich aus dem Fundus von x-mal durchgenudelten Titeln: «Es geschah am helllichten Tag». Armer Friedrich Dürrenmatt, armer Ladislajo Vajda. Wer die waren? Ach, googeln hilft.

Strichzeichnung: So sieht Binswanger ohne Hauptlocke aus (Screenshot «Republik»).

Aber zurück zur Binswanger-Katastrophe. Er kolumniert also über das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Nein, in Wirklichkeit will er den Leser in den Wahnsinn treiben. Als wäre es nicht ein Film von Vajda, sondern vom Surrealisten Buñuel (nur googeln, Binswanger). Es gibt keine Wirklichkeit in dieser Kolumne, nur zersplitternde Widersprüchlichkeiten, Absurditäten und Nonsense. Aber leider auch keine Kunst.

«Selten hatte ich so intensiv das Gefühl, Geschichte zu erleben, während sie geschrieben wird»,

berichtet Binswanger von seiner emotionalen Lage, während er vor der Glotze sass und das «erschütternde Erlebnis» des Impeachments im US-Senat miterlitt. Im Senat wird allerdings wenn schon Geschichte gesprochen, aber sei’s drum.

Binswanger und der historische Moment, richtig betrachtet

Sind wir also bei einem dieser vielen Momente, die die Journaille gerne als «historisch» bezeichnet, «geschichtlich», «vom Mantel der Geschichte umweht» oder was ihr als Flachsinn sonst noch einfällt? Nun ja, Binswanger schwächt gleich ab, dass das «nicht eigentlich» damit zu tun habe, «dass der Prozess eine so grosse Bedeutung hätte». Also doch kein historisch erschütterter Kolumnist? «Dem vermutlich ohnehin scheiternden Impeachment kann man eine epochale Bedeutung im Grunde absprechen.»

Wenn es noch Leser gibt, die nicht verwirrt den Kopf schütteln, kann Binswanger noch einen drauflegen: «Wenn die Anzahl der Opfer ein Massstab für die Relevanz einer historischen Katastrophe sein soll, kann man den Kapitol-Sturm bestimmt nicht zu den grossen Tragödien zählen.»

So gesehen war der Untergang der «Titanic» tatsächlich eine viel historischere Katastrophe. Aber wieso erbebt Binswanger, ohne Rücksicht auf seine Schmachtlocke zu nehmen? Einfach, Du Trottelleser, ein Feuilletonist hat immer einen tieferen Gedanken im Köcher, erspürt «grosse, geschichtliche Bruchstellen», wo wir Durchschnittsblödis nur ein amüsantes Politspektakel sehen:

«Der Lack der Zivilisation ist nicht mehr als eine hauchdünne Glasur.»

Wir klettern erschöpft aus diesem tiefen Krater der Erkenntnis, den Binswanger mit diesen originellen, noch nie formulierten Worten geschaffen hat. Aber wieso ist ein rabaukiger, inzwischen vom Atombombenköfferchen entfernter Ex-Präsident und der Versuch von Abschaum, ins Kapitol einzudringen, dafür ein Beleg?

Wenn der Lack ab ist wie bei Hitler oder Stalin

Kein Problem für Binswanger, der zieht einen kühnen Bogen – Überrraschung – zu Nazismus und Stalinismus. Natürlich sei das mit dem Kapitol dagegen nur eine Fussnote. Aber: Was in Washington geschieht, könne auch in Berlin geschehen. Oder in Bern.

Also, Deutsche und Eidgenossen: aufgepasst! In Berlin schaffte es der Mob immerhin schon, die Treppe des Reichstags zu erklimmen. In Bern besetzte der Mob ungestört bereits den Bundesplatz. Aber ob Binswanger diese Beispiele gemeint hat?

Nach diesen erschütternden Erkenntnissen kündet der Kolumnist an: «Im Wesentlichen sehe ich vorderhand drei Lektionen.» Ich gestehe: hier brach ich die Lektüre ab. Ich bin wirklich hart im Nehmen, aber Lektionen von diesem Flachkopf? Niemals.

Bezahlschranke beim «Tagi», «WoZ» gratis

So unterschiedlich gehen Verlage mit der Corona-Krise um.

Ein Blick heute auf die App des Tagesanzeigers zeigt: Mindestens vier Fünftel der angebotenen Artikel kann man nur mit einem Abo lesen. Damit zieht die Tamedia weiter die Schraube an, um nicht noch mehr Geld zu verlieren. Doch der Leser ist verwöhnt. Dann liest er die Inhalte halt nicht mehr. Ein Abo? Sicher nicht. Tamedia hat viele seiner Inhalte jahrelang gratis aufs Netz gestellt. Der treue Abonnent fühlte sich geprellt, der Nichtabonnent sah sich als ganz normaler Zeitungsleser. Die Gratiskultur hat Tamedia zusätzlich gefördert mit dem Pendlerblatt 20 Minuten. Die Geldkuh mit Gratisinhalten für alle sorgte jahrelang für eine Quersubventionierung der Bezahlzeitung «Tages-Anzeiger». Doch seit der Reorganisation vor einem Jahr ist diese Finanzspritze weggebrochen. Seither und unter dem Holdingnamen TX Group müssen die weitgehend eigenständigen Firmen TX Markets (Rubriken, Warenmärkte), Goldbach (Werbevermittlung), 20 Minuten (Pendlermedien) und Tamedia (Bezahlmedien) für sich selber schauen und aufkommen. Das ehemalige Flaggschiff Tamedia ist da am stärksten betroffen. Da nützt auch die Unterstützung wegen Kurzarbeit wenig. Die Abozahlen rasseln in den Keller. Sparen auf den Redaktionen, Zusammenlegen und Übernehmen von der «Süddeutschen» ist angesagt.

Das nennt sich Leserbindung bei Tamedia: Freigeschaltet ist lediglich der Trumpverriss. 

Weil die Abonnenten das natürlich mitbekommen, dreht sich die Sterbespirale weiter. Dass da gefühlt kein einziger Corona-Artikel frei zugänglich ist, passt zum Hü-und-Hot-Konzept von Tamedia.

Völlig anders hingegen agiert die Wochenzeitung WoZ. Die genossenschaftlich organisierte Zeitung wird am 1. Oktober 40 Jahre alt. Die Abozahlen liegen um die 18‘000, Tendenz steigend. Existenzängste scheinen der WoZ-Redaktion fremd zu sein. Darum lässt man in der aktuellen Megakrise auch Nicht-Abonnenten am Kuchen teilhaben. «Alle Texte für alle – Konsequent solidarisch» so ein Inserat in der aktuellen WoZ. «Auch im zweiten Lockdown sind alle unsere Inhalte auf www.woz.ch und in der WOZ-App kostenlos zu lesen.»

Und was macht unsere Lieblingspostille, die Republik, in Coronazeiten? Man hält eisern an der Bezahlschranke fest. Was ihr gutes Recht ist. Immerhin kann man gratis den Covid-19-Uhr-Newsletter«Brauchbares zur Pandemie – immer wenn es dunkel wird» lesen. Im ersten Lockdown wurde er gut 37000 mal abonniert. Ob die zum Teil ellenlangen Texte auch gelesen wurden, ist eine andere Frage.

Streitpunkte entfernt

Wenn’s mal fetzt im Schweizer Farbfernsehen, dann werden die Standpunkte rausgeschnitten. Zum Beispiel, wenn sich Reto Brennwald und Markus Somm nicht mehr mögen.

Das Sendegefäss «Standpunkte» wird von diversen Schweizer Medien bespielt. Darunter auch die «Sonntagszeitung». Man kann nicht unbedingt sagen, dass die Diskussionsrunde zum Strassenfeger taugt, aber sie hat auch Vorteile.

Wenn Reto Brennwald der Moderator ist, lässt man sich normalerweise aussprechen, und als alter «Arena»-Hase ist es sich Brennwald gewohnt, die Diskussion laufen zu lassen, aber dann einzugreifen, wenn man sich ineinander verbeisst oder jemand das Wort gar nicht mehr loslassen will.

Also wagte er sich letzten Sonntag an das nicht gerade taufrische Thema «Rahmenabkommen CH – EU: und jetzt?» Zum Austausch bekannter Positionen hatten sich politisch und gendermässig korrekt (wenn man Brennwald als moderierendes Neutrum sieht) der Euro-Turbo (oder müsste man heute Turbine sagen?) FDP-NR Christa Markwalder, sekundiert von Tiana Angelina Moser (GLP-Nationalrätin) als Befürworterinnen und Philip Erzinger, Geschäftsführer der «Allianz Kompass Europa» und als «Stammgast» Markus Somm, Historiker und Autor, versammelt.

Es entwickelte sich schnell ein munterer Schlagabtausch, in dem Markwalder die elder stateswoman zu spielen versuchte, Moser deutlich erhitzt mehrfach von Brennwald das Wort entrungen werde musste, Erzinger beachtlich souverän, sachlich, telegen den ablehnenden Standpunkt seiner Gruppierung zu Gehör brachte, und Somm schon bei seiner ersten Wortmeldung sanft-rabaukig mit schneidender Stimme eingriff.

Munterer Boxkampf, aber mit altbekannten Schlägen

Leider muss man zusammenfassend sagen, fast 60 Minuten, Erkenntnisgewinn nahe null. Man meinte zu sehen, wie bei allen teilnehmenden Profis im Hirn die schon x-mal verwendeten Tonbänder kurz sortiert wurden und dann abgespielt. Auch die üblichen Blutgrätschen – einer redet und macht den Fehler, kurz Luft zu holen, «ich möchte nur noch das sagen», «folgende vier Punkte möchte ich» oder «lassen Sie mich da eine direkte Frage stellen» – wurden von den debattengestählten Teilnehmern mehr oder minder elegant vorgeführt.

Soweit, so gähn. Aber, als der Moderator Somm das nächste Mal das Wort erteilen wollte, sogar eigentlich mit carte blanche und der Bemerkung, dass Somm nun schon länger nicht mehr drangekommen sei, kassierte Brennwald die schnippische Antwort:

«Sie wollen ja gar nicht, dass ich rede»,

mit der Somm am perplexen Moderator vorbei sein Wort an Moser weiterreichte, die sich nicht lange bitten liess.

Daraus wird sich keine wunderbaren Freundschaft entwickeln: Markus Somm (o.), Reto Brennwald.

Bei der Abmoderation und Bedankung wandte sich Brennwald natürlich zuletzt an seinen Stammgast, Schnitt, dann sagte Brennwald «Merci», offenbar auf eine Antwort, die der Zuschauer nicht mitbekam, und während des Abspanns konnte man sehen, wie Somm entgegen jeder Höflichkeitsregel als Einziger aufstand und grusslos hinausmarschierte.

Und tschüss: Markus Somm hat das Gebäude verlassen.

Seit Ueli Maurer mal im «Sonntalk» sogar mitten in der Sendung «kä Luscht» mehr hatte und zum Erstaunen der anderen Teilnehmer grusslos aus dem Bild verschwand, gab es solche Szenen eigentlich nie mehr.

Sozusagen erschwerend kommt hier hinzu, dass Somm deswegen «Stammgast» ist, weil er auch eine regelmässige Kolumne in der SoZ schreibt. Wie’s damit weitergeht, wenn wie angekündigt ab Mitte März sein neues Projekt «Nebelspalter» online geht, wäre auch eine spannende Frage.

Viele Talks werden zwar live aufgezeichnet, also ohne Schnitte, aber nicht gleichzeitig ausgestrahlt

Aber was ist denn hier passiert? Zunächst muss man wissen, dass nicht immer, aber fast Talks nicht live ausgestrahlt werden. Normalerweise nicht, um noch zensurieren zu können, sondern aus ganz pragmatischen Gründen. Zum Beispiel bei der «Arena», damit noch jeder Teilnehmer mit dem Zug nach Hause kommt und sich SRF so Hotelkosten spart.

Verfügbarkeit der Teilnehmer, des Aufnahmestudios und so weiter können auch eine Rolle spielen. Aber man redet dann von «zeitverschoben live». Also die Debatte wird so ausgestrahlt, wie sie aufgenommen wurde. Mit allen Versprechern, ähs oder auch Ausrastern.

Wie nun CH Media enthüllte, habe der Moderator nach der Sendung eine Mail an alle Teilnehmer geschickt, dass eine Szene herausgenommen worden sei, weil Somm und er darin «keine gute Falle» gemacht hätten.

Markwalder benützt natürlich die Gelegenheit, das scharf zu kritisieren und als bekannte Feministin zu fragen, ob das auch gemacht worden wäre, hätten sich zwei Frauen gefetzt. CH Media will zudem gehört haben, dass Somm bei seinem Abgang noch sagte, dass sich Brennwald nun einen neuen Stammgast suchen solle.

Was ist passiert, welche Freundlichkeiten wurden ausgetauscht?

War das ein kalkulierter Eclat? Wer hat die Entscheidung getroffen, hier mit der Schere einzugreifen? So dynamisch-eloquent die beiden Streithähne auch vor Kamera und Mikrophon sind, hier werden sie, höflich formuliert, sehr schmallippig. Somm reagiert nicht auf eine Anfrage, Brennwald verweist an die Medienstelle von Tamedia.

Die waltet ihres Amtes: In der Sendung sei es zu einer kurzen Auseinandersetzung zwischen den beiden gekommen, die «unangemessen» vom eigentlichen Thema abgelenkt hätte, es «wurde entschieden», die «irrelevante Sequenz» zu entfernen. Natürlich als «absoluter Ausnahmefall». Auf die wiederholte Nachfrage, wer das entschieden habe, gab’s keine Auskunft.*

Kam es zu einer wüsten Beschimpfung?

Sicher ist: die beiden müssen ziemlich zur Sache gegangen sein, wenn die Ausstrahlung so stark vom Rest abgelenkt hätte. Wurden Schimpfwörter ausgetauscht? «Nussknackergesicht» gegen «Vollmondfresse»? «Mietmoderator» gegen «Nebelspalter-Clown»? Man weiss es nicht; zu Handgreiflichkeiten kam es offenbar nicht, da beide Herren auch nach der geschnittenen Sequenz nicht derangiert aussahen.

Also müssen wir darauf warten, bis ein ungetreuer Mitarbeiter der Produktionsfirma die Schnipsel nachliefert; kleine Empfehlung: einfach auf YouTube stellen. Oder ZACKBUM.ch schicken.

 

*Anmerkung der Redaktion: Anderthalb Stunden nach Erscheinen des Artikels ging noch eine Stellungnahme von Reto Brennwald ein, der zuvor an die Medienstelle verwiesen hatte: «Die Programmverantwortung liegt bei mir. Da die kurze Auseinandersetzung mit Markus Somm nichts mit dem Thema zu tun hatte, schlug ich vor, sie wegzulassen, womit Markus Somm einverstanden war.» Am Donnerstagmorgen antwortete Markus Somm, dass es nichts zu sagen gebe.

Tagi: Millionenklage wegen Schlamperei

Ist Verdacht das gleiche wie Tatsache?

Das Aufatmen spürt man auf jeder Zeile. Die «Süddeutsche» schrammte an einer Millionenklage vorbei. Grund: Der Tagi schlampte beim Abschreiben.

Darum geht es: 2013 schrieb die SZ einen Artikel über die Firma Solar Millennium, die nicht weniger als das grösste Solarkraftwerk der Erde in der Sahara errichten wollte. Der Text trug den Titel: «Wetten auf den Absturz». Die Zeitung recherchierte akribisch und über eine längere Zeit hinweg und äusserte schliesslich den Verdacht auf Insiderhandel.

Wenig später ging Solar Millennium unter. 30 000 Anleger verloren rund 100 Millionen Euro. Immer wieder wurde gegen den Unternehmer wegen Betrugs ermittelt. In Düsseldorf war er wegen mehrfachen Betrugs mit rund 9000 Geschädigten angeklagt, wurde aber freigesprochen.

Der Unternehmer klagte die SZ und zwei ihrer Redakteure auf 78 Millionen Euro Schadensersatz. Sein Argument: Wegen des Artikels «Wetten auf den Absturz» soll ihm ein ganz anderes, unterschriftsreifes Projekt mit einem Schweizer Geschäftspartner in Indien geplatzt sein. «78 Millionen – das ist eine Summe, die jeden Verlag in die Knie zwingen und kritische Wirtschaftsberichterstattung in Deutschland unmöglich machen würde.», schrieb die SZ letzte Woche noch mit schlotternden Knien.

Was hat das mit dem «Tages-Anzeiger» zu tun? Nun, der Schweizer Geschäftspartner kündigte das Geschäft nicht wegen des SZ-Artikels, sondern aufgrund einer Abschreibe durch den «Tages-Anzeiger». Darin wurde der SZ-Text «erheblich verändert», so die «Süddeutsche». Der verantwortliche Redaktor änderte den Verdacht eines Insiderhandels in eine Tatsachenbehauptung.

Das Oberlandesgericht Nürnberg, welches die SZ freisprach, fährt deswegen hartes Geschütz gegen den «Tages-Anzeiger» auf:

Der Senat ist der Auffassung, dass der im Schweizer Tages-Anzeiger erschienene Artikel sich von den zulässigen Äusserungen des Artikels der Süddeutschen Zeitung inhaltlich so unterscheide, dass ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem ursprünglichen Artikel und einem Scheitern der Geschäfte des Klägers entfalle. Die Süddeutsche Zeitung habe in dem Artikel «Wetten auf den Absturz» deutlich zu erkennen gegeben, dass es sich um eine – wenn auch starke – Vermutung handle, dass der Kläger Insiderwissen ausgenutzt habe. Zwar bestehe grundsätzlich eine Haftung auch für sogenannte Folgeschäden, das Verhalten der Redaktion des Tages-Anzeigers habe aber presserechtlichen Massstäben in besonderer Weise widersprochen, so dass sich letztlich kein von den Beklagten geschaffenes Risiko verwirklicht habe.

Der «Tages-Anzeiger» habe presserechtliche Richtlinien also dermassen über Bord geworfen, dass dem Ursprungstext nichts anzulasten sei. Das ist starker Tobak. Tamedia bestätigte gegenüber ZACKBUM, dass der «Tagi» über den Rechtsstreit informiert worden sei. Man wolle sich aber nicht weiter dazu äussern.

Bajour sammelt wieder einmal Geld

Für was? Für «journalistische Recherchen».

Bajour will es wissen: «Wem gehören eigentlich all diese Häuser in Basel?» Besorgt fragt das Teenie-Portal: «Was haben die Eigentümer*Innen mit unserer Stadt vor?» Vielleicht die Errichtung von Klein-Gomorrha? Einen Blaumilchkanal? Den Bau eines neuen Roche-Turms, diesmal aber horizontal? Wen ruft man für solche Fälle?

Natürlich, Hansi Voigt. Er und seine Band haben darum eine Crowdsourcing-Aktion ins Leben gerufen. Die Redaktion sammelt Geld, um über alle Häuser Basels in Erfahrung zu bringen, wer darin schläft. Eigentlich ist das in Basel einfacher als in anderen Kantonen. Pro IP-Adresse sind täglich 20 Eigentumsauskünfte möglich. Gratis, via Computer und unbürokratisch. In Zürich muss man das am Telefon machen und nach einer halben Stunde legt der zuständige Notar freundlich wieder auf.

Die Bajour-Redaktion müsste eigentlich auch noch ein Crowdfunding für einen neuen Taschenrechner starten. Denn: «Würde die zehnköpfige Bajour-Redaktion alleine auf Spurensuche gehen, bräuchten wir 1,5 Jahre, um sämtliche Besitzverhältnisse auszulesen.»

Nicht doch, Kinder, falsch gerechnet. Der Gebäudebestand für den Kanton Basel-Stadt belief sich 2020 auf 23’462. In vier Monaten sollte die Redaktion mit sämtlichen Anfragen durch sein. Dafür muss man kein Geld sammeln. Zumal der Hintergrund der Aktion nicht ganz durchschaubar ist.

Die gesammelten Daten sollen gemäss Homepage «einzig für journalistische Recherchen verwendet» werden. Beispiele aber fehlen. Das Problem bei solchen journalistischen Aktionen ist immer das gleiche: Wer keine Story im Kopf hat, liefert auch mit zwei Bananenschachteln voll mit Daten keine brauchbare Geschichte ab. Das habe ich auf vielen Redaktionen erleben müssen.

Das Bau- und Verkehrsdepartement schränkt die Spiellust mit den sensiblen Daten etwas ein. Es antwortete auf Anfrage von Zackbum:

Wer die gesammelten Daten koordiniert und aufbewahrt, unterliegt gesetzlichen Regelungen über den Datenschutz und ist gegebenenfalls den betroffenen Personen (deren Daten sie gesammelt haben) gegenüber auskunftspflichtig.

Ob Voigt & Co. das wissen? Wir wollen aber keine Spielverderber sein. Es gäbe da noch eine andere Datengeschichte für Journalisten mit viel Freizeit: Beim Zürcher Strassenverkehrsamt darf man jeden Tag 5 Anfragen über Kontrollschildnummern tätigen. Es gibt über eine Million Autos, Schiffe, Töffs und Traktore im Kanton Zürich. Mit etwas Aufbauschen lassen sich schöne Geschichte machen: Wem gehören zum Beispiel die Traktoren mit den Kontrollschildnummern 12-120??? Falls die 10-köpfige Abenteuergruppe noch heute startet, werden sie im 21. Jahrhundert mit allen Nummern fertig.

Der Blick macht jetzt auf Transparenz …

… hat aber noch Luft nach oben.

Die Wochenzeitung WoZ hat letzthin Schleichwerbung im Blick angeprangert, in Zusammenhang mit der Abstimmung über die e-ID. Nun hat Blick.ch am 28.1.2021 eine Art Policy aufgeschaltet. Das Boulevard-Portal schreibt selber dazu:

«Auf Blick.ch stehen einerseits völlig unabhängige, redaktionelle Artikel. Andererseits klar deklarierte, bezahlte Inhalte von Werbekunden. In jüngster Zeit gab es eine Diskussion darüber, ob diese genügend erkennbar sind».

Böse Zungen sagen nun, dass Blick von sich aus eingeknickt ist, weil am 26.1.2021 das Referendumskomitee gegen das e-ID-Gesetz beim Presserat eine Beschwerde gegen Ringier eingereicht hat. Immerhin gut 2000 Bürgerinnen und Bürger unterstützten sie online. Auch wenn das nicht stimmen sollte, orakelt Blick selber, «ob bezahlte Inhalte von Werbekunden genügend erkennbar» waren.

Nun also die komplette Transparenz, zwei Tage nach dem Eintreffen der Beschwerde beim Presserat.

Doch nach einem Gang zum Kiosk vergangenen Sonntag dann die Ernüchterung. Eine rechte Seite weit vorne im ersten Bund handelt vom wunderschönen Saas-Fee. Noch nicht eingelöst wurde offensichtlich folgendes Versprechen:

Diese Inhalte werden auf Artikelebene zusätzlich gleich am Anfang versehen mit dem Vermerk: «Das ist ein bezahlter Beitrag, präsentiert von xx».

Erwähntes Textli erschien im Gegensatz zur recht prominenten Aufmachung hier auf ZACKBUM.ch im Saas-Fee-PR-Text weit unten und in leicht übersehbarer, kleiner Schrift. Eine bessere Fussnote. Bleibt zu hoffen, dass eine allfällige nächste politische Publireportage dann klarer gekennzeichnet ist.

 

Neues von den Tagi-Antifeministen

Wir sind erschüttert. Das wollten wir mit unserer Kritik an übertriebenem Kampffeminismus nicht bewirken.

Salome Müller pflegte am Dienstag im Newsletter weiterhin ihre Sternchen-Vergewaltigung der deutschen Sprache. Ihre «liebe Leser*innen» führte sie in den Tag ein, nicht ohne ihnen gleich «vier Heldinnen» vorzustellen. Bis hierher ist also gendermässig, thematisch und überhaupt alles in Ordnung.

Aber dann blättert man bis zur Kehrseite 14 und erstarrt: «Beweg deinen Hintern!», fordert hier ein Christoph Gurk aus Buenos Aires (Argentinien). Er gehört, der Kalauer muss sein, zur Gurkentruppe der Süddeutschen Zeitung, von der Tamedia fast die gesamte Auslandberichterstattung übernimmt.

Hier preist Gurk einen «Baile-Funk-Song» an, der in Brasilien zur «Impfhymne» geworden sei. Es handelt sich um ein Werk von MC Fioti, mit dem eingängigen Titel: «Bum Bum Tam Tam». Angeblich beruhend auf einem Flötenstück von Johann Sebastian Bach. So trillert Gurk:

«Dazu ein Text, in dem es zwar auch um Blasinstrumente geht, vor allem aber um den Bumbum, den Hintern, den man bewegen soll.»

Wobei «man» nicht ganz der richtige Begriff ist, wie das Video in aller Eindeutigkeit zeigt. Da sitzt der Macho-Pascha auf dem Sofa und lässt sich von Hüften und Popo schwingenden, leicht bekleideten Damen umschwärmen und verwöhnen. Ich bin überzeugt: Jede aufrechte Tagi-Redaktorin müsste sich übergeben, wenn sie dieses Männertraum-Video anschauen würde. Unvorstellbar, die Reduktion der Frau auf ein Sexobjekt, willig, verführerisch, während der Mann nur mit den Fingern schnippen muss.

In meine Erschütterung hinein saust der nächste Macho-Hammer

Selbst ich bin erschüttert. Aber kaum hatte ich mich wieder einigermassen eingekriegt, saust gleich der nächste Hammer auf mich nieder. Seite 31, «Kultur und Gesellschaft». Silke Wichert, auch aus der Münchner Gurkentruppe, verschwendet hier fast eine ganze Seite zum Thema «Neuer Look im Weissen Haus». Das sei «eine Stilkritik».

Der Ex-Präsident der USA habe sich überall mit «dem gleichen Typ Frau umgeben». Idealtypisch dargestellt von Ivanka Trump. Pfuibäh, das sei Ausdruck «eines sehr beschränkten Weltbildes, das auf Verpackung statt auf Inhalte setzt». Vorzugsweise blond, geföhnt, viel Make-up und Mörderheels. Das war natürlich «zum Gähnen, zum Gruseln».

Aber, auch da naht Rettung: «Optisch wird alles anders.» Angefangen bei der Vizepräsidentin, die zugegebenermassen etwas anders aussieht als ihr Vorgänger. Aber auch der Blondie-Touch ist vorbei, die neue Kommunikationschefin und neue Pressesprecherin sind beide «eher rothaarig». Richtig in Hitzeschübe gerät aber Wichert bei der «persönlichen Sprecherin» oder «neuen Beraterin» – da ist sich der Tagi nicht ganz sicher – der Vizepräsidentin: «Heimliche Favoritin der Stilkritiker ist Symone Sanders, die einen raspelkurzen Afro trägt und offensichtlich eine Vorliebe für leuchtenden Lippenstift und markanten Schmuck hat.»

Wir vermissen nur die Angabe der Körpermasse.

Liebe Frau Wichert, kein Mann, der noch alle Tassen im Schrank hat, würde es wagen, die alte und die neue weibliche Crew dermassen auf Äusserlichkeiten reduziert einander gegenüberzustellen. Unvorstellbar. Was haben die Damen drauf (oder allenfalls nicht)? Welche Qualifikationen bringen sie mit, welche Ausbildung, wo haben sie sich schon ihre Sporen abverdient? Was sind sie für Persönlichkeiten, was haben sie im Kopf, so unter blonden, rötlichen oder raspelkurzen Haaren? Was sagen sie, auch mit einem Mund, der mit leuchtend rotem Lippenstift geschminkt ist?

Gleicher Text, männlicher Autor: au weia

Die Welt ist ungerecht und wird es immer mehr. Hätte diesen Artikel ein Redakteur gezeichnet, er hätte froh sein können, wenn er nur in mehrere Sensibilisierungskurse geschickt, zum hundertfachen Bäume-Umarmen verknurrt und zu öffentlicher Selbstkritik gezwungen worden wäre. Statt gleich geteert und gefedert und mit Schimpf und Schande aus den Redaktionsräumen geprügelt. Doch Wichert, weil weiblich, kann es bei der nonchalanten Bemerkung bewenden lassen: «Natürlich sind das alles Äusserlichkeiten.»

Aber immerhin, einen klitzekleinen Lichtblick gibt es auf der gleichen Seite. Der besteht nur aus einer Randspalte, aber man nimmt ja alles, heutzutage. Vor allem, wenn eine Autorin Intelligenz und Schalk aufblitzen lässt. In diesem Fall Michèle Binswanger, die unter dem Titel «Echten Rassisten ist Empörung egal» sich vernünftige Gedanken zum Shitstorm macht, der sich über die SP-Genossin Yvonne Feri ergiesst. Wegen einer nervösen Bemerkung mit null rassistischem Inhalt, für die sie sich bereits entschuldigte.

Was ihr aber nichts nutzt, weil ein Schuldeingeständnis, eine Selbstgeisselung als Rassistin, als jemand, der den «strukturellen Rassismus» bedient, der alles umfasst, selbst wenn man lobend erwähnt – auf die bescheuerte Frage, welche Musik sie der Vizepräsidentin zum Herunterkommen empfehlen würde –, dass die als dunkelhäutige Frau sowieso gut tanze.

Nochmal erschütternd: auch Obama ist ein struktureller Rassist

Auf der gleichen Seite, im gleichen Blatt, wo Frauen auf ihr Äusseres reduziert werden, auf ihr Bumbum, aber keine Gruppe von Kampffeministinnen regt sich darüber auf. Aber Binswanger hat noch eine grossartige Schlusspointe im Köcher. Barack Obama sei während seines Präsidentschaftswahlkampfs 2008 gefragt worden, ob er der Aussage der berühmten Autorin Toni Morrison (erste schwarzamerikanische Literaturnobelpreisträgerin) zustimme, dass Bill Clinton der erste schwarze Präsident der USA gewesen sei.

Tricky, wie antwortet man da? Nun, das kann Obama, und seine Antwort war eine Spitzenleistung: «Ich müsste zuerst prüfen, ob er tanzen kann.» Wir erschrecken nochmals: Hätten wir gedacht, dass auch Obama zumindest ein struktureller Rassist ist? Als Schwarzer? Unglaublich, diese Welt. Schwarze sind Rassisten, Frauen beschreiben Frauen nur nach Äusserlichkeiten, ein Mann jubelt über einen Macho-Bumbum-Disco-Heuler, nur eine einzige Frau hält das Banner des Sprachfeminismus hoch. Ebenfalls eine ganz einsame Frau zeigt wenigstens, dass sie denken kann, analysieren und eine Schlusspointe setzen.

Da bleibt mir nichts anderes übrig, als mir einen violetten Pullover zu kaufen, gegen die Feuchtigkeit einen Karton auf die Strasse zu legen, niederzuknien und zu skandieren: «Black Live Matters», im Wechsel mit: «Frauen sind auch Menschen.»

 

Konjunktur und Baisse

Themen kommen, blühen auf, und gehen wieder. Das Schicksal des Betroffenen bleibt.

Mit News-Themen ist es wie mit der Börse. Sie steigen, sinken oder bleiben stabil. Wie sich das entwickelt, ist so unvorhersehbar wie der Kurs des Bitcoin.

Es gibt allerdings einen kleinen Unterschied zwischen Börse, Bitcoin und betroffenen Menschen. Mit dem Suchbegriff Pierin Vincenz findet man im Medienarchiv für das gesamte Jahr 2020 gewaltige 2100 Treffer. Das bedeutet, dass dieser Name rund 6 mal erwähnt wurde. Tag für Tag, jeden Tag.

Im noch jungen Jahr 2021 wurde er ganze 4 mal genannt. Nun kann man natürlich einwenden: Sicher, aber das sind ja nur 18 Tage. Auch da hilft eine Extrapolation. Geht das so weiter, wird der Name Vincenz im ganzen 2021 ziemlich genau 80 mal in den Medien genannt werden.

Tiefe Täler, steile Berggipfel

Wenn nicht, um diese Prognose wie ein Bankkundenberater zu relativieren, noch dieses Jahr der Prozess vor dem Bezirksgericht Zürich beginnt. Dann wird es eine deutliche Übererwähnung geben, wenn der Termin bekannt gegeben wird. Übertroffen natürlich während des Prozesses, so wie die Tage vorher. Da nicht anzunehmen ist, dass das Urteil am letzten Prozesstag verkündet wird, ist dann wieder Ruhe.

Einen dritten Peak wird es bei der Urteilsverkündung geben. Unbeschadet davon, dass entweder Staatsanwalt oder Angeschuldigte, je nachdem, das Urteil sowieso weiterziehen werden: Die Bekanntgabe des Urteils ist ja eher banal. Also wird das selbstverständlich mit Kommentaren, Einschätzungen, Rückblicken, Interviews mit Experten, neuen Versuchen, mit den Angeschuldigten ein Interview zu führen, Gegenmeinungen von anderen Experten, Stellungnahmen von Raiffeisen, von Aduno, von Raiffeisen-Genossenschaftern, von Menschen auf der Strasse umrankt werden.

Weitere Nachzüge, wie man das im Jargon nennt

Denn so einen Knaller gilt es auszuschlachten. Dann kommen die Gegenexperten, die sich etwas Ruhm und Aufmerksamkeit abschneiden wollen, indem sie schon interviewten Experten scharf widersprechen. Nicht fehlen dürfen auch die angeblich mit dem Fall vertrauten oder den Angeschuldigten nahestehenden Personen, die – auch in der Schweiz – nicht gratis Insiderwissen verkaufen.

Vincenz ist am Boden zerstört, «ich mache mir Sorgen um ihn», «Vincenz ist ungebrochen kampfesmutig, er ist sich sicher, dass er seine Unschuld beweisen kann». Und alles, was dazwischen liegt. Dann ist wieder Sendepause, bis zur nächsten Instanz.

Natürlich kann man sagen: so funktioniert der Journalismus halt. Von einem Tag auf den anderen popt etwas Neues auf. Man erinnert sich vielleicht noch an den Fall Jörg Kachelmann. Es wurden Gigabyte verschwendet; Analysen, Einschätzungen, selbst Gerichtsreporterinnen von «Spiegel» und «Zeit» sahen ihre Chance gekommen, sich endlich mal selber ins Scheinwerferlicht zu rücken. Dann Prozess, Urteil, und seither? Nichts, nada null.

Obwohl Jörg Kachelmann selber mit allen Mitteln versuchte, sich im Gespräch und in den Medien zu halten. Um sich über deren grausamen Voyerismus zu beschweren. Sozusagen ein frühes Vorbild von Jolanda Spiess-Hegglin.

Aber wenn man selber schweigt und zusehen muss?

Was passiert aber mit einem, wenn man stumm zuschauen muss, wie man bis ins Intime hinein durch die Medien geschleift wird? Wenn es überhaupt keine Rolle spielt, dass Vincenz in den fast drei Jahren, seit der Fall mit seiner Verhaftung für Schlagzeilen sorgte, ein einziges Mal ein kurzes Statement veröffentlichte, dass er die Erfahrung seiner Untersuchungshaft nicht mal seinem schlimmsten Feind wünsche und sich mit allen Mitteln gegen diese ungerechtfertigten Anschuldigungen zur Wehr setzen werde.

Wenn der zweite Hauptangeschuldigte noch nie ein öffentliches Wort gesagt hat, dennoch als Titelbösewicht für die «Bilanz» diente, als der Mastermind hinter Vincenz, als der «Schattenmann»?

Interessiert das die Medien in ihrer unermüdlichen Suche nach der Wahrheit, nach Gerechtigkeit? Diese angebliche Suche ist ein Witz, reine Heuchelei. Es gilt das Herdenverhalten, das Anfüttern.

Wie an die Herde zum Galoppieren bringt

Einem Medium wird ein Häppchen hingeworfen, exklusiv, Dokument, Knaller. Das Organ macht daraus «wie unsere Recherchen ergaben» und plustert sich auf. Die Konkurrenz muss zähneknirschend abschreiben. Der Chefredaktor, oder der Oberchefredaktor, blickt streng in den Newsroom und sagt: Wieso haben wir nichts? Einen Nachzug? Eine eigene Enthüllung? Wenigstens einen Experten? Nehmt endlich mal den Finger raus.

So verelendet der moderne Journalismus. Und wundert sich tatsächlich darüber, dass immer weniger Konsumenten für diesen Schrott auch noch etwas zahlen wollen. Statt sich auf die Kernkompetenz, das Verkaufsargument zurückzubesinnen: Wir liefern Nachrichten; gerafft, eingeordnet, analysiert, betteln die Konzerne nun um Staatshilfe.

Vierte Gewalt, Kontrolle, unverzichtbar, Eckpfeiler der Demokratie, aber hallo. Gleichzeitig gönnen sich die Verlage gegenseitig nicht die Butter aufs Brot und schleimen sich bei den Entscheidungsträgern schonmal ein, selbst wenn sie dafür die Corona-Politik eines Alain Berset toll finden müssen. Die Debatte, die Bedeutung als Meinungsforum, wenn es nur noch eine Tageszeitung in der Stadt gibt, haben sie schon längst durch Gesinnungsjournalismus im Rahmen dessen, was die Kundschaft hören will, abgelöst.

Alleskönner Praktikant bei Watson

Eine Praktikumsstelle bei Watson für journalistische Werbetexte lässt tief blicken.

Auf medienjobs.ch gibt es immer allerlei Wissenswertes zu entdecken. Es ist ein wenig der Indikator, wie es der Branche so geht. Aktuell sucht watson.ch «einen Praktikant Native Ad 100% (w/m)». Dass im Inserat der Akkusativ verloren ging, egal! Viel wichtiger ist das Jobprofil:

Du konzipierst und koordinierst die Abwicklung von Sonderwerbeformen.

Du arbeitest dabei an der Schnittstelle zwischen Redaktion, Verkauf und Innendienst.

Du übernimmst die Stellvertretung der «Redaktionsverantwortichen Native Ad» während ihren Ferienabwesenheiten.

Du ergänzt das Team aufgrund unserer Expansion in die Romandie.

Als bestandener Journalist und Redaktor muss man leer schlucken. Das sind doch einige recht anspruchsvolle Voraussetzungen. Vor allem Schnittstellenfunktionen setzen normalerweise eine gewisse Erfahrung voraus. Und dann dies: Ferienstellvertretungen der «Redaktionsverantwortlichen Native Ad». Zumindest für den Lebenslauf ist das natürlich toll: Schon als Praktikant Verantwortung übernommen und den Chef vertreten.

Für ZACKBUM-Leser (allenfalls) zur Info: Native Advertising (zu Deutsch «Werbung im bekannten Umfeld») ist eine Werbeform, die «nur schwer von redaktionellen Artikeln zu unterscheiden ist und die Aufmerksamkeit der Nutzer durch Tarnung auf sich zieht».

Watson wünscht sich von den Bewerbern «abgeschlossene Grundausbildung, idealerweise Grundstudium». Das ist mittlerweile fast schon normal, auch wenn gemäss Definition ein Praktikant das ist: «Arbeitnehmer, der sich einer bestimmten Tätigkeit und Ausbildung in einem Betrieb unterzieht, die Teil oder Vorstufe einer anderweit zu absolvierenden Ausbildung (z.B. Hochschulstudium) ist.»

Praktikum, Volontariat?

Zuerst Praktikum, dann Studium abschliessen. Sonst wäre es ein Volontariat. Das zum Beispiel macht aktuell Anielle Peterhans beim Tages-Anzeiger. Sie hat schon einige Lorbeeren eingeheimst, etwa den Titel «Journalistin des Jahres» mit der Crypto-Leaks-Recherche.

Aber wir sind ja «erst» beim Praktikum: Bei watson muss man für den Nativ Ad-Job «erste berufliche Erfahrungen im journalistischen Bereich» haben. Das ist darum speziell, weil gerade watson immer wieder betont, wie strikte Redaktion und Werbeabteilung getrennt seien. Oder sonst konstruiert watson eine eigenartige Parallelwelt. In einer Antwort an den Presserat schrieb watson 2017: «Um zu gewährleisten, dass die RedaktorInnen Inhalte nicht im Sinne der Werbepartner erstellen (…), wissen die AutorInnen nicht, wer der Kunde ist. Sie wissen zwar, dass es sich um ein NativeAd handelt, der Absender (…) ist ihnen aber so lange unbekannt, bis dieses von der Chefredaktion oder dem Chef vom Dienst publiziert wird.» Eine leicht schräge Argumentation, die in der Szene immer wieder Kopfschütteln oder zumindest ein Schmunzeln auslöst.

2000 Franken für einen «Vollwert-Job»?

Aber sei’s drum. Immerhin bekommt man bei watson.ch mit 2000 Franken relativ viel Lohn für ein Praktikum. Dafür ist man aber, zumindest wenn man den Job als «Praktikant Nativ Ad» bekommt, sofort eine vollwertige Arbeitskraft. «Learning by doing», heisst das wohl. Die Abteilung Nativ Ad ist ein wichtiges finanzielles Standbein von watson. Mindestens 20 – 25 % des watson-Umsatzes stammt aus dem Erlös von NativeAds.

Der Verband «Junge Journalistinnen und Journalisten Schweiz» hat eine Umfrage gemacht zu Praktikantenstellen und Löhnen. Die Umfrage stammt zwar von 2017, aber es ist nicht anzunehmen, das man heute mehr Geld bekommt. Eher, dass man mehr leisten muss, siehe watson.

 

 

 

 

 

Embolo, oh Embolo

Die Blick-Fussballredaktion stiehlt sich aus der Verantwortung.

Wie gewonnen, so zerronnen. René Fasel, bald abtretender oberster Eishockeyfunktionär der Welt, wird von allen Journalisten fallen gelassen. Sein Fehler: Er zeigte sich in Minsk allzu kollegial mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Die «Schweizer Illustrierte» etwa, sonst immer offen für eine Homestory, urteilte: «Bitte keine Diktatoren umarmen! Gar nicht! Nie! Auch wenn’s um Hockey geht.» Kein Problem: Fasel ist 70, tritt bald zurück und ist dann nicht mehr interessant für Journalisten.

Anders sieht es beim erst 23-jährigen Nationalspieler Breel Embolo aus. Der wuchtige Fussballer von Borussia Mönchengladbach mit breitestem Basler Dialekt hat ein gröberes Problem. Er soll an einer Party «mit leichtbekleideten jungen Damen» dabei gewesen sein. Sein Alibi: Nicht gerade hieb- und stichfest. Was macht nun der «Blick»? Natürlich bringt er die Story und einige Nachzüge. Aber er bedient sich eines Kniffs. Gezeichnet sind die Artikel («Neue, pikante Details zur Skandal-Party», «Polizei bringt Nati-Star Breel Embolo in Erklärungsnot!») mit «Fussball-Redaktion» – oder gar nicht. Etwas, das in der Schweiz nicht üblich ist, und eigentlich gar nicht geht. Doch die Fussball-Experten von «Blick» wollen es sich nicht verscherzen mit Breel Embolo. So bleibt offen, wer nun Embolo im Blatt kritisiert hat. Alle und niemand. So ist eher gesichert, dass Breel Embolo vor der Fussball-WM in Katar 2022 den «Blick» in seiner Loft in London oder Liverpool empfängt – exklusiv!