«Man kann Moskau bombardieren»

Renegaten wie Somm geisseln sich selbst und lassen den Leser teilhaben.

Die Karikatur eines Historikers (siehe PS) war einmal ein linker Trotzkist. Markus Somm kämpfte für die Abschaffung der Schweizer Armee und hat damals sicherlich auch den einen oder anderen blauen oder braunen Band gelesen. Sich in die Werke der Klassiker Marx, Engels und Lenin vertieft. Wer weiss, vielleicht hing auch in einem Herrgottswinkel in seiner Klause ein Poster der drei Säulenheiligen des Kommunismus.

Wie auch immer, Somm muss sich noch im höheren Alter an seinen ehemaligen Idolen abarbeiten. Leider hat er dazu eine Plattform, die etwas mehr Leser hat als sein nebulöses Projekt «Nebelspalter». ZACKBUM beschäftigt sich hier zum letzten Mal mit ihm, aus Gründen der geistigen Hygiene. Allerdings wird er unseren Lesern als Somm-Effekt erhalten bleiben. Damit ist die Bankrotterklärung jeder intellektuellen Differenzierungsfähigkeit («Die Israeli sind die Guten») gemeint.

In seiner SoZ-Kolumne äussert sie sich so: «Lenin, unser Massenmörder». Verräterisch ist das Wort «unser». Somm muss daher fast kniend Abbitte leisten, so wie es Renegaten, die von der Kirche abgefallen waren, früher auch manchmal taten. Allerdings nicht allzu selten unter Zwang, während Somm diesen Dienst freiwillig verrichtet.

Lenin zähle doch zu den «gröberen, wenn nicht gröbsten Verbrechern der Weltgeschichte», behauptet Somm. Schlimmer noch: «Die Russische Revolution ist sicher eines der tödlichsten und übelsten Ereignisse aller Zeiten; sie leistete einen Beitrag an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, und die vielen kommunistischen Regimes, die aus ihr hervorgingen, hinterliessen gegen 100 Millionen Tote. Vorsätzlich vernichtet im Namen einer besseren Welt.»

Dann zählt Somm aus den vielen, vielen schriftlichen Äusserungen Lenins ein paar Befehle auf, die der im Überlebenskampf der Russischen Revolution gab. Vielleicht hätte dem Historiker eine Lektüre des Werks über den russischen Bürgerkrieg von 1917 bis 1921 des englischen Historikers Antony Beevor gutgetan. Vielleicht wäre es interessant gewesen, wenn Somm zu erklären versucht hätte, wieso es einer Handvoll von Berufsrevolutionären unter Führung eines armen Exilanten, der im Jahr zuvor noch an der Spiegelgasse in Zürich gewohnt hatte, gelungen war, die Macht im flächengrössten Staat der Welt zu erobern.

Vielleicht hätte Somm ein Wort über die elenden Zustände in Russland unter dem degenerierten und autistischen Zarenregime verlieren können, in dem die Bauern, die Soldaten und auch die Industriearbeiter wie Vieh vegetierten, während die dünne adlige Oberschicht im Luxus schwelgte.

Vielleicht hätte Somm zu erklären versuchen können, wieso es denn der Revolution gelang, in einem von beiden Seiten gnadenlos und blutig geführten Bürgerkrieg gegen alle konterrevolutionären Truppen, die von den meisten imperialistischen Staaten unterstützt wurden, zu siegen. Wie es ihr gelang, von einem Winzterritorium aus, auf das sie zurückgedrängt worden war, bis 1922 überall im riesigen russischen Reich die Macht zu erobern. Bloss, weil Lenin ein «gröberer, wenn nicht gröbster Verbrecher» war? Spielte dabei der von Somm einst bewunderte Trotzki nicht eine gewisse Rolle als gnadenloser Befehlshaber der Roten Armee? Und wieso behielt die Oktoberrevolution so lange ihre Strahlkraft, motivierte in vielen anderen Ländern der Welt Revolutionäre dazu, ihr nachzueifern?

Was immer man davon halten mag, von einem Historiker könnte man Erklärungen, Erhellungen erwarten. Statt dumpfem Geschimpfe, statt einer öffentlich vollzogenen Selbstgeisselung am untauglichen Objekt.

Hitler, mit dem Somm Lenin vergleicht, war schlichtweg ein demagogisch begabter, skrupelloser Verbrecher und Massenmörder mit einer absurd-kruden Rassentheorie, ein übles Gewächs, das vom deutschen Grosskapital und den Resten des Junkertums gedüngt wurde, das damit der Gefahr entgegenwirken wollte, dass Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg auch eine erfolgreiche sozialistische Revolution erlebte (erfolglose gab es bekanntlich). Hitler war ein Zerstörer ohne Vision, was nach seinem «Endsieg» hätte geschehen sollen, darüber sagte er nichts. Vielleicht sollte sich Somm an seine Lektüre von Reinhard Kühnl «Der Faschismus» erinnern. Falls er das gut dokumentierte Buch überhaupt gelesen hat.

Aber stattdessen diese primitive Reduktion eines Welterschütterers auf Verbrecher, Massenmörder, Menschenfeind. Das ist so kläglich und erbärmlich, dass wir damit das Kapitel Somm auf ZACKBUM abschliessen.

PS: Geht noch einer drüber? Aber sicher bei Somm. In seinem Geplauder mit seinem Redaktor Dominik Feusi entblöden sich die beiden tatsächlich nicht, Raketenangriffe auf Sewastopol oder Woronesch zu fordern (Feusi). «Oder man kann zum Beispiel St. Petersburg bombardieren oder Moskau», legt Somm noch ein Scheit ins Feuer. Dann folgt ein kurzer Moment der Pseudo-Selbstreflexion: «Leute, die das hören, erschrecken wieder und sagen, der Feusi und der Somm sind Kriegstreiber. Ja, das ist richtig, wir sind absolute Kriegstreiber, die Ukraine muss verteidigt werden.» Dann verliert er sich in den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts.

Mal im Ernst, liebe Verwaltungsräte des «Nebelspalters», sind solche zwei Amoks eigentlich noch verantwortbar? Sicher, der Podcast hat nur ein paar Hundert Zuhörer, aber dennoch: Moskau bombardieren? Weiss Historiker Somm nicht mehr, wer das als Letzter forderte und tat? Kriegstreiber sein und dazu stehen? Wie halt- und hemmungslos soll’s noch werden? Gebietet da niemand Einhalt?

11 Kommentare
  1. Guido Kirschke
    Guido Kirschke sagte:

    «Die Russische Revolution ist sicher eines der tödlichsten und übelsten Ereignisse aller Zeiten; sie leistete einen Beitrag an den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, und die vielen kommunistischen Regimes, die aus ihr hervorgingen, hinterliessen gegen 100 Millionen Tote. Vorsätzlich vernichtet im Namen einer besseren Welt.»

    Diese Aussage ist nicht zu widerlegen, auch wenn sie von Somm stammt. Das Buch «Russland» von Antony Beevor ist wirklich zu empfehlen.

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  2. Martin Hefti
    Martin Hefti sagte:

    Russland bombardiert Kiew bereits in Wirklichkeit, nicht nur in Gedanken. Wenn deswegen Putin und russische Fernsehleute als Kriegsgurgeln bezeichnet werden, finden das etliche Leute übertrieben.

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  3. R. Meier
    R. Meier sagte:

    Lenin war einer der grössten Verbrecher der Menschheitsgeschichte (Stichwort: Holodomor), analog Mao, Pol Pot, Hitler (Liste nicht abschliessend). Und Ja, man darf Lenin durchaus auf seine Verbrechen reduzieren so wie man das bei (S)Hitler zu Recht auch tut. Dass die Zaren ihr Volk gängelten kann als Relativierung nicht gelten. Und die Kriegsgurgeln sitzen auch nicht in Zürich an der Genferstrasse sondern im Kreml in Moskau. MS Meinungen mögen pointiert sein, falsch sind sie deswegen noch lange nicht.

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  4. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Somm hats schwer mit seiner Vergangenheitsbewältigung.
    Er wird noch lange wild und wirr im Nebel herumirren müssen.
    Darüber hätte ich gerne mehr in Zackbum erfahren – dem
    einzigen Magazin, das auch Satire kennt.

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  5. Mathias Wyss
    Mathias Wyss sagte:

    Lenins Alptraum war, dass der brutal-bösartige Stalin sein Nachfolger werden würde, und nicht Trotzki, der den Bürgerkrieg für Lenin führte. Kurz nach Lenins Tod (1924) wurde Trotzki jedoch von Stalin ausgebootet und später von dessen Häschern ermordet. Die Fixierung auf Lenin, der ja nur wenige Jahre an der Macht war und zwei Jahre vor seinem Tod kaum mehr handlungsfähig, ist einseitig ohne Erwähnung seines von ihm abgelehnten Erben Stalin.

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  6. AloisFischer
    AloisFischer sagte:

    Ja, Ironie ist in Webforen und anscheinend auch in einem spontanen Podcast nicht möglich – sagt und schreibt sich sehr leichtfüssig.
    Aber daraus gleich die Beerdigung des «Somm-Effektes» zu zelebrieren ist «zeyertypisch» und die ganze Zackbumkritik dazu etwas sehr aufgeregtes Geschwurbel mit zahllosen Insider-Seitenhieben und Besserwisser-Gegensätzen.
    Das sei Ihnen als Kritikaster unbenommen, allein die Stilfrage erscheint mir als unnötig grosser Schatten das Produkt von erstaunlich wenig Licht zu sein.

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  7. Jürg Streuli
    Jürg Streuli sagte:

    Eine derart primitive Kriegshetze wie von Markus Somm und Dominik Feusi im «Bern Einfach» vom 17. Januar habe ich in meinem Leben vorher noch nie gehört. Die Beiden sind sogar noch richtig stolz darauf. Und das will etwas heissen, denn der Boulevard von Bild und Blick betreibt eine fast grenzenlose Hetze gegen Russland. Doch Markus Somm und seinem getreuen Gehilfen ist es gelungen noch tiefere Kloaken zu erreichen. Um Vergleichbares zu finden müsste man schon bis zum braunen Propagandaministerium des Zweiten Weltkrieges zurückgehen. Markus Somm aus reichem Hause ist mit einem goldenen Löffel auf die Welt gekommen. Manche solche Leute entwickeln im Leben eine für sie typische Arroganz.

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  8. Peter Bitterli
    Peter Bitterli sagte:

    Was Lenin betrifft, hat Somm doch zu 100% recht. Die paar Ergänzungen und Relativierungen wurden uns ja in den letzten 100 Jahren zur Genüge um die Ohren gehauen. Wo ist das Problem?
    Was die Kriegsgurglerei betrifft, so ist er in einem Parteienspektrum von Grünzeug bis Knarzpfaffenberglertum in bester und breitester Gesellschaft. Dass die Trotzkis immer noch am schrillsten tröten, kann man etwa beispielhaft im Kanton Zug beobachten, wo sie in reinster Urform in Grünliches übergegangen sind.

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