Armer Brecht

Was passiert, wenn sein Meisterwerk schlecht aufgeführt und schlecht rezensiert wird?

Bertolt Brechts episches Stück «Leben des Galilei» wurde 1943 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt. Wieso ist es nicht möglich, diesem theaterhistorischen Ereignis seine Reverenz zu erweisen, indem man sich möglichst genau an das Original hält? Oder mindestens an die letzte Version Brechts, die 1957 vom Berliner Ensemble aufgeführt wurde.

Warum macht man sich nicht einfach Gedanken darüber, in welchem Verhältnis Wissenschaft und Macht stehen, dass sich das nicht allgemein abstrakt abhandeln lässt, dass mit der Entwicklung und dem Einsatz der Atombombe auch für Brecht einige Kernfragen des Stücks neu gestellt werden mussten.

Wieso vergleicht man es nicht mit Dürrenmatts «Die Physiker», 1962 im gleichen Schauspielhaus aufgeführt? Warum muss der Film «Oppenheimer» in der Rezension von Ueli Bernays lediglich erwähnt werden? Wieso weiss Bernays nicht, dass der Dialektiker Brecht in das Stück Dialoge aus dem stalinistischen Schauprozess gegen Bucharin hineinschmuggelte?

Welche Verantwortung hat der Wissenschaftler, darf er Erkenntnisse zurückhalten, ist er schuld an ihrem Missbrauch?

Wäre es nicht die Gelegenheit für Bernays gewesen, ein paar Worte über die Verantwortung des Journalisten zu verlieren? Wer wie er über den inzwischen von allen Anschuldigungen entlasteten Rammstein-Sänger schrieb, dass aus dem Künstler ein «Täter geworden» sei, hat der nicht Erklärungsbedarf in eigener Sache? Ist da nicht der Journalist selbst zum Täter geworden?

Wie soll Bernays über Kunst schreiben, über Theaterkunst, Dichtkunst, wenn er einen Kunstbegriff hat, der an banaler Dummheit nicht zu überbieten ist? «Kunst bleibt Kunst, solange sie sich auf Andeutung beschränkt und sich gegen die Banalität des Realen abgrenzt.»

Offenbar haben sich die beiden dramaturgischen Versager vom Schauspielhaus an dieser Behauptung orientiert, statt eine intelligente Transponierung des Stücks von Brecht zu versuchen. Das «Leben des Galilei» hat vielleicht nicht den Stellenwert eines Ödipus, eines «Nathan der Weise», eines Shakespeare-Dramas.

Aber von zwei Regisseuren verhunzt zu werden, was ein offenbar nur oberflächlich gebildeter Rezensent zwar kritisiert, der aber nicht in der Lage ist, selbst den Kern des Stücks herauszuarbeiten, das hat Brecht nun wirklich nicht verdient.

3 Kommentare
  1. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Alexandra Kedves vom TA, eingebettete Berichterstatterin am Schauspielhaus war begeistert von der Aufführung (sie ist von allem was auf der Bühne geboten wird begeistert). Kritisches Hinschauen ist ihr fremd daher hat sie nicht bemerkt das Brecht einmal mehr vergewaltigt wurde, trotz Werte-Kompass des Hauses. Die beiden Intendanten können sich auf Kedves verlassen.

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  2. Peter Bitterli
    Peter Bitterli sagte:

    Aber Bernays, der ist doch gratis. Nicht satisfaktionsfähig, ungestraft jedermanns Watschenmann.
    Seinen Kunst-Wahlspruch habe ich mit Interesse studiert. Leider hat er da etwas verwechselt. Da er selber „von der Popmusik her“ kommt, müsste es wohl heissen:
    «Kunst bleibt Kunst, solange sie sich auf Bedeutungslosigkeit beschränkt und auf die Realität des Banalen begrenzt.»

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  3. Bänz Ledin
    Bänz Ledin sagte:

    Wie bei Bernays kein Wort über das deutlich herausgearbeitete und mit Glitzergewändern und Spiegeln symbolisierte Narzissmusthema, Wahrheitssuche vs. Kampf um die Deutungshoheit, das auch den sich im Selbstmitleid zurückziehenden Wissenschaftler betrifft. In späteren Jahren entwickelt sich dann bei Galilei das Bewusstsein für die eigene Eitelkeit, das verfrühte Aufgeben: «Sie hätten mich wohl nicht umgebracht.»

    Too close to home?

    Wie gehen Narzissten eigentlich miteinander um?
    Barbara Wardetzki: Entweder sie sonnen sich in der Berühmtheit des anderen, oder sie bekämpfen sich, um selber besser dazustehen.

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