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Die WeWo macht’s schon wieder

Sie lässt die Geschichte umschreiben. Diesmal von einem deutschen US-Politwissenschaftler.

Immerhin einen Vorteil hat das Geschwafel von Alexander Wendt: es ist dermassen langfädig, dass wohl kaum ein WeWo-Konsument es bis zum Schluss durchhält. Übernommen wurde der Text von «Publico», wo es dem Portal auch nicht gerade zur Ehre gereicht. Das kann sich aber nicht wehren, weil es von Wendt gegründet wurde.

Offenbar fiel der WeWo doch auf, dass die intellektuelle Flughöhe von Karlheinz Weissmann nicht ganz ausreichte, um überzeugend die Debatte, ob das Ende des Zweiten Weltkriegs für Deutschland eine Befreiung oder eine Niederlage gewesen sei, mit «Niederlage» zu beantworten.

Also probiert es nun Alexander Wendt. Der hat als Polemiker durchaus mehr Potenzial als Weissmann: «Die Behauptung, der 8. Mai 1945 dürfe nur als Befreiung gesehen werden, steht nicht allein. Ob DDR, Nationalsozialismus oder Kaiserreich: Erfundene Historie erlebt eine Hochkonjunktur – und dient dabei nicht dem Verständnis früherer Generationen, sondern dem moralischen Geländegewinn heute.»

Lustig, dabei sind Weissmann und Wendt genau dafür zwei Beispiele. Wendt verwendet als Einleitung einen eher dümmliche Spruch auf X eines grünen Bundestagsabgeordneten: «Der Versuch der AfD-Vorsitzenden, die Befreiung Deutschlands von der NS-Diktatur durch die Alliierten als Niederlage umzudeuten, ist ein weiterer Schritt der AfD, sich völlig offen gegen die Werte unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu stellen.»

Das ist natürlich Unsinn. Aber das salviert Wendt nicht, wenn er eigenen Unfug dagegenstellt. Denn zweimal Minus ergibt hier nicht Plus.Zunächst trampelt Wendt auf dem Grünen Twitterer herum: «Der gesamte Zweite Weltkrieg produzierte in von Notz’ Variante zwar eine Menge Kohlendioxid und toxische Männlichkeit, besass aber alles in allem den Charakter der weiterentwickelten Bundesjugendspiele, die neuerdings auch keine Gewinner und Verlierer mehr kennen, sondern nur noch Beteiligte.»

Hört sich zwar irgendwie gut an, ist aber eigentlich blosse heisse Luft, schön gebacken. Dann arbeitet sich Wendt an der einwandfrei antifaschistischeren Geschichte der DDR ab. Die war zwar bei der Weiterverwendung einzelner Nazis auch nicht ganz auf der sauberen Seite, aber es war dann doch kein Vergleich zum Rechtsnachfolger des Dritten Reichs, der BRD. Dort überlebte fast die gesamte Richterschaft, Tausende von SS-Schergen, Nazis in der Politik und der Wirtschaft unbeschadet oder nur mit kleinen Blessuren die Befreiung – oder Niederlage. Und machte weiter, bis gelegentlich einer wie der furchtbare Richter und spätere Ministerpräsident Hans Filbinger oder der Bundespräsident Lübke oder der Bundeskanzler Kiesinger als Nazi spät enttarnt wurde.

Wie poltert dagegen Wendt: «Auf der über alle Zweifel erhabenen Seite standen von Anfang an nur die Kommunisten, die nach 1945 endlich zusammen mit den sowjetischen Instrukteuren den eigentlich schuldlosen und nur verirrten Massen den Weg in eine bessere Zukunft wiesen, im Gegensatz zu den Menschen im Westen, der noch auf seine wahre Befreiung warten musste.»

Dass die Kommunisten als Erste und lange Zeit Einzige vor der Machtergreifung des Hitler-Faschismus davor gewarnt hatten, dass Hitler wählen, den Krieg wählen bedeutet, dass die Kommunisten den grössten Blutzoll beim Widerstand gegen das Nazi-Regime leisteten, was soll’s. Die DDR ist Geschichte und kann sich gegen solche Umdeutungen nicht mehr wehren.

Dann begibt sich Wendt allerdings auf ganz dünnes Eis und versucht sich daran, den Kommunisten Bertolt Brecht in seinem Sinn umzudeuten (nachdem er schon den Kommunisten Hermlin umbog). Der kann sich auch nicht mehr wehren, weil tot:

««Seht diese Hüte von Besiegten! Und nicht als man sie vom Kopf uns schlug zuletzt, war unsrer bittern Niederlage Stund. Sie war, als wir sie folgsam aufgesetzt.»
Obwohl Emigrant, benutzte Brecht ein lyrisches Wir. Sein Vers kommt der Formel des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss sehr nah, am 8. Mai 1945 sei Deutschland sowohl «erlöst als auch vernichtet» worden.»

Gedichtinterpretation ist eigentlich ein Schulfach. Aber offensichtlich kann sich Wendt nicht mehr daran erinnern. Die Stunde der Niederlage war eben gerade nicht der 8. Mai, sondern der Tag, als sich viele Deutsche den Stahlhelm aufsetzen liessen. Kann doch nicht so schwer sein …

Vielleicht darf man Wendt an ein anderes Dichterwort von Brecht erinnern:

«Und die da reden von Vergessen und die da reden von Verzeihn
All denen schlage man die Fressen mit schweren Eisenhämmern ein.»

Wendt hingegen, dem dieses Schicksal sicher erspart bleibt, verkrümmt den toten Brecht und auch den ehemaligen Bundespräsidenten Heuss bis zur Unkenntlichkeit: «Brecht und Heuss wussten wie der damalige Bundespräsident das Selbstverständliche, nämlich, dass damals nur die allerwenigsten die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht als Befreiung empfanden.»

Nun ist es müssig, darüber zu spekulieren, wie viele Deutsche bis zum Kriegsende überzeugte Nazis waren. Dass nur die «allerwenigsten» das Ende der Herrschaft des absolut Bösesten, was die Geschichte bislang hervorbrachte, als Befreiung empfunden haben sollen, ist Unsinn. Geschichtsrevisionismus. Absurd. Ausser, man unterstellt den damaligen Deutschen, dass die allerallermeisten auch am 8. Mai 1945 immer noch in der Wolle braun gefärbte Nazis waren, die den Untergang des Dritten Reichs als bedauerliche Niederlage empfanden.

Dann wird Wendt etwas sprunghaft und prügelt nochmals auf die verblichene DDR ein, beziehungsweise auf Meinungsträger, die nun nicht alles und jedes als absolut schlecht empfanden oder darstellen. Was er hier langfädig rhabarbert, entzieht sich der rationalen Beurteilung.

Allerdings, muss man einräumen, mit einer Passage – ein blinder Polemiker findet auch mal ein Korn – hat Wendt recht: «Erst dann, wenn historische Begriffe aus ihrer Sinnverankerung herausbrechen, lassen sich Formeln wie Nazi und Faschist völlig beliebig in der politischen Tagesauseinandersetzung verwenden, nicht nur gegen Personen, sondern gegen alles Mögliche, das im wohlgesinnten Milieu auf Ablehnung stösst.»

Dann allerdings macht Wendt – im Zickzack durch die Geschichte und durch Europa, einen Abstecher nach Budapest, zu einer Gedenkstätte dort: «Vor 1945 diente das Gebäude als Quartier der Pfeilkreuzler, danach bis 1956 als Sitz des kommunistischen Geheimdienstes.»

Was die Pfeilkreuzler hier anrichteten, interessiert Wendt allerdings weniger, ihm geht es natürlich nur um die Kommunisten:

«Videoaufnahmen, in denen ehemalige Häftlinge, überlebende deportierte Zwangsarbeiter, aber auch ein früherer Offizier des Staatssicherheitsdienstes sprechen, bilden den Kern der Ausstellung. Es kommen Beteiligte an der Geschichte zu Wort.
Die grosse Leistung der Geschichtserfinder in Deutschland besteht darin, diese Stimmen gleich zweimal weitgehend verdrängt zu haben: für den Mai 1945 und für die DDR.»

Es ist schon verblüffend. Immer, wenn solche Geschichtsumschreiber zum Ende ihrer Ausführungen kommen, verlieren sie völlig den Kontakt zu Logik und Folgerichtigkeit einer Argumentation. Wendt verdrängt konsequent die Stimmen derer, die unter dem Naziterror gelitten haben. Er verschwendet kein Wort über den kommunistischen Widerstand, er hat nur Häme übrig für den Versuch der DDR, viel konsequenter als die BRD mit der Nazi-Vergangenheit zu brechen.

Dass es da genügend zu kritisieren gibt – unbenommen. Wer aber dem politischen Gegner Verdrängung vorwirft, selbst aber ein Weltmeister im Auslassen von unangenehmen historischen Tatsachen ist, disqualifiziert sich mit seinen eigenen Argumenten gleich selbst.

Welch ein Unsinn: wer den 8. Mai nicht als Tag der Niederlage, sondern der Befreiung bezeichnet, ist für Wendt, den Geschichtenerfinder, ein «Geschichtserfinder».

ZACKBUM wiederholt seine dringliche Empfehlung an die nach Deutschland expandierende «Weltwoche», solchen Geschichtsrevisionisten keine Plattform zu bieten. Nein, das ist keine Aufforderung zur Zensur. Das ist ein guter Ratschlag, damit die WeWo nicht ohne Not und aus eigener Dummheit in eine miefig-trübe Ecke gerät; denn wie sagte Brecht auch so richtig: «Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.»

Natürlich ist Wendt kein Nazi und auch kein Faschist. Aber er ist ein verantwortungsloser Geschichtsklitterer ohne Skrupel oder Moral.

 

Armer Brecht

Was passiert, wenn sein Meisterwerk schlecht aufgeführt und schlecht rezensiert wird?

Bertolt Brechts episches Stück «Leben des Galilei» wurde 1943 am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt. Wieso ist es nicht möglich, diesem theaterhistorischen Ereignis seine Reverenz zu erweisen, indem man sich möglichst genau an das Original hält? Oder mindestens an die letzte Version Brechts, die 1957 vom Berliner Ensemble aufgeführt wurde.

Warum macht man sich nicht einfach Gedanken darüber, in welchem Verhältnis Wissenschaft und Macht stehen, dass sich das nicht allgemein abstrakt abhandeln lässt, dass mit der Entwicklung und dem Einsatz der Atombombe auch für Brecht einige Kernfragen des Stücks neu gestellt werden mussten.

Wieso vergleicht man es nicht mit Dürrenmatts «Die Physiker», 1962 im gleichen Schauspielhaus aufgeführt? Warum muss der Film «Oppenheimer» in der Rezension von Ueli Bernays lediglich erwähnt werden? Wieso weiss Bernays nicht, dass der Dialektiker Brecht in das Stück Dialoge aus dem stalinistischen Schauprozess gegen Bucharin hineinschmuggelte?

Welche Verantwortung hat der Wissenschaftler, darf er Erkenntnisse zurückhalten, ist er schuld an ihrem Missbrauch?

Wäre es nicht die Gelegenheit für Bernays gewesen, ein paar Worte über die Verantwortung des Journalisten zu verlieren? Wer wie er über den inzwischen von allen Anschuldigungen entlasteten Rammstein-Sänger schrieb, dass aus dem Künstler ein «Täter geworden» sei, hat der nicht Erklärungsbedarf in eigener Sache? Ist da nicht der Journalist selbst zum Täter geworden?

Wie soll Bernays über Kunst schreiben, über Theaterkunst, Dichtkunst, wenn er einen Kunstbegriff hat, der an banaler Dummheit nicht zu überbieten ist? «Kunst bleibt Kunst, solange sie sich auf Andeutung beschränkt und sich gegen die Banalität des Realen abgrenzt.»

Offenbar haben sich die beiden dramaturgischen Versager vom Schauspielhaus an dieser Behauptung orientiert, statt eine intelligente Transponierung des Stücks von Brecht zu versuchen. Das «Leben des Galilei» hat vielleicht nicht den Stellenwert eines Ödipus, eines «Nathan der Weise», eines Shakespeare-Dramas.

Aber von zwei Regisseuren verhunzt zu werden, was ein offenbar nur oberflächlich gebildeter Rezensent zwar kritisiert, der aber nicht in der Lage ist, selbst den Kern des Stücks herauszuarbeiten, das hat Brecht nun wirklich nicht verdient.

Wer erträgt den Zweifel?

Zeichen und Wunder. Schwarzweiss kriegt Grautöne.

Richtig bunt und somit wirklichkeitsnah ist die Berichterstattung über den Ukrainekrieg noch nicht. Aber es gibt ein Heilmittel gegen Schwarzweiss, gegen das ewige Durch-die-Mühle-Drehen der gleichen Narrative. Die Autoren könnten noch wochenlang, aber das Publikum ermüdet langsam. Und wundert sich ab und an, wieso eine fast siegreiche ukrainische Armee immer mehr in die Defensive gerät.

So wie es sich wunderte, dass der Rubel nicht senkrecht in die Grube fuhr, sondern mit 40 Prozent Aufwertung gegenüber dem US-Dollar wieder Vorkriegsstände erreicht hat.

Also lässt auch der eine oder andere Journalist (ausser, er heisst Münger) etwas zu, was er sich ganz lange nicht traute: den Zweifel. Denn eine Fehleinschätzung aufgrund ungenügender Faktenlage oder wegen einer ideologischen Gesinnungsbrille, das ist das eine. Aber wenn der Spalt zwischen Rhetorik, Publizistik, veröffentlichter Meinung und Realität immer breiter wird, muss etwas geschehen.

Der erste Schritt zur Besserung besteht darin, nicht weiter wild Ratschläge zu geben, zu fordern, zu beschimpfen, der eigenen Regierung hinterherhöseln oder sie gar zu energischem Handeln zu drängen. Waffen her, möglichst schweres Gerät, so schaffen wir Putin, dröhnte es noch unlängst aus vielen Löchern, in die die Sonne der Erkenntnis nicht scheint.

Inzwischen beschleicht den einen oder anderen der Zweifel, ob das nicht einfach den Krieg verlängern könnte, noch mehr Opfer unter Soldaten und Zivilbevölkerung fordern würde, noch mehr Schäden an der Infrastruktur anrichte.

Das ist keine kleine Leistung für clevere Mitglieder der Journaille, und längst nicht alle haben die Zeitenwende in der öffentlichen Meinung mitgekriegt. Zeitvergessen wie japanische Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg reiten sie immer noch auf der Rosinante im fiktiven Schreibtäter-Feldzug gegen Putin.

All denen, und eigentlich auch allen anderen, sei ein wunderbares Gedicht von Bertolt Brecht (Nora Zukker, googeln!) gewidmet, so an einem nachdenklichen Sonntag:

Der Zweifler

Immer wenn uns
Die Antwort auf eine Frage gefunden schien
Löste einer von uns an der Wand die Schnur der alten
Aufgerollten chinesischen Leinwand, so daß sie herabfiele und
Sichtbar wurde der Mann auf der Bank, der
So sehr zweifelte.

Ich, sagte er uns
Bin der Zweifler, ich zweifle, ob
Die Arbeit gelungen ist, die eure Tage verschlungen hat.
Ob, was ihr gesagt, auch schlechter gesagt, noch für einige Wert hätte.
Ob ihr es aber gut gesagt und euch nicht etwa
Auf die Wahrheit verlassen habt dessen, was ihr gesagt habt.
Ob es nicht vieldeutig ist, für jeden möglichen Irrtum
Tragt ihr die Schuld. Es kann auch eindeutig sein
Und den Widerspruch aus den Dingen entfernen; ist es zu eindeutig?
Dann ist es unbrauchbar, was ihr sagt. Euer Ding ist dann leblos
Seid ihr wirklich im Fluß des Geschehens? Einverstanden mit
Allem, was wird? Werdet ihr noch? Wer seid ihr? Zu wem
Sprecht ihr? Wem nützt es, was ihr da sagt? Und nebenbei:
Läßt es auch nüchtern? Ist es am Morgen zu lesen?
Ist es auch angeknüpft an vorhandenes? Sind die Sätze, die
Vor euch gesagt sind, benutzt, wenigstens widerlegt? Ist alles belegbar?
Durch Erfahrung? Durch welche? Aber vor allem
Immer wieder vor allem anderen: Wie handelt man
Wenn man euch glaubt, was ihr sagt? Vor allem: Wie handelt man?

Nachdenklich betrachteten wir mit Neugier den zweifelnden
Blauen Mann auf der Leinwand, sahen uns an und
Begannen von vorne.

Die vielen Zweifellosen erreicht man damit nicht. Auch die Haltungsverbogenen nicht. Ebenso wenig die Einfachen im Geiste. Alle, die sich ernsthaft mit Genderfragen beschäftigen, fallen auch weg. Bauchnabelbeschauer und Erforscher der eigenen Befindlichkeit ebenfalls. Dann die vielen, die aus Unsicherheit zu Rechthabern geworden sind. Opportunisten, Konzernjournalisten, die ihre Haltung häufiger als die Unterhose wechseln: auch keine Chance. Bei Karrieristen gehen Zweifel gar nicht. Die alle abgezählt, da bleiben in der Schweiz noch, hm, also durchaus noch, hm, wie viele Journalisten übrig? Braucht man beide Hände zum Abzählen?