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Das Undenkbare denken

Unterwegs in die strahlende Zukunft?

Das eigentlich Undenkbare hat ein Gefahrenpotenzial, das man nicht unterschätzen sollte. Es ist inzwischen 77 Jahre her, dass die USA gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zweimal die Atombombe einsetzten. Bis heute ist umstritten, ob damit der Zweite Weltkrieg verkürzt und Japan zur schnellen Kapitulation gebombt wurde – oder ob es sich um einen reinen Terrorangriff (mehr als 200’000 zivile Tote, Langzeitschäden und -folgen bis heute) handelte.

Damals wollten die USA auch zeigen, dass sie als erste Militärmacht über diese neue Waffe verfügten; der Beginn des atomaren Wettrüstens, das die Welt im Kalten Krieg mehrfach an den Rand der Vernichtung brachte. Neuerdings wird immer häufiger auf die Oktoberkrise 1962 verwiesen. Nach vielen Untersuchungen und Konferenzen zum Thema weiss man inzwischen, dass wohl niemals im ganzen Kalten Krieg die Welt so nahe an einem atomaren Schlagabtausch stand.

Die damalige Sowjetunion hatte auf Kuba Atomraketen stationiert, mit denen die USA innert Minuten hätten erreicht werden können. 1959 hatte auf der Zuckerinsel die Guerilla von Fidel Castro gesiegt und den von den USA unterstützten Diktator Batista verjagt. Bis 1959 war Kuba mehr oder minder ein Protektorat der USA, wo sich seit der Prohibition die Mafia eingenistet hatte. Glücksspiel, Prostitution, Alkohol, Drogen. Und ein korrupter Diktator.

Graham Greene hat die vorrevolutionäre Zeit genial in seinem Roman «Unser Mann in Havanna» ironisch gebrochen beschrieben. Nach dem Triumph der Revolution setzte ein fast zwangsläufiger Mechanismus ein, der die Insel von den USA entfremdete und die Nationalrevolutionäre um Castro in die Arme der einzigen anderen Supermacht trieb. Natürlich liess sich die UdSSR die Gelegenheit nicht entgehen, sozusagen über einen Flugzeugträger im Unterbauch der USA zu verfügen.

Die Geschichte der Oktoberkrise 1962 wäre unvollständig ohne die Vorgeschichte der Invasion in der Schweinebucht. Exilkubaner, unterstützt von der CIA und wohlwollend aufmunitioniert von der Regierung Eisenhower, hatten 1961 den Versuch unternommen, Castro von der Macht zu vertreiben. In völliger Verkennung der Sachlage meinten sie, nach einer Landung auf Kuba würde die Bevölkerung in Scharen zu ihnen überlaufen, man würde ein Stückchen Kuba zur befreiten Zone erklären, von den USA als legitime Regierung anerkannt werden und mit amerikanischer Militärhilfe in Havanna einmarschieren.

In Wirklichkeit war die Landung in der Schweinebucht von Anfang an ein Desaster, Fidel Castro höchstpersönlich führte die Gegenwehr an, und in 48 Stunden war der Spuk vorbei. Hans Magnus Enzensberger beschrieb grossartig, wie der anschliessende Prozess in Havanna gegen die mehr als 1000 gefangen genommenen Invasoren ablief. Castro höchstpersönlich stellte sich ihnen, sicherte ihnen zu, dass niemandem etwas geschehen würde und liess sich auf die Debatte ein, wieso man ihn eigentlich von der Macht vertreiben wollte.

Anschliessend wurden die geschlagenen Konterrevolutionäre – mit wenigen Ausnahmen von Folterknechten von Batista – in die USA zurückspediert. Ein grossartiger erster Sieg Lateinamerikas gegen den US-Imperialismus. Aber nach dieser Invasion, die vom neuen Präsidenten Kennedy nur halbherzig unterstützt worden war, gab es auf Kuba die Befürchtung, dass es zu einem zweiten Versuch kommen könnte, diesmal mit militärischer Rückendeckung der USA.

Wie freigegebene Protokolle belegen, forderte der mutmassliche Kriegsverbrecher Henry Kissinger noch viel später vom damaligen Präsidenten Nixon, dass man Castro nun endlich erledigen müsse. Dieser Plan scheiterte am erzwungenen Rücktritt Nixons. Nachdem Kuba bereits wirtschaftlich vom Ostblock unterstützt wurde, bekam die Insel des Sozialismus nach der Schweinebucht auch massive militärische Hilfe – bis hin zur Stationierung von Atomwaffen.

Die UdSSR stritt das zunächst ab, bis die USA mit Spionageflügen die Existenz von Abschussrampen beweisen konnten. Der damalige Kreml-Herrscher Chruschtschow ging davon aus, dass der immer noch relativ unerfahrene US-Präsident Kennedy nicht wagen würde, es auf eine Konfrontation ankommen zu lassen. Der reagierte aber mit einer Seeblockade um Kuba. Der näherte sich bis auf wenige Kilometer eine russische Flotte, die wohl weiteren Nachschub nach Kuba hätte bringen sollen.

Das war der Moment, als in beiden Kommandozentralen in den USA und in der UdSSR der Finger jeweils nur wenige Zentimeter vom roten Knopf entfernt war, mit dem ein Atomkrieg ausgelöst werden konnte. Erst im letzten Moment drehte die russische Flotte ab. Anschliessend wurde in komplizierten Geheimverhandlungen vereinbart, dass die UdSSR die Atomraketen wieder aus Kuba abzog. Gegen die Zusicherung der USA, keine weitere militärische Invasion zu versuchen – und ihrerseits Atomwaffen aus der Türkei abzuziehen, von denen sich die UdSSR bedroht sah.

Diese Ereignisse sind im Film «Thirteen Days» mit Starbesetzung eindrücklich nachgespielt, wen’s interessiert. Nicht nur in Kenntnis dieses Films ist klar: die aktuelle Bedrohung durch den möglichen Einsatz von Atomwaffen in der Ukraine ist mit der damaligen Situation nicht zu vergleichen.

Heute haben wir einen russischen Präsidenten, der mit seinem Versuch, die Ukraine blitzschnell zu erobern (oder zu «befreien»), krachend gescheitert ist. Statt mit einer «militärischen Spezialoperation» die Hauptstadt Kiew innert weniger Tage einzunehmen, die Regierung zu stürzen und eine Russland genehme einzusetzen, ist Putin inzwischen in einen langwierigen Stellungskrieg verwickelt, der zudem die Schwächen der russischen Militärmacht geradezu peinlich offenbart.

Eroberte Gebiete können nicht gehalten werden, offenbar gibt es dramatische Verluste an Mensch und Material. Immer wieder ist von Versorgungsschwierigkeiten, demotivierten Truppen, korrupten Anführern und schweren taktischen Fehlern die Rede. Ein Autokrat wie Putin kann es sich nicht leisten, selbst verkündete Kriegsziele aufzugeben. Zu hoch hat er bereits gepokert, zu tiefgreifend ist das Verhältnis zum Westen bereits zerstört.

Weder auf dem Schlachtfeld, noch mit seinen wirtschaftlichen Kriegszügen ist Putin sonderlich erfolgreich. Europa ist zwar wirtschaftlich geschwächt, wovon die USA als lachender Dritter profitieren. Aber die über Russland verhängten Sanktionen treffen die dortige Wirtschaft viel nachhaltiger. China ist nicht bereit, bei High-Tech-Produkten in die Bresche zu springen, ganz abgesehen davon, dass auch China – im Gegensatz zu Taiwan – gar nicht über die entsprechenden Produktionskapazitäten verfügt.

Nun hat Putin noch eine Teilmobilmachung angeordnet, womit der Krieg in der russischen Gesellschaft angekommen ist und Tausende von jungen Russen das Land verlassen. Durch die völkerrechtswidrige Annexion von vier Teilrepubliken aufgrund eines lächerlichen Referendums hat Putin die Vorraussetzungen geschaffen, um seine Drohung wahr zu machen, auf Angriffe auf russische Territorien mit allen Mitteln zu reagieren, «und das ist kein Bluff».

Mit diesen Mitteln meint er auch den möglichen Einsatz von Atomwaffen. Das wäre einerseits absurd und militärisch unsinnig. Putin würde im Ernstfall selbst russisches Territorium bombardieren und durch die Verstrahlung unbewohnbar machen. Auf der anderen Seite ist es kitzlig, auf eine solche Drohung adäquat zu reagieren.

Der langsam Amok laufende ukrainische Präsident fordert bereits «Präventivschläge» als Reaktion auf diese Drohung. Denn die schönfärberischen Berichte in den westlichen Medien über ukrainische Erfolge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Infrastruktur des Landes zunehmend zerstört ist, der Krieg bereits Schäden in der Höhe von wohl über 500 Milliarden Dollar angerichtet hat, der Staat seine Verpflichtungen nur dank ständig neu fliessenden westlichen Krediten nachkommen kann. Genauso, wie die Ukraine militärisch von westlicher Unterstützung abhängig ist.

Also ist nun die Frage, ob der Westen ukrainische Rückeroberungen von annektierten Gebieten mit voller Kraft unterstützen würde. Auch auf die Gefahr hin, dass der andere Amok im Kreml mit einem Atomschlag antwortet. Was er wohl spätestens beim Versuch, die Krim zurückzuerobern, zweifellos tun würde.

Die neue Situation besteht auch darin, dass während der Kubakrise die Militärdoktrin MAD, mad für verrückt, existierte. Mutual Assured Destruction hiess das, oder einfach: wer zuerst atomar angreift, stirbt als zweiter. Im Fall der Ukraine ist die Gefahr nicht allzu gross, dass die Welt in einem atomaren Feuersturm untergehen würde. Denn es ist nicht damit zu rechnen, dass die USA (oder ihre alliierten Atommächte England und Frankreich) atomar auf den Einsatz von taktischen Atomwaffen durch Russland reagieren würden.

Putin wäre damit endgültig zum Paria unter den Staatsführern geworden, nicht einmal China (oder Indien) würde ihn weiterhin unterstützen. Also haben wir zurzeit die Situation eines klassischen Showdowns. Zwei Revolverhelden stehen sich gegenüber, die Hand auf der Waffe. Jeder sucht beim anderen nach Anzeichen, ob der ziehen will. Oder einknickt. Fehlt nur noch die Musik von Ennis Morricone. Leider stehen sich aber nicht Charles Bronson und Henry Fonda gegenüber. Sondern ein leicht seniler US-Präsident und ein in die Enge getriebener Autokrat in Moskau.

Wir alle dürfen mit offenen Mündern zuschauen und wieder einmal zur Kenntnis nehmen, dass unsere Meinung, unsere Existenz überhaupt keine Rolle spielen, wenn Grosssmächte Grossmachtspolitik betreiben.

Bombenstorys

Da macht man mal eine Woche Pause im Aburteilen der Sonntagspresse …

Schon regnet es Bombenstorys:

Eine genauso riesige wie hässliche Illustration auf der Front plus Editorial plus 5 Seiten widmet die NZZaS der Frage, ob Putin tatsächlich Atomwaffen einsetzen könnte, und wenn ja, warum nicht, und wenn nein, wieso doch, und überhaupt, und die Schweiz. Im Editorial schafft es Inland-Chefin Anja Burri tatsächlich, zunächst das Überangebot an Bombenstorys zu begründen, um dann versöhnlich die weinenden und Händchen haltenden Tennisstars Federer und Nadal anzuhimmeln: «Sie gehören nicht nur für ihr Tennis gefeiert, sondern auch dafür, wie sie allen zeigen, was männliche Stärke heisst.»

Ja was heisst sie denn, wenn wir der etwas merkwürdigen Formulierung der Autorin (Frauensprache?) folgen können. Öffentlich weinen und Händchen halten? Echt? Also diese Geste (aber bitte ohne weinen) ist höchstens bei solchen Gelegenheiten angebracht:

Verdun, Mitterrand, Kohl. Das war stark.

Ganz anders gewichtet die SoZ:

Federer, milder Winter, Macarons und sexuelle Revolution.

Nochmal anders geht’s der «SonntagsBlick» an:

Vielleicht ein Wort zum Faktischen. Putin hat angeordnet, 300’000 Reservisten einzuberufen. In Russland leben rund 68 Millionen Männer. Davon sind 43,5 Millionen im Alter von 15 bis 65, also potenziell mobilisierbar. Also werden zurzeit 0.69 Prozent aller waffenfähiger Männer mobilisiert. Etwas mehr als einer von 200. Für jeden, den’s trifft, eine Tragödie. Aber «Putin holt sich Russlands Söhne»? Nicht mal im Streubereich der Wahrheit.

Genauso wenig wie das Editorial: «Warum läuft Russlands Krieg gegen die Ukraine unter dem Buchstaben Z? … Z steht für da Ende des Schreckensregimes von Waldimir Putin. Zumindest ist der Verbrecher im Kreml am Ende seines Alphabets angelangt …» Oh je, Gieri Cavelty.

Man kann versuchen, ein schiefes Bild zu retten. Aber dafür grosszügig darüber hinwegsehen, dass das kyrillische Alphabet kein Z kennt?

Der nächste journalistische Tiefpunkt wird mit dem Interview mit dem EU-Botschafter Petrus Mavromichalis erreicht. Der darf unwidersprochen jede Menge Unsinn verzapfen: «Wir unterstützen sie mit Geld, Material und humanitärer Hilfe. Und zwar so lange, bis die Ukraine diesen Krieg gewinnt.» Mit der Hilfe der EU zum Endsieg über Russland? Was für ein Traumtänzer.

Schmallippig wird er aber, wenn er nach der Unterstützung von Deserteuren aus Russland gefragt wird. «Wir schützen Dissidenten aus allen Ländern. Aber wir müssen sorgfältig prüfen, ob Schutzbedürftige oder zweifelhafte Personen kommen.» Auf Deutsch: Die EU konnte sich noch nicht darauf einigen, wie sie Asylsuchenden aus Russland begegnen will. Während der Diplomat dann meint, dass die EU überhaupt nicht mit der aktuellen russischen Führung verhandeln könne, behauptet er nassforsch, dass die Schweiz schon noch mehr tun könnte: «Leider hat es der Bundesrat kürzlich abgelehnt, dass ausländische Staaten Waffen aus Schweizer Produktion an die Ukraine liefern können. Das ist eine verpasste Gelegenheit, etwas Gutes zu tun.»

Das kann man so sehen. Allerdings nur, wenn man keine Ahnung von der Schweizer Gesetzgebung bezüglich Waffenexporte in Kriegsgebiete hat. Sehr vage wird der Botschafter dann, was die Beziehungen der Schweiz zur EU betrifft: «Es gibt, wie gesagt, weiter Unklarheiten.» Auch mit dieser Antwort lässt ihn das Interview-Duo Danny Schlumpf und Gieri Cavelty davonkommen.

Daher darf der Botschafter auch zum Abschluss noch richtige Flachheiten absondern: «Die Schweiz und die EU sind Freunde und werden es immer bleiben. Freundschaft ist aber nicht dasselbe wie die Teilnahme am Binnenmarkt der anderen Seite.» Das ist wohl wahr, aber die Gültigkeit eigener Gesetze im anderen Land zur Voraussetzung für dessen Teilnahme am Binnenmarkt zu machen, auf diese Idee kommt weltweit ausser der EU niemand. Hätte man nachfragen können, aber dann wär’s kein Weichspüler-Wohlfühl-Interview geworden.

Zurück zum Organ der besseren Stände und wohlgeborenen Kreise. Die NZZaS wartet mit einer journalistischen Merkwürdigkeit der Sonderklasse auf:

Der Wirtschaftsbund beginnt mit einem Knaller. An der skandalgeplagten HSG hat offenbar ein Professor Mühe, zwischen seiner professoralen Tätigkeit und seiner Funktion als Mitbesitzer einer GmbH zu unterscheiden, die genau die gleichen Themengebiete beackert. Zudem ist seine Frau sowohl an der HSG als «Office-Managerin» wie auch in der GmbH als «Vorsitzende der GL und Miteigentümerin» tätig. Ein neues, saftiges Stück aus dem Fundus dieser Merkwürdig-Uni. Nur: obwohl das Tätigkeitsgebiet des HSG-Instituts ziemlich genau beschrieben wird, handelt es sich um «Herbert Künzle». Der heisse «in Wirklichkeit anders, es gilt die Unschuldsvermutung». Natürlich auch für seine Frau, «nennen wir sie Zita Bergmann».

Ds ist nun Borderline-Journalismus in seiner reinsten Form. Jeder Insider weiss sofort, wer gemeint ist. Aber die NZZaS versteckt sich hinter Pseudonymen. Wunderlich, sehr wunderlich.

Wir haben schon so ausführlich und so notwendig auf dem «NZZaS Magazin» herumgeprügelt, dass es die ausgleichende Gerechtigkeit verlangt, einen Artikel ausdrücklich zu loben:

Ds ist eine singuläre Leistung. Der Autor Daniel Etter ist zwar kein NZZ-Redaktor, aber es gereicht dem Magazin zur Ehre, diese Reportage veröffentlicht zu haben. Dafür verzichten wir auch auf eine kritische Würdigung des Rests des Inhalts …

 

Rechtgehabe

Nun auch die NZZ. Ein Pop-Redaktor weiss es besser.

Keine Ahnung, ob Ueli Bernays mehr als den Nachnamen mit Edward BernaysPropaganda», kann man googeln) gemein hat. Aber dass der NZZ-Redaktor für Pop und so keine Ahnung hat, das stellt er hier unter Beweis: «Der Mitgründer von Pink Floyd macht immer wieder durch kontroverse Statements von sich reden. Zur Reihe politischer Peinlichkeiten zählt nun auch seine Kritik an Selenski.» Denn Roger Waters wisse eben, wer die Schuld am Ukraine-Krieg trage, behauptet Bernays. Und dann wird’s wirklich peinlich:

«Achtung, Roger Waters ist wieder unterwegs. … breitbeinig und zielbewusst in alle möglichen Fettnäpfe … Plattform für diesen Wüterich … sein aufgeblasener Idealismus und seine Besserwisserei lassen ihn oft als Ritter von hässlicher Gestalt erscheinen.»

Was ist denn der Anlass für die muskulöse Rechthaberei eines ansonsten unauffälligen NZZ-Schreibers? Waters hat es gewagt, der aus «Vogue» und anderen Organen bekannten Gattin des ukrainischen Präsidenten einen offenen Brief zu schreiben. Die habe indirekt weitere Waffenlieferungen für die Ukraine gefordert, und damit liege sie möglicherweise tragisch falsch, schreibt Waters. Noch schlimmer für Bernays: «Impertinent in der Sache und arrogant im Ton wird Waters’ Brief, sobald er vom Präsidenten spricht. Selenski habe seine Wahlversprechen nicht eingehalten und dem Donbass keine Autonomie eingeräumt.»

Abgesehen davon, dass diese Kritik völlig berechtigt ist, zeigt eine Lektüre des Schreibens von Waters, dass der durchaus differenziert, wohlinformiert und kompetent Stellung bezieht.

Sein offener Brief endet so: «If I’m wrong, please help me to understand how? If I’m not wrong, please help me in my honest endeavors to persuade our leaders to stop the slaughter, the slaughter which serves only the interests of the ruling classes and extreme nationalists both here in the West, and in your beautiful country, at the expense of the rest of us ordinary people both here in the West, and in the Ukraine, and in fact ordinary people everywhere all over the world. Might it not be better to demand the implementation of your husband’s election promises and put an end to this deadly war

«Wenn ich falsch liege, helfen Sie mir bitte, zu verstehen, wie.» Das ist die Ansicht eines Suchenden, eines Anteilnehmenden, der seine Meinung  sagt, aber gerne bereit ist, eines Besseren belehrt zu werden. Dazu noch eines aktiven Musikers, der mit aktuell 79 Jahren nächstes Jahr nochmal die grossen Stadien füllen will; unter anderem in Deutschland. Den Abstecher nach Polen hat er inzwischen abgesagt; auch dort gibt es zu viele Kleingeister wie Bernays.

Demgegenüber ist Bernays ein arroganter Rechthaber: «Ritter von der traurigen Gestalt: Roger Waters meint es gut mit der Welt – und noch besser mit sich selbst», quengelt der Schreiberling. Dann muss er einräumen: «Zu den Putin-Verstehern passt der Künstler, der in der Ukraine als Staatsfeind gilt, jedenfalls nicht. Er hat das Putin-kritische Punk-Kollektiv Pussy Riot unterstützt und auch russische Autokraten zu Beginn der Ukraine-Invasion scharf kritisiert.»

Mit anderen Worten hat Waters, ganz im Gegensatz zu Bernays, eine differenzierte Sicht der Dinge. Aber die hilft ihm gegenüber einem aufgeblasenen Rechthaber nicht. Wie das zusammenpasse, fragt Bernays am Schluss seines Gestolpers rhetorisch: Gar nicht, denn «Roger Waters ist eben ein Wüterich und Querschläger, der mit seinem Sendungsbewusstsein vor allem das eigene Ego bläht».

Dass nun auch die NZZ solchen billigen Klamauk zulässt, unredlich, unanständig und unter jedem Niveau, ist beunruhigend.

Bombenstimmung

Auch Kriege werden global. Kiew ist auf dem Landweg rund 2100 km von Bern entfernt.

Am 26. April 1986 begann die Atomkatastrophe im Reaktorblock 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl. Das ukrainische AKW liegt auch rund 2100 km von Bern entfernt. Für diese Distanz braucht Radioaktivität kaum 24 Stunden.

Tschernobyl war der bislang schwerste Reaktorunfall der Geschichte. Er ereignete sich wegen menschlichen Fehlern, des Verstosses gegen Sicherheitsvorschriften und wegen einer gefahrenanfälligen Technologie.

Saporischschja ist das grösste AKW Europas. Es ist knapp 2600 km Landweg von Bern entfernt. Russland und die Ukraine beschuldigen sich gegenseitig, es gelegentlich unter Artilleriefeuer zu nehmen. Hier kann sich Tschernobyl jederzeit wiederholen; die Auswirkungen wären wohl noch verheerender.

Zum bislang einzigen militärischen Einsatz von Atomwaffen kam es 1945. Die USA zündeten über Hiroshima und Nagasaki in Japan zwei Atombomben. Rund 200’000 Menschen starben sofort; die Nachwirkungen der radioaktiven Verstrahlung halten bis heute an.

Der russische Präsident Putin hat während seiner Rede zur Ankündigung einer Teilmobilmachung nochmals klargestellt, dass sich Russland «mit allen Mitteln» gegen einen Angriff auf sein Territorium verteidigen würde, und «das ist kein Bluff». Damit meint er, dass er bereit ist, in diesem Fall auch Atomwaffen einzusetzen.

In den sogenannten autonomen Teilrepubliken im Osten der Ukraine werden «Referenden» durchgeführt, die darüber entscheiden, ob sich diese Gebiete Russland anschliessen und analog der Krim dann als russisches Territorium gälten.

Sollte die Ukraine versuchen, diesen Teil ihres Staatsgebiets zurückzuerobern, wäre das dann aus der Sicht des Kremlherrschers ein Angriff auf russisches Territorium. Nachdem sich die russische Armee bislang während dieser «militärischen Spezialoperation» als weitgehend unfähig erwiesen hat, es ukrainischen Streitkräften in wenigen Tagen gelungen ist, Gebiete zurückzuerobern, für deren Besetzung Russland Monate brauchte, ist mit dem Schlimmsten zu rechnen.

Das ist nun kein Grund, auf alte Gewohnheiten wie den Verzehr von Rösti oder Fondue zu verzichten. Der Bissen muss einem auch nicht im Hals steckenbleiben, wenn man diese Lageanalyse liest.

Aber das Unvorstellbare hat immer den Nachteil, dass es unvorstellbar ist. Bis es eintritt. Heisst das nun, dass der wehrhafte Schweizer seinen Luftschutzkeller wieder in Betrieb nehmen sollte, überprüfen, ob die Türe noch luftdicht schliesst, der Notvorrat bereitsteht und genügend Jodtabletten in Griffweite sind?

Eher nicht. Denn bei aller Wehrhaftigkeit im Rahmen der bewaffneten Neutralität der Schweiz gibt es in einer globalisierten Welt mit globalisierten Kriegen kein Entkommen, wenn eine Atommacht darin verwickelt ist.

US-Militärs spielten mindestens zweimal ernsthaft mit dem Gedanken, Atomwaffen einzusetzen. Während des Korea- und während des Vietnamkriegs. Und dass die Welt den Kalten Krieg überlebte, als sich zwei Atommächte hochgerüstet gegenüberstanden, grenzt an ein Wunder.

Damals rettete die Welt wohl nur ein Prinzip, das die schöne Abkürzung MAD trägt. MAD wie verrückt, MAD wie mutual assured destruction. Die gegenseitig garantierte Vernichtung bedeutete nichts anderes als: wer zuerst auf den roten Knopf eines Atomschlags drückt, stirbt als Zweiter. Also wurde immerhin kein Krieg begonnen, in dem es keinen Gewinner geben konnte.

Nun ist die Lage in der Ukraine anders. Die ehemalige Sowjetrepublik hat ihre Atomwaffen nach dem Zusammenbruch der UdSSR an Russland zurückgegeben. Gegen die Zusicherung, dass seine territoriale Integrität nicht in Frage gestellt wird. Oder einfacher: dass es nicht von Russland überfallen wird – unter welchem Vorwand auch immer.

Nun hat in diesem asymmetrischen Krieg die eine Seite das grösste Atomwaffenarsenal der Welt – die andere direkte Kriegspartei dagegen hat nur konventionelle Waffen. Die Ukraine steht auch nicht, mangels Mitgliedschaft, unter dem atomaren Abschreckungsschirm der Nato. Und es ist kaum vorstellbar bis ausgeschlossen, dass Atommächte wie die USA, England oder Frankreich die Ukraine mit Atomwaffen ausrüsten werden.

Eine potenziell fatale Situation. Soll man wünschen, dass es Russland gelingt, mit konventionellen Waffen die eroberten Gebiete gegen ukrainische Gegenoffensiven zu verteidigen? Soll man hoffen, dass es auch im Kreml noch genügend vernünftige Menschen gibt, die den Einsatz von taktischen Atomwaffen verhindern würden?

Mit der Teilmobilmachung ist der Ukrainekrieg in der russischen Gesellschaft angekommen. Soll man hoffen, dass die Reaktion Putin aus dem Amt fegen könnte? Oder soll man befürchten, dass ein in die Ecke gedrängter Autokrat lieber mit einem grossen Knall untergehen will statt mit Gewinsel?

Letztlich tröstet der Gedanke auch nicht, dass es völlig egal ist, was Schweizer in der Schweiz in Bezug auf die Ukraine hoffen, denken, wünschen. Die Entscheidungen werden in Moskau, Kiew, Washington und Brüssel gefällt. Nicht in Bern und auch nicht in Zürich. Also bleibt eigentlich nur, das Geschnetzelte und das Leben so intensiv wie möglich zu geniessen. Solange noch das Lämpchen glüht.

 

Die Teilmobilmachung

Netterweise hat Putin gewartet, bis die Queen unter der Erde war.

Sehr selten in Friedenszeiten: Obwohl es sich beim Ukrainekrieg offiziell weiterhin um eine militärische Spezialoperation handelt, ordnete Russlands Präsident Putin eine Teilmobilmachung an. Eigentlich bräuchte er dafür zuerst die Zustimmung des Parlaments (die er natürlich kriegen würde). Aber wo kein Krieg ist, muss auch nicht zugestimmt werden.

300’000 russische Reservisten sollen nun aktiviert werden, um die gelichteten Reihen der Roten Armee in der Ukraine aufzufüllen. Natürlich sollen auch weitere Geländeverluste vermieden werden, möglicherweise will Russland zur Gegenoffensive ansetzen. Damit beginnt eine neue, noch blutigere Phase des Kriegs.

Gleichzeitig ist es eine eindeutige Eskalation, zumal Putin nicht müde wird zu beteuern, dass sich Russland im Ernstfall «mit allen Mitteln» verteidigen werde, und das sei «kein Bluff». Mit anderen Worten: Die Welt ist einem Atomkrieg wieder ein Stückchen nähergerückt. Vor allem auch durch Putins Plan, mittels «Referenden» Teile der Ukraine Russland zuzuschlagen. Und Angriffe darauf wie einen Angriff auf russisches Kerngebiet zu betrachten – und notfalls mit Atomwaffen zu beantworten.

Während Russland gleichzeitig zum ersten Mal eine gewisse Gesprächsbereitschaft signalisiert hat, lehnt die Ukraine Friedensgespräche zurzeit prinzipiell ab. Zu gross ist offensichtlich der Triumphalismus nach den überraschend grossen und schnellen Terraingewinnen durch die Gegenoffensive.

Mit dieser Teilmobilisierung setzt Putin die Verzwergung Russlands konsequent fort. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa und den USA sind dermassen zerrüttet, dass es lange Jahre dauern wird, sie wieder zu normalisieren. Zudem hat sich Russland als unsicherer Kartonist erwiesen; gerade auf internationalem Gebiet müssen Verträge und Vereinbarungen eigentlich konsequent eingehalten werden. Tut das ein Handelspartner nicht, dann dauert es sehr lange, bis man wieder in ihn Vertrauen fasst.

Da Russland trotz allen gegenteiligen Anstrengungen weiterhin im Wesentlichen ein Zweit-Welt-Land mit Rohstoffen und Atomwaffen ist, hängt seine Industrie bedeutend von westlichem High-Tech ab. In modernen Gerätschaften kann schon ein fehlender Chip Riesenapparate lahmlegen. Deshalb schmerzen die westlichen Sanktionen zunehmend.

Dass Russland unter Bruch internationaler Verträge, inklusive die zugesicherte und beschworene Akzeptanz der territorialen Unverletzlichkeit der Ukraine, in sein Nachbarland eingefallen ist, macht die russische Regierung als verlässlicher Gesprächspartner ebenfalls unglaubwürdig. Das erschwert auch den möglichen Abschluss eines Friedensvertrags. Wie soll man da russischen Zusicherungen glauben, wenn die in der Vergangenheit schonmal gebrochen wurden?

Nun kommt auch noch ein militärisches Desaster dazu. Offensichtlich hat die russische Armee der vom Westen hochgerüsteten Ukraine nur wenig an Mensch und Material entgegenzusetzen. Das gibt natürlich all den Staaten zu denken, die sich von Russland militärisch beschützt wähnen. Ausserdem ist dieses Versagen Gift für russische Waffenexporte in alle Welt. Wenn die eigene Armee mit dieser Ausrüstung krachende Niederlagen einfährt, wozu soll es dann dienen, sich russische Waffen zu kaufen?

Schliesslich trägt diese Teilmobilmachung für diese «Spezialoperation», die angeblich nur ein paar Tage dauern sollte, den Krieg mitten in die russische Gesellschaft.

Auf der anderen Seite sind die Folgen für die europäische Wirtschaft noch nicht abzusehen. Es ist klar, dass es zu einem Wohlstandsverlust kommen wird. Wie dramatisch der ausfallen wird? Das kommt wohl darauf an, in welchem Bereich des Mittelstands der Betroffene lebt. Am unteren Rand wird es sicherlich bitter werden. Wenn zum Beispiel eine Verdreifachen der Stromrechnung in ernste Probleme stürzt, wer bei einer Verdoppelung der Heizkosten anfängt, im Wintermantel in der Stube zu sitzen, der wird’s schwer haben.

Die offiziellen Inflationszahlen widerspiegeln nur sehr ungenügend die sogenannte gefühlte Inflation, also was in der Lebenswirklichkeit des Konsumenten ankommt. Dort liegt die Inflationsrate bereits locker im zweistelligen Bereich. Auch das wird kein schnell vorübergehender Zustand sein. Und wie lange der Staat noch in der Lage ist, die Folgen der Sanktionspolitik mit Geld zuzuschütten, steht ebenfalls in den Sternen.

Also rundum unfrohe Aussichten …

Gewichten und einordnen

Zusammen mit Analyse der Dreischritt von Qualitätsmedien.

Was beschäftigt den Mainstream zurzeit? Drei grosse Wellenberge türmen sich auf. Zunächst und zuvorderst natürlich: die Queen. Sie ist die Königin der Schlagzeilen, der Sondersendungen, der schwarz gekleideten Moderatoren.

Jeder, der Buckingham-Palast ohne zu stottern sagen kann, wird als «britischer Monarchiekenner», als «englischer Adelsspezialst», als Biograph der Corgys der Queen, als ehemaliger Türöffner von König Charles III., als Nachttopfleerer des verblichenen Prinz Philip interviewt. Oder darf gleich selbst einen Auszug aus seinem demnächst erscheinenden Buch präsentieren: «Als die Queen «oh, really?» zu mir sagte».

Dann haben sich die Qualitätsmedien immer noch nicht ganz vom Rücktritt von «Maestro» Roger Federer erholt. Denn noch hat nicht der letzte Journalist seine Begegnung mit dem Tennis-Gott «Als Roger «alles Roger» zu mir sagte» verarbeitet und veröffentlicht. Auch die Rolle seiner Frau, seiner Familie, die Bedeutung der überteuerten Sportschuh-Marke, die exorbitanten Gehälter des Managements, der kurvige Verlauf der Aktie, der persönliche Kleiderstil, sein Leben in Bildern, all das ergiesst sich weiterhin ungebremst über den Leser.

Schliesslich die Ukraine. Der «News-Ticker»! Die Offensive! Nimm das, Putin. Kann sich die Ukraine vom russischen Joch befreien? Wird die Krim zurückerobert? Wankt der Kreml-Herrscher? Rollen deutsche Panzer wieder durch die Ukraine? Kann die Schweiz länger abseits stehen? Auch hier stürmen unablässig Fragen ohne Antworten auf die Leser ein.

Bleibt da noch Platz für Wichtiges? Ach ja, Stromsparen. «Kantone planen Solarzwang für alle Hausbesitzer». «Grünen-Nationalrätin fordert Klima-Steuer für Reiche». Stromverschwendung, wann lesen wir endlich von «Strom-Frevlern» und «Energie-Sündern»? Wann wird die Nachbarschaftskontrolle institutionalisiert? Wann gibt es Wettbewerbe im Energie-Sparen (mit tollen Preisen)?

Gäbe es wirklich Wichtiges? Nun ja, da gibt es zum Beispiel die eher kleine Meldung, dass die Schweizerische Nationalbank eine erneute Anhebung des Leitzinses ins Auge fasst. Dass der Weich-Euro weiter das Loch runtergeht. Kein Wunder, bei der Inflation im Euro-Raum und den deutlich höheren Zinsen im Dollar-Bereich in den USA.

Das könnte den Leser durchaus an einem empfindlichen Körperteil treffen, seinem Portemonnaie. Da bräuchte er Orientierung und Hilfe. Aber das setzte voraus, dass in den Redaktionen gewichtet, eingeordnet und analysiert würde. Nur: von wem, und womit?

Kriegsgegurgel

Die Sandkasten-Strategen haben Hochkonjunktur.

Gut, das Aufmacherfoto hat nicht wirklich etwas mit dem Thema Ukrainekrieg zu tun. Aber es ist zurzeit der absolute Liebling von ZACKBUM. Und Symbobilder sind doch überall im Schwang.

Aber zum Thema:

In der Kinderzeitung «watson» ist Chefstratege und Oberanalyst Philipp Loepfe immer schnell zur Hand, wenn es darum geht, loszugaloppieren. Er zitiert fröhlich drittrangige «Analysten» aus den fernen USA und ukrainische Militärs, die sich in aller gebotenen Objektivität über die russischen Truppen lustig machen.

Auch Loepfe selbst wagt sich mit seiner «Analyse» weit vor: Der ukrainische Vorstoss «dürfte auch dazu führen, dass der Westen seine Waffenlieferungen wieder intensivieren wird. Der Beweis, dass die Russen alles andere als unbesiegbar sind, ist damit endgültig erbracht und die oft wiederholte Behauptung von Präsident Wolodymyr Selenskyj, seine Soldaten würden sämtliche besetze Gebiete befreien, mit Fakten belegt».

Wir sind schon jetzt gespannt, mit welchen Mätzchen Loepfe den ungeordneten Rückzug antreten wird, sollte sich das Kriegsglück wenden.

Der Sparkonzern Tamedia leistet sich nur noch beschränkt eine eigene Meinung zum Ukrainekrieg. Also übernimmt er einfach die Meinung aus München und lässt sie ungefiltert auf seine zahlenden Leser los:

Die Auslandredaktion gibt immerhin ein Lebenszeichen und ändert den Titel des Originalkommentars: «Befreit ist die Ukraine noch lange nicht». Diese Ansicht des SZ-Chefstrategen Stefan Kornelius war den Kriegsherren an der Werdstrasse offensichtlich zu pessimistisch. Dabei glänzt Kornelius, im Gegensatz zu Loepfe, mit militärischen Insights: «… überdehnte Invasionstruppe, … demoralisierenden Angriffe auf russische Basen, … personell ausgedünnte Truppe, … was die russische Invasionsarmee prompt zu einer Vernachlässigung des Nordens verleitete».

Doch Kornelius weiss, wie man sich an den Flanken absichert: «Aber wird dieser Erfolg von Dauer sein?» Nach dieser bangen Frage setzt er zu einem geradezu lyrischen Höhenflug an: «Diese durch Kommandoversagen, Arroganz und bewusste Lügengebilde erzeugte Scheinrealität bildet ja nur einen Teil des russischen Spiegelzimmers, in dem sich die vermeintlichen Wahrheiten unendlich oft brechen, überschneiden und verzerren. Die größte Gefahr für den Kreml liegt darin, dass nun die Spiegel zerbersten und selbst die beste Propaganda die Scheinwelt nicht mehr aufrechterhalten kann.»

Um schliesslich mit einer allgemeingültigen Erkenntnis zu enden: «Kriege werden nur beendet, indem sie unführbar und vor allem ungewinnbar werden.» Unsagbar, wie die deutsche Sprache hier das erste Opfer der Kriegsführung von Kornelius wird.

Bei den Kriegern von der Dufourstrasse würde eine solche Ansicht glatt als Defätismus beschimpft:

Aber immerhin, hier wird nicht einfach Geschehenes nachgekaut, man wagt sogar einen «Blick» in die Zukunft.

Der zweite grosse Medienkonzern CH Media verwendet die Stimme der journalistischen Allzweckwaffe Inna Hartwich. Die schreibt für die «Stuttgarter Nachrichten», die «taz» und alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist:

Sie schreibt nicht nur für diverse Organe, sie will auch zehn Sprachen fliessend sprechen und berichtet gerne ebenfalls aus Peking. Das alles spricht natürlich für eine vertiefte und objektive Berichterstattung, was man auch den Titeln ihrer jüngsten Werke entnehmen kann: «Heimatliebe steht jetzt auf dem Stundenplan», «Vorhang auf für Putins Propagandashow».

Und was sagt die Stimme der Vernunft und des gepflegten Nachdenkens?

Wunder gibt es immer wieder, trällert die alte Tante, sie fordert zwar nicht «Germans to the front», die NZZ ermahnt aber unseren Nachbarn im Norden streng, dass er gefälligst mehr Waffen liefern solle. Etwas unsensibel, da die letzten Waffenlieferungen der Deutschen vor rund 80 Jahren in der Ukraine nicht so gut ankamen. Da tobten nämlich die deutschen Barbaren, fleissig unterstützt von ukrainischen Kollaborateuren und lokalen Faschisten, während die Rote Armee unter gewaltigen Opfern die Ukraine vom hitlerdeutschen Joch befreite. Aber das wäre wieder eine andere Geschichte, und wir leben in geschichtsvergessenen Zeiten.

In der «Weltwoche» hingegen zeigt sich immer deutlicher, was alles geplaudert wird, wenn sich niemand traut, dem Chefredaktor, Verleger, Herausgeber und Besitzer das Mikrophon wegzunehmen:

Ist schon schrecklich, was so passiert, wenn die Nato provoziert. Da sieht sich doch selbst der friedlichste Autokrat im Kreml gezwungen, mal alle Verträge zu brechen und präventiv ein Land zu überfallen. So wie es keinen Krieg ohne Putin gibt, gebe es auch keinen Frieden ohne ihn, weiss Roger Köppel.  Dafür wird auch er verleumdet von den Medien. Aber hier nicht. Wir machen uns nur ein wenig über ihn lustig.

 

Fürs Falsche demonstrieren

Eine Meldung und ihre Geschichte.

In Prag haben nach offiziellen Schätzungen rund 75’000 Menschen an einer Demonstration teilgenommen. Und niemand schaut hin. Niemand? Doch, zunächst muss man dem «Blick» ein Kränzlein winden:

Zwar die Anzahl leicht tiefer gelegt, und gleich mit der Meinung eines Gegners der Veranstaltung garniert, statt vielleicht eine Forderung oder Position der Demonstranten wiederzugeben. Aber immerhin.

Es ist auch nicht so, dass diese gewaltige Manifestation in den Medien nicht zur Kenntnis genommen worden wäre:

Allerdings fällt hier auf, dass ausschliesslich Medien aus Deutschland versammelt sind. In der Schweiz haben immerhin die SDA, nau.ch und bluewin.ch berichtet. Wenn wir allerdings das Augenmerk auf unsere grossen Qualitätsmedien richten, dann sieht die Berichterstattung so aus:

Tamedia, CH Media, NZZ: nichts. Mattscheibe. So zumindest der Stand am Montagmorgen.

Ob das daran liegt, dass Plakate getragen wurden, auf denen stand: «Das Beste für die Ukraine und zwei Pullover für uns»? Ob das daran liegen mag, dass eine beeindruckende Menschenmenge der Meinung Ausdruck gab, dass die Tschechei die Ukraine gegen Russland unterstütze, schon 400’000 Flüchtlinge aufnahm, aber nichts für die Unterstützung der eigenen Bevölkerung tue, die unter steigenden Energiepreisen leide?

Der tschechische Ministerpräsident verurteilte natürlich die Demonstration: «Es ist klar, dass es auf unserem Territorium russische Propaganda und Desinformationskampagnen gibt und manche Personen einfach darauf hören.»

Sollte es in der Schweiz zu ähnlichen Unmutsäusserungen kommen: wetten, dass das dann auch die Position der sogenannten Leitmedien sein wird? Die sich aber vorläufig in vornehmes Schweigen hüllen. Denn was es wert ist, berichtet zu werden, das bestimmt immer mehr die ideologische Scheuklappe, weniger die Wirklichkeit.

Wumms: Fabian Hock

Der «Co-Leiter Ausland» zeigt, wo’s langgeht.

CH Media, der Wanner-Konzern mit den meisten Kopfblättern in der Schweiz, verfügt über eine gut bestückte Auslandredaktion. Sie wird von zwei Leitern geleitet. Die leiten sich allerdings nur selbst, denn sie sind die gesamte Auslandredaktion. Wahrscheinlich haben sie die Welt untereinander aufgeteilt. Ich die obere Hälfte, du die untere. Oder so.

Zu Fabian Hock weltumspannenden Gebiet gehört offenbar Taiwan. Oder aber, sein Co-Leiter ist gerade in den wohlverdienten Ferien, und auf den Schultern von Hock lastet die ganze Welt. Das lässt er den Leser spüren, denn Hock spricht über «die bedrohten Demokratien in der Ukraine und Taiwan». Er fordert uns alle, wie wir im Westen leben, dunkel, aber ultimativ im Titel auf: «Diese Frage muss der Westen nun beantworten».

Also gut, hier spricht der Westen und antwortet. Auf welche Frage schon wieder? Da lässt Hock den Westen ganz schön lange zappeln, bis er endlich die Frage stellt, die beantwortet werden muss:

«Haben die kleinen, bedrohten Demokratien genug moderne Waffen, um sich selbst zu verteidigen?»

Nun, wenn wir da mal die Schweiz als Beispiel nehmen: eher nein. Aber Hock meint natürlich das ferne Ausland: «Das ist derzeit die entscheidende Frage im Konflikt zwischen Demokratie und Autoritarismus. Es ist am Westen, sie zu beantworten.»

Also gut, stellvertretend für den Westen sagt ZACKBUM: nein, haben sie nicht. Damit wäre die Frage beantwortet und wir könnten uns wieder wichtigeren Dingen zuwenden. Der Inflation. Der Altersversorgung. Der 10-Millionen-Schweiz. Dem Niedergang unseres wichtigen Handelspartners Euro-Zone. Aber zuvor müssen wir Hock noch eine Frage stellen: Welche Demokratien meint er genau?

Ach, die Demokratien Ukraine und Taiwan. Ist die Ukraine wirklich eine Demokratie? Ist ihr Präsident Selenskij ein lupenreiner Demokrat? Oder ist er nicht vielmehr ein autoritärer Herrscher in einem Land, in dem eine genauso rigide Medienzensur herrscht wie in Russland. In einem Land, das männliche Einwohner nicht verlassen dürfen. In einem Land, in dem das Parlament keine Rolle mehr spielt. Er ist als Marionette eines ukrainischen Oligarchen an die Macht gekommen, der so seine kleinen Probleme mit dem Verschwinden von über einer Milliarde Dollar regeln wollte. Dieses klitzekleine Problem hatte den Oligarchen nämlich ins ausländische Exil getrieben, und er wollte gerne wieder zurück. Also kaufte er Selenskij die Präsidentschaft, Problem gelöst.

Und Taiwan? Dort herrschte von 1949 bis zu seinem Tode im Jahr 1975 der Militär und Diktator Chiang Kai-Sheck, der niemals seinen Anspruch auf die Herrschaft über ganz China aufgab. Bis 1992 wurde Taiwan mittels Einparteiendiktatur geführt, völlig wesensähnlich mit Festlandchina. Verfolgungen, Umerziehungslager, willkürliche Verhaftungen, Todesurteile. Taiwan glich lange Jahre politisch Festlandchina wie ein Ei dem anderen. Erst 1996 wurde das erste Mal ein Präsident gewählt. Zweither wechseln sich zwei Parteien an der Macht ab; die Vergangenheit ist bis heute nicht aufgearbeitet.

Ist also Taiwan eine Demokratie? Nach rund 25 Jahren kann man vielleicht von einem Land sprechen, das unterwegs ist in Richtung Demokratie. Zum Vergleich: Deutschland hat seit 1949 eine parlamentarische Demokratie, die seit 1990 fürs gesamte, wiedervereinigte Land gilt. Man kann sie kaum als so gefestigt wie beispielsweise die schweizerische, englische oder US-amerikanische bezeichnen.

Wenn also Hock ungehemmte Waffenlieferungen an die Ukraine und Taiwan fordert und das damit begründet, dass Demokratien gefährdet seien, liegt er falsch. Ausser ein paar kleinen Inseln, Haiti und dem Vatikan bestreitet kein einziger Staat der Welt den Alleinvertretungsanspruch von Festlandchina über ganz China, inklusive Taiwan. Obwohl die Insel erst seit ein paar Jahren davon Abstand genommen hat, ihrerseits einen Alleinvertretungsanspruch über ganz China zu erheben. Obwohl Taiwan viele Jahre lang die Basis für subversive Aktionen gegen Rotchina im Kalten Krieg war.

Wer für Waffenlieferungen an Taiwan eintritt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes gröblich einzumischen. Wer Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet, unterstützt damit die Gegenwehr eines überfallenen Landes. Aber sicherlich keine Demokratie.

Mode-Porno in der «Vogue»

Es gibt Shabby* Chic und es gibt schäbige Kriegsmode.

Neues aus der Welt der Schönen: «Vogue» wird Porno. Das beweist eine Modestrecke aus der ukrainischen Hölle.

Eine Stylistin, zwei Assistenten, natürlich eine Make-up-Artistin, eine Friseuse fürs Haar, eine Produzentin, drei Fixer, also Möglichmacher, und dann noch die Star-Fotografin Anne Leibowitz. Das Modeblatt «Vogue» hat keinen Aufwand und keine Kosten gescheut, um schonungslos aus der Kriegshölle der Ukraine zu berichten. Es wurden aber nicht Verwundete geschminkt, Leichen frisiert oder fesche Uniformen stylisch aufgemotzt.

Nein, «Vogue» hebt Olena Selenska aufs Cover, die Gattin des ukrainischen Präsidenten. Das hat bei dem Blatt Tradition; vor einigen Jahren durfte auch mal Asma al Assad edel fotografiert über die Güte ihres Mannes, des syrischen Diktators Assad, schwadronieren. Kurz bevor Syrien zum Schlachthaus wurde.

In der Ukraine wird seit Ende Februar geschlachtet, aber Präsident Selenskij ist ja nicht Assad, sondern ein Held. Und an der Seite jedes Helden steht eine heldenhafte Gattin, logo. Also rollt «Vogue» überall ein Modeporträt der Gattin aus. Auf Englisch, Deutsch, Ukrainisch, in allen Weltsprachen.

Wunderbar illustriert mit geschmacklosen Fotos von Leibowitz. Olena vor Sandsäcken. Olena mit einer Gruppe ukrainischer Soldaten vor einem zerschossenen Flugzeugwrack. Olena Hand in Hand mit dem Präsidenten. Olena an den Präsidenten geschmiegt. Perfekt ausgeleuchtet, perfekt gekleidet, perfekt frisiert, das Make-up sitzt perfekt.

Wahrscheinlich wurden auch die Sandsäcke farblich assortiert, die Uniformen der Soldatinnen frisch aufgebügelt. Der Präsident trägt sein olivgrünes T-Shirt, sein Markenzeichen.

Screenshot aus der «Vogue».

Und was sagt Olena denn so? «Wir freuen uns auf den Sieg.» – «Ich bitte um Waffen», sagt  sie auch. Nicht für sich, denn Olena kämpft mehr mit den Waffen einer Frau. So schwärmt die Modeschreiberin:

«Während unserer beiden Gespräche in Kiew erweist sich Selenska als direkt, würdevoll, elegant, eine diskrete Förderin ukrainischen Designs. An einem Tag trägt sie eine ecrufarbene Seidenbluse mit einer schwarzen Samtschleife um den Hals und einen schwarzen, halblangen Rock, ihr aschblondes Haar zu einem lockeren Dutt hochgesteckt. Am nächsten Tag erscheint sie mit ausgestellten Jeans, robusten weißen Sneakern mit gelben und blauen Details – eine Anspielung auf die ukrainische Flagge.»

Dann wird die Autorin kurz völlig geschmacklos:

«Ich kann mich des Eindrucks nicht verwehren, dass das Hemd denselben rostigen Farbton hat wie die ausgebrannten russischen Panzer»,

flötet sie.

Es gibt Betroffenheitspornos. Ein Journalist heuchelt Anteilnahme am Sterben eines Krebskranken. Es gibt Sozialpornos. Ein Reporter lebt eine Woche mit Obdachlosen auf der Strasse. Es gibt Politpornos. Ein Autor himmelt einen Regierenden an, der unter der schweren Last seiner Verantwortung nicht zusammenbricht.

Am widerlichsten sind allerdings Modepornos. Eine aufgebrezelte Präsidentengattin vor einem zerschossenen Flugzeug, umgeben von drei im goldenen Schnitt hindrapierten ukrainischen Soldatinnen? Leider sieht man unter den Helmen nicht, was die Friseuse hingezaubert hat, und schwarze Sonnenbrillen verdecken das Werk der Make-up-Artistin. Aber das ist ja auch nur Staffage. Gefasst unter dem hingefönten Haar schaut die Präsidentengattin in die Zukunft, leicht fröstelnd umfasst ihre Hand den Kragen des modisch langen Mantels. Dunkelblau, sicher Cashmere oder Merino-Wolle; leider gibt die «Vogue» keine Hinweise, wo die modebewusste Dame sich das Stück kaufen kann. Reinigungstipps wären auch erwünscht; kriegt man da Blutspritzer einfach so raus?

Wir sind schon eine leicht dekadente Gesellschaft. Wie es aber angeblich zurechnungsfähigen Redakteuren eines Fashionblatts einfallen kann, einen aufwendigen Modeporno in der Ukraine zu veranstalten, das hat schon etwas Spätrömisches. Das reizt nicht die Sinne, sondern löst Brechreiz aus.

 

*Auf Leserhinweis korrigiert.