Ryser rides again
Und serviert Aufgewärmtes in der «Weltwoche».
Checks and Balances, wir sagten es wohl schon, fehlt im Blatt der Vietnamreisenden, Putin-Versteher und -kritiker, der Pflegekräfte des möglichst freien Diskurses, die als ziemlich Einzige in der Schweiz noch Rede und Widerrede zulassen.
Nur so ist es zu erklären, dass Daniel Ryser schon wieder jede Menge Platz bekommt. Die Reise nach New York zum Vollamok Gavin McInnes musste noch einen Beifang abwerfen. Weil das grosse Vorbild von Ryser, Hunter S. Thompson, bekanntlich tot ist, liegt es für ihn nahe, es bei einem Apologeten zu probieren. Also klopft Ryser bei Matt Taibbi an. Matt who? Der ist sozusagen ein bei Geburt getrennter Zwilling von McInnes. Allerdings hat er entschieden mehr Grips und Schreibfähigkeit mitgekriegt.
Daher ist er – wie McInnes – in der Lage, einen One-Liner nach dem anderen rauszuhauen, angefangen mit dem Titelzitat «Biden ist gefährlicher als Trump». Das sind so Geistreicheleien, wie sie nur Amis gebacken kriegen. Hören sich aufregend und provokativ an, fallen aber bei näherer Betrachtung wie ein Soufflee, das zu schnell aus dem Ofen genommen wird, zusammen.
Mit solchen Leuten kann man einen lustigen Nachmittag verbringen und über Carl Schmitt, den Patriot Act, die Cancel-Culture und über andere Kurzgedanken plaudern. Oder über die Provokationen von Taibbi, der nach dem Tod des Rechtsaussen Andrew Breitbart titelte «Tod eines Trottels», das Ende eines Herausgebers herbeischrieb mit der Zeile «Die 52 lustigsten Dinge über den bevorstehenden Tod des Papstes».
Er ist – wie McInnes – ganz nach dem Geschmack Rysers: «Seine Bücher sind Bestseller, seine Reportagen sprachliche Achterbahnen, es entsteht ein Kult um den Mann, und zwar auch deshalb, weil er manchmal die Fassung verliert.» Er ist sehr nach dem Geschmack Rysers: «Er gilt als Nachfolger des Kultjournalisten Hunter S. Thompson und erhält Preise. Dann holt ihn die Vergangenheit ein.» Er ist ein Seelenverwandter Rysers: «Der Vorwurf 2017 lautet: Sexismus, sexuelle Belästigung oder das Ermöglichen sexueller Belästigung – und zwar damals, als er in Moskau arbeitete.»
Nun ist es so, dass die Tätigkeit und die Positionierung zwischen allen Stühlen von Taibbi nicht ganz neue News sind. So berichtete bereits vor drei Jahren die NZZ über diesen Journalisten, der damals erst 250’000 Dollar im Jahr bei substack verdiente; inzwischen ist es eine Viertelmillion im Monat.
Auch ZACKBUM konnte sich damals für das NZZ-Interview erwärmen und durfte es sogar – was damals noch alles möglich war – ebenfalls publizieren. Denn schon vor drei Jahren sagte Taibbi ungefähr das, was er auch zu Ryser sagt. Das kann man nun immer wieder sagen, und die Information, dass Taibbi einen inkontinenten Hund mit Durchfall hat, ist durchaus neu.
Auch meteorologische Betrachtungen – es hat während des Besuchs geregnet – setzen journalistische Glanzlichter. Allerdings schreibt auch Taibbi blühenden Unsinn, wenn der Tag lang ist und es das Image als ehemaliger linker Starschreiber verlangt: «In zwanzig Jahren, wenn wir alle wie prähistorische Menschenaffen leben und Ratten mit Stöcken jagen, werden wir wahrscheinlich auf diesen Moment zurückblicken als den Anfang vom Ende.» Schrieb er 2017 im Buch «Insane Clown President», und damit meinte er Trump, nicht Biden.
Das Problem bei solchen verbalen Amokläufen: sie sind schwer steigerbar; wenn Trump schon ein durchgeknallter Clown-Präsident war, wie kann man dann Biden noch schlimmer darstellen? Schwierig, aber nicht unmöglich, der sei dann einfach noch gefährlicher.
In all dem Wutwulst ist eigentlich nur sicher: auch dieser Text Rysers ist viel zu lang. Und wir werden in 14 Jahren sicherlich nicht wie prähistorische Menschenaffen leben. Aber leider ist zu befürchten, dass Ryser noch jede Menge solcher Figuren auf Lager hat. Wahrscheinlich googelt er sie mit dem Suchbegriff «wie Hunter S. Thompson». Kleiner Tipp: die Webseite literature-map hilft ungemein. Einfach die ausscheiden, die schon tot sind.