Hauskrach bei der NZZ

Verlag und Redaktion sind bezüglich Mediensubventionen unterschiedlicher Meinung.

Der «Klein-Report» förderte Erstaunliches zu Tage. Der NZZ-Verlag hält die beschlossene Medienförderung für einen «sinnvollen politischen Kompromiss», die Redaktion ist hingegen strikt dagegen.

Spannende Ausgangslage beim bevorstehenden Abstimmungskampf, wenn das Referendum gegen die vom Parlament beschlossene zusätzliche Subventionierung der Privatmedien zustande kommt. Davon ist auszugehen, also hat ZACKBUM bei der Medienstelle der NZZ nachgefragt, was denn nun Sache ist.

Die Fragen wurden schriftlich gestellt und beantwortet.

ZACKBUM: Ist es Ausdruck gelebter Liberalität, dass Verlag und Redaktion öffentlich diametral unterschiedlicher Meinung sind?

NZZ: Das ist in der Tat Ausdruck der gelebten redaktionellen Unabhängigkeit – die ja in beide Richtungen gehen kann. Es ist aber auch nicht so, dass die Meinungen völlig auseinandergehen. Seitens Verlag hat man sich schon seit Jahren positiv zum Ausbau der Indirekten Presseförderung (Vergünstigung Posttaxen) gestellt und sieht durchaus die kritischen Punkte bei der (direkten) Online-Förderung. Während die Redaktion sich aus grundsätzlichen Überlegungen gegen das gesamte Medienpaket stellt, vertritt der Verlag hier eine etwas «pragmatischere» Position, die auch eingebunden ist in die Entscheidungsfindung im Rahmen des Verlegerverbands (VSM), der ja in erster Linie die politische Interessenvertretung für die Branche wahrnimmt. Innerhalb des Verbands haben wir uns als Unternehmen schon früh zum politischen Kompromiss – und damit zu einem Ja zum Medienpaket – bekannt. Es geht dabei nicht nur um die NZZ, sondern vor allem auch um die kleineren regionalen Verlage, für welche die vorgesehene Medienförderung zum Teil existenzielle Bedeutung hat. Und als Unternehmen müssen wir auch die Interessen unseres Gemeinschaftsunternehmens CH Media vertreten. Inhaltlich spielt zudem eine Rolle, dass die heutige Marktsituation im Medienbereich keine nach liberalem Lehrbuch ist, sondern verschiedene Marktverzerrungen kennt (öffentliche Finanzierung der SRG, Postmarkt etc.). Auch vor diesem Hintergrund lässt sich eine Unterstützung des Medienpakets aus liberaler Sicht gut vertreten.

Die Redaktion hat ihre Ablehnung ausführlich begründet. Konnte sie damit den Verlag nicht überzeugen?

Verlag und Redaktion beschäftigen sich schon seit längerer Zeit mit dem Thema der Medienförderung. Wir haben uns immer ganz offen über unsere jeweiligen Positionen ausgetauscht. Die kritischen Punkte der Redaktion werden auch vom Unternehmen sehr wohl verstanden und geteilt. Während die Redaktion hier etwas grundsätzlicher argumentiert, agiert das Unternehmen vielleicht etwas realpolitischer und ist auch in die Entscheidungsprozesse des Branchenverbands eingebunden. Denn als Unternehmen treten wir in dieser Debatte nicht an vorderster Front auf – die politische Interessenvertretung wird primär über den Verband Schweizer Medien wahrgenommen.

Auch der VRP der NZZ hatte sich sehr kritisch gegenüber staatlicher Medienförderung geäussert. Ist er in diese neue Position des Verlags eingebunden?

Selbstverständlich erfolgt hierzu ein Austausch zwischen der Geschäftsleitung und dem VRP, und die Position wird gemeinsam definiert. Es gibt auch keinen Widerspruch zu den erwähnten früheren Äusserungen. Die grundsätzliche Skepsis gegenüber Subventionen und vor allem einer direkten Medienförderung teilt ja auch das Unternehmen NZZ. Am Ende kann man aber bei einem Gesamtpaket nicht mehr differenzieren, sondern nur noch Ja oder Nein sagen, und wir haben uns entschieden, das Paket zu unterstützen, auch weil für uns die Indirekte Presseförderung Priorität hat.

Für den Verwaltungsrat zählt dabei insbesondere folgendes Argument: Der heutige Medienmarkt ist verzerrt. Wir sind vor allem bei den Online-Angeboten einer massiven und unfairen Konkurrenz durch das öffentlich finanzierte Angebot der SRG ausgesetzt. Solange diese Marktverzerrungen nicht behoben sind, rechtfertigt sich auch ein Ausgleich zugunsten der privaten Medienanbieter. Im Vergleich zu den Gebühren der SRG von rund 1,2 Mia. CHF sind die Beiträge aus dem Medienpaket sehr moderat.

Sollte das Referendum zustande kommen, gibt es Vorgaben, wie die Redaktion über den Abstimmungskampf berichten wird?

Selbstverständlich nicht!

ZACKBUM ist kein anderer Fall in der jüngeren Pressegeschichte bekannt, in dem Verlag und Redaktion bei einem wichtigen Thema völlig unterschiedlicher Meinung waren. Wird hier eine Mediation stattfinden?

Das ist nicht nötig, denn wie bereits erwähnt, werden die unterschiedlichen Positionen seit Jahren offen diskutiert und es besteht ein beidseitiges Verständnis für die jeweiligen Argumente. Wir sehen kein Problem darin, dass es hier unterschiedliche Meinungen gibt. Das ist gelebte redaktionelle Unabhängigkeit.

Das oberste Redaktionsmanagement unterliegt der Weisungsbefugnis des VR. Wird der VR diese Befugnis verwenden, um die Redaktion auf seine Linie zu bringen?

Bestimmt nicht. Die redaktionelle Unabhängigkeit wird von uns sehr hoch gehalten und spielt auch hier. Zudem verstehen wir die oberste Verantwortung des Verwaltungsrats ohnehin nicht so, dass dieser der Redaktion zu inhaltlichen Stellungnahmen konkrete Weisungen erteilt.

 

Bern bewegt sich

Tamedia baut ab, das Projekt «Neuer Berner Journalismus» kommt auf Touren.

Es war schon lange klar: wenn Tamedia darauf besteht, dass keine Zusammenlegung von «Bund» und «Berner Zeitung» geplant sei, dann wird nur noch an den letzten Details davon gefeilt. Im Herbst 2020 war es dann so weit; Fusion, Abbau, Blabla. Das Übliche halt.

Dagegen formierte sich Widerstand – mit Berner Geschwindigkeit. Vor wenigen Tagen gab es den ersten Newsletter eines Projekts, über das schon länger nachgedacht wird:

««Neuer Berner Journalismus» ist so weit fortgeschritten und erhält so viel Zuspruch, dass wir alles daran setzen, als Start-up wirklich an den Start zu gehen.»

Womit? Mit «einem Beitrag zur Medienvielfalt in Bern», sagt Jürg Steiner, Mitglied im Gründer- und Organisationskomitee. Der altgediente Journalist wird von Marina Bolzli, Joël Widmer und Jessica King im Bemühen unterstützt, gegen den Tamedia-Einheitsbrei ein Gegenmittel zu entwickeln.

Die Ambitionen sind hochgesteckt, das Ziel immerhin klar definiert: «Ein neues unabhängiges Online-Medium. Von Bern für Bern. Engagiert. Professionell. Gemeinnützig.»

Eine ausgeprägte Kopfgeburt

Unterwegs dorthin hat man sich einiges auf die Schultern geladen: Man will «lokal, transparent, empathisch, gemeinnützig, divers, kooperativ, konstruktiv, experimentell» und erst noch «bodenständig» sein.

Eine Gruppe von rund 15 Leuten arbeite an der Konkretisierung, sagt Steiner. Sehr konkret kann er aber nicht werden; ausser, dass es ein Online-Medium mit einem «kuratierten NL» werden will und sich demnächst in die Phase des Crowdfundings stürzt, vermag er sich nicht wirklich festlegen. Zahlen, Bezahler, genaue Finanzierungsmodelle, Marketing, USP, Zielpublikum, Finanzflussplanung?

Schweben im Ungefähren

Da zeigt er eine sympathische Unentschiedenheit. Lokaljournalismus soll’s werden, das ist immerhin eine klare Aussage im Berner Allerlei. Etwas konkreter wird’s im ersten NL des NBJ: «Eben haben wir unsere Projektwebsite aktualisiert. Und ab sofort bereiten wir uns darauf vor, im Herbst dieses Jahres mit einem Crowdfunding die wichtigste Frage für ein neues Medium zu beantworten: Gibt es genügend Menschen in Bern, die unsere Arbeit so wichtig und richtig finden, dass sie uns unterstützen werden?»

Jürg Steiner, Mitinitiator des Projekts NBJ.

Richtig starten soll das Medium im ersten Quartal 2022, verrät Steiner noch. Vielleicht liegt es an der eher vagen Anmutung, dass sich die Medienresonanz in einem überschaubaren Rahmen hielt, bislang.

Wer da Zürcher Geschwindigkeit vermisst, dem kann NJB immerhin entgegenhalten, dass es auch eine andere Berner Erfolgsstory gibt, die sogar beeindruckend nach Zürich expandierte. Es ist richtig, dass sich tatsächlich auch Zürcher ohne Murren in die Warteschlangen einreihen, die es auszuhalten gilt, wenn man schliesslich an eine Glace der Gelateria di Berna gelangen will.

Nun schmelzen aber News (und neue Projekte) so schnell wie Glace an der Sonne. Daher ist zu hoffen, dass die 15 Köpfe eher schnell als langsam mit klaren Konturen, Inhalten und Strukturen an die Öffentlichkeit treten. Denn bei aller Sympathie einem Projekt gegenüber, das eine Alternative zum Elendsjournalismus aus dem Hause Tamedia bieten will, und das immerhin in der Bundeshauptstadt: damit das Crowdfunding ein Erfolg wird, muss der Zahlungswillige schon etwas mehr wissen, worin er sein Geld verlochen soll.

Lokaljournalismus kann ein Erfolgsmodell sein

Der Charme des Amateurhaften bringt sicherlich Pluspunkte, über die Ziellinie trägt er allerdings nicht. Dabei wäre es so dringlich geboten, dass das Erfolgsmodell «Die Ostschweiz» auch westlich von Zürich eine Ergänzung findet. Denn Lokaljournalismus als Basis, das ist eine der wenigen Chancen auf Erfolg.

Denn die beiden Konzerne, die sich in einem Duopol beinahe alle früheren kantonal oder lokal tätigen Medien unter den Nagel gerissen haben, behaupten nur noch, Lokaljournalismus zu betreiben. Hier hat sich eine Lücke aufgetan, wo eindeutig Nachfrage vorhanden ist.

Also viel Glück beim langsamen Verfestigen der Ideen. Aber bitte, gebt Gas, sonst wird das nix.

 

 

 

«Regelmässig habe ich bis 1 Million Leser»

Der Autor und Reporter Matt Taibbi* gehört in den USA zu den bekanntesten Kritikern der etablierten Medien. Hier folgt Teil 3 einer dreiteiligen Interview-Serie.

Von Marc Neumann**, Washington DC

Das neuste Buch von Taibbi, erscheint demnächst.

Wer ist momentan Ihr Redaktor?

Ich habe keinen.

Niemand liest Ihre Texte vor der Publikation? 

Doch, ich habe Gegenleser, einen Assistenten für Lektorat und Korrektur, manchmal einen Dokumentaristen. Aber ich werde mehr Leute einstellen – Journalisten arbeiten besser mit Redaktoren. Mir selbst haben einige enorm geholfen.

Womit wir bei Substack sind, der neuen Blogging- und Newsletter-Plattform, auf der Sie Ihre Texte veröffentlichen, ohne Redaktor und Newsroom. Wie funktioniert das genau?

Es ist kein Geheimnis, dass ich einen dieser Substack-Pro-Deals angenommen habe.

Immerhin 250 000 Dollar pro Jahr, quasi als Vorschuss. 

Das war ein Fehler, de facto habe ich eine Menge Geld liegenlassen. Aber immerhin verdiene ich fast dreimal mehr bei Substack, als ich als Angestellter je verdient habe – auch im Vergleich zu meinem Festvertrag beim «Rolling Stone»-Magazin. Ich habe angefangen, Leute anzustellen, eine Vollzeitstelle, die den Laden schmeisst, Freelancer, eine Person für Video, Audio-Editing, und ich will einen Cartoonisten. Der Betrieb meines Substack-Mediums «TK» wird wohl aus fünf Leuten bestehen, dazu noch ein Podcast mit drei weiteren Angestellten. Auch möchte ich erwähnen, dass meine Substack-Leserschaft mindestens so gross ist wie bei klassischen Medien. Regelmässig habe ich 500 000 bis 1 Million Leser – das war etwa beim «Rolling Stone» eher die Ausnahme.

Wie viele von ihnen bezahlen?

Das ist die kostenlose Version. Bezahlen tun ein paar zehntausend – mehr sage ich nicht, sonst fangen sie alle an zu rechnen . . .

Glückwunsch!

Dass das Bestand hat, wage ich zu bezweifeln.

Wieso? Wo stösst das Substack-Modell an Grenzen? 

Es gibt in der gegenwärtigen Medienlandschaft raue Mengen an Menschen, die sich von traditionellen Medienorganisationen wie der «New York Times» oder dem TV-Sender CBS abwenden. Sie sind desillusioniert und landen auf der Suche nach News als Abonnenten auf Substack. Gleichfalls kann das nicht ewig so gehen. Letztlich wird eine Art institutioneller Antwort erfolgen, eine Innovation traditioneller Medien. Aber es gibt einen Sättigungspunkt, denn die Geldmenge, die Leute für Medien aufwenden, ist endlich. Momentan allerdings verlieren die grossen Organisationen immer noch Leser, eine Folge der Desillusionierung der letzten 18 Monate, die wir so in diesem Land lange nicht mehr gesehen haben.

Was wäre denn eine institutionelle Innovation der Medien, die den Trend umkehren könnte?

Wir sind ein kapitalistisches Land. Erkennt jemand ein Publikum, mit dem sich Geld verdienen lässt, raufen sich ein paar Investoren zusammen und kreieren das entsprechende Produkt. Ein News-Netzwerk, das sich als echte Alternative zu Fox News und MSNBC positioniert. Auch sind viele Regionalmedien eingegangen, wir haben Tausende Lokalzeitungen verloren, nicht aber ihr Publikum. Ein Konglomerat könnte wohl ein Netzwerk mit Lokaljournalisten aufbauen, wo man online und On-Demand Lokal-Storys beziehen kann. Momentan sind die lokalen und alternativen Medien verschwunden, und die übrig gebliebenen alten, traditionellen Medien des Landes werden immer schrecklicher. Jemand sollte ihnen einmal sagen, dass Trump weg vom Fenster ist. Aber sie machen immer weiter, wie ein Amputierter mit Phantomschmerzen, der nicht glauben kann, dass das Körperteil weg ist. Das schafft eine gewaltige Chance für jeden, der ein gutes Medienprodukt herausbringt.

*Matt Taibbi

Der US-Journalist und Autor Matt Taibbi (Jahrgang 1970) arbeitete zunächst als freier Korrespondent in postsowjetischen Staaten. Nach rund einem Jahrzehnt als Reporter, Redaktor und Magazin-Mitgründer heuerte er 2003 als Kolumnist bei der «New York Press» an. Ein Jahr darauf stiess er als Politikreporter zum «Rolling Stone»-Magazin, wo er als provokativer und investigativer Journalist bekannt wurde. Er hat mehrere Bücher verfasst, unter anderem zur Finanz- und Immobilienkrise oder zum gewaltsamen Tod von Eric Garner. 2019 lancierte er seinen eigenen Podcast «Useful Idiots»; seit letztem Jahr ist er selbständiger Autor auf der Plattform Substack.

 

Hier geht’s zu Teil 1.

Hier geht’s zu Teil 2. 

 

  • **Dieses Interview erschien zuerst im Feuilleton der NZZ vom 19. April 2021 hinter Bezahlschranke. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der NZZ haben wir es übernommen.

 

 

Aktivistischer Journalismus ist langweilig – aber macht süchtig

Der Autor und Reporter Matt Taibbi* gehört in den USA zu den bekanntesten Kritikern der etablierten Medien. Linken wie rechten Journalisten wirft er vor, nur noch dem eigenen Publikum zu schmeicheln.

Von Marc Neumann**, Washington DC

Die Bitte von ZACKBUM.ch wurde erhört: Wir dürfen dieses Interview übernehmen. Heute Teil 1, morgen folgt Teil 2.

Herr Taibbi, im Jahr 1848 war Karl Marx Chefredaktor der «Neuen Rheinischen Zeitung», Friedrich Engels sein Stellvertreter – und zusammen wollten sie eine Revolution herbeischreiben. Finden Sie das problematisch?

Nein. Es gibt viele Journalismusmodelle. In den USA selber hatten wir verschiedene Phasen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Zeitungen offen politisch, einer Partei oder Gewerkschaft verbunden – das war normal. Der Begriff der Objektivität taucht erst im Zeitalter der Massenmedien auf, und dies nicht aus ethischen Gründen, sondern aus kommerziellem Kalkül.

Moment, journalistische Objektivität war kommerzieller Zweck?

Gewiss. Erinnern Sie sich an die weltbekannte sachliche Stimme der CBS-«Wochenschau» am Radio im Zweiten Weltkrieg? Das war Lowell Thomas. Thomas war ein hochtalentierter Schauspieler und wollte die Nachrichten dramatischer vortragen, die Leute aufwühlen, Kontroversen lostreten. Sponsoren aber verlangten eine trockene und monotone Moderation, die in den nächsten fünfzig Jahren zum Standard wurde. Die Moderation sollte niemanden erregen oder beleidigen, um möglichst viel Werbung an möglichst viele Menschen zu verkaufen.

Das hatte nichts mit Ethik zu tun. Es ging nur ums Geldverdienen.

Also verdient man heute wieder Geld mit parteiischer Berichterstattung wie Anfang des 20. Jahrhunderts.

Ja, wir greifen hierzulande definitiv auf eine frühere Version von Journalismus zurück. Wir hatten in Amerika nie eine oberste Medienaufsicht. Es gibt die Federal Communications Commission, die ein paar lockere Regeln vorgibt. Es gab die Fairness-Doktrin, ebenfalls eine lose Weisung, die einzig ab und an auch andere Gesichts- und Standpunkte verlangte. Heute dagegen haben wir ein quasistaatliches politisches Programm der parteiischen Moderation von Inhalten, das sicherstellen soll, dass Kontroversen, Verschwörungstheorien und Fake-News getilgt werden. In Friedenszeiten hatten wir so etwas noch nicht.

Aber es gibt doch journalistische Objektivität?

Ich glaube nicht wirklich an Objektivität im Journalismus, das ist allenfalls ein erstrebenswertes Ziel. Objektiv zu sein, heisst im US-Journalismus, eine Sache aus so vielen Winkeln wie möglich zu betrachten, die Standpunkte zu sortieren und der Leserschaft zu erzählen, ohne die eigenen Gefühle einfliessen zu lassen. Aber persönliche Gefühle kann man nicht eliminieren. Jede kritische Annahme reflektiert eine vorgefasste Meinung. Ein grosser oder kleiner Titel, das Bild auf der Titelseite oder auf Seite 15, ob ein Zitat prominenter gesetzt wird als ein anderes – all dies sind Entscheidungen, mit denen man Gewichte und Standpunkte setzt.

Also ist journalistische Objektivität ein Mythos?

Es ist wohl sinnvoll, danach zu streben. Aber der Ausdruck ist in letzter Zeit in Amerika in Ungnade gefallen. Die alte Formel, wonach man beide Seiten zu Wort kommen lassen soll, gilt heute als langweilig und mittlerweile selbst propagandistisch. Objektivität ist allenfalls noch wichtig als Absichtserklärung, im Sinne von journalistischer Fairness.

An die Stelle der Objektivität tritt heute journalistischer Aktivismus. Schon Hannah Arendt und James Baldwin arbeiteten nach diesem Prinzip, Rush Limbaugh und jüngere «woke» Journalisten ebenfalls. Was unterscheidet heute «guten» von «schlechtem» journalistischem Aktivismus?

Es gibt viele Arten von Journalismus, und sie alle haben ihren Wert. Mein Vater war ein klassischer News-Reporter, der vor dem brennenden Haus über den Hausbrand berichtete. Zeit seines Lebens hat er kein Editorial geschrieben. Ich habe das Metier ganz anders erlernt. Meine Helden waren Henry Louis Mencken, Hunter S. Thompson oder Tom Wolfe. Dementsprechend glaube ich, dass subjektiver Journalismus, der naturgemäss streitbar argumentierend und aktivistisch ist, einen wichtigen Platz einnimmt.

Also haben Sie kein Problem mit journalistischem Aktivismus?

Doktrinärer Aktivismus ist ein Problem.

Wenn ich die Storys eines bestimmten Mediums vorhersagen kann, weil ich seine politische Stossrichtung kenne, dann betreibt es für mich Propaganda. Ein echter Journalist steht in der Verantwortung, unvoreingenommen für verschiedene Ansichten und Erklärungen offen zu bleiben. Leider gibt es hierzu in US-Medien eine immer stärkere Tendenz zu vorgefassten Meinungen, auf linker wie rechter Seite. Das Publikum weiss, was es erwartet: ausschliesslich Nonstop-Kritik an Demokraten oder exklusiv an Trump und den Republikanern. Wenn vorhersehbare, einfache Standpunkte statt komplizierter Wahrheiten verbreitet werden, ist das kein Journalismus mehr, sondern einfach langweilig.

Wenn das so langweilig ist, warum hat es dann Erfolg?

Weil es süchtig macht. Fox News und MSNBC verkaufen eine Konsumentenerfahrung von politischer Solidarität, mit der ein Überlegenheitsgefühl gegenüber einer anderen Gruppe bestätigt wird. Die klassische Fox-Formel beruht auf Bildern von unverantwortlichen Leuten, die Gesetze brechen und ausländische Terroristen sind. Dem Publikum wird das Gefühl gegeben, es sei die Verkörperung der aufrechten, gesetzestreuen, intelligenten und hart arbeitende Leute. MSNBC oder CNN machen genau das Gleiche. Sie verkaufen das Erlebnis, sich über QAnon-Idioten lustig zu machen, jeden Tag etwas anderes, über das man sich aufregen kann. Die Wut nach dem Klick wird zur Abhängigkeit. Nachrichtenlesen ist heutzutage eine Sucht, so gefährlich wie Zigaretten und gesättigte Fette. Man geniesst das Ritual, auf dem Mobiltelefon etwas Schreckliches zu lesen, Ärger und Empörung zu erleben und dann mit anderen zu teilen. Was die Medien machen, ist intellektuell uninteressant, aber höchst effizient.

Sollte Geschriebenes rezeptpflichtig werden oder zumindest einen Beipackzettel zu Risiken und Nebenwirkungen bekommen?

Das ist keine schlechte Frage. Wir haben in den USA ein hohes Bewusstsein darüber, was Verbraucher in ihre Mägen oder Lungen lassen, wie sicher ihr Auto ist. Weniger besessen sind sie von der Frage, was sie in ihre Hirne lassen. Intellektuelle Konsumgüter sind ebenfalls Produkte, weshalb das Bewusstsein darüber erweitert werden sollte. Schliesslich ist das kein öffentlicher Dienst, sondern ein Wirtschaftszweig. Die drei grössten Kabelnetzwerke machten vergangenes Jahr Gewinne über 2,85 Milliarden Dollar, und das in einer Art und Weise, die nicht gesund ist.

Wollen Sie Mediengesundheitsminister werden?

O nein. Aber ich bin in diesem Geschäft gross geworden, ich liebte und liebe diesen Beruf. Was ich in den letzten zwanzig Jahren beobachtet habe, beunruhigt mich sehr. Meine Texte sind ziemlich offen rhetorisch, meinungsbasiert, haben klare Standpunkte und eine Überzeugungsabsicht. Sie sollen zum Denken anregen. Aber viele Menschen lesen gewöhnliche Nachrichtenartikel, als ob es die blanke Wahrheit sei, ohne zu verstehen, dass da eine Person ein Argument aufbaut. Das finde ich bedenklich.

Wie steht es mit der Wahrheit im Journalismus?

Mit dieser Frage beginnt der 2. Teil des Interviews morgen.

*Matt Taibbi

Der US-Journalist und Autor Matt Taibbi (Jahrgang 1970) arbeitete zunächst als freier Korrespondent in postsowjetischen Staaten. Nach rund einem Jahrzehnt als Reporter, Redaktor und Magazin-Mitgründer heuerte er 2003 als Kolumnist bei der «New York Press» an. Ein Jahr darauf stiess er als Politikreporter zum «Rolling Stone»-Magazin, wo er als provokativer und investigativer Journalist bekannt wurde. Er hat mehrere Bücher verfasst, unter anderem zur Finanz- und Immobilienkrise oder zum gewaltsamen Tod von Eric Garner. 2019 lancierte er seinen eigenen Podcast «Useful Idiots»; seit letztem Jahr ist er selbständiger Autor auf der Plattform Substack.

  • **Dieses Interview erschien zuerst im Feuilleton der NZZ vom 19. April 2021 hinter Bezahlschranke. Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der NZZ haben wir es übernommen.

«Zum Nebelspalter? No comment»

Es war absehbar. Giuseppe Gracia, der Medienchef der Bistums Chur, der nebenbei auch Blick-Kolumnist ist, musste gestern gehen.

Herr Gracia, neuer Chef, neuer Mediensprecher. Das ist oft so. Wie traurig sind Sie über die Kündigung?

Der neue Bischof, Joseph Bonnemain, hat mir nicht gekündigt. Wir haben ausführlich miteinander gesprochen. Wir sind beide der Meinung, dass der Neuanfang im Bistum auch in der Medienarbeit ein neues Gesicht braucht. Am besten eine Frau, das wünsche ich dem Bistum.

Könnte es sein, dass Sie die neue Stossrichtung eh nicht hätten vertreten können?

Das wäre nicht professionell, die Arbeit als Kommunikationschef derart von den eigenen politischen Ansichten abhängig zu machen.

Sie mussten bisher Interviewanfragen praktisch immer abblocken. Wie weh tat Ihnen dieses Njet jeweils?

Ich bin für offensive Kommunikation, medienorientiert und transparent. Aber es gibt für alle Institutionen Momente, die ein «no comment» nötig machen, das ist völlig normal und gehört zum Job.

In der Medienmitteilung werden Sie zitiert, dass nun «am besten eine Frau» Ihre Nachfolgerin wird. Sehen Sie schon eine Favoritin? Kirchenintern ist die Auswahl ja nicht so gross.

Es gibt in der Kirche viele fähige, engagierte Frauen. Nur leider sind sie öffentlich wenig sichtbar. Wäre schön, wenn sich das ändert.

Sie suchen nun eine neue Herausforderung als Kommunikationsfachmann und Mediencoach. Schon was in Aussicht?

Ich schnaufe jetzt erst einmal durch. Hatte in den letzten Jahren wenig Gelegenheit dazu. Dann schaue ich in Ruhe weiter. Die Lust auf Neues ist jedenfalls gross.

Was wäre Ihr Traumjob?

Ich liebe die Kommunikationsbrache, die Medien. Und die Literatur. Ich mache also seit Jahren, was ich liebe. Und so wünsche ich es mir auch für die Zukunft.

Die katholischen Kirchenpublikationen kommen, verglichen mit dem reformierten Pendant «Reformiert», sehr altbacken daher. Wäre nicht das ein Job für Sie?

Schwer zu sagen, was diese Publikationen genau wollen, strategisch, publizistisch, gesellschaftlich. Aber wer weiss?

Bleiben Sie Blick-Kolumnist?

Wir werden sehen.

Hat Sie Markus Somm eigentlich schon angefragt für sein Nebelspalter-Projekt?

No comment.

Oder ist ein neuer Roman in Arbeit?

Ich arbeite an zwei Romanprojekten. Eines mit dem Titel «Gloria» handelt von zwei Frauen, die vom Showbusiness missbraucht werden, und ihrer Rache. Es erscheint im Herbst. Das zweite Projekt handelt von einer radikalen, bewaffneten Klimaschützer-Gruppe. Eine Art grüne RAF. Das wird etwas komplexer und wohl erst nächstes Jahr fertig.

Was stimmen Sie beim Burkaverbot?

So wie die meisten: auf dem Postweg.

Ich fragte was und nicht wie.

Lassen wir das so stehen.

Peter Hartmeier über ZACKBUM

Zu viel Häme, zu wenig didaktische Angebote, dafür erstaunliche Recherchen.

Peter Hartmeier ist als Partner der Agentur Lemongrass Communications AG für die einen der grosse Strippenzieher im Schweizer PR-Zirkus. Für die anderen ist Hartmeier einer der vielen gescheiterten Tagi-Chefredaktoren (er war sieben Jahre CR). So oder so kennt Hartmeier den Journalismus und auch die Welt der Unternehmenssprecher (er war von 2010 bis 2013 Leiter der UBS-Unternehmenskommunikation) aus dem Effeff.  Der 68-Jährige hat als Journalist beim Badener Tagblatt begonnen.  Nun  hat sich der Kreis geschlossen. Seit 2019 ist er Vorsitzender des Publizistischen Ausschusses von CH Media, zu dem auch das Badener Tagblatt gehört. Die CH Media-Publizistik ist eine Instanz, die ZACKBUM immer mal wieder auf dem Kieker hat. Stichwort Pascal Hollenstein (Leiter Publizistik CH Media) und sein nicht immer glückliches Agieren.

Peter Hartmeier, Sie haben auf persönlich.com der Zeit-Redaktion zum 75-Jahr-Jubiläum gratuliert. Warum haben Sie Matthias Daum und seine Redaktionskolleginnen Sarah Jäggi und Barbara Achermann nicht erwähnt?

Für mich stand die historische publizistische Leistung dieses ausserordentlichen Mediums im Mittelpunkt und damit mein Respekt für die Gründergeneration um Marion Gräfin Dönhoff. Diese starke Frau hat mich seit meiner Jugend beeindruckt.

Was halten Sie denn vom Schweiz-Split?

Ich habe mich gefreut, als er eingeführt wurde: seither lese ich ihn aufmerksam Woche für Woche.

Von den Abozahlen her sind die Zeit (Schweizer Ausgabe) und die Republik ähnlich gross. Warum hat aus Ihrer Sicht die Schweiz-Ausgabe der Zeit so viel weniger öffentliche Resonanz?

Der Schweizer Split der «Zeit» ist eine zusätzliche, von der Leserschaft geschätzte Leistung innerhalb eines etablierten Titels; die «Republik» hingegen muss als spektakuläre Neugründung plakativ auf sich aufmerksam machen, um sich durchzusetzen

Wie finden Sie generell das Online-Magazin Republik?

Eine originelle Neu-Gründung, die ich aus Freude an der Schweizer Medienlandschaft schätze. Dieser Sympathie-Bonus ist eine Grundlage, von der aus ich mich dann kritisch über einzelne Beiträge oder ganze Serien äussere.

Wer bleibt länger bestehen: «Die Zeit» oder die «Republik»?

Die «Zeit» hat einen Verleger und ein entsprechendes Medienhaus im Hintergrund und wird kontinuierlich von starken Chefredaktions-Persönlichkeiten geführt – das merkt man diesem Titel an, der immer wieder junge Talente findet und engagiert.

Die «Republik» hingegen hat den Charakter einer Neugründung und muss ihre Unverzichtbarkeit erst noch beweisen. Die beiden Titel befinden sich in völlig unterschiedlichen Zyklen.

Deshalb ist die Frage nicht zu beantworten.

Noch ein Wort zu ZACKBUM: Wie nehmen Sie diese Plattform wahr?

Ich lese die Plattform in der Regel einmal wöchentlich: das genügt mir, weil für mich das Mass an Häme oft überschritten wird.

Was können wir Macher also aus Ihrer Sicht besser machen?

Ich bin oft im Gespräch mit jungen Talenten, die sich überlegen, eine journalistische Karriere zu beginnen, sie fortzusetzen oder in verwandte Branchen zu wechseln. Ausschliesslich hämische und vernichtende Medien-Kritik stösst diese jungen Talente eher ab, weil damit der Eindruck vermittelt wird, Journalismus und Publizistik befänden sich kurz vor dem Exitus – was objektiv gesehen nicht der Fall ist.

Exitus bedeutet Tod (ich musste es nachschauen). Symbolisch kommt das für gewisse Bereiche schon hin. Nochmals, was vermissen Sie an ZACKBUM?

zackbum.ch  könnte zum Beispiel auch einen kritischen Blick auf den Lokaljournalismus werfen.

Überhaupt: berichten Sie täglich über überraschende Ideen, originelle Kommentare, erstaunliche Recherchen.

Wenn «Zackbum» als medienkritische Plattform ernst genommen werden will , muss es das didaktische Angebot ausbauen.

 

«Die Stiftung Medienvielfalt unterstützt uns»

Das Wissenschaftsportal «Higgs» scheint über dem Berg.

Der umtriebige Journalist Beat Glogger schlug vor gut einem Jahr Alarm. Das fehlende Geld bei seinem Portal «Higgs» müsse über ein Crowfunding zusammenkommen. Falls dieses fehlschlage, «geht der Laden zu», so die NZZaS. Dass «man auf allen Ebenen am Kämpfen» sei wegen der Finanzierung, sagte Glogger schon im Doppelpunkt von Radio 1 im April 2019. Wie sieht die Situation heute aus?

Im Doppelpunkt bei Roger Schawinski zeichneten Sie die Zukunft Ihrer Firma eher düster. Zudem erfolgte ein ziemlich negativer Artikel in der NZZaS mit dem Titel «Glogger bald am Ende». Wie waren die Reaktionen darauf? 

Ich habe bei Schawinski nicht über meine Firma gesprochen. Sie verwechseln da wohl was. Das Zitat, das Sie mir hier vorlegen, kenne ich nicht. Ich finde es auch nicht in der SMD. Meinen Sie allenfalls «Magazin «Higgs» vor dem Aus»? Allerdings war der betreffende Artikel überhaupt nicht negativ – wie Sie sagen. Er hat aufgezeigt, dass higgs ein Problem hat, weil die Finanzierung durch die Gebert Rüf Stiftung entfallen ist. Und er hat auf unser Crowdfunding aufmerksam gemacht. Das war alles sehr neutral bis motivierend.

Dann war das Echo positiv?

Sollten Sie diesen Artikel meinen, dann waren die Reaktionen super. Wir haben das Crowdfunding kurz vor dem Lockdown im März erfolgreich abschliessen können und über Fr. 120.000 generiert. Die Summe, die wir fürs Überleben des Jahres 2020 brauchten. Seither sind auch die direkten Einzelspenden erfreulich gestiegen. Wir haben 2020 nicht nur überlebt, sondern auch die Grundlage geschaffen, um optimistisch ins 2021 zu steigen.

Somit hat Ihnen Corona keinen Strich durch die Rechnung gemacht?

Nein. Auch bezüglich der Resonanz ist das Jahr 2020 für higgs eine Erfolgsstory. Unsere unaufgeregte, zuverlässige und kontinuierliche Corona-Berichterstattung hat sich ausbezahlt. Wir haben mengenmässig nur noch halb so viel kurze Newsstorys publiziert wie im 2019, dafür deutlich mehr Zeit in investigative Geschichten gesteckt. Das hat sich ausgezahlt:  Die Visits haben sich verdreifacht, die Unique Clients mehr als verdoppelt. Unsere Geschichten werden von der Republik und der NZZ empfohlen. Man kann also mit gutem Gewissen sagen, higgs ist zu einem immer noch kleinen, aber relevanten Player im Schweizer Mediensystem geworden.

Mussten Sie – wie viele andere Medienfirmen auch – Kurzarbeit anmelden?

Nein.

Jetzt  scheint laut einem Stelleninserat von Higgs eh alles besser zu laufen. Warum?

Das Stelleninserat deutet nicht darauf hin, dass wir ausbauen, sondern rührt daher, weil eine Redaktorin uns verlässt. Was seit unserem Überlebens-Aufruf gegangen ist, habe ich in obiger Frage schon teilweise beantwortet. Kurz: wir haben aus verschiedenen Quellen Unterstützung gefunden, die uns das Überleben sicherten.

Gibt es immer noch Stiftungen im Hintergrund, die Geld bezahlen?

Die zwei grössten sind der Schweizer Nationalfonds SNF, die Stiftung Medienvielfalt, die Stiftungen Avenira und Wissen für alle sowie einige kleinere Unterstützer aus der Wirtschaft und dem Bildungsbereich. Aber auch Kleinvieh macht Mist. Das Jahr 2021 ist noch nicht voll ausfinanziert, aber wir nehmen die Herausforderung an und sind optimistisch die verbleibenden Löcher im Budget noch zu stopfen.

Sind die «Blocher-Medien» immer noch Abnehmer Ihrer Inhalte?

Nachdem wir im Zuge der finanziellen Neuaufstellung unsere Angebote für die Zeitungen kostenpflichtig gemacht haben, sind alle Regionalzeitungen (Aargauer Zeitung, Bieler Tagblatt, Freiburger Nachrichten, Zürcher Oberländer) ausgestiegen. Ausgestiegen sind infolge der neu eingeführten Kostenpflicht auch die Online-Portale Blick.ch und Nau.ch. Alle Titel der Tamedia sind schon ausgestiegen, bevor wir unsere Inhalte kostenpflichtig gemacht haben.  Geblieben sind die Titel der Swiss Regiomedia (Blocher-Zeitungen, wie Sie es nennen) und das Tagblatt der Stadt Zürich. Diese bezahlen unseren Content.

Wen haben Sie neu akquiriert?

Neu hinzugekommen sind drei Zeitungen in der Westschweiz: Le Nouvelliste, Le Quotidien Jurassien und La Liberté. Mit dem Portal heidi.news unterhalten wir eine Content-Partnerschaft. Sie übernehmen Artikel von uns und wir von ihnen. So geben wird der Forschung aus der Romandie mehr Präsenz in der Deutschschweiz und umgekehrt. Diese Kooperation in die Westschweiz ist Teil des Abkommens mit dem Schweizer Nationalfonds.

Reut es Sie nie, dass Sie nicht einen etwas «normaleren» Firmennamen gewählt haben?

Mir ist nicht klar, was Sie mit «normaler» meinen. Etwa so wie ZACKBUM? Spass beiseite. Ich vermute, Sie verwechseln da gewisse Dinge. Die Firma heisst Scitec-Media GmbH. Das Webportal heisst higgs. Ich finde beide Namen normal. Scitec ist ein Zusammenzug von Science und Technology. Solche Verkürzungen sind für Firmennamen ziemlich üblich, weil sie genau beschreiben, was die Firma tut: wir erstellen Medien in den Themenbereichen Wissenschaft und Technik.

 Alles klar. Aber ist Higgs tatsächlich eingängig genug als Name?

Higgs, der Name des Portals, ist jedem halbwegs wissenschaftlich interessierten Menschen bekannt. Das Higgs-Boson und das zugehörige Higgs-Feld vermitteln gewissen subatomaren Teilchen die Schwerkraft. Auch wenn das so wohl niemand genau weiss, ist das Higgs-Boson aber ein Star, weil es auch das Gottesteilchen genannt wird. Ausserdem ist der Entdecke Peter Higgs für seine Entdeckung mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden. Den Namen eines berühmten Physikers als Namen für ein Wissenschaftsmagazin zu wählen, scheint mir auch ziemlich normal. Vgl. Galileo, Leonardo, Einstein. Der einzige Unterschied besteht darin, unser Physiker lebt noch. Und Kinder und Jugendliche, die mit higgs nichts anfangen können, finden den Namen halt trotzdem cool, weil er irgendwie auch lustig ist.

Was halten Sie als ehemaliger SRF-Wissenschaftsmitarbeiter vom heutigen SRF-Angebot in dieser Sparte?

Sie sprechen auf das Magazin an, das eben auch den Namen eines berühmten Physikers trägt: Einstein. Ich mag die Sendung gut. Obschon das Konzept etwas völlig anderes ist, als wir damals gemacht haben. Es ist monothematisch als Moderatorenreise gestaltet und kein Magazin. Dafür aber erstaunlich aktuell und cool und modern gemacht. Ich schaue es ab und zu.

War eine Rückkehr nie ein Thema?

Kommt wieder drauf an, wie genau Sie diese Frage meinen. Nie ein Thema. Natürlich denkt man darüber nach. Also ist es Thema. Aber ein Going-Back stand nie konkret zur Diskussion. Ich gehe in meinem Leben immer weiter.

Demnach bezog SRF nie Inhalte von Ihrer Firma?

Auch hier habe ich wieder die Unsicherheit, was Sie mit «Firma» meinen. Scitec-Media hat in den Nuller-Jahren einige Beiträge für SRF produziert. Higgs nicht.

Herr Glogger, besten Dank.

(Das Interview wurde schriftlich geführt.)

100. Geburtstag des «Schweizer Monat»

Der Chefredaktor über umstrittene Gastautoren und Inserate.

ZACKBUM: Herr Ronnie Grob, der «Schweizer Monat» feiert bald seinen 100. Geburtstag. Haben Sie auch 100 Abonnenten?

Ronnie Grob: Ja, sogar ein paar Tausend.

Konkret?

Ich sag dann Bescheid, wenn wir Zehntausend haben.

Per Ende letzten Jahres hat Ihre Edelfeder Milosz Matuschek die Redaktion verlassen. Befürchten Sie einen Aderlass an Abonnenten?

Nein, das nicht, es kommen ja laufend welche dazu. Zuletzt sind wir langsam, aber stetig gewachsen, sowohl bei der Anzahl Abonnements als auch bei den Zugriffen auf die Webseite. Milosz ist ein brillanter Schreiber, ich habe seine Kündigung bedauert.

In der letzten Ausgabe geben Sie umstrittenen Personen wie Hans-Georg Maaßen und Peter Gauweiler ein Podium …

…umstrittenen Personen? Bei wem denn umstritten? Maaßen war Präsident des deutschen Bundesamtes für Verfassungsschutz bis 2018, als eine Mehrheit deutscher Journalisten meinte, ihn zu einer Art persona non grata machen zu müssen. Peter Gauweiler sass 14 Jahre lange für die CSU im Deutschen Bundestag, zuletzt war er stv. Parteivorsitzender der CSU, er ist ein wichtiger Kritiker an aus dem Ruder laufenden Projekte der Europäischen Union. Bei uns sind Personen mit guten Argumenten, die diese nachvollziehbar begründen können, stets hochwillkommen. Ob Sie oder andere Journalisten diese Personen für «umstritten» halten, spielt beim Entscheid, ob wir einen Text bringen oder nicht, keine Rolle. Der «Schweizer Monat» soll beurteilt werden aufgrund der darin publizierten Texte. Die aber scheinen vor allem unsere Leser zu interessieren. Journalisten lesen uns jedenfalls kaum.

Wie sieht das bei Ihren Werbekunden aus? Das Magazin «eigentümlich frei» wirbt bei Ihnen auf einer ganzen Seite. Dem Magazin werden weltanschauliche Überschneidungen mit der Neuen Rechten vorgeworfen. Warum dürfen «umstrittene» Werbekunden bei ihnen inserieren?

Mit «Eigentümlich frei» machen wir Austauschinserate. Ich meine, dass freiheitlich gesinnte Menschen in Deutschland nicht gerade mit vielen guten Medien gesegnet sind. Deshalb wollen wir unser Produkt diesen Leuten anbieten. Ganz generell halte ich es für besser, wenn nach Hintergrund und Orientierung suchende Leser den «Schweizer Monat» lesen als dass sie in irgendwelchen Telegram-Gruppen Fake News konsumieren. Bei uns stimmen die Fakten. Aussagen sind mit Quellen belegt, die im Text oder in den Fussnoten nachzulesen sind.

Sie selber schreiben auch populistisch. Ich zitiere aus Ihrem Editorial von der letzten Ausgabe: «Behörden drängten die Bevölkerung dazu, Apps zu nutzen.» Wer hat Sie dazu gedrängt, die Covid19-App zu installieren?

Der Druck der Regierung auf die Bürger, diese Staats-App zu installieren, war hoch, und einige Medien haben sie dabei tatkräftig unterstützt. «Drängen» ist aus meiner Sicht die korrekte Formulierung. Zum Glück war die App ein Reinfall. Und trotzdem haben wir sie mit unseren Steuern finanziert.

Sie sind seit 2016 beim «Schweizer Monat», die letzten 1,5 Jahre tätig als Chefredaktor. Davor galten Sie als einen der versiertesten Medienjournalisten der Schweiz. Was geht im Schweizer Journalismus?

Ich stelle eine erschreckende Homogenität innerhalb der Redaktionen fest und auch zwischen ihnen. Journalisten denken zunehmend deckungsgleich, und nicht mehr unterschiedlich. Wer aus dem Meinungskonsens ausschert, wird entweder nicht eingeladen oder dann ausgeschlossen. Die daraus entstehende Meinungs- und Haltungseinfalt beeinflusst die Themenvielfalt und die Schreibweise massiv. Wenn es um die Corona-Beschlüsse des Bundesrats geht, verhalten sich einige Journalisten wie Royalisten. Statt den König und seine Entourage verteidigen sie den Bundesrat und die Beamten. Gegen die Regierungskritiker.

Aber in der zweiten Corona-Welle wird der Bundesrat doch auch hart kritisiert.

Ausnahmen gibt es immer wieder, da gebe ich Ihnen Recht. Aber wenn der Bundesrat Einschränkungen verfügt, wird das am Ende immer abgenickt in den Redaktionen. Einigen gehen die Einschränkungen ja immer noch zu wenig weit. Für den sehr liberalen Staat, wie es die Schweiz einmal war unter der Führung des Freisinns, sind diese Entwicklungen gefährlich.

Dann sind Sie sicher mit ZACKBUM glücklich?

Einerseits ja. ZACKBUM überrascht mit spritzigen, frechen Texten, Meinungen, Themen. Euch kümmert nicht, was andere dazu meinen, eigentlich kümmert euch – wie erfrischend! – überhaupt nichts. Das führt zu idiotischen, aber auch zu genialen Ergebnissen, und diese sind durchaus eine Erweiterung des Medienjournalismus. Andererseits bekommt, wer ZACKBUM liest, den leisen Eindruck, es sei alles schlecht im Journalismus, und überall nur Trottel am Werk in den Redaktionen und den Verlagen. Ausser natürlich bei ZACKBUM, das keine Abonnenten hat und keine Einnahmen. Nun gut: Die Freiheit ist da, um sie zu nutzen. Und ihr nutzt sie. Das finde ich grossartig!

«Die Texte wurden sogar schon auf Beerdigungen als Nachruf verlesen»

Gudrun Sachse über ihre 15 Jahre als Macherin der Folio-Rubrik «Wer wohnt da»?

«Wer wohnt da» ist seit 2005 eine der heissgeliebten Merkmale des NZZ Folio. Die unter Gudrun Sachse erstmals erschienene Serie bietet feinfühlige Einblicke in Wohn- und Lebenswelten. Und den Kick, dass man als Leser selber mitraten kann, wer die Bewohner der vorgestellten vier Wände sind. Auch nach dem Redesign und dem Wechsel auf die Erscheinungsweise nur noch alle zwei Monate wurde an «Wer wohnt da» nicht viel geändert. Hinter der Erfolgsstory steht mit Gudrun Sachse eine 48-jährige Journalistin und Autorin, die Bücher publiziert, Reportagen schreibt und am MAZ die Kunst des Interviews lehrt. Im Gespräch mit ZACKBUM.ch geht es um blaue «OP»-Überschuhe, das Gegenlesen und  den inneren Zensor.

Gudrun Sachse, die Serie «Wer wohnt da» hat seit 2005 alle Folio-Neuerungen und Sparrunden überlebt. Warum ist die Rubrik so erfolgreich?
Bei Fremden ins Wohnzimmer zu schauen, ist per se spannend – wer kennt das nicht, wenn man abends durch die Strassen geht und Licht in den Wohnungen brennt, man einen Blick wagt und sich denkt: krass. Zur Befriedigung der Neugier kommt eine weitere Dimension, indem eine Psychoanalytikerin und ein Designer ihre Einschätzung abliefern. Sehen Fachleute dasselbe wie ich? Wie würden die aufgrund ihrer Einschätzung wohl mein Daheim beurteilen?

Seit 15 Jahren eine Erfolgsstory im Folio. Gudrun Sachses Rubrik.

Hatten Sie die Idee für die originelle Serie oder wie kamen Sie darauf?
Als ich 2005 beim Folio als Redaktorin begann, stellte sich die Frage nach einer Rubrik, die die Rubrik «Menschen und Räumen» meiner Vorgängerin und Folio Mitbegründerin Lilli Binzegger ersetzen sollte. Ich habe unter anderem Architekturgeschichte studiert, mag Architektur und die menschliche Psyche und so kam eins zum andern: ich gebar «wer wohnt da?». Und es läuft und läuft. Wenn das so weitergeht, werden diese drei Worte vermutlich auch mal auf meinem Grabstein stehen.

Können Sie abschalten oder «müssen» Sie bei jeder Einladung den inneren Scan laufen lassen?
Ich bin entspannt. Es ist immer ein langes, angenehmes Gespräch und meist merken die Bewohner nach kurzer Zeit gar nicht, dass ich beruflich dort bin. Durch diese Stimmung ist es möglich, ein persönliches Gespräch zu führen. Es ist immer wieder überraschend, wie rasch Fremde Vertrautes / Intimes offenbaren. Nach all den Jahren habe ich einen inneren Zensor, der weiss – warum mir jemand etwas erzählt und was ich davon auch wirklich weitergeben möchte. Jemanden der Unterhaltung zuliebe blosszustellen, ist der Rubrik nicht würdig. Die Leute sind beim Gegenlesen oft derart berührt von ihrem eigenen Leben, dass sie den Text als Resümee ihres Lebens sehen. Die Texte wurden sogar schon auf Beerdigungen als Nachruf verlesen.

Vor dem Redesign des Folio war die Rubrik grosszügiger gestaltet.

Erzählen Sie mal, welches war das lustigste, komischste, ärgerlichste Erlebnis in «fremden» Wohnungen?
Ungewohnt war es (lange Jahre vor Corona), als mich ein Bewohner blaue OP-Überschuhe anziehen liess. Es war eine etwas gruselige Stimmung. Und dann wollte er abends auch noch mit mir Essen gehen. Seither habe ich immer darauf geachtet, dass jemand mitbekommt, wo ich gerade eine Wohnung aufsuche. Es gab Bewohner, die tagelang durchgeputzt haben, bevor ich kam – obwohl ich immer darauf hinweise, dass ich den authentischen Stil in der Rubrik sehr schätze. Aber die wenigsten Menschen wollen ihre Socken über der Stuhllehne in Hochglanz sehen. Warmherzig wurde ich bei einer Bäckersfamilie empfangen, wo mir noch Gebäck für die ganze Familie mitgegeben wurde – bei anderen gibt’s nicht mal ein Glas Wasser – meist bei denen, die sich das durchaus leisten könnten.
Wie kommen Sie jeweils auf die Fallbeispiele?
Zu Beginn habe ich den Bekanntenkreis abgeklappert, bis die Rubrik ein wenig Bekanntheit erlangt hatte. Manchmal spaziere ich zufällig an Häusern vorbei, die mich interessieren und dann läute ich. Wenn ich Glück habe, kennen sie die Rubrik, das macht es einfacher. Einmal sagte einer: aber er bezahle nichts dafür. Ab und zu spreche ich auch Leute auf der Strasse an, kürzlich eine Frau an der Tankstelle, die einen riesigen Plüschtiger auf dem Rücksitz hatte. Da erwartet man schon ein besonderes Daheim – und so war es dann auch. Oder es ergibt sich etwas ganz spontan bei einer Recherche zu einem anderen Thema. Oder ich suche im Internet: nach einem Igelretter. Einem Alleinunterhalter. Ganz normalen Menschen mit Nöten und Freuden eben, die ich gern mal ans Licht holen möchte. Selten werde ich auch angefragt. Jeder Besuch ist einzigartig. Die Rubrik macht echt Spass. Nicht nur zu lesen – auch zu schreiben.

Dürfen die Portraitierten die Texte gegenlesen?
Ja. Der Porträtierte muss schliesslich damit leben.

Gibt es da nie Stunk?
In all den Jahren kam es zwei Mal vor, dass wer den Text umgeschrieben hat. Schulaufsatzmässig. Das ist wie ein Herzstillstand. Es wird dann geredet und erklärt und wieder umgeschrieben. Seither habe ich immer einen Ersatz-Bewohner parat.

Wie hoch ist eigentlich das Budget pro Artikel? Der Aufwand ist mit dem Besuch, Profifotos, den Urteile der Psychologen und Innenarchitekten, sowie Ihrem Beitrag unzeitgemäss hoch.
An der Rubrik sind vier Fachleute beteiligt. In der heutigen Zeit ein Luxus. Noch dazu werden alle entlöhnt – und meines Erachtens sogar fair, was in der Branche leider immer seltener der Fall ist. In meinem Part stecken viele, viele Tage Arbeit.

Sie haben ja 2012 ein Buch mit den «Best of-Portraits» herausgegeben. Ist ein weiteres Werk geplant?
Nein. Aber schön wäre es, zumal der erste Band vergriffen ist. Fehlt nur noch ein Sponsor.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Kurt W. Zimmermann: «Zackbum ist zu destruktiv»

Kurt W. Zimmermann nervt sich an der Hysterie

In den Fluren der Schweizer Verlage läuft der Sensemann. Jetzt geht es nicht mehr um Stellenstreichungen. Die Schweizer Illustrierte wird zersägt, CNN Money Switzerland ist gekillt und sogar der frühere Golden Boy «20 Minuten» soll auf das Schafott gelegt werden. Herr, im Himmel, womit haben wir das verdient? Die Frage geht an Kurt W. Zimmermann.

Zackbum: Herr Zimmermann: froh, nicht mehr 25 zu sein?

Kurt W. Zimmermann: Nein. Ich wäre gerne wieder 25. Es war exakt das Alter, als ich erstmals einen Vertrag als fest besoldeter Redaktor bekommen habe, bei der «Weltwoche» unter Hans. O. Staub. Journalismus hat wie damals auch heute eine hübsche Zukunft.

Was erleben wir momentan in der Medienszene?

Viel Hysterie und viel Apokalypse. Das ist überspannt. Von unseren vier grossen Verlagen TX Group, Ringier, CH Media und NZZ hat im ersten Halbjahr 2020 kein einziger einen operativen Verlust gemacht. Nein, sie haben in dieser Zeit zusammen über 70 Millionen an operativem Gewinn eingefahren. Ende Jahr wird es vermutlich das Doppelte sein. 140 Millionen Jahresgewinn mitten in der Corona-Krise – das hätte ich denen nicht zugetraut. Unsere Branche ist ganz gut in Form.

Ist das jetzt nicht etwas gar rosig dargestellt?

Die Zahlen zählen, und die sind besser als erwartet. Aber ich verstehe, warum derzeit alle lieber am Schwarzmalen sind. Von linken Online-Portalen wie der Republik bis zu bürgerlichen Verlagen wie CH Media sind nun alle scharf auf die lockenden Subventionen des Bundes. Wenn Du an die Staatskohle heranwillst, musst Du heulen und zähneklappern. Sonst wird das nichts mit der staatlichen Errettung aus dem Elend.

Welche Weichen hätten denn die Verlage vor der Jahrtausendwende stellen müssen?

Hinterher ist jeder schlau. Aber unsere Zeitungsverlage hätten schneller erkennen müssen, dass ihre früheren Goldgruben der Kleinanzeigen ins Internet abwandern. Hätten sie damals mehr in diese neuen, digitalen Handelsformen investiert, vielleicht auch international, dann stünden sie heute noch besser da. Leider realisierten sie das erst mit zehn Jahren Verspätung.

Was nervt Sie mehr: das Jammern der Medienleute oder all die neuen Geschäftsideen?

Jammern ist in unserem Gewerbe eine folkloristische Tradition. Als ich ums Jahr 2000 bei Tamedia war, haben auch alle gejammert, obwohl wir damals mit dem Geld, von den Redaktionen bis zu den Spesen, nur so um uns geworfen haben. Und neue Geschäftsideen gibt es in unserer Branche praktisch keine. Wir haben ja nur eine einzige Geschäftsidee. Wir kommen zu Geld, indem wir brauchbare Informationen an ein Publikum liefern. Alles andere sind Variationen davon.

Welche Medientitel wird es auch in 20 Jahren geben?

Vermutlich gibt es dieselben Angebote, die es vor 20 Jahren schon gab. Das sind die traditionellen Tageszeitungen und Gratisblätter, die bewährten Zeitschriften und die etablierten TV- und Radiokanäle. Wahrscheinlich erscheinen manche Titel nicht mehr gedruckt sondern nur noch online. Aber bei den grandiosen Endgeräten, die wir im Jahr 2040 nutzen werden, wird das kein grosser Unterschied mehr sein.

Und welche nicht?

Wie immer wird Kokolores verschwinden. Es sind ja seit Jahrzehnten, ausser bei Fusionen, kaum je gut eingeführten Medienmarken aus dem Markt verschwunden. Ausnahme ist die sozialdemokratische Presse, die von ihrer Partei ruiniert wurde. Verschwunden sind immer nur diese Eintagsfliegen, die auf einen scheinbaren Trend oder Zeitgeist aufspringen wollten. Ein gutes Beispiel ist etwa das nun eingestellte SI Style, das ein paar Jahre auf der Lifestyle-Welle surfen wollte, bis die Welle versandete. Oder nehmen Sie die Totgeburt CNN Money. Die Besitzer waren zwei Brüder aus der Baubranche in Bangladesch, die von der Polizei gesucht werden und die das Finanz-Fernsehen in der Schweiz erfinden wollten. Dass solch kurzsichtige Setups mittelfristig schief gehen, ist auch in Zukunft die Regel in unserem Geschäft.

Und was machen wir von Zackbum falsch?

Ich glaube, Zackbum ist zu destruktiv. Wenn ich Euch lese, dann besteht die überwiegende Mehrheit in den Medienhäusern aus Deppen, Nieten, Gaunern und Versagern. Ein solcher Ansatz ist kaum marktfähig. Ich würde diese Strategie überdenken. Denn schreiben, keine Frage, das könnt Ihr.