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Sittenverluderung

Darf man (mutmassliche) Massenmörder foltern?

Es gibt Verbrechen, bei denen die Volksseele hochkocht. Kinderschänder, Mörder, die ihr Opfer bestialisch quälen. Vollwahnsinnige wie Anders Breivik, der kaltblütig herumspazierte und junge Menschen abknallte. Überhaupt fundamentalistische Wahnsinnige, die immer wieder abscheuliche Taten begehen. Die unschuldige Zivilisten treffen, darunter auch Frauen und Kinder. Verabscheuungswürdig, widerlich, ekelerregend.

Da ist man schnell mit scharfen Worten zur Hand. Kopf, bzw. Schwanz ab. Kurzer Prozess. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Soll mindestens so leiden wie das oder die Opfer. Eine Zelle ist zu schade für den. Überlasst den nur mal für fünf Minuten mir. Wieso gibt es keine Todesstrafe mehr.

Und so weiter.

Nun tut beispielsweise Tamedia sehr gschamig: «Die Redaktion verzichtet auf detaillierte Bilder, welche die offenbar gefolterten Männer zeigen.»

Der «Blick» ist auch leicht derangiert, verbirgt das aber schamvoll hinter der Bezahlschranke:

 

Das Ex-Boulevardblatt bringt zwar das gleiche Foto von einem der mutmasslichen Täter, deckt ihn aber mit einem schwarzen Balken ab. Unschuldsvermutung, you know.

CH Media und die NZZ verzichten darauf, das geschundene Gesicht zu zeigen.

Da erheben sich einige Fragen. Ist die Reaktion: recht geschieht’s ihm, angebracht? Darf ein Staat, der sich etwas darauf einbildet, ein zivilisierter Rechtsstaat zu sein, foltern?

Natürlich ist die Antwort nein. In Deutschland gab es einmal die Situation, dass ein Entführer von der Polizei gefasst wurde. Sein Opfer drohte im von ihm gebauten Versteck zu ersticken, der Täter wollte aber den Standort nicht bekanntgeben. Da drohte ihm ein Vernehmungsbeamter körperliche Gewalt an.

Die USA lassen foltern oder betreiben Knäste wie Guantánamo auf Kuba; ein rechtsfreier Raum, der im Übrigen gegen den erklärten Willen der kubanischen Regierung existiert. Natürlich wird in vielen Ländern der Welt Folter angewendet. Legal, illegal, scheissegal.

Vielleicht hilft eine Erinnerung an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte:

«Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.»

Pipifax, kommt darauf an, im Prinzip ja, aber …?

Nein, es kommt nicht darauf an. Jeder Staat, seien das die USA oder sei das Russland (oder die Ukraine), der sich solcher Methoden bedient, hat sich verächtlich gemacht.

Kommt auch nicht mehr darauf an? Eben doch; solche Themen und Fragen sind tausendmal wichtiger als alles Geblödel über Gendern oder den angeblich korrekten Gebrauch der deutschen Sprache.

Aber hiergegen protestieren, das braucht eben ein Mü mehr Hirnschmalz als ein Gendersternchen einzufordern.

Wer war’s?

Nicht nur in einem Krimi eine gute Frage.

Die TV-Serie Columbo war grossartig. Nicht nur wegen des Hauptdarstellers, sondern auch, weil sie das klassische Krimimuster auf den Kopf stellte. Denn am Anfang konnte man dem Mörder beim Mord zuschauen. um dann gebannt zu verfolgen, wie es dem Kommissar («ich hätte da noch eine Frage») gelang, ihm auf die Schliche zu kommen.

Beim barbarischen Terrorakt von Moskau (ja, das ist eine Formulierung von Putin, ertappt) reklamiert eine Abspaltung des Islamischen Staats die Urheberschaft für sich. Offensichtlich kann sie das mit einigen Videos untermauern,

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass ihr das alle abnehmen. Präsident Putin hat den Islamischen Staat Provinz Khorasan (IS-K) bislang mit keinem einzigen Wort erwähnt. Dafür macht er die Ukraine verantwortlich, zumindest als Helfershelfer. Sie habe den Attentätern, die laut russischen Aussagen in einer Grenzprovinz zur Ukraine festgenommen wurden, ein Fluchtfenster geöffnet.

Ganz anders sieht das der Militärexperte Albert Stahel. Der poltert auf «Inside Paradeplatz»: «Aufgrund ihrer Wirkungslosigkeit in Afghanistan ist es kaum vorstellbar, dass diese Splittergruppe von ihrer afghanischen Machtbasis aus, fähig gewesen wäre den Anschlag in Moskau zu planen, geschweige denn auszuführen.» Stattdessen sieht Stahel den russischen Geheimdienst FSB als möglichen Urheber, währenddessen SRF eine «Märchenstunde» abhalte, angefüttert von den Geheimdiensten BND und CIA.

Dieser Position kann man eine gewisse Originalität nicht absprechen. Der Terroranschlag auf einen Zug in Spanien, Bataclan in Paris, Nizza, Berliner Weihnachtsmarkt und nicht zuletzt 9/11: immer wieder zeigt es sich, dass westliche Gesellschaften nicht gegen brutale Terrorattacken gefeit sind. Ebenso wenig die autoritär kontrollierte russische.

Selbst in der überkontrollierten chinesischen Gesellschaft gab es Terroranschläge. Früher waren es häufig Links- oder Rechtsterroristen, wenn man beispielsweise an Italien denkt. Auch die spielen noch eine gewisse Rolle, vielleicht sollte man bei all diesen Anschlägen die Autobombe nicht vergessen, die der Rechtsextremist Timothy McVeigh 1995 in Oklahoma City zündete und die 168 Menschenleben forderte.

Die Liste ist leider endlos, auch wenn islamische Fanatiker in den letzten Jahren eindeutig die Haupttäter sind. Von ähnlichen Anschlägen in dieser Dimension durch christliche oder jüdische oder anderen Religionen angehörenden Fanatikern ist jedenfalls nichts bekannt.

Allerdings gibt es auch eine fatale Reaktion auf solche barbarischen Attentate. Die USA behaupteten nach 9/11 fälschlich, der Irak sei neben Afghanistan daran beteiligt. Resultat: völliges Desaster. Frankreich schlug in Mali zu, völliges Desaster. Israel wütet im Gazastreifen, Desaster.

Wer war’s nun in Moskau? Es sieht ganz danach aus, dass der Anschlag von Mitgliedern des IS-K durchgeführt wurde. Taten sie das ungeholfen – oder wurden sie unterstützt? Wenn ja, von wem? Dem russischen, ukrainischen, einem westlichen Geheimdienst? Die Lage ist unübersichtlich. Alleine Arthur Rutishauser versucht, eine kleine Kerze zu entzünden:

«Der einzige Hoffnungsschimmer, den es in dieser düsteren Lage gibt, ist, dass es doch ausgerechnet die Amerikaner waren, die Moskau vor Terroranschlägen warnten. Und dies, obwohl die Beziehungen zwischen Russland und den USA, zwischen Putin und Joe Biden, so schlecht sind wie kaum je zuvor.»

Zumindest wäre es interessant zu wissen, wie konkret diese Warnungen waren, ob sie Putin zu recht als «Provokationen» abtat – oder ob sich der autokratische Lenker im Kreml einmal mehr vertat.

Wer’s war, das ist hier wie in einem Columbo-Krimi von Anfang an klar. Motiv, Hintergründe, Helfershelfer? das würde nicht mal der geniale Detektiv herausfinden.

Wumms: Frank A. Meyer

Er nimmt sich ein Bombenthema zur Brust.

Ringiers Hausgespenst meldet sich mal wieder aus dem fernen Berlin, wo er geblieben ist, nachdem sein Geburtstagsgeschenk «Cicero» ein Flop wurde. Der Meister der didaktischen Frage holt diesmal weit aus:

«Das Gestern lehrt die Heutigen, dass es erneut ums Ganze geht: um den freien Westen – also auch um die Freiheit derjenigen Zeitgenossen, die in TV-Talkshows oder zu Hause auf dem Sofa tiefsinnige Gedanken über den offensiven ukrainischen Widerstand wälzen – dürfen die Ukrainer das, oder dürfen sie nicht

Das Gestern lehrt die Heutigen, damit will Frank A. Meyer offensichtlich die Flughöhe eines Helmut Schmidt erklimmen. Der hätte aber niemals so geschwurbelt. Worum geht es, um Meyer zu imitieren. Ist es statthaft, dass die Ukraine Ziele in Russland angreift, zum Beispiel Drohnen nach Moskau schickt?

So beschäftigt sich Meyer nicht mit den letzten Tagen, aber mit den letzten Fragen der Menschheit. Obwohl daraus durchaus die letzten Tage werden könnten, wenn der Krieg in der Ukraine atomar eskaliert.

Auf jeden Fall hat Meyer mal wieder die Autobiographie von Winston Churchill gelesen, wozu man nur als Rentner genügend Zeit hat; selbst die Kurzfassung seines 12-bändigen Oeuvres hat noch 1136 Seiten in der deutschen Taschenbuchausgabe.

Churchill hatte als Antwort auf die deutschen Bombenangriffe auf London Attacken auf Berlin befürwortet, auch wenn die britische Air Force zu diesem Zeitpunkt nur zu kleinen Schlägen in der Lage war. Aber es sei eben um die psychologische Wirkung gegangen. Meyer räumt ein: «Oh nein, die Geschichte wiederholt sich nicht. Doch manche historischen Ereignisse ähneln einander.»

Wiederholung nein, Ähnlichkeit ja. Denn «Ja: Jetzt ist auch gestern.» Und übermorgen ist auch heute, Sonntag wird Montag, heute wird zu gestern, aber wird gestern wirklich auch zu jetzt? Leider gibt Meyer auf diese entscheidenden Fragen keine Antwort.

Dafür geht es, was denn sonst, «erneut ums Ganze».  Da sitzt dann Meyer hingesunken zu Hause in seinem grauen Lehnsessel und schaut streng. Über die Farbgebung von Pullover und Hose wollen wir schweigen.

 

Dergestalt wälzt er tiefsinnige Gedanken über Zeitgenossen, «die in TV-Talkshows oder zu Hause auf dem Sofa tiefsinnige Gedanken über den offensiven ukrainischen Widerstand wälzen».

Hier klingt leises Bedauern durch, dass Meyer weder eine eigene Talkshow hat, noch in solche eingeladen wird. Aber zu Hause im Sessel darf er … Blöd für die Talkshows und Sofawälzer ist auch, dass Churchill doch die Frage, ob die Ukraine Moskau angreifen dürfe, längst beantwortet habe. Überliefert wird diese Erkenntnis vom Hobbyhistoriker Meyer. Aber auf den hört ja leider niemand.

Schmerzhaft peinlich

Oliver Zihlmann unterbietet alles, diese Schande für seinen Beruf.

«Jetzt äussert sich der frühere Topbeamte der USA Juan Zarate erstmals zu den Erwartungen an die Schweiz.» Der «Co-Leiter des Recherchedesks von Tamedia» (heisst das nicht «Tages-Anzeiger»?) hat einen Coup gelandet. Er hat Zarate ein Exklusiv-Interview entlockt. Bravo. Denn: «Er gehört zu den wichtigsten Experten, wenn es um die Umsetzung der Russlandsanktionen geht.»

Nur: exklusiv hat man das, was kein anderer will. Denn «Zarate war stellvertretender nationaler Sicherheitsberater der USA», prahlt Zihlmann. Was er nicht sagt: diese bedeutende Position hatte Zarate ein Jährchen lang inne. Von 2004 bis 2005. Unter dem damaligen Präsidenten George W. Bush. Das ist der, der Massenvernichtungswaffen im Irak erfand. Und die «Achse des Bösen».

Zarate hingegen, dieser «wichtige Experte», ist seit 2014 für das «Institut für die religiösen Werke» (IOR) tätig, die hochkorrupte und dubiose Vatikanbank, auch bekannt als «ein Offshore-Paradies mitten in Europa». Dazu ist er bei zwei der zahlreichen Think Tanks in den USA an Bord. Diese qualifizierte Fachkraft darf sich nun zur Schweiz äussern. Zihlmann interviewt ihn – natürlich in der neuen Tagi-Tradition – dermassen unterwürfig und liebedienerisch, dass es einem beim Lesen übel wird. Teilweise stellt er nicht einmal mehr Fragen, sondern gibt lediglich Stichworte: «Die G-7 erwartet einen Sondereffort von der Schweiz wie nach 9/11.»

Zarate hingegen darf unwidersprochen Ungeheuerliches sagen. Eigentlich müsste man Zihlmann die Lizenz zum Journalistsein wegnehmen, so peinlich ist das: «Neutralität hilft nur noch Moskau», behauptet der Vatikan-Mann zum Beispiel. Vielleicht hätte man ihn fragen können, wieso dann seine IOR-Bank die Sanktionen nicht mitträgt, oder was er von der scharfen Kritik des Papstes hält, der imperiale Interessen als Kriegsursache sieht und klar urteilt: «Man führt Krieg, verkauft die alten Waffen und probiert neue aus

Aber das hätte ja etwas Recherche, etwas Vorbereitung bedeutet, und dafür ist der «Co-Leiter» irgendwie nicht qualifiziert. Auch ohne solche Bemühungen: Der Satz, dass Neutralität nur Moskau helfe, ist von einer solch impertinenten Dummheit, dass jeder anständige Journalist eingehakt hätte. Der Satz ist so bescheuert, wie wenn man während des Zweiten Weltkriegs behauptet hätte, die Schweizer Neutralität helfe nur Berlin oder Hitler-Deutschland.

Zarate darf das ganze Interview hindurch unwidersprochen eine fragwürdige Aussage auf die nächste stapeln: Länder wie die Schweiz müssten verstehen, «dass es sich im Fall Russland zwar effektiv um normale Sanktionen handelt wie zum Beispiel gegen Nordkorea. Politisch und strategisch sind sie aber viel relevanter».

Ein reiner Nonsens-Satz, abgesehen davon, dass diese relevanteren Sanktionen gegen Russland lediglich von einer Handvoll Staaten mitgetragen werden; wenn man die EU als ein Gebilde betrachtet, sind es gerade mal 10 von 199.

Denn Gipfelpunkt der Unverfrorenheit erreicht Zarate, der «weltweit führende Sanktionsexperte» –wahrscheinlich mit Gottes Segen – hier: «Es wird klar erwartet, dass jedes Land aktiv die Netzwerke der Russen bei sich aufdeckt und diese Informationen unaufgefordert mit den anderen teilt. Einfach nur zu reagieren, also auf Sanktionen anderer Staaten zu warten und diese rein technisch umzusetzen, ist zu passiv. Wird ein für die Russen wichtiger Finanzplatz wie die Schweiz hier als Bremser wahrgenommen, kann das sehr schnell zum Problem werden

Netzwerke der Russen aufdecken? Solch Unsinn mag vielleicht im Vatikan praktiziert werden, in einem Rechtsstaat wie der Schweiz ist das dann doch etwas komplizierter. Immerhin räumt Zarate ein: «Natürlich, es muss rechtlich korrekt ablaufen. Die Fakten müssen stimmen. Die Schweiz oder jedes andere Land kann nach einer Prüfung zum Schluss kommen, dass diese Villa oder jene Firma nicht blockiert werden muss. Das wird niemand kritisieren.»

Dann kann er es wieder nicht lassen, sein mehr als fragwürdiges Verständnis der Grundprinzipien eines Rechtsstaats raushängen zu lassen: «Aber entscheidend ist, dass man alle diese Vermögen aktiv sucht und prüft.» Mit anderen Worten: Es gilt nicht mehr die Unschuldsvermutung, das Prinzip eines Anfangsverdachts. Sondern:

«all diese Vermögen stecken seit letztem Jahr unter einem Generalverdacht

Das ist ein Satz, der deswegen ganz übel riecht, weil man hier statt Russen nur eine andere Bezeichnung einsetzen müsste, und schon wäre man wieder mitten in den dunklen Zeiten des Hitler-Faschismus. Damit keine Missverständnisse aufkommen, wes Geistes Kind Zarate ist, doppelt er nach:

«Die Vermögensnetzwerke der Russen sind jetzt von sich aus suspekt. Sollte sich nach Ermittlungen herausstellen, dass alles in Ordnung ist, dann ist das gut. Aber man muss sie zwingend prüfen. Dieser Übergang zu einem generellen Korruptionsverdacht ist ein entscheidender globaler Wandel

Die Frage, die Zihlmann (neben vielen anderen) hier nicht stellte: Sie fordern also, dass die Schweiz ihre Neutralität noch mehr aufgibt, nicht nur alle EU- und USA-Sanktionen gehorsam übernimmt, sondern dass sie fundamentale Prinzipien ihres Rechtssystems über Bord wirft und einen Generalverdacht gegen Russen ausspricht, die dann beweisen müssen, dass mit ihren Vermögenswerten alles in Ordnung ist, eine glatte Umkehr der Unschuldsvermutung?

Nicht nur deswegen, sondern weil dieses Interview Bestandteil einer ganzen Kampagne ist, die das Recherchedesk des «Tages-Anzeiger» losgetreten hat, ist Zihlmann eine Schande seines Berufs. Damit ist er allerdings auf seiner Redaktion in guter, schlechter Gesellschaft.

Mehr als ein Geschmäckle hat die Tatsache, dass diese Kampagne rechtzeitig zur Debatte über die «Lex Ukraine» im Nationalrat losgetreten wurde. Aber auch hier muss Tamedia eine Niederlage einstecken: die Ausnahmeregelung für die Weitergabe von Schweizer Waffen via Drittstaaten an die Ukraine wurde im Nationalrat bachab geschickt.

 

Wumms: Luzia Tschirky

Weit weg vom Schuss berichtet es sich angenehm.

Es ist nicht jedem (oder jeder) gegeben, ein Kurt Pelda zu sein. Der berichtet über den Ukrainekrieg aus der Ukraine, genauer aus Kiew. Viele westliche Medien haben sich aus Moskau zurückgezogen, als Russland drakonische neue Gesetze einführte, die nicht genehme Berichterstattung mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bedroht.

Da gab auch die Schweizer Journalistin des Jahres Fersengeld, nachdem sie zuvor mutig in Schutzweste und Helm berichtet hatte. Nun kehren ARD und ZDF zum Beispiel wieder nach Moskau zurück, die Ukraine-Berichterstattung wird einfach woanders gemacht.

Es ist wohl unbestreitbar, dass Berichte über Russland schon von Moskau aus so eine Sache sind, schliesslich ist es das grösste Land der Welt mit 11 Zeitzonen bis hin nach Anadir und dem Ende von Sibirien.

Tschirky bereite sich nun ebenfalls auf eine Rückkehr aus der sicheren Schweiz vor. Allerdings nach Warschau, Polen. Distanz nach Kiew: 800 km; 9,5 Stunden. Nach Moskau: 1253 km, 16 Autostunden.

Das ist so sinnvoll, wie wenn man aus Warschau über Zürich oder Bern berichten wollte, ungefähr gleiche Distanz. Kann man machen, muss man nicht machen. Wirkt eher lächerlich. Aber immerhin, aus Warschau über Warschau und Polen berichten, das geht. Allerdings gibt es auch dort drakonische Gesetze, was die Berichterstattung über die polnische Beteiligung an der Judenvernichtung durch Nazideutschland betrifft.

Countdown zum Krieg

ZACKBUM zählt mit. Ab wann wird zurückgeschossen?

Nicht mal der böse Putin ist so böse, dass er am Valentinstag einen Krieg anfängt.

Nun muss man wissen, dass der Countdown 1929 vom Regisseur Fritz Lang erfunden wurde, um im Stummfilm spannend klarzumachen, wann eine Rakete abhebt.

Das gleiche Prinzip gilt natürlich noch heute. Nur ist der Film nicht mehr stumm, sondern wir hören eine wilde Kakophonie von Countdowns.

Wie meist unzuverlässig hat sich Tamedia aus dem Fenster gelehnt – und verloren. Unter Berufung auf «informierte Kreise» zu Bern (als ob es das dort gäbe) hat der Qualtitätsmedienkonzern den Kriegsbeginn auf den 15. Februar festgelegt. «Wenn nicht», natürlich mit Abbinder.

Da gilt seither «wenn nicht». Andere Schätzungen gingen von Mittwoch, aus. Oder Donnerstag. Oder wie wäre es mit Freitag? Dann erhebt sich die Frage, ob am Wochenende eigentlich auch Kriegsbeginn sein darf. Oder ist dann auch für Militärs Feierabend? Sonntag gar?

USA intelligenter als europäische Unken

Nein, die USA sind da wie immer cleverer als die Europäer. Sie sprechen von «unmittelbar bevorstehender Kriegsgefahr». Zügeln ihre Botschaft aus Kiew weg und fordern US-Bürger auf, das Land zu verlassen. Damit rühren sie kräftig die Kriegstrommel, verbrennen sich aber nicht die Finger mit einem fixen Datum.

Das Ganze hat auch einen Aspekt von «drôle de guerre» (googeln). Die Ukraine hatte den Mittwoch kurzerhand zum neuen Nationalfeiertag ernannt. Nach der Devise: Wir werden doch nicht an einem Feiertag überfallen. Wobei, Yom Kippur, man erinnert sich: am höchsten Feiertag, am 6. Oktober 1973, überfiel eine Koalition arabischer Staaten Israel.

Auf der anderen Seite vermeldet das «Bündner Tagblatt»: «Die Schweiz bleibt relativ entspannt.» Das bedeutet, die Botschaft bleibt, wo sie ist, Swiss fliegt. Eher kriegerisch gestimmt ist hingegen Peter Rásonyi, der Auslandchef der NZZ: «Verhandlungsdiplomatie ist gut, aber jetzt ist es allerhöchste Zeit, dass der Westen Putin die vollen Kosten eines Angriffs auf die Ukraine aufzeigt».

Während der deutsche Bundeskanzler Scholz noch im Flieger nach Moskau sass, wurde er mit guten Ratschlägen aus der NZZ überschüttet. Ratschläge? Ach was, Befehle.

«Scholz sollte deshalb noch mehr tun. Er sollte die Gelegenheit nutzen … er sollte klarmachen … scharfe Konsequenzen mit aller Klarheit aufzuzeigen …»

Denn, Rásonyi fürchtet das Schlimmste, hinter leisem Optimismus: «Es gibt noch immer Grund zur Hoffnung, dass Putin sein gewaltiges Waffenarsenal nicht dazu einsetzen wird, das Nachbarland durch einen Bomben- und Raketenhagel zu zerstören und Hunderttausende von ukrainischen «Brüdern und Schwestern» zu töten.»

NZZ gibt deutschem Bundeskanzler den Tarif durch

Scholz Mission in Moskau sieht so aus: «Deshalb muss der Westen jetzt klarmachen: Auch ein begrenzter Angriff ist durch nichts zu rechtfertigen. Dieser muss die maximal möglichen Gegenmassnahmen zur Folge haben, zu denen der Westen fähig ist. Jede Relativierung und jede Nachgiebigkeit würde einen autoritären Aggressor wie Putin nur zu noch mehr Provokationen und Zumutungen einladen und ihn zu einer noch grösseren Gefahr für die langfristigen Sicherheitsinteressen Westeuropas machen

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie sich Rásonyi mit gerunzelter Stirn über den Sandkasten beugt und dort rote sowie blaue Pfeile und Bögen hin und her schiebt.

Nur der ukrainische Botschafter geht noch etwas weiter und fordert von Scholz ultimativ, der müsse Putin ein Ultimatum stellen. Ob Scholz das mit einer Besichtigung des Denkmals verbinden würde, wie weit die Nazi-Truppen beim Überfall auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg vor Moskau kamen?

Der NZZ-Falke verwechselt die Falkenstrasse mit dem NATO-Hauptquartier, hält sich nicht länger für einen Journalisten, sondern für einen Befehlshaber, dessen Ratschläge unbedingt zu befolgen sind.

Solches Gehampel hat, genau wie die Festlegung auf ein bestimmtes Datum des Kriegsausbruchs, etwas unfreiwillig Komisches, Aufgeblasenes. Das wirkt so, wie wenn der Autor vor eigener Wichtigkeit und Bedeutung kaum mehr geradeaus laufen kann. Seine Schultern gebeugt von der Last der Verantwortung, mit Buchstaben einen Krieg abwenden zu müssen.

Helm auf gilt für immer mehr Journalisten

«Helm auf», ist ein scherzhafter Journalistenspruch, um jemanden auf die Piste einer Reportage zu schicken. Das ist längst vorbei, heutzutage darf der Redaktor seine Verrichtungsbox nur noch ausnahmsweise verlassen. Aber bei Rásonyi kann man sich das lebhaft vorstellen, er schreibt mit Helm. Der ihm aber immer wieder über die Augen rutscht und den Blick verstellt.

Demnächst meldet er sich aus seinem Zivilschutzbunker. Notvorrat aufgefüllt, Filter ausgewechselt, Notstromaggregat revidiert, Zivilverteidigungsbüchlein griffbereit. Verkörperung einer militanten Tante. Obwohl das seit dem Ende des Kalten Kriegs gar nicht mehr so zur NZZ passt.

 

 

 

Wer kennt Stepan Bandera?

Wer mehr als Schlagworte über die Ukraine klopfen will …

Machen wir den Idiotentest. Treffer im Medienarchiv SMD in den letzten sieben Tagen für Ukraine: 3145. Für Stepan Bandera: null.

Wer ist das, muss man den kennen? Allerdings, wenn man oberhalb von Schwarzweiss-Schlagwörtern versuchen will, die komplizierte Lage der Ukraine zu verstehen, hülfe das ungemein.

Denn im westlichen Teil der Ukraine ist Bandera bis heute ein Nationalheld. Im Osten und auch für Russland ist Bandera ein NS-Kollaborateur und Kriegsverbrecher.

Denkmal für Bandera in der Westukraine.

Unbestritten ist, dass er mit den Nazis während deren Besetzung der Ukraine zusammenarbeitete. Dafür wurde er in der UdSSR in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Nach dem Zweiten Weltkrieg flüchtete er nach Deutschland und wurde 1959 in München von einem KGB-Agenten ermordet.

Ukraine, 1941. «Heil Hitler» und «heil Bandera».

Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg ist ebenfalls ein guter Ausgangspunkt, um Russlands Säbelrasseln zu verstehen. Wer auf dem Weg vom Flughafen ins Stadtzentrum von Moskau am Panzersperrendenkmal vorbeifährt, das den äussersten Punkt markiert, bis zu dem die deutschen Faschisten kamen, zuckt unwillkürlich zusammen.

Heute liegt das Denkmal mitten in der Grossstadt Moskau, man konnte von Anhöhen aus bereits den Kreml sehen. Das entschuldigt nichts von der aufgeladenen Rhetorik Moskaus, die ungeniert behauptet, dass die Ukraine bis heute in den Händen von Faschisten sei und sich Russland davor schützen müsse.

Das ist natürlich Unsinn, allerdings ist die Ukraine tatsächlich in den Händen korrupter Oligarchen; seit der Unabhängigkeit während des Zerfalls der UdSSR hat sich bis heute noch kein staatsbürgerliches Bewusstsein gebildet.

Allerdings ist es auch so, dass Russland als Nachfolger der UdSSR gegen die Ablieferung aller in der Ukraine stationierten Atomwaffen die territoriale Integrität des Staates garantierte. Es war sicherlich eine sehr sinnvolle Massnahme, dieses Nukleararsenal dem möglichen Zugriff von Wahnsinnigen jeglicher Couleur zu entziehen.

Dass die Sowjetunion, Russland in den letzten zwei Jahrhunderten zweimal von Westeuropa aus überfallen wurde, ist ebenfalls eine historische Tatsache. Genauso, dass Russland das seinerseits nie tat.

Dass die Ukraine mit einer NATO- und EU-Mitgliedschaft liebäugelt und sie anstrebt, ist ebenfalls eine historische Tatsache. Die inzwischen wieder erstarkte Grossmacht Russland will das nicht hinnehmen. Heute nicht, morgen auch nicht. Das ist eine kurze Skizze der komplexen Ausgangslage. Wer die dahinterstehende Geschichte ansatzweise verstehen will, braucht sich nur über den Lebenslauf von Bandera und die heutige Sicht auf ihn zu informieren.

Ginge einfach, tut nicht weh, hilft ungemein. Tut trotzdem keiner der vielen Flachschreiber in den sogenannten Qualitätsmedien.

Ukrainische Briefmarke 2009, zum 100. Geburtstag.

Presseleichen

Die «Deutsche Welle» wird in Moskau rausgeworfen. Zensur, Skandal, typisch.

Die Deutsche Welle (DW) ist das Pendant zu Swissinfo. Sie wurde 1953 gegründet und ist Teil der ARD. Alleine in Deutschland arbeiten rund 3000 Medienschaffende für die DW. Sie unterhält Büros in vielen Staaten der Welt.

Dazu gehörte bis gestern auch Moskau. Das russische Aussenministerium gab bekannt, dass DW ihr Büro in Moskau schliessen muss, seine Mitarbeiter die Akkreditierung verlieren und die Übertragung in Russland auf allen Kanälen gestoppt wird.

Dagegen erhob sich allenthalben grosses Geschrei; Zensur, das sei «in keiner Weise hinnehmbar», keifte die Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Sie fügte hinzu, dass es sich im Fall von «Russia Today» (RT) um eine «völlig andere Situation» handle.

Am Mittwoch hat eine für Sendelizenzen zuständige deutsche Behörde herausgefunden, dass dem deutschen Programm von RT die «erforderliche medienrechtliche Zulassung» fehle. Und daher die Verbreitung des RT-Kanals im Geltungsbereich deutscher Gesetze vollständig verboten sei.

Glückliche Schweiz, hier kann man sowohl die DW wie auch RT weiterhin frei empfangen. Daher kann sich jeder ein Bild machen, welche Meinungen und Positionen über diese beiden Kanäle transportiert werden.

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Natürlich sind sowohl die DW wie auch RT regierungsnah, um es sanft auszudrücken. Die deutschsprachige Ausgabe von RT sendet seit 2014 und verfügt über ein TV-Studio in Berlin. Bis Februar 2022 gab es dagegen keinerlei Zulassungsbedenken.

In Russland gibt es seit 2012 ein Gesetz, dass sich aus dem Ausland mitfinanzierte NGO speziell registrieren lassen müssen und diese Finanzquellen auch öffentlich machen. Das wird vielfach als Zensurmassnahme kritisiert.

RT existiert auch in den USA und sendet dort seit 2010 aus einem Studio nahe von Washington Programme in englischer Sprache. In den USA gibt es den «Foreign Agents Registration Act». Geboren in den Propagandakämpfen gegen das Dritte Reich und beibehalten im Kalten Krieg, existiert FARA bis heute und schreibt vor, «dass Personen, die in den USA politisch für ausländische Rechtspersonen tätig sind, diese Tätigkeit anmelden, dokumentieren und genehmigen lassen müssen».

2017 wurde RT (USA) dazu gezwungen, sich diesem Gesetz zu unterwerfen; seit 2018 kann RT nicht mehr im Kabelnetz empfangen werden.

Wer schon einmal versucht hat, ein Journalistenvisum für das Land of the Free zu bekommen, weiss, dass das keine kleine Unternehmung ist. Deshalb reisen bis heute die meisten Journalisten ohne ein. Das ist allerdings auch nicht risikolos.

Als es das noch gab, war es schöner Brauch, dass der Fotograf vor dem Reporter versuchte, die Immigration zu überwinden. Im blödesten Fall wurde er gefilzt und inquisitorisch gefragt, wieso er denn ein ganzes Arsenal an Fotoausrüstung mit sich führe. Standardantwort war, dass er ein begisterter Vogelfotograf sei. Brachte dann allerdings die Personenkontrolle einen Presseausweis oder einschlägige Dateien auf dem Computer zum Vorschein, konnte der Fotograf gleich wieder die Heimreise antreten.

Die Pressefreiheit liegt allenthalben auf dem Seziertisch

Das alles soll natürlich nicht ein billiges «die auch» sein. Der Streit um RT und DW beweist aber einmal mehr, dass es mit der ungehinderten Tätigkeit der Presse weltweit nicht zum Besten steht. Der alte Satz, dass im Krieg die Wahrheit zuerst stirbt, gilt inzwischen auch für oberflächlich friedliche Auseinandersetzungen.

In kriegerischen Konflikten ist es schon seit Jahren Brauch, dass sogenannte «embedded Journalists», also eingebettete Reporter, das zu sehen bekommen, was den jeweiligen Militärs passt.

Im grossartigen US-Film «Wag the Dog» gibt es die geniale Szene, wo sich die Berater eines US-Präsidenten darüber unterhalten, wie dessen absinkende Umfragewerte gedreht werden könnten. «Ich hab’s», sagt der eine, «wir sind im Krieg.» – «Ach ja» erwidert der andere, «das wüsste ich aber. Gegen wen denn?» – «Daran arbeite ich noch» sagt der erste.

Der deutsche Altkanzler meldet sich zu Wort

Hintergrund für diese Propaganda-Kriege mit gegenseitigen Zensurvorwürfen ist das besondere Verhältnis zwischen Deutschland und Russland. Insbesondere wegen der Erdgaspipeline «Nordstream 2». Die ist gegen den erbitterten Widerstand der USA fertiggestellt worden und eigentlich einsatzbereit.

Den deutsche Altkanzler Gerhard Schröder verbindet eine Männerfreundschaft mit dem russischen Präsidenten Putin, den er schon mal als «lupenreinen Demokraten» bezeichnete, was ihm seither als Zitat nachläuft. Zudem ist Schröder gegen gutes Geld im Aufsichtsrat von russischen Staatsfirmen vertreten. Währenddessen duckt sich der neue deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz weg, was den Ukraine-Konflikt betrifft.

In all diesem Schlamassel ist weder die Verweigerung der Ausstrahlung von RT in Deutschland, noch die Schliessung des DW-Büros in Moskau ein Beitrag zur Pressefreiheit. Wobei man der Gerechtigkeit halber sagen muss, dass Deutschland diesen Kriegsschauplatz eröffnete.