Schlagwortarchiv für: Arthur Rutishauser

Hilfe, mein Papagei onaniert IV

Hier sammeln wir bescheuerte, nachplappernde und ewig die gleiche Leier wiederholende Duftmarken aus Schweizer Medien. Subjektiv, aber völlig unparteiisch.

Journalisten interessieren sich eigentlich nur für eins – andere Journalisten. Und sich selbst. Erst dann kommt alles andere. Berichterstattung, die Welt, Reportage, Kommentar, Recherche.

«10 vor 10» am «Tag der Frau» war ein Paradebeispiel dafür. Intro, dann schaut die Moderatorin ernst und gefasst in die Kamera. Die wichtigste Meldung des Tages: ein Brief von 78 Redaktorinnen bei Tamedia sorge «für Betroffenheit». Die Moderatorin schaut sehr betroffen und kündigt an, dass das auch der Schwerpunkt dieser Sendung sei. Dazu gibt’s noch einen Bericht über die Umsetzung des  Verhüllungsverbots und über die Comic-Verfilmung «Wonder Woman».

Diesmal zeigt der Papagei nur in eine Richtung.

Also sozusagen von Kopf bis Fuss auf Frau eingestellt. Aber die Fokus-Meldung ist natürlich der Protest von 78 Tamedianerinnen gegen unerträgliche Zustände in den Redaktionen. Fürchterlich chauvinistische Männersprüche werden zitiert und anklagend eingeblendet. Spätestens zu diesem Zeitpunkt konnte man garantiert in der Schweiz einen erhöhten Wasserverbrauch konstatieren. Pinkelpause für alle Zuschauer (ja, auch Zuschauerinnen), denen dieses Thema so etwas an allen Körperteilen vorbeigeht. Aber dafür sind Journalisten natürlich zu betriebsblind.

Auf der Welt ist nichts Wichtigeres passiert an diesem Tag

Wenn ganze 78 von ihnen ein Protestschreiben verfassen, dann müsste schon Joe Biden gerade im Weissen Haus zusammengebrochen und mit dem Kopf knapp neben dem roten Knopf aufgeschlagen sein, um dieses welterschütternde Ereignis von Platz eins zu verdrängen. Nach diesem Intro dürfen sich die zwei Urheberinnen wichtig in zwei Sessel setzen. Salome Müller und Aleksandra Hiltmann, beide unauffällige Arbeiterinnen in der Machohöhle des «Tages-Anzeigers», beschweren sich über fehlenden Anstand und Respekt (Hiltmann), Müller will nicht glauben, dass die Untervertretung von Frauen in Chefpositionen nur damit erklärbar sei, dass die Männer eben besser als Frauen seien.

Dann, muss sein, kommt der Fachmann zu Wort, natürlich die Fachfrau in diesem Fall. Die Gelegenheit für die Co-Präsidentin des «Branchenverbands «Medienfrauen Schweiz» kundzutun, dass diese Zustände leider nicht nur auf Tamedia beschränkt seien. Das hört sich natürlich sehr gewichtig an. Solange man nicht weiss, dass dieser Verband einfach ein Zusammenschluss von rund 60 Mitgliedern ist, die sich selbst vermarkten möchten: «

Anpreisung in Frauensprache, wo Sie oder du Hans was Heidi ist?

Nächste Events nach Frauenkalender? Oder endet 2020 nie?

Natürlich bekommt auch der Oberchefredaktor bei Tamedia Gelegenheit, sich der Frage zu stellen, was denn da falsch laufe. Arthur Rutishauser äussert seine Betroffenheit und verkündet, dass er eine Unterzeichnerin damit beauftragt habe, den Vorwürfen auf den Grund zu gehen. Da er das mit ernster Stimme sagt, lacht sich zumindest hörbar keiner kaputt. Eine Mitunterzeichnerin soll überprüfen, ob das von ihr Unterzeichnete auch stimmt? Grossartig.

Schonungslose Recherche, auch im eigenen Haus.

Natürlich ist sich «10 vor 10» bewusst, dass es selbst auch ein Medienunternehmen ist. Und da könnte es doch vielleicht, unter Umständen sein, dass auch in den TV-Studios blanker Chauvinismus, Sexismus, Frauenunterdrückung Urständ feiert. Wie beleuchtet man das am besten? Richtig, die Moderatorin interviewt ihre höchste Chefin, die TV-Direktorin Natalie Wappler. Die das Thema für dermassen brennend wichtig hält, dass sie dafür doch nicht ihr Homeoffice verlässt.

Ausserdem ist sich Wappler bei einem ganz, ganz sicher: mit kritischen Fragen wird sie hier niemals belästigt. Untergebene interviewt Chefin, so einen Unsinn kann sich auch nur das Schweizer Farbfernsehen leisten.

Nachdem auch Wappler, damit mit Rutishauser völlig einig, ihre «Betroffenheit» zum Ausdruck gebracht hat, beendet «10 vor 10» diese für 99 Prozent der Zuschauer lähmend langweiligen zehn Minuten zum Thema: Journalisten sprechen über sich selbst, interviewen sich selbst und thematisieren sich selbst.

Tamedia: selber schuld, ihr Machoschweine!

Die toleranten Frauenversteher im Haus der politischen Korrektheit haben nun das Geschenk. Ein Protestschreiben von 78 Mitarbeiterinnen mit absurden Forderungen und Weinerlichkeiten.

Erst als ein paar der unterzeichnenden Frauen und Oberchefredaktor Arthur Rutishauser gegenüber ZACKBUM bestätigten, dass dieses Schreiben authentisch ist, konnten wir es glauben.

Denn wir hatten im Hinterkopf, dass ein begabter Imitator diesen vierseitigen «Protestbrief» nebst «Forderungen» verfasst haben könnte. Denn den Inhalt trauten wir nicht mal den 78 Unterzeichnerinnen zu.

Der uns vorliegende Brief hebt damit an, dass «erneut mehrere talentierte, erfahrene Frauen gekündigt» hätten. Aus «Resignation und Frust darüber», dass sich die Situation der Frauen in den Tamedia-Redaktionen nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert hätte. «Trotz anderslautender Statements.»

Dagegen teilte die Geschäftsleitung ebenfalls Freitagnachmittag den Zwischenstand bei der Arbeitsgruppe «Diversity» unter Leitung von Priska Amstutz, Unter-Co-Chefredaktorin beim «Tages-Anzeiger», mit. Hier wird unter anderem festgehalten, dass in der Geschäftsleitung von Tamedia das Verhältnis Männlein Weiblein «relativ ausgeglichen» sei. Noch besser: «Die Lohngleichheit wird regelmässig mittels Lohnanalysen überprüft. Diese zeigen, dass es keine Hinweise auf systematische Unterschiede gibt.»

Das Schreiben in seiner vollen Pracht: Schreiben_GL

Zustände bei Tamedia wie in Saudi-Arabien?

Aber laut dem Protestschreiben müssen in Wirklichkeit Zustände auf den Tamedia-Redaktionen herrschen, an denen Fundamentalisten, Burka-Befürworter und religiöse Irre ihre helle Freude hätten. Denn fast wie in Saudi-Arabien würden Frauen «ausgebremst, zurechtgewiesen oder eingeschüchtert». Schlimmer noch: «Sie werden in Sitzungen abgeklemmt, kommen weniger zu Wort, ihre Vorschläge werden nicht ernst genommen oder lächerlich gemacht.»

Kein Wunder, dass die Tamedia-Frauen so daran gehindert werden, ihre Arbeit «motiviert, hartnäckig, leidenschaftlich» zu machen. Also arbeiten sie offenbar demotiviert, kurzatmig und leidenschaftslos. Der Umgangston sei «harsch», oft auch beleidigend. Da soll doch «ein Mitglied der Chefredaktion» einer Redaktorin gesagt haben, «sie sei überhaupt nicht belastbar».

Da sämtliche Täter, Opfer, Gegangene oder noch Leidende nur anonym im schlechtesten «Republik»-Stil vorkommen, lässt es sich leider nicht eruieren, ob die Redaktorin nach dieser sexistischen, ungeheuerlichen Beleidigung notfallmässig ins Spital eingeliefert werden musste, sich seither in einer Burn-out-Klinik gesund pflegen lässt oder unter schweren Medikamenten arbeitsunfähig geschrieben wurde.

Das Problem bei Tamedia ist – «strukturell»

Auf jeden Fall, das Wort kennen wir aus allen Formen der Diskriminierung, die Probleme seien «strukturell». Aber, so wie «Black lives matter» vor allem in der Schweiz das unerträgliche Schicksal der Schwarzen deutlich verbessert hat, auch hier gibt man, Pardon, frau, sich kämpferisch: «Wir sind nicht bereit, diesen Zustand länger hinzunehmen.»

Nehmt das, ihr Macho-Männer an den Schalthebeln, hier kommen die Frauen und fordern. Selbstverständliches («wir erwarten, mit Anstand und Respekt behandelt zu werden»), natürlich eine «anonymisierte Umfrage», wo frau ungehemmt losschimpfen kann. Ein Kessel Buntes zusammen mit Absurditäten. Es soll und muss mehr Frauen in «Führungspositionen» geben, «neue strategisch wichtige Teams» sollen «von Anfang an mit mindestens einem Drittel Frauen besetzt werden». Dann natürlich das Übliche, Frauenförderung und eine Diversity-Beauftragte (oder ein -beauftragter, immerhin).

Aber was sind schon Forderungen ohne Ultimatum: «Wir erwarten bis zum 1. Mai 2021 konkrete Vorschläge zur Umsetzung unserer Forderungen.» Unterschrieben ist das Ganze von Salome Müller, der Meisterin des non-binären Gendersternchens, bis Andrea Fischer, altgediente, aber unauffällige Tamedia-Redaktorin seit über 21 Jahren. Allerdings: Was ist schon ein Ultimatum ohne Drohung? Wenn nicht, dann verstopfen wir mit Tampons das Männerklo? Da müsste doch etwas kommen.

Die Auflistung des täglichen sexistischen Grauens

In einem «Anhang» wird dann auf siebeneinhalb Seiten das unerträgliche Höllenfeuer mit Beispielen lodern gelassen, dem sich Tamedia-Redaktorinnen ausgesetzt sehen. Erniedrigungen, anzügliche Bemerkungen, sexistische Schweinereien, gar Schlimmeres erwartet hier der erschütterte oder voyeuristische Leser, je nachdem.

Beide werden bitter enttäuscht. Es ist eine peinliche, entlarvende, erbärmliche Auflistung von mehr oder minder dümmlichen Sprüchen, die in jedem grösseren Unternehmen gesammelt werden könnten. Jede wirklich unter männlicher Unterdrückung und primitiver Anmache leidende Frau würde sich darüber totlachen. Ein paar Müsterchen? «Du bist hübsch, du bringst es sicher noch zu was.»

«Als jemand das Thema Gendersternchen vorschlug, hiess es erst, es sei schon genug «Klamauk» zum Thema gemacht worden. Das richtete sich nicht per se gegen eine Frau, aber gegen die Art des gendergerechten, integrierenden Schreibens.»

«Bei einem Text, der ausschliesslich von der Perspektive junger Frauen handelte, sagte der ältere Vorgesetzte: «Es ist falsch, was du schreibst.»

«An Sitzungen wiederholen Männer oft die Ideen, die in den ersten 5 Minuten von Frauen des Meetings vorgebracht wurden. Die Männer ergänzen die Idee nicht, sondern sagen einfach dasselbe, ohne zu erwähnen, dass die Idee von Kollegin xy stammt.»

«Aber ihr seid doch mitgemeint, wenn man das generische Maskulinum benutzt.» – «Nein, ich fühle mich nicht mitgemeint. Du weisst nicht, wie ich mich fühle.» – «Ihr seid mitgemeint. Das ist historisch so.»

«Es wird uns Journalistinnen nicht zugetraut, entsprechend unseres journalistischen Instinkts und unserer Expertise Themen zu erkennen und journalistisch umzusetzen.»

«In einer Blattkritik wurde der Einstieg eines Textes über den historischen Frauenstreik kritisiert: «Wir sollten ob unserer Begeisterung nicht unser Urteilsvermögen aufgeben.»»

«Ich: «Verdienen Männer hier denn mehr als Frauen, wie ist es so mit der Lohngleichheit?» Antwort, schreiend: «Du musst den Vertrag ja nicht unterschreiben.»»

Habe ich das erfunden? Nein, unmöglich. Ist das ernstgemeint? Nun ja, das ist zu befürchten. Warum ist das so? Das kommt davon, wenn sich die beiden verzwergten Co-Unter-Chefredaktoren in feministischer Kampfschreibe überbieten wollen. Das kommt davon, wenn die Führung des Ladens jedes Mal zusammenzuckt, wenn eine weder des Schreibens noch der deutschen Rechtschreibung mächtige Redaktorin Schwachsinn wie die allgemeine Einführung des Gender-Sternchens, den Kampf gegen die Unterdrückung der Frau innerhalb und ausserhalb der Redaktion einfordert.

Wer noch nicht genug hat: Brief an CR_GL von 78 Tamedia-Frauen 05.03.2021

Wenn fehlgeleitete Verbal-Radikal-Feministinnen das Unterdrückungssymbol Verschleierung zum Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung in der Kleiderwahl umlügen, dabei sogar noch von führenden, männlichen Opportunisten unterstützt werden, wenn jede verbale Attacke zum sexistischen Übergriff umgedeutet wird, dann kommt es zu solchen Metastasen der abgehobenen Idiotie.

Dieses Bedürfnis nach usurpiertem Phantomleiden

Es ist diese Haltung des geliehenen Opferstatus, des Leidens an Phantomschmerzen, dieser Stellvertreterkrieg mangels echten Schlachten und Opfern, die Umdeutung von Nichtigkeiten zu Gewalttätigkeiten, die unglaublich nervt. Weil Redaktorinnen in der geschützten Werkstatt Tamedia auch gerne mal so richtig als fürchterlich unterdrückte, ausgegrenzte, misshandelte, sexistisch angegangene, ständig von Männergewalt, Vergewaltigungsversuchen und brutalster Unterdrückung leidende Frauen gesehen werden möchten.

Aber weil niemand sie so sieht, weil es nicht so ist, weil bei Tamedia jeder Vorgesetzte weiss, dass er ein Riesenproblem hat, wenn eine Mitarbeiterin die Kritik an ihrem völlig gescheiterten Text flugs als Ausdruck männlicher Unterdrückung von fraulichen Perspektiven umdeutet, wird dem Wahnsinn Tür und Tor geöffnet.

Wo zu viel Verständnis vorhanden ist – oder geheuchelt wird –, wächst das Unverständliche in den Himmel.

Wunderlich ist nur: Von allen Chefchefs abwärts bis zu Pygmäen-Chefs wie Mario Stäuble und anderen wird wortreich, erschütternd die vielfältige Unterdrückung, der Missbrauch der Frau, gerade in der Schweiz, angeprangert. Aber wenn es so schlimm ist, wie diese 78 Redaktorinnen behaupten, wenn es bei Tamedia täglich schlimmer wird, wieso haben denn all diese Frauenversteher, diese Kämpfer für Gleichberechtigung, diese unerschrockenen Kommentarschreiber gegen jede Form von männlichem Sexismus, das denn nicht in ihrem nächsten Umfeld bemerkt?

Wieso merkt das denn keiner der männlichen Kampffeministen bei Tamedia?

Da kann es nur drei Erklärungen geben. Die unterzeichnenden Redaktorinnen haben in ihrer Gesinnungsblase völlig den Bezug zur Realität verloren. Oder aber, sie wollen nun vereint jede Kritik an ihrem professionellen Ungenügen von vornherein verunmöglichen. Oder, alle männlichen Wortführer für die Sache der Frau sind in Wirklichkeit abgrundtiefe Heuchler.

Die Wahrheit dürfte aus all diesen drei Teilen bestehen. Selber schuld, aber wer möchte denn jetzt gerade ein männlicher Vorgesetzter sein, der einer weiblichen Untergebenen näherbringen muss, dass ihr Text schlichtweg Schrott, unbrauchbar, nicht zu retten, schwachsinnig, fehlerhaft, unlogisch, nicht durch Fakten abgestützt ist? Zudem Ausdruck einer mehr als schlampigen Recherche? Das arme Schwein sitzt fünf Minuten später – von einer Fristlosen bedroht – bei Human Resources und muss sich gegen den Vorwurf verteidigen, er habe die Redaktorin als Schlampe tituliert.

Wobei sie das atomare Argument über ihm explodieren lassen darf: «Wie auch immer, ich habe das aber so empfunden.» Und wer, ausser wir bei ZACKBUM, würde sich trauen, dieses 12-seitige Schreiben als Bankrotterklärung aller Anliegen, für die sich die Frauenbewegung zu Recht in den letzten hundert Jahren eingesetzt hat, zu bezeichnen?

Wer den Wahnsinn wuchern lässt, wird von ihm verschlungen

Denn es war, ist und bleibt klar: Es gibt gute Texte, mittelmässige Texte und Schrott. Dafür gibt es keine objektiven Kriterien, aber doch vorhandene. Keines dieser Kriterien hat mit dem echten oder eingebildeten Geschlecht des Autors zu tun. Lässt Tamedia diesen selbst gezüchteten Unsinn wirklich ausarten, dann wird das Haus bald einmal auch Fragen wie in Holland diskutieren müssen. Wer denn überhaupt legitimiert ist, über welche Themen wie zu schreiben. So wie dort ernsthaft debattiert wird, wer das pubertäre Gedicht von Amanda Gorman übersetzen darf. Wohl nicht eine weisse Frau mit ganz anderem kulturellem Hintergrund als die hinaufgejubelte schwarze Gebrauchslyrikerin aus den USA.

Die Tamedianerinnen wärmen einfach einen der urältesten demagogischen Kniffe auf diesem Gebiet auf. «Diese Arbeit ist unterirdisch schlecht.» – «Das sagst du nur, weil ich eine Frau bin.» – «Nein, das sage ich, weil die Arbeit ein Pfusch ist.» – «Du als Mann kannst das doch gar nicht beurteilen.» – «Doch, auch als weisser, heterosexueller, privilegierter alter Mann kann ich beurteilen, wie die Arbeit einer schwarzen, lesbischen, unterprivilegierten jungen Frau ausgefallen ist.»

Alle Apologeten eines Glaubens, einer Ideologie, einer Diktatur behaupten, dass es bestimmte Voraussetzungen braucht, um etwas beurteilen zu können. Sei das das Tragen eines Kopfschmucks, das richtige Verstehen eines heiligen Buchs, die dialektisch-materialistische Analyse der objektiven Klassenverhältnisse, die einem nur nach tiefen Studium der Werke von Marx/Engels zusteht – oder das Vorhandensein oder die Abwesenheit bestimmter Geschlechtsorgane oder Hautpigmente. All das ist immer wieder der gleiche Schwachsinn, der immer wieder besiegt werden muss.

Denn merke: Wenn man dem Wahnsinn nicht rechtzeitig und energisch Einhalt gebietet, dann will er die Herrschaft ergreifen. Oder die Frauschaft.

Wer stoppt Rutishauser?

Ein seltener Fall von medialer Selbstjustiz. Über Jahre hinweg.

Auf einer Wand stand: «Ich hasse dich.» Zudem sei Abfall herumgelegen, und weitere Wände seien mit Flüssigkeiten verschmiert gewesen. Diese unappetitlichen Details serviert Arthur Rutishauser zum Gipfeli den Lesern der «SonntagsZeitung».

Wer meinte, dass er nach drei Jahren und der Einreichung der Anklageschrift seine Position als Lautsprecher der Staatsanwaltschaft und als rücksichtsloser Enthüller von eigentlich strikt vertraulichen Ermittlungsakten aufgegeben habe, hat sich ein weiteres Mal getäuscht.

Es ist schon drei Monate her, dass allgemeiner Wahnsinn in den Medien ausbrach, ein Wettlauf begann, wer am schnellsten die saftigsten Stellen aus der Anklage zitieren kann. Ein weiteres Mal wurde die Unschuldsvermutung ad absurdum geführt. Die Eröffnung einer Strafanzeige gegen Unbekannt, wegen fortgesetztem Bruch des Amtsgeheimnisses, beeindruckt den Oberchefredaktor von Tamedia offenbar überhaupt nicht.

Mit der gleichen Munition nochmal nachladen

Die Anklageschrift gegen den gefallenen Bankerstar Pierin Vincenz ist bis auf den letzten Tropfen ausgewrungen; das letzte Wort hatte hier die NZZ, die nassforsch bekannt gab, dass sie im Besitz aller 364 Seiten der Anklageschrift sei. Ohne, dass ihr bislang eine Strafanzeige ins Haus flatterte.

Nun konnte aber Rutishauser endlich mal wieder nachlegen. Schon seit drei Jahren haut er jedes Dokument, mit dem er angefüttert wird, ohne Rücksicht auf Anstand, Amtsgeheimnis, Vorverurteilung, Unschuldsvermutung einfach raus. Geradezu zwanghaft. Nun kann er wieder einen besonderen Leckerbissen servieren: «Vincenz’ Ausflüge ins Rotlichtmilieu waren vom Raiffeisen-Präsidenten abgesegnet».

Das ist nun aber Schnee von vorgestern, längst bekannt, längst beklagt, längst kritisiert. Nicht zuletzt in der «Ostschweiz» wurde schon seit Längerem die Frage gestellt, wieso der damals amtierende Johannes Rüegg-Stürm nicht schon längst wegen ungetreuer Geschäftsführung, wegen sträflich-fahrlässiger Vernachlässigung seiner Aufsichtspflichten angezeigt und in Regress genommen wurde.

Der lächerliche Professor ist nur ein Vorwand

Wobei zur Lächerlichkeit ungemein beiträgt, dass er bis heute an der HSG Studenten in richtiger Geschäftsführung professoral unterrichten darf. Aber das ist eigentlich nur ein Vorwand für Rutishauser. Um nochmals in unappetitlicher Detailversessenheit wie einleitend erwähnt aus einem Polizeirapport über den Zustand der Suite im Zürcher Hyatt zu berichten. Dort war ein kleiner Fehler in der Terminplanung von Vincenz etwas ausgeartet und hatte zu einigen Beschädigungen im Hotelzimmer geführt.

Die Reparaturrechnung setzte Vincenz laut Anklageschrift auf seine Spesenrechnung. Die, wie alle anderen auch, von Rüegg-Stürm angeblich sorgfältig geprüft, für rechtens befunden und abgezeichnet wurde. Dieser Skandal ist längst bekannt, ebenso die unverständliche Entscheidung der Uni St. Gallen, dennoch den Lehrauftrag von Rüegg-Stürm bis zu seiner Pensionierung zu verlängern.

Nachdem die Anklageschrift nichts mehr hergibt, wurden Rutishauser offensichtlich das Einvernahmeprotokoll von Rüegg-Stürm durch die Staatsanwaltschaft und mindestens ein Polizeirapport zugespielt. Eine Einvernahme, in der sich der Professor nochmals bis auf die Knochen blamiert, wie er naheliegenden Fragen nach seiner Aufsichtspflicht gelenkig wie ein Schlangenmann auszuweichen versucht. Wieso es ihm nicht aufgefallen sei, dass Vincenz angeblich mehr als 100’000 Franken an Spesen in Striplokalen und anderen einschlägigen Etablissements eingereicht habe.

Nichts Neues, aber die Wiederholung saftiger Details hilft bei der Vorverurteilung

Das gibt Rutishauser nochmals Gelegenheit, unter dem Deckmäntelchen der Berichterstatterpflicht die saftigsten Details dieser Spesen wieder auszubreiten. Auch hier gibt’s nichts Neues, aber es hilft natürlich bei der medialen Vorverurteilung, bei einer Art öffentlicher Selbstjustiz, mit der Rutishauser auch noch die letzten lächerlichen Reste der Unschuldsvermutung in die Tonne tritt.

Es ist ein Stück aus dem Tollhaus. Die einzigen bislang einwandfrei begangenen Straftaten sind Verletzungen des Amts-, Geschäfts- und Bankkundengeheimnisses. Und zwar wiederholt und ohne dass es der Staatsanwalt in den quälend langen Jahren seiner Untersuchung für nötig hielt, wenigstens Strafanzeige einzureichen.

Das holte nun als eine seiner ersten Amtshandlungen das Bezirksgericht Zürich nach, nachdem es durch die Einreichung der Anklageschrift die Hoheit über das Verfahren bekommen hat. Viel mehr Aktivität hat es allerdings bislang auch nicht entfaltet. Es brütet offensichtlich noch über der Frage, ob es – unter welchem Vorwand auch immer – die Anklage zwecks Verbesserung abschmettern will, sich für nicht zuständig erklären – oder in den sauren Apfel dieses Riesenprozesses beissen.

Behauptungen der Anklageschrift werden im Indikativ erzählt, als Tatsachen

Natürlich wurde die angebliche «Enthüllung» der SoZ in der dürftigen Nachrichtenlage des Sonntags fleissig kolportiert und weiterverbreitet. Manchmal im Konjunktiv, häufig aber auch, wie in der Darstellung Rutishausers, im Indikativ.

Das ist eine weitere Verluderung der Sitten. Unschuldsvermutung? Selten so gelacht. Zitate aus einer Anklageschrift, die schliesslich nur die Sicht der Staatsanwaltschaft wiedergibt, als Tatsachen darstellen? Ausrisse aus angeblichen Spesenabrechnungen publizieren? Ohne den geringsten Hinweis darauf, dass es sich hier bislang lediglich um Anschuldigungen handelt? Ohne Hinweis, dass nicht einmal die Anklage vom Gericht angenommen wurde? Ohne Hinweis darauf, dass ein Urteil noch in weiter Ferne liegt und Freispruch oder Schuldspruch sein kann?

Ohne Rücksicht darauf, dass Pierin Vincenz, unabhängig davon, ob er sich etwas hat zuschulden kommen lassen oder nicht, seit nun drei Jahren durch dieses Schlammbad von Indiskretionen geschleift wird? Also an seiner Vorbildfunktion müsste der Oberchefredaktor noch etwas arbeiten; da ist noch viel Luft nach oben.

Die grosse Hoffnung der Journalisten

Nichts ist älter als die Zeitung von gestern. Und schneller vergessen. Gut für Journis.

Arthur Rutishauser, Oberchefredaktor bei Tamedia, servierte der staunenden Leserschaft unermüdlich und Jahr für Jahr die gleiche News: Die Strafuntersuchung im Fall Vincenz stehe kurz vor dem Abschluss, demnächst werde die Anklageschrift eingereicht.

Das tat er im Frühling, im Herbst, wenig variantenreich und unbekümmert darum, dass es nie eintraf. Aber wie eine stehengebliebene Uhr, die auch zweimal am Tag die richtige Zeit anzeigt: Endlich hat’s dann, nach drei Jahren, doch mal geklappt.

Es war zwar nicht demnächst, auch nicht im August, aber Ende Oktober 2020. Uff. Wieso kam er damit durch? Ganz einfach: Er setzte auf das Kurzeitgedächtnis der Öffentlichkeit. Auf ihre Fähigkeit zum schnellen Vergessen. Darauf, dass sich doch niemand mehr daran erinnert, was Rutishauser vor einem halben Jahr angekündigt hat. Wohl nicht mal er selbst.

Keiner zu klein, Rutishauser zu sein

Wie der Herr, so’s Gescherr. Seitdem Mario Stäuble zum Co-Chefredaktor des «Tages-Anzeigers» aufgestiegen ist, erblüht er als Kommentator. Innert kürzester Zeit hat er sich dabei das Rüstzeug angeeignet, um im Chor mit vielen anderen Ratschläge zu geben, Kritiken anzubringen und zu zeigen, wo’s langgeht:

«So funktioniert das mit der Quarantäne nicht»,

«wir müssen verschärfen», selten sieht er Anlass zu Lob: «Endlich klemmt der Bundesrat das «Gstürm» ab».

Trost zu spenden ist seine Sache nicht: «Was für die betroffenen Branchen brutal klingt, ist in Wirklichkeit ein Schritt vorwärts», behauptet der Angestellte Stäuble. In Wirklichkeit ein brutaler Schritt über die Klippe für Tausende von KMU, aber was soll’s. Auch Stäuble profitiert davon, dass sich doch einen Tag später keiner mehr an sein dummes Geschwätz erinnert.

Das gilt auch für seine Kollegin Priska Amstutz. «I am speaking», dieser kleine Satz der zukünftigen Vizepräsidentin der USA hat für Amstutz «globale Strahlkraft», wie sie backfischartig schwärmte. Aber auch das, zusammen mit ihrem Betty-Bossi-Rezept, das sie als von «Grossmüetti Amstutz» ausgab, ist längst vergessen.

Auch das Fussvolk spielt mit

Wie das Gescherr, so das Fussvolk. Im Newsletter wird der männerdominierten Sprache Saures gegeben, bis sie nur noch Sternchen sieht. Ein anderer Amok twittert, dass die Uni Luzern ein Interview mit zwei renommierten Wissenschaftler von ihrer Webseite nehmen sollte. Oder wie er zu formulieren beliebt: «Hey, Uni Luzern, nehmt den Dreck runter, entschuldigt euch bei C. Althaus und publiziert eine Richtigstellung.»

Aber was ist vom einem «Leiter digitales Storytelling» zu erwarten, der auch schon mal dem gesamten Bundesrat attestiert:

«Jetzt sind sie komplett übergeschnappt.»

Auch er rüpelt so vor sich hin, weil er auf das schnelle Vergessen hofft. Und auf die eigene Belanglosigkeit, obwohl er das natürlich nie zugeben würde.

Auch die übrigen Chefkommentatoren zählen auf Vergesslichkeit

Selbstverständlich ist Tamedia nicht alleine. Auch Christian Dorer, der Amtskollege von Rutishauser bei Ringier, hofft auf schnelles Vergessen: «Ski fahren, snowboarden, langlaufen, Schneeschuhtouren machen oder ausgedehnte Winterspaziergänge – es wäre falsch, ausgerechnet das zu verbieten, was Geist und Körper in dieser Jahreszeit am besten stärkt.»

So jauchzte er noch Ende November letzten Jahres. Schon Ende Februar 2020 wusste Dorer: «Klarmachen sollten wir uns aber auch:

In ein paar Monaten ist der Spuk vorbei.»

Nein, damit meinte er nicht die Amtszeit von Präsident Trump, dem er mit seinem Schwiergmutterschwarm-Charme eine Unterschrift auf sein Blatt abgenötigt hatte. Er meinte Corona.

Im April sah Dorer dann eine originelle Chance, dem drohenden Wirtschaftsabschwung zu begegnen: «Feiern Sie das Ende des Lockdowns im Restaurant! Decken Sie sich mit der aktuellen Frühlingsmode ein! Richten Sie Ihr Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer neu ein! Holen Sie sich den neuen Computer! Kaufen Sie das Auto, von dem Sie schon lange träumen!» Aber schon im September tönte er fast resigniert: «Lernen wir, mit dem Virus zu leben.»

«Historisch einmalig, nie dagewesen»

Auch CH Media ist auf das schnelle Vergessen angewiesen. So positionierte sich der dortige Überchefredaktor Patrik Müller bereits am Anfang von 2020 leicht gereizt: «Jeden Tag Weltuntergang – es nervt». Denn nun sei neben dem Klimawandel auch noch im fernen China ein Virus ausgebrochen. Mitte April 2020 verfällt er dann in einen tiefen Pessimismus:  «Um Massenarbeitslosigkeit abzuwenden, muss die Wirtschaft behutsam, schrittweise wieder geöffnet werden. Sonst drohen wirtschaftliche und auch gesundheitliche Schäden, die beispiellos, historisch einmalig, nie da gewesen sind.»

Ende Juli redete er den Eidgenossen ins Gewissen:

«Ferien im eigenen Land! Die Schweiz bietet fast alles.»

Gegen Ende Jahr können dann die Politiker aufatmen: Der Präsenzunterricht beginnt in der Regel am Montag wieder. Das ist richtig.» Genauso richtig wie, dass von seinen immerhin über 200 Kommentaren wohl die meisten überflüssig waren.

Selbst, um nichts auszulassen, selbst der NZZ passieren manchmal kleinere Flops, die man dann gerne ebenfalls im Archiv von «schnell vergessen» versorgt. So wollte sie, nach einigen Erfolgen bei der Credit Suisse, auch im Fall Vincenz mal vorne mitspielen. Also setzte sie, natürlich wie immer «von informierten Kreisen nahe am Verfahren» angefüttert, das Gerücht in Umlauf, dass es noch vor der Einreichung der Anklageschrift zu einem Deal kommen werde. Strafbefehl gegen Schuldeingeständnis. War dann nix.

 

Der Corona-Journalist, Teil I

Neue Lage, neue Gattung: keiner zu klein, Fachmann zu sein.

Wie wusste Hölderlin schon so richtig: «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.» Bevor nun gegoogelt wird: nein, das war kein Corona-Fachmann; nur so ein deutscher Dichter.

Allerdings hätte er sich unter dem Rettenden wohl nicht die aktuelle Entwicklung in den Medien vorgestellt. Denn während noch im Januar dieses Jahres wohl 99 Prozent aller Journalisten auf das Stichwort Corona geantwortet hätten: «ah, das Bier mit dem Zitronenschnitz», ist das heute anders. Ganz anders.

Jeder, der sich berufen fühlt, ist inzwischen zum Epidemiologen, Virologen, Corona-Virus-Kenner, Testspezialisten und vor allem zum Warner, Mahner und wackelndem Zeigefinger herangereift. Unabhängig von Alter, Geschlecht und Vorbildung.

Wenn alle davon reden, müssen alle Journalisten mitreden

Ob gelernter Taxifahrer, abgebrochener Germanist, promovierter Soziologe, Maturand auf dem zweiten Bildungsweg, Kursbesucher des MAZ: spielt überhaupt keine Rolle. Wenn alle von Corona reden, müssen alle Journalisten mitreden.

Wenn der Oberchefredaktor, also Patrik Müller (Betriebswirtschaftslehre, Handelsschuldiplom), Arthur Rutishauser (Doktor der Volkswirtschaft), Eric Gujer (Geschichte, Politikwissenschaft und Slawistik) oder Christian Dorer (B-Matur, Grundstudium Wirtschaft) das Wort ergreifen, schweigt natürlich der Plebs* und studiert fleissig die geäusserten Positionen.

Sobald das klar ist, kann losgelegt werden. Zum Beispiel, wenn der Bundesrat neue Massnahmen verkündet, aber keinen Lockdown. «Nicht fünf vor zwölf, sondern High Noon», lässt die NZZ Filmbildung erkennen, überhaupt sei der Bundesrat viel zu zögerlich unterwegs. Riskante Strategie, der BR folge der Wirtschaft, das Risiko trügen die Schwächsten, barmt sich der «Tages-Anzeiger».

«Totales Versagen» wird gerne genommen

Wie es sich gehört, poltert «Blick»-Oberchef Christian Dorer kräftiger, er konstatiert ein «totales Versagen» von BR und Kantonsregierungen, aber immerhin, jetzt sei das Minimum beschlossen worden. Patrik Müller räumt ein, dass es noch nicht zu spät sei, also der Schweizuntergang noch aufgeschoben sei, allerdings sei die Verkümmerung des kulturellen und sozialen Lebens beklagenswert.

Ich fasse zusammen: Versager, Zauderer, Minimalisten, wirtschaftshörig, Zeichen der Zeit nicht erkannt, riskieren für die Wirtschaft das Leiden der Schwächsten.

Wenn das so wäre, müssten wir uns wieder einmal schämen. Schämen, dass wir eine solche Versagertruppe als Bundesrat haben. Dass wir solche Versager in die Kantonsregierungen gewählt haben. Wir könnten sicherlich ruhiger schlafen und der Pandemie viel gelassener entgegenblicken, wenn wir eine Notregierung aus diesen vier Chefredaktoren bilden würden, unterstützt von ihrer Bodenmannschaft, die auch alles über Corona weiss.

Beschädigtes Vertrauen allenthalben

Die Kakophonie der Wissenschaftler mitsamt Kassandra-Rufen beschädigt die Glaubwürdigkeit und die Reputation. Die Rechthaberei und Zurechtweisung der Medien, völlig verantwortungs- und haftungsfrei, beschädigt die Glaubwürdigkeit und Reputation.

Wenn sich jeder Journalist als wissenschaftlicher Scheinriese fühlt, der genau weiss, welche Massnahmen wann und wie ergriffen werden müssten, aber eben, leider hört man nicht auf ihn, dann versagt die Vierte Gewalt wieder einmal krachend in ihrer Kernaufgabe: informieren, analysieren, einordnen, Auslegeordnung machen, die Entscheidungsfindung des Lesers befördern.

Ich (promovierter Germanist und Historiker) kenne mich nur mit vier Dingen aus: Worten, Zahlen, logischen Zusammenhängen und Deduktionen. Dazu äussere ich mich, zu Dingen, für die ich nicht die nötige Qualifikation habe, schweige ich. Damit minimiere ich zumindest die Gefahr, die von mir ausgeht. Wachsendes Rettendes sehe ich allerdings nicht.

* In einer ersten Version war Plebs falsch geschrieben.

Die Sparmassnahme auf Papier

Vor einer Woche fehlte die «Schweiz am Wochenende» in der Blattkritik. Jetzt folgt sie.

19,7 Gramm. So viel bringt die «Schweiz am Wochenende» auf die Küchenwaage. Nimmt man den Werbeflyer raus, verringert sich das auf 17,7 Gramm. 56 Seiten umfasst die Wochenend-Ausgabe, die den «Sonntag» abgelöst hat. Online ist das Meiste hinter einer Bezahlschranke.

Mit der «Schweiz am Sonntag» wollte das Wanner-Imperium dem alteingesessenen Trio «SonntagsZeitung», «NZZamSonntag» und «SonntagsBlick» das Fürchten lehren. Was auch längere Zeit gelang; nicht zuletzt deswegen, weil der Wirtschaftsredaktor Arthur Rutishauser ausgezeichnete Quellen in der Swissair und dann der Swiss hatte. Und weil Chefredaktor Patrik Müller einen flotten Kurs fuhr.

Das Gemächt von Baden

Wohl ein Höhepunkt war die Affäre um den Badener Namensvetter vom Chefredaktor, dem es gefiel, Selfies seines Gemächts aus den Amtsräumen des Stadtammanns seiner Freundin zu schicken. Daraus entwickelte sich ein ziemliches Schlamassel, aus dem niemand unbeschädigt herauskam.

Nicht nur die direkt Beteiligten bekamen etwas ab; auch der PR-Mensch Sacha Wigdorovitz machte seinem Namen als Katastrophen-Sacha alle Ehre, allerdings in eigener Sache. 2017 war dann Ende Sonntagszeitung.

Arthur Rutishauser ist schon längst als Oberchefredaktor zu Tamedia abgeschwirrt, und obwohl der Verlag tönt, dass mit der «Schweiz Am Wochenende» der Sonntag halt schon etwas früher anfange, handelt es sich um eine Sparmassnahme. Denn so ersetzt die ehemalige Sonntagszeitung alle Samstag-Kopfblätter im Hause, und das sind seit dem Joint Venture mit der NZZ immerhin zwei Dutzend.

Saubere Aufteilung in drei Bünde

Mit Fr. 3.90 ist die SaW immerhin mit Abstand die günstigste Wochenendzeitung, der Leser kann also auch sparen. Was bekommt er dafür geboten? Wir haben die Ausgabe vom 8. August gewogen – und für leicht befunden.

Die SaW ist relativ sauber in drei Bünde aufgeteilt. Der erste Bund ist der Mantelteil, hier werden Inland, Ausland, Wirtschaft, der Geldonkel und die Kommentare abgefeiert. Je nachdem können im Inland auch lokale Themen von überregionaler Bedeutung reingehebelt werden, was ganz schön Koordinationsaufwand erfordert.

Sozusagen gesetzt war an diesem Wochenende das Thema «Schulstart». Hier kommt die SaW nicht über eine Pflichtübung hinaus. Riesiges Aufmacherfoto auf Seite eins, dann eine Doppelseite mit einem weiteren Bildanteil von mindestens ein Viertel. Lauftext, Interview mit dem Fachmann, der Blick ins Ausland. Dann beteiligt sich die SaW am obligatorischen Ratespiel, welche neuen Akzente wohl der SVP-Präsident aus dem Tessin setzen könnte, sollte er gewählt werden.

Wir überblättern das Ausland – und die Wirtschaft

Wir gönnen uns einen kräftigen Schluck doppelten Ristretto und überblättern das Ausland (Weissrussland, Kommentar zu Beirut und der abgängige Ex-König von Spanien). Dann auf einer Doppelseite ein Beitrag zum Thema «Journalisten interviewen Journalisten». Sprung über den Röstigraben, hat das der Blattmacher sicher genannt; also wird der Deutschschweizer Leser mit den Ansichten eines TV-Nachrichtensprechers aus der Welschschweiz in den Schlaf gewiegt. Anlass ist die welterschütternde News, dass er zu einem französischen Privatsender wechselt.

Auch die Wirtschaft leidet sichtbar unter der Hitze, Corona und Impfstoff, Glaceketten, bei der SBB regnet es in die Züge, na ja. Auf der Kommentarseite zeigt der Chefredaktor des St. Galler «Tagblatt», dass er mühelos in der Lage ist, so inhaltsleer, dabei aber so arrogant vor sich hin zu blubbern wie der publizistische Leiter Pascal Hollenstein.

Wespen und Verschweizerung

Nach mageren drei Seiten Sport beginnt im zweiten Bund der Teil «Regionen». Hier wird schön nach Kantonen verteilt abgefüllt, was da so anfiel. Wie schlimm es um die Nachrichtenlage steht, merkt man deutlich am Titel einer mit grossen Bildanteil auf mehr als eine Seite aufgeblasenen Story: «Wespen beschäftigen die Aargauer Feuerwehren». Auch einem als «Essay» angepriesenen Text «Basel verschweizert» wäre eigentlich nach einer Seite der Schnauf ausgegangen (und das wäre gut so gewesen). Aber mit einem über die Doppelseite gezogenen, riesigen roten Balken, sauber im Falz platziert das Kreuz, wird auch hier eine Doppelseite rausgeschunden.

Ein wunderbares Bildthema ist dann auch «Der Coronaleere auf der Spur». Eine Bilderreise zu, genau, leeren Orten und Plätzen. Wahnsinn, die Doppelseite zum Meditieren, ruhen und oooohm sagen.

Schliesslich noch sozusagen das Spielbein, der letzte Bund. Man merkt, dass es hier darum geht: Muss weg, erreicht sonst das Verfallsdatum. Also überrascht uns die SaW hier mit einem Dreiseiter über den US-Präsidentschaftskandidaten Joe Biden. Mann und Werk, ein fabelhafter Ausflug ins SMD, in Google und in ein paar Archive von US-Medien. Leicht geschüttelt und eiskalt serviert.

Wird das Wochenende länger?

Auch wenn die Salzburger Festspiele dieses Jahr nur ein reduziertes Programm anbieten; wenn man schon den Kulturredaktor ins Ausland lässt, Eintritte und Hotelaufenthalt zahlt, dann ist es klar, dass auch daraus mindestens eine Riesenstory werden muss. Und sonst, fällt etwas auf, bleibt etwas hängen? Ehrlich gesagt: nein. Selbst die Reise-Seite mit Tipps für schöne Schweizer Wasserlandschaften, nun ja. Immerhin: Es sieht so aus, als wären hier die eigenen Kräfte bemüht worden, ohne Sponsoring.

Wird also mit der «Schweiz am Wochenende» der Sonntag wirklich länger, beginnt er schon am Samstag, ersetzt sie den Inhalt der Samstagsausgaben, plus Mehrwert für den Sonntag? Sagen wir mal so: Nicht unbedingt. Das Wochenende kommt einem einfach länger vor, wenn man sich langweilt. Auf der anderen Seite hat man auch dieses Blatt relativ schnell durchgeblättert. Ohne dass man durch herausragende Artikel dabei behindert würde.