Eine Medienkritik und ihre Geschichte

Dritte Lieferung. Hier werden Fundstücke obduziert, um ihre Todesursache zu finden. Heute die Medienkritik in der «Weltwoche».

Medienkritik hat sich zu einem Gefäss für gelegentliche Ausfälle denaturiert. Gilt es, einen neuen, ungeliebten Konkurrenten fertigzumachen, okay. Aber sonst? Traut sich keiner, will keiner, kann keiner.

Logisch, ausser ZA … nein, kein Eigenlob. Sondern: sozusagen der letzte Mohikaner der regelmässigen Medienkritik ist Kurt. W. Zimmermann. Inzwischen viel länger bei der «Weltwoche» unterwegs als beim «Schweizer Journalist» (SJ).

Sympathisch macht ihn, dass er ohne Rücksichten auf Verluste oder eigene Flops gegen alle und alles austeilt. Dabei liefert er sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Frank A. Meyer, wer von beiden mehr Millionen verröstet hat. Der eine bei Tamedia, der andere bei Ringier.

Eine weitere Ähnlichkeit ist: beide neigen dazu, aus eigenem Antrieb oder auch aus fremdem Fertigmacherjournalismus zu betreiben. Frank A. Meyer musste nach der Borer-Affäre wegen übertriebener Härte kurzzeitig auf die Strafbank.

Die Hintergründe zum Wechsel Projers, brühwarm serviert

Das ist Zimmermann noch nie passiert. Aktuell – logisch – nimmt er sich natürlich auch DER News im Medienkuchen an. Wie kann es nur sein, dass Jonas Projer von Blick-TV direkt in den Olymp der Chefredaktion der NZZaS einzieht?

Wofür sogar der dort amtierende und nichtsahnende Chefredaktor weggeräumt werden musste? Ideal für Zimmi, seine Muskeln spielen zu lassen und den bösartigen Insider zu geben. Allerdings mit Hygienemaske vor dem Mund, damit ihm keiner was kann. Weil’s durchaus raffiniert gemacht ist, eine kurze Obduktion.

Steht Zimi mehr auf Michael Mann und Al Pacino?

Der Einstieg muss schon alles klar machen. Projer habe sich mit seinem ersten Auftritt in einer Videobotschaft lächerlich gemacht. Er müsse noch viel lernen, habe er gesagt, seither werde er auf der NZZaS-Redaktion als Dilettant verspottet. Weiss Zimmermann. Weiss dort aber keiner. Ist halt immer so eine Sache mit anonymen Quellen.

Aber schliesslich stimme das auch, wetzt Zimmi das Messer. Projer habe in seinen 15 Jahren Journalismus keine Sekunde auf einer Zeitungsredaktion gearbeitet. Stimmt zwar nicht ganz, hört sich aber gut an.

Erste Zwischenbilanz: das sei so, wie wenn man einen Mann ins Cockpit setze, der vorher als Buschauffeur gearbeitet habe. Abgesehen davon, dass Christian Dorer immer noch als Buschauffeur arbeitet: diese Welten trennen die NZZaS von allen anderen Medien? Wow.

Nun noch die Frage: wieso denn eigentlich dieser Wechsel?

Also, Pfeife am Gerät. Nun zur Frage: warum bloss? Da war Zimmi offenbar das Mäuschen bei Gipfeltreffen in den Häusern NZZ und Ringier. Denn er weiss: die NZZ war angepisst, weil sich unter Luzi Bernet das Blatt immer mehr in ein «bunt-rot-grünes-Jekami» verwandelt habe. Weiss Zimmi, aber auch nur er.

Oder auf Gene Hackman und Francis Ford Coppola?

Auf diesem einsamen Weg geht er weiter durchs «soll doch einer das Gegenteil beweisen»-Gebüsch. Zunächst habe die NZZ Patrik Müller von CH Media und Christian Dorer vom «Blick» die Chefredaktion der NZZaS angeboten. Komisch, dass die beiden davon nichts wissen, und Dorer nun wirklich nicht in Frage gekommen wäre.

Jetzt kommt ein raffinierter Doppelschlag. Wieso hätten die beiden abgelehnt? Aus Loyalität zu ihren Verlagshäusern. Projer, als «zweite Wahl», habe hingegen «kein Problem mit Illoyalität».

Eine interessante, neue Definition dieses Begriffs. Wer bleibt, ist loyal. Wer selber kündigt, ist illoyal. Aha, und wie kann man dann das Verhalten des Ringier-Konzerns bezeichnen, der alleine in den letzten 20 Jahren eine beeindruckende Latte von «Blick»-Chefredaktoren verschlissen hat? Die haben loyal alle nicht gekündigt, die wurden – offenbar bei einem Konzern keinesfalls Ausdruck von Illoyalität – allesamt gefeuert.

Illoyal war das, aber was ist der tiefere Grund für die Kündigung?

Projer ist schlichtweg die erste Führungsfigur beim «Blick», die es gewagt hat, selber zu gehen. Obwohl doch Marc Walder Blick-TV als sein Herzensprojekt, als seinen Liebling bezeichnet. Da kann man dann nicht nur von Illoyalität, sondern geradezu von Liebesentzug reden. Aus der Sicht von Ringier.

Aber wieso ist nun Projer gegangen, er war ja (noch) nicht loyal gefeuert worden beim «Blick». Auch dazu hat Zimmermann eine steile These: er musste gehen, weil er sich «in einer charakterlichen Sackgasse» befunden habe.

Was ist denn das? Nun, Zimmi habe bei Ringier mit Krethi und Plethi geredet; das Urteil sei «so einhellig negativ, dass einiges daran sein muss». Woran? «Egozentrische Drama-Queen», beratungsresistenter «permanenter Besserwisser». Kein Wunder, kam es «regelmässig zum Knall». Bis zum bitteren Ende: «Am Schluss war der nicht teamfähige Projer im Newsroom des «Blick» völlig isoliert.»

Meiner Treu, was man aus Gesprächen mit einem einzigen Informanten, der auch mir ganz heissen Scheiss gegen Projer anbot, herausmelken kann. Ich lehnte ab, weil ich keine ausschliesslich auf anonymen Beschimpfungen basierende Artikel schreibe. Zimmi ist da offenbar schmerzfrei.

Und in welcher Sackgasse befindet sich Zimmermann?

Bleibt nur die Frage, in welche charakterliche Sackgasse sich Zimmermann selbst manövriert hat. Als ehemaliger Angestellter findet er es tatsächlich illoyal, wenn jemand kündigt, weil er etwas Besseres in Aussicht hat? Loyal hingegen sei, solange auf dem Stuhl sitzen zu bleiben, bis die Führungsetage der Besitzer beschliesst, dass da mal wieder eine Rübe runtermuss? Also wurde auch Zimmi loyal beim SJ gefeuert?

Was würde Zimmermann davon halten, wenn man über ihn eine solche Kloake aus nur anonymen Quellen geschöpft giessen würde? Wenn ich Zeit für so einen Quatsch hätte, könnte ich das locker zusammenfantasieren. Ich halte aber nichts von solchem Hinrichtungsstil. Weder bei Zimmermann, noch bei den erregten Tagi-Frauen, die schärfste Anschuldigungen öffentlich herumbieten – mit ausschliesslich unbelegten, anonymen, nicht verifizierten Beispielen.

Briefe und anonyme Zitate, zwei neue Hobbys der Journalisten

Leider stösst auch Michèle Binswanger ins gleiche Horn. Sie hat sich zwar tapfer vom Protestschreiben der 78 Tamedia-Mitarbeiterinnen distanziert, nimmt aber ein anonymes Schreiben, das in der NZZ herumgeistern soll, zum Anlass, auf den designierten Chefredaktor der NZZaS einzuprügeln. Unter Verwendung genauso anonymer, genauso abwertender Meinungszitate von einem angeblichen Headhunter, der Projer für das Allerletzte hält.

Gesprächspartner, die sich sehr positiv über Projer äusserten, lässt Binswanger unter den Tisch fallen, auch sie kennt den guten Satz: Lass dir nie von der Wahrheit eine gute Geschichte kaputtmachen. Auch die Tatsache, dass sie gegenüber Projer nun wirklich befangen ist, hindert sie nicht daran, über ihn herzufallen. Nun, dass Tamedia kein Frauenproblem hat, aber ein Qualitäts- und Qualitätskontrollproblem, das war schon vor diesem Artikel bekannt.

Ex-Press XXIX

Blüten aus dem Mediensumpf.

 

Was macht eigentlich …?

Immer eine beliebte Kategorie der Medien, wenn ihnen gar nichts einfällt. Ergänzt durch taugliche und untaugliche Versuche, sich in Erinnerung zu rufen.

Untauglich war der Versuch von Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger. Nicht mehr im Amt, nicht mehr VR, hat Auftrittsverbot als Conferencier, typisches Altersloch. Also macht er auf sich aufmerksam, indem er ausplaudert, dass auch die Schweiz Lösegeld für Geiseln bezahlt und unter Spesen abgebucht habe.

Riesengebrüll, Strafanzeigen, rote Köpfe. Comeback gelungen. Aber wie?

Ins ewige Lamento der bundesrätlichen Task Forcewarnen, raten ab, ist noch zu früh, besteht die Gefahr») müssen sich auch bewährte Fachkräfte immer wieder zu Wort melden. Schliesslich haben nicht alle geschafft, was Marcel Salathé gelang, ihr unerreichtes Vorbild. Anhaltender Ruhm und ein warmes Plätzchen mit viel Budget erobern.

Eine der Virus-Frauen ergreift wieder das Wort

Also wagt die «Biostatistikerin Tanja Stadler» mal wieder einen Ausblick im Qualitäts-Organ «Tages-Anzeiger». Bevor wir zum Inhalt kommen: geführt wurde es von Nik Walter. Wir sind entsetzt. Ein älterer, weisser Mann, zudem Vorgesetzter von weiblichen Mitarbeitern. Wie das heute bei Tamedia noch möglich ist? Unverständlich. Oder: eine reine Machtdemonstration, eine beabsichtigte Provokation. Aber gut, das werden die Protest-Frauen sicher in einem internen Schreiben aufarbeiten, das wir dann auch lesen dürfen.

Stadler sagt: «Wir setzen den Sommer aufs Spiel». Auch Biostatistiker werden immer gelenkiger, was Interviews betrifft. Sie wissen, was man sonst erzählt, ist nebensächlich. Solange der Namen richtig geschrieben ist. Und man ein knackiges Quote abliefert, das sich als Titel eignet.

 

Der Hausfrauen-Report im Tagi

Wir begrüssen aber ausdrücklich, dass sich der Tagi auch Problemen der Hausfrau annimmt. «Was tun, wenn der Salat «lampt»?» Dagegen und auf 14 weitere ärgerliche Probleme («Was tun mit Fondueresten?», «Keine Sauerei beim Panieren!») weiss Daniel Böniger Abhilfe. Menschlich verstehen wir, dass sich auch ein Restauranttester irgendwie über Wasser halten muss. Aber gendermässig haben wir hier ein echt heikles Problem.

Schreibt ein Mann, kann das als Ausdruck typisch männlicher Besserwisserei ausgelegt werden. Schreibt eine Frau, kann das als typische Rollenzuteilung verstanden werden. Klar: Frau, Kinder, Küche, Kirche. Das wäre eigentlich ein klassischer Fall dafür, dass diesen Text unbedingt ein non-binärer Autor verfassen müsste, einer, der bei der Geschlechtsangabe d (für divers) ankreuzt. Also schon wieder versemmelt. Gerüchteweise wird herumgeboten, dass Arthur Rutishauser und Pietro Supino betroffen sind und das Problem sehr ernst nehmen.

 

Ratgeber für Selbstverteidigung verfolgter Frauen?

Schliesslich, aller schlechten Dinge sind drei: «Damit sich Frauen sicher fühlen». Endlich, ein Ratgeber, wie sich frau auf Tamedia-Redaktionen verhalten soll? Tränengasspray in der Hand, Selbstverteidigungskurse gratis, in denen der berühmte Tritt ins männliche Gemächt geübt wird? Nein. Zunächst: auch hier ist der Autor ein Mann. Als ob der sich in die Angst der Frauen beim abendlichen Heimweg hineinfühlen könnte. Ein Skandal.

Moment, vielleicht gibt es hier doch Rettung. Denn der Mann schreibt:

«Dabei wird vermehrt von Männern eingefordert, Verantwortung in der Sache zu übernehmen.»

Genau, wenn Frauen Angst haben, muss der Gentleman, der sanfte Mann, zu Hilfe eilen. Nun, das ist so old school, vergesst es, rät Martin Fischer. Heute wird vom Mann ganz anderes gefordert.

Ganze 8 Ratschläge hat Fischer parat. Darunter «Abstand halten, Strassenseite wechseln», «klare Signale geben, mehr lächeln», «mit anderen Männern reden» und «Einverständnis einholen». Wozu? Also wirklich, welches Macho-Dummerchen hat das gefragt? «Nur weil man zum Beispiel eine Frau nach Hause begleitet hat, ist das noch kein Freipass, sie küssen zu dürfen», weiss Corina Elmer von der «Frauenberatung sexuelle Gewalt», bei der sich Fischer Rat geholt hat.

Da bin ich nun verblüfft; bislang habe ich das immer ohne Einverständnis getan, unbeschadet von Alter, Aussehen oder allfälliger Gegenwehr. Darauf sagte ich immer: «Du willst es doch auch», und dann war Ruhe. Im umgekehrten Fall hielt ich schliesslich auch still. Aber das ist nun vorbei.

 

Warum trauen sich die Frauen der anderen Medienhäuser nicht?

Wir warten schon sehnlich darauf, dass sich endlich die belästigten, unterdrückten, an fehlender Motivation und ständiger Verteidigungshaltung leidenden Frauen von Ringier mit einem eigenen Protestschreiben melden. Es weiss doch jeder, dass bei dieser Machomännerkultur in der «Blick»-Familie Zoten, sexistische Sprüche, üble frauenfeindliche Witze zum Alltag gehören. Schon lange haben sich Frauen abgewöhnt, Röcke zu tragen, so oft wurde ihnen frech an den Oberschenkel gegrapscht. Frauen gehen nur zu zweit auf die Toilette, und abends auf dem Heimweg fürchten sie sich nicht vor fremden Männern, sondern vor ihnen nachstellenden Vorgesetzten, die sich mit haltlosen Versprechen Einlass in Wohnung und anderes verschaffen wollen.

Vom Sündenpfuhl «Schweizer Illustrierte» ganz zu schweigen, da amtiert bekanntlich ein Chef, der schon übel wegen sexistischem Verhalten angegangen wurde. Leider haltlos und – wie üblich – ausschliesslich aufgrund anonymer Denunziationen. Vielleicht gibt es sogar bei der «Glückspost» dunkle Ecken, wo machtgierige Männer es mit wehrlosen weiblichen Opfern treiben.

Aber: Ruhe im Karton. Nichts. Omertà, das Schweigen der Opfer. Wir wagen uns nicht vorzustellen, welches Terrorregime hier herrschen muss, dass es keine einzige Frau wagt, ihre Schwestern bei Tamedia zu imitieren oder zu unterstützen. Wobei, mal ehrlich, würden Sie Christian Dorer, dem «Blick»-Überchef, frauenfeindliche Übergriffe zutrauen? Also ich nicht, aber man weiss ja auch: die Harmlosen sind die Gefährlichen.

 

Ebenfalls stilles Leiden anderswo

Das gilt übrigens auch (bis jetzt) für CH Media, für die NZZ, die «Weltwoche», nau.ch, blue news, «watson», «Die Ostschweiz» – und sogar für «20 Minuten». Die frauenfreundliche Insel im Meer der Machos bei Tamedia. Selbstredend haben wir bei ZACKBUM auch keinerlei Probleme mit Sexismus. Und wenn, haben wir genügend Meldestellen errichtet und stehen auch in ständigem Kontakt mit psychologischen Beraterinnen.

Erstaunlich auch, dass selbst beim «Nebelspalter» noch keine Frauenbewegung erkennbar ist. Aber vielleicht ist auch die hinter der Bezahlschranke verborgen. Aufhorchen liess allerdings, dass der VR-Präsident höchstpersönlich einen Link zu einer, nun ja, wirklich nicht jugendfreien Webseite verschickte und dann behauptete, der habe sich «eingeschlichen». Aus seiner Leseliste etwa? Nein, das wollen wir nicht einmal denken.

 

 

Buster Keaton auferstanden im Nebelspalter?

Ihm gelänge es wenigstens, angesichts dieses Erstauftritts eine regungslose Miene zu behalten.

«Unfreiwilliger Humor kommt gerne in Gazetten vor.» Wer hat’s erfunden? Der «Nebelspalter». Das ist dann aber auch schon das einzig Lustige, das vom Start zu vermelden ist.

Der Präsident des VR von «Klarsicht», der Herausgeber des neuen «Nebelspalter», greift gerne selbst in die Tasten. Konrad Hummler war über Jahre hinweg der Autor der intelligentesten Anlegerkommentare, zudem ein literarisch hochstehendes Lesevergnügen. Dann Herausgeber der «Bergsicht», die diese Tradition weiterführte.

Daneben lebte er seine Formulierlust gelegentlich in der NZZ aus. Nun hat er wieder einen eigenen Spielplatz. Verständlich, dass er seine Freunde und Bekannte über das Going Life des neuen Online-«Nebelspalters» informierte und gleich Werbung für sein erstes Stück machen wollte. «Mit Knoblauch zu mehr Substanz» heisst sein Ratgeber für die FDP, der er einen Kurswechsel empfiehlt.

Nun ist es leider so, dass Markus Somm wenig von Humor oder Satire und noch weniger vom Internet versteht. Konrad Hummler hat Humor, aber auch ihn kann man nicht als Digital Native bezeichnen.

Ein einziger, aber unfreiwilliger Brüller am Ersterscheinungstag

Also landete der «Nebelspalter» den ersten und einzigen Brüller am ersten Tag – unfreiwillig. Offenbar stand der Link zum Hummler-Artikel noch nicht fest, als er sein Mail schrieb. In solchen Fällen ersetzt man die Leerstelle durch xxx. Das wird dann brüllend komisch, wenn dieser Platzhalter in einer Webadresse steht www.xxx.ch – und nicht ersetzt wird. Jeder, der mag, kann schauen, was hinter diesem Link steht.

Es habe sich ein Link «eingeschlichen», korrigierte Hummler schnell, von einer «Internetseite, von der wir lieber nichts wissen wollen». Dann lieferte er den richtigen Link nach und dankte «wie immer für kritische Lektüre und Kommentierung». Allerdings: wie bei der vorher verlinkten Webseite gilt auch hier: zuerst bezahlen, dann glotzen.

Kein Altherrenwitz.

Was liess man sich sonst noch für den entscheidenden Moment der Erstauftritts einfallen? Die Verteilung von «Nebelsuppe», die dann doch eine Kartoffelsuppe war, am Bellevue in Zürich. Für Ortsunkundige: in der Nähe der NZZ, bei der Somm auch mal hätte Chefredaktor werden sollen. Und Hummler VR-Präsident war.

Dass CH Media und Tamedia Somm auch hier – wie bei seinem Start mit der BaZ – mit Häme übergiessen würden, war klar. Dass er es ihnen, im Gegensatz zu seinem erfolgreichen Wirken bei der BaZ, so einfach machen würde, das hätte niemand erwartet.

Auch Hinrichtungsversuche können unfreiwillig lächerlich sein

Natürlich gibt es indiskutabel blöde Hinrichtungen, das Stichwort für den Auftritt von Andreas Tobler. Die Allzweckwaffe des Hauses Tamedia kanzelt Somm als «bekennenden Liberalen und Libertären» ab. Entweder weiss Tobler nicht, was der Unterschied ist – oder es ist reine Bösartigkeit, das zu behaupten. Denn diese Unterstellung soll nur das Folgende einleiten: «Das ist Somms bekannte Position: gegen den Staat – auch in der Corona-Pandemie – und für eine deregulierte, ergo anarchische Marktwirtschaft.»

Allerdings hat ausser Tobler noch nie jemand von dieser anarchischen Position von Somm gehört. Dann wirft er dem Gastautor Stefan Millius vor, auch «Halbgares und Lauwarmes» zu präsentieren. Toblers Lieblingsnummer: faktenfrei, aber meinungsschwer Unsinn fabulieren.

Er kann es sogar nicht lassen, auch noch der NZZ ans Bein zu pinkeln, die mit «knalligen rechten und sonstwie reaktionären Positionen» ihren Heimatmarkt bewirtschafte. Eigentlich ein weiterer gelungener Scherz des «Nebelspalter»: Dummschreiber Tobler bestätigt haargenau, was Somm den Mainstreammedien vorwirft.

Aber es geht auch mit Niveau

Auf ganz anderem Niveau kritisiert Christian Mensch bei CH Media. Er bringt die inhaltliche Kritik gnadenlos auf den Punkt:

«Es ist ein Feuerwerk der Ideenlosigkeit, mit der das alt-neue Medium seine Plattform freigeschaltet hat. Eine Boygroup von Journalisten, die er in seiner Zeit als Chefredaktor der «Basler Zeitung» um sich geschart hat, verfasste eine Reihe von meinungsstarken, rechercheschwachen und damit überraschungsfreien Beiträgen in jenen Themenfeldern, in denen sie sich heimisch fühlen

Zu ergänzen bleibt nur: noch nie hat ein Neuauftritt, eine Premiere von was auch immer, ausserhalb von Kino, Oper und Theater, es gewagt, vom ersten Tag an alles – ausser Videos und einen ellenlangen «wer sind wir»-Text – hinter eine Bezahlschranke zu stellen. Das kann man als originell bezeichnen – oder als vollbescheuert.

Selbst Verlage wissen seit der Erfindung des Buchdrucks, dass es ungemein helfen kann, Rezensionsexemplare zu verschicken. Wenn schon nicht fürs Publikum, was aber auch nicht kreuzfalsch wäre, dann doch wenigstens für Multiplikatoren, vulgo Journalisten, hätte es doch eine Einladung zum Herumstöbern geben müssen.

Aber eigentlich wäre man nur dann von der Internet-Kompetenz der Macher überzeugt, wenn sie den ersten Tag, die erste Woche, den ersten Monat als Appetithäppchen gratis angeboten hätten. Denn wenn sie so von ihrem Produkt überzeugt sind, wie sie behaupten, müssten sie wissen, dass das die beste Werbung ist. Wenn sie etwas vom Internet verstünden, wüssten sie, dass das im Gegensatz zum Verschicken von Büchern – gratis ist.

So aber steht der potenzielle Leser und Kunde wie der Ochse vor dem Berg vor der Bezahlschranke. 1.60 pro Artikel (was absurd teuer ist) oder 16 Franken für alles während eines Monats (was in Relation absurd billig ist).

Prinzipien der Marktwirtschaft

Jeder Verkäufer muss von der Qualität seines Produkts überzeugt sein. Jeder Verkäufer weiss, dass er die Kunden anlocken muss, in übervollen Märkten. Vor allem, wenn es Somm trotz aller Eloquenz nicht gelingt, verständlich zu machen, wozu es eigentlich den neuen «Nebelspalter» genau braucht und wo seine Marktlücke, seine USP wäre.

Ich habe die 16 Franken nicht bezahlt, also kann ich leider weder Hummler Feedback zu seinem Artikel, noch Somm zu seinen geradezu egozentrischen Multiauftritten geben. Ausser zwei sicher unwillkommenen Ratschlägen kann ich nichts zum Erfolg beitragen.

Um dieses Desaster des Erstauftritts wegzustecken und zu tun, als wär’ da nix, braucht es einen Gesichtsausdruck wie von Buster Keaton.

So lustig kann ein trauriges Gesicht sein. So traurig kann ein nicht-lustiger «Nebelspalter» sein.

Selbst die nun nicht wirklich marktwirtschaftlich-liberal orientierte «Republik» wusste, wie man die eigene Randgruppe heiss macht und dazu verleitet, das Portemonnaie zu zücken. Die Ähnlichkeit besteht darin, dass beide Organe dank zahlungswilligen Investoren starten konnten. Bei der «Republik» im Wesentlichen ein Brüderpaar, beim «Nebelspalter» ein Sack Flöhe von 70 Investoren.

Wunder gibt es immer wieder – hoffentlich

Aber wenn lupenreine Vertreter der liberalen Marktwirtschaft, die nicht an die eigene Mission, sondern an die entscheidende Reaktion des Marktes glauben ­– trifft das Angebot auf genügend Nachfrage –, dermassen den Start versemmeln, zudem weitgehend humorfrei, dann kann man nur auf Wunder hoffen. Denn für eine wirkliche Lernkurve, dafür sind die Beteiligten zu selbstüberzeugt, und wenn sie in der kurzen, aber ausreichenden Vorbereitungszeit das Funktionieren des Internets nicht kapiert haben, dann werden sie das wohl auch nicht schaffen, bevor das Startkapital aufgebraucht ist.

Que pena, sagt man auf Spanisch in solchen Fällen, welcher Schmerz, welche Pein, dermassen enttäuscht worden zu sein, und das auch überhaupt nicht lustig zu finden.

 

 

 

Der neue Nebelspalter: verhüllt im Nebel

Eigentlich hätte hier die erste Rezension des heute neu im Internet aufgepflanzten Nebelspalter stehen sollen.

Aber wir konnten nicht rechtzeitig eine Bezahlschranke hochziehen, tut uns Leid.

Manchmal muss man etwas sehen, um es zu glauben. Wie angekündigt, steht seit heute Morgen früh der neue Auftritt des «Nebelspalter» im Netz. Eine Fülle von Artikeln, aufgeräumt dargestellt.

Ein Jugendstil-Logo, das sich vom Print-Nebelspalter deutlich abhebt. Eine Fülle von Artikeln, oder sagten wir das schon? Aber unter jedem das:

Ohne Bezahlung sagen wir nix dazu.

Ausser bei einer ellenlangen Erklärung, «wer wir sind». Ausser bei einem ellenlangen Interview von Reto Brennwald mit – Überraschung – Markus Somm, dem Chefredaktor und Mitbesitzer. Um die Modernität zu unterstreichen, sind noch weitere Videocasts ohne Bezahlung anzuschauen.

Was nichts kostet, ist nicht viel wert

Da gilt aber leider: was nichts kostet, ist nicht viel wert. Während sich Somm fast eine Stunde mit Brennwald ausspricht, dauert die Sendung «Friendly Fire» immerhin nur eine halbe. Und die Video-Blogs von Tamara Wernli oder «Gioia spricht Klartext» nur ein paar Minuten. Kommen einem aber auch wie gefühlte Halbstünder vor.

Ich habe beide leider nicht verstanden, und Somms Auftritte sind zu lang für eine Kurzkritik.

Daher kommen wir bereits zur zusammenfassenden Würdigung. Es ist – vom liberalen. neoliberalen oder welchem Standpunkt auch immer – absurd, ein neues Projekt so zu starten, dass der Konsument zuerst Eintritt bezahlen muss, bevor er das Angebot visionieren darf.

Es ist hirnrissig, nur ellenlange Selbstdarstellungen plus die dem Zeitgeist geschuldeten Kurzauftritte von zwei Frauen als Appetithäppchen (vielmehr -happen) zu servieren. Es ist zumindest der Eile geschuldet, dass man sogar wählen kann, ob man «Friendly Fire» als Video oder als Podcast konsumieren will.

Es ist abschreckend, dass selbst der dritte Auftritt von Somm, das Editorial, hinter der Bezahlschranke versteckt ist.

Möglicherweise werde ich mich entscheiden, die 16 Franken (waren es nicht mal 18?) abzudrücken.

Aber ein Witz ist Somm und seiner Mannschaft gelungen.

Sigmund Freud definiert ihn als enttäuschte Erwartungshaltung.

Präventive Panik

Medienkonsumenten sind entweder Hellseher oder nicht ganz dicht. Kündigt sich eine Veränderung an, reagieren sie vorsichtshalber mal mit der Annahme des Schlimmsten. War immer so und ist auch aktuell so.

Von Stefan Millius*

Kindheitserinnerung: Wenn das Leibblatt meiner Eltern in den 80er-Jahren, das St.Galler Tagblatt, alle paar Jahre leicht am Layout schraubte, herrschte Ausnahmezustand. Der Vater genervt, die Mutter erbost. Warum denn nur, warum, es war doch alles gut, und jetzt findet man in dieser Zeitung einfach gar nichts mehr. Zwei Tage später erinnerten sie sich nicht mehr daran, wie sie früher aussah.

Layoutfragen sind heute kein Thema mehr. Dafür herrscht viel Angst vor anderen Veränderungen. Ein anderer Besitzer, eine neue Chefredaktion: Da kommen Beschwerden, Unruhe und Vorwürfe auf, bevor der Wechsel überhaupt vollzogen wird. Der Tenor: Sind Leute im Spiel, die politisch auf der anderen Seite stehen, muss es einfach schlecht werden. Es ist, als würde man dem unsympathischen Primarschüler mit den lästigen Eltern einfach mal eine Eins verpassen, bevor er die Prüfung überhaupt auf dem Tisch hat.

Pluralistisch, aber keiner merkts

Als Blocher bei der Basler Zeitung einstieg, war allen klar: Nun kommt der «Stürmer» Nordwestschweizer Prägung. Die Leute gingen auf die Strasse, um gegen das neue rechte Medium zu demonstrieren, bevor irgendetwas passiert war. Nur aufgrund der Ankündigung.

Die Wahrheit sah anders aus. In der Redaktion gab es auch unter den neuen Besitzern kein grosses Aufräumen, zumindest kein von oben verordnetes, und ein Altlinker wie Helmut Hubacher fühlte sich als Kolumnist weiter pudelwohl. Die BAZ war vermutlich in jener Ära die pluralistischste Zeitung der Schweiz, in der sich die Pole munter Debatten lieferten, was man von den selbstdeklarierten «Forumszeitungen» bis heute nicht behaupten kann. Es sei denn, man hält ein zum Gähnen langweiliges «Pro und Kontra» zweier Nationalratshinterbänkler für den Olymp der Meinungsvielfalt.

Alles Faschos

Nun wiederholt sich die Geschichte mit dem «Nebelspalter», der neu «klar liberal» sein soll mit 70 vermutlich eher vermögenden Investoren und dem rechtsbürgerlichen Markus Somm als Chefredaktor und Verleger. Twitter implodierte in den Tagen vor dem Start der erneuerten Marke förmlich unter Prognosen, die sich durch eines auszeichneten: Sie gingen vom Schlimmsten aus, bevor auch nur ein einziger Text online war.

Eine kleine Auswahl von Twittermeldungen:

  • «Der Nebelspalter wird unter Markus Somm nur noch gegen rote Fäuste kämpfen, die braunen werden liebevoll geschüttelt.»

  • «Es scheint ein rechtspopulistisches Satireblatt zu werden, das sich getrauen wird, das auszusprechen, was andere nicht tun. Das ist meistens rechter Code für Hetze und Falschbehauptungen.»

  • «Markus Somm will weiterhin den kritischen Nebelspalter drucken lassen und dafür mit der Onlineausgabe den rechten Hetzern in den Arsch kriechen.»

  • «Jemand, der den Nebelspalter nie ansatzweise begriffen hat, darf sich da propagandistisch austoben.»

  • «Somm verschliest seinen faschistischen Nebelspalter hinter der Paywall. Gut so. Rechtsradikale Scheisse gibt’s schon genug im Netz.»

Diese Auslese entstand bis Mittwochabend, 17. März 2021, also etwa zwölf Stunden, bevor der neue Nebelspalter online ging. Sprich: Ohne einen einzigen Text gesehen zu haben, stand für die besagten Leute und viele weitere – es ist eine wirklich kleine Auslese – fest, dass die Onlinzeitung faschistisch ist, rechtsradikale Scheisse produziert, rechten Hetzern in den Arsch kriecht und überhaupt irgendwie, naja, rechts ist.

Empörung statt Neugier

Dass Markus Somm als Verleger und Chefredaktor kaum ein trotzkistisches Kampfblatt auf den Markt wirft, ist eine verlässliche Annahme. Auch, dass das 1. Mai-Komitee nicht zu den Investoren gehört. Von dort bis zum faschischisten Hoforgan ist es allerdings ein ziemlich weiter Weg. Und: Was ist eigentlich aus dem guten alten «Na, dann schauen wir mal und sind gespannt» geworden? Aus einer wohlwollenden Neugier auch gegenüber etwas Neuem, hinter dem nun nicht gerade die besten Freunde stecken?

Auffällig auch, dass die Präventivpanik und der Vorausprotest meist von links kommen. Bei der «Republik» zeichnete sich früh ab, dass dort eine Brigade arbeiten wird, die nicht nur gemeinsam schreibt, sondern auch den Stimmzettel identisch ausfüllt. Aber von rechts warnte vor dem Startschuss niemand davor, dass hier eine neue linke Medienkraft entsteht. Warum auch?

Unmöglicher Gegenbeweis

Hätten sie Geld und Zeit ohne Ende, müssten Zeitungen, die so mit Vorschussdisteln eingedeckt werden, eigentlich ein Experiment wagen und die ersten drei Monate genau das Gegenteil von dem tun, was man von ihnen befürchtet. Eine Kolumne für Schweden-Greta, das Konterfei von Paul Rechsteiner als Seitenhintergrund, das Tagebuch von Cédric Wermuth als Serie und so weiter. Und das nicht im Satirebereich, sondern im heiligen Ernst.

Das dürfte Somm und Co. zu doof sein. Aber selbst wenn sie ihr Versprechen einlösen und alle Stimmen einbinden und den Dialog zwischen links und rechts ermöglichen, wird die zitierte Twittergemeinde bis zum jüngsten Tag röhren: Rechtsfaschistische Scheisse! Sie haben es getan, ohne etwas gesehen zu haben, in Zukunft können sie eine selektive Auswahl aus dem Textangebot nehmen und sich bestätigt fühlen.

Die Wahrheit ist: Es spielt in solchen Fällen gar keine Rolle, was drinsteht. Entscheidend ist nur, was draufsteht. Die «falschen» Investoren, der «falsche» Verleger: Dann muss es einfach falsch werden.

*Packungsbeilage: Der Autor ist freischaffender Mitarbeiter beim Nebelspalter.

 

 

 

Eine Story und ihre Geschichte

Beginn einer neuen Rubrik. Hier werden Artikel obduziert, um ihre Todesursache zu finden. Heute die «SonntagsZeitung».

Beginnen wir die Leichenfledderei mit einem unserer Lieblingsorgane. Dort von einem unserer Lieblingsautoren geschrieben. Immerhin der Wirtschaftschef und somit Publizist in einer Latte von Kopfblättern, meldet sich am Sonntag zu Wort: «Schweiz verliert durch Steuerflucht 5,7 Milliarden pro Jahr».

Damit betritt Peter Burkhardt natürlich Neuland; die Schweiz ist also nicht mehr eine Steueroase, wo viele Reiche ihr Geld in Sicherheit bringen, statt ihren sozialen Verpflichtungen an ihrem Steuersitz nachzugehen? Erschütternd.

Rund 75’000 zusätzliche Krankenpfleger könnte sich die Schweiz von diesem Geld leisten, was ja auch dringend nötig wäre, um die Folgen einer völlig verfehlten Personalpolitik zu korrigieren.

Hat Burkhardt irgendwas selbst gemacht?

Ist denn Burkhardt aufgrund seiner tiefschürfenden Recherchen auf diese Zahlen gestossen? Aber nein, dazu hat heute ein Wirtschaftschef doch keine Zeit mehr. Er muss seine kleiner und kleiner werdende Work Force verteilen, sonstigen administrativen Kram erledigen und immer wieder Optimismus ausstrahlen, dass auch mit weniger Resourcen in jeder Form immer bessere Ergebnisse erzielt werden könnten, der Leser überhaupt nicht merke, wie man auf dem Zahnfleisch geht.

Daher hat er die Zahl der 75’000 Pflegekräfte wie auch die 5,7 Milliarden – wie man weiter unten erfährt, handelt es sich um Dollar – vom Tax Justice Network (TJN). Das hört sich zunächst mal ziemlich amtlich an; Netzwerk für Steuergerechtigkeit. Welchem Regierungs- oder Uno-Departement ist das TJN angeschlossen?

Schön, aber wer kontrolliert die Kontrolleure?

Keinem. Es ist eine private Non-Profit-Organisation mit Hauptsitz in London. Rund 20 Nasen arbeiten hier und basteln Jahr für Jahr Berichte, «The State of Tax Justice». Ranglisten, Indizes wie der «Schattenfinanzindex» liefern zusätzliche Munition für alle Bekämpfer von Steuerhinterziehung oder Steuervermeidung.

Wie berechnet TJN diese exakten Zahlen?

Wie kommt TJN nun auf diese Zahl? Eigene, umfangreiche Recherchen? Nun ja, TJN stützt sich auf Zahlen der OECD. Das ist nun aber irgendwie amtlich? Aber nein, das ist einfach ein Zusammenschluss von 37 gewichtigen Ländern. China, Russland, Indien oder Brasilien sind zum Beispiel nicht Mitglied in diesem exklusiven Club, der in einem ausnehmend hübschen Schlösschen bei Paris residiert.

Hier lässt sich’s leben wie Gott in Frankreich.

Bei der OECD gibt es die Financial Action Task Force (FATF), die sogenannte Standards für die Bekämpfung von Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung setzt. Ist FATF wenigstens …? Aber nein, das ist eine Organisation, die von den G7 ins Leben gerufen wurde, was wiederum, aber das würde nun zu weit führen.

Also zurück zu TJN. Das Netzwerk stützt sich also auf Zahlen der OECD, die wiederum Kriterien benutzt, die von FATF gesetzt werden. Daraus ergibt sich, dass Unternehmen jährlich mit 881 Millionen Dollar die Flucht antreten, Private sogar mit 4,8 Milliarden.

Sind die Zahlen verlässlich und belastbar?

Damit entgingen der Schweiz 4 Prozent des jährlichen Steueraufkommens, Niederlande, Luxemburg und die USA seien die Profiteure. Auf der anderen Seite gewinne die Schweiz, immer aufgrund des TJN-Berichts, durch hierher Flüchtende zusätzlicher Steuereinnahmen von 12,85 Milliarden Dollar. Also unter dem Strich profitiere die Schweiz.

Sind die Fakten und Zahlen verlässlich, mit denen das errechnet wird? Wie soll das zum Beispiel bei privaten Steuervermeidern genau gehen? Unterscheidet das TJN zwischen völlig legaler Steueroptimierung und strafbarer Steuerhinterziehung? Mit solchen Kleinigkeiten kann sich doch ein Wirtschaftschef nicht aufhalten.

Er brauchte sowieso schon einige Zeit, um seinen Lesern diesen Bericht zu präsentieren. Denn der wurde im November 2020 publiziert. Aber am 14. März 2021 ist das sicher immer noch aktuell, denkt sich Burkhardt.

Selbstkritik ist was anderes

Tamedia berauscht sich am neusten «Qualitätsreport». Alles in allem alles super; stinksaure Frauen kommen nicht vor.

Gutes Timing ist alles, das weiss jeder Journalist (und jeder Politiker). Zu früh ist schlecht, zu spät auch. Und dann gibt es noch die ärgerlichen blöden Zufälle. Wie zum Beispiel den, dass der als Zubrot vom ehemaligen Tagi-Chefredaktor Res Strehle jährliche «wir klopfen uns auf die Schulter»-Report ausgerechnet dann erscheint, wo Tamedia in den Schlagzeilen ist wegen angeblich unerträglicher Behandlung von Mitarbeiterinnen.

Aber davon soll der Gottesdienst natürlich nicht gestört werden, auch im Interview mit persoenlich.com wird Strehle nicht auf dieses sehr dominante Thema angesprochen. Wahrscheinlich aus der Überlegung heraus: Steht in diesem Report nicht drin, also lassen wir das.

In dem Report stehen klitzekleine Kritiken und ein grosses Lob.Gespendet von völlig unabhängigen Experten wie dem Rentner Felix E. Müller, Vinzenz Wyss und Otfried Jarren.

Das «Magazin» soll spitze sein?

Wie der – von Strehle an der Hand geführt – zum gemeinsamen Schluss kommen kann, dass das «Magazin» in «allen Qualitätsuntersuchungen» gut wegkomme und das Thema Corona ansprechend abgehandelt habe, ist schleierhaft. Diese zum Skelett abgemagerte Ruine, wo früher einmal ein wirklich hochstehendes Magazin gestaltet wurde, mit guten und extra dafür durchgeführten Reportagen, Essays und Analysen.

Um das so zu sehen, reicht schönsaufen nicht aus, da müssen auch verbotene Substanzen im Spiel gewesen sein. Ebenso bei dieser krachlustigen Selbstbeweihräucherung von Strehle zu Corona: «Das Qualitätsmonitoring kam insgesamt zum Schluss, dass die Tamedia-Redaktionen mit hoher Kadenz zu diesem Thema berichteten und dabei eine Mischung von vermittelnder und behördenkritischer Berichterstattung boten.»

Echt jetzt? Von welchen Redaktionen spricht er da? Gibt es ein Paralleluniversum, in dem ein solcher Tamedia-Konzern existiert? In unserer Welt wurden in hoher Kadenz Forderungen, Kritiken, fachmännische Meinungen von Laienjournalisten im Wechsel mit geradezu kriecherischer Übername aller offiziellen Positionen geboten.

Offenbar ist im ganzen Thema Qualitätskontrolle bei Tamedia der Wurm drin. Da darf eine Mitunterzeichnerin eines Protestschreibens in aller Objektivität untersuchen, ob die darin erhobenen Vorwürfe auch zutreffen. Und hier darf ein durch seine Flexibilität in Erinnerung gebliebener Ex-Chefredaktor einen Qualitätsraport federführend gestalten?

Der Begriff Feigenblatt ist da geradezu ein Euphemismus.

Feigenblatt? Sitzt.

Was über die Schweiz im Ausland gequatscht wird

Der Schweizer zuckt meistens zusammen, wenn über ihn im Ausland geschimpft wird. Ganz falsch.

Es ist eine Schweizer Unart, dass vor allem nach etwas konfliktiven Abstimmungen nicht nur eine Presseschau aus dem Inland, sondern gleichzeitig eine aus dem Ausland gemacht wird.

Was sagen die Medien in den umliegenden Staaten? In der Welt? Sind sie mal wieder böse mit der Schweiz? Oder loben sie gar etwas? Diese Fixierung wird unnötiger denn je. Denn nicht nur in der Schweiz sind die meisten Medien bis zum Skelett ausgehungert und zur Agonie flachgespart.

Selbst beim ehemaligen Vorbild im deutschen Sprachraum, dem einstmals grossen Nachrichtenmagazin «Der Spiegel», sind frühere Qualitätsansprüche längst Sparmassnahmen und Gesinnungsjournalismus zum Opfer gefallen. Nicht nur dort, aber wir nehmen das Organ als Beispiel für die allgemeine Malaise; innerhalb und ausserhalb der Schweiz.

Beim «Spiegel» darf die frühere Schweiz-Korrespondentin der «Süddeutschen Zeitung» die Meinungshoheit übernehmen, wie der «Spiegel»-Leser die sogenannte Burka-Abstimmung zu verstehen hat.

Klares Ergebnis: ein Sieg der Intoleranz

Charlotte Theile kann daher wenige, dünne Fakten mit einer dicken Schicht Gesinnung, Meinung, Vorurteil und Kritik zuschmieren. Ähnlichkeiten mit der Schweizer Wirklichkeit, zudem für Deutsche erklärt: zufällig bis nicht vorhanden. Wie beschreibt Theile den Abstimmungskampf? «Im bekannten scharfmacherischen Propagandastil der Schweizer Nationalkonservativen …». Und wer genau? «Hinter dieser Initiative steht das in der Schweiz berüchtigte Egerkinger Komitee.»

Welche Schlüsse sind nun aus der Annahme der Initiative zu ziehen? Oder nach der Befürwortung des «Burkaverbots»? «Ein Sieg der Ignoranz», doppelt Theile in einem Kommentar noch nach. «Verheerende Symbolpolitik gegen Muslime», «könnte zur Radikalisierung führen». Schlimm, schlimm: «Wieder einmal ist es Populisten in einem europäischen Land gelungen, Stimmung gegen Muslime zu machen.»

Ausgeschlossen, dass es fundamentalistischen Irren im Namen dieser Religion gelungen sein könnte, mit Terroranschlägen Stimmung zu machen. Aber Theile weiss: «Wer tatsächlich Politik für eingewanderte Frauen machen und jenen helfen will, die unterdrückt werden, müsste an anderen Stellen ansetzen.» Nur behält sie leider für sich, an welchen denn.

Was Recht ist, bestimmt nur eine: Theile höchstpersönlich

Dann sattelt sie noch ein Werturteil auf eine falsche Voraussetzung drauf: «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Gerade liberale Politikerinnen und Politiker stellen sich in der Schweiz deshalb gegen das Verbot. Zu Recht.» Die Gleichheit vor dem Gesetz ist ein weit verbreiteter Irrtum; wer sich nach einem Abstimmungsergebnis weiterhin gegen das Resultat stellt, tut das nicht zu Recht. Sondern ist im Unrecht und ein Undemokrat.

Was meint eigentlich Mathieu von Rohr, Ressortleiter «Ausland» beim «Spiegel» und von Haus aus Schweizer? «Dass Medien nach einer Abstimmung den Ausgang kritisch kommentieren, ist in meinen Augen nichts Neues, das gibt es von links wie von rechts.» Das hat auch niemand bezweifelt, mir ging es aber mehr um die Frage, ob es der «Spiegel» nicht für sinnvoll hält, dass seine Berichterstattung gewisse Ähnlichkeiten mit der Schweizer Wirklichkeit haben sollte. Was hier eindeutig nicht der Fall ist, und da gab es doch schon ganz bedauerliche Auswüchse des Schreibens in der Gesinnungsblase.

 

 

 

Ein Journalist namens Surber

Auch so ein hasserfüllter Kämpfer für das Menschenfreundliche, Gute, Richtige und Unbezweifelbare.

Sie gleichen sich verblüffend. Es ist ein weit verbreiteter Typus im modernen Elendsjournalismus. Der mehrfach diplomierte Schreiber, der das Kunststück schafft, gleichzeitig mit dem Zeigefinger zu fuchteln, während er die Tasten betätigt.

Peter Surber verkörpert diese balzacsche Elendsgestalt exemplarisch. Sein erstes Diplom: Er ist ein Schnorrer. Denn fast immer können die Organe, für die Surbers schreiben, nicht aus eigenen Kräften überleben. Eigene Kräfte würde bedeuten: sie stellen etwas her, was genügend Interesse beim Publikum findet, damit auch genügend Geld reinkommt.

Die andere Möglichkeit wäre, seiner Überzeugung, seiner Mission auch aus eben diesen Perspektiven nachzuleben. Und sich die Kohle anders zu verdienen. So wir das bei ZACKBUM auch tun.

Aber niemals, Surber hat nur eine Gesinnung, wenn er dafür bezahlt wird, sie auszudrücken.

Dem stehen aber verschiedene Vorwände entgegen, wieso das nicht möglich sei. Surber arbeitet als Redaktor für das St. Galler «Kulturmagazin Saiten». Das Blatt hat eine Auflage von 5600 Exemplaren. Damit werden 2’200 «Vereinsmitglieder» beliefert und der grosse Rest liegt «in über 250 Kulturinstitutionen und in ausgewählten Restaurants und Geschäften auf». Der neuste Quatschtitel über die Nadel allerdings eher weniger.

Also Geschäftsmodell «TagesWoche», nur lud die den Grossteil ihrer Auflage in Flughäfen ab. Der Unterschied: die «TagesWoche» ist verröchelt, «Saiten» gibt es noch. Die Gemeinsamkeit: Beide Organe wurden oder werden von der «Stiftung Medienvielfalt» ausgehalten. Die übrigens auch dem Quatschblatt «watson» unter die Arme greift.

Geld vom Daig? Wo hört Kultur auf?

Die Stiftung wiederum verbrät damit das Geld einer reichen Pharma-Erbin. Pharma! Basel! Daig! Jeden aufrechten Kämpfer für das Gute und Bessere stellt es die Nackenhaare auf, wenn das Wort Big Pharma fällt. Ausser, man kann gut davon leben.

Zweites Diplom: Was Kultur ist, bestimmen wir. Ein «Kulturmagazin» hat’s natürlich viel leichter, milde Gaben zu erbetteln oder harmlose Leser um «Unterstützung» zu bitten – als ein ganz normales, linkes Wäffelblatt. Erklärung? Einfach. Die Ostschweizer Medienlandschaft «gleiche zunehmend einer Monokultur». Wie wahr, also was tun? «Der gesellschaftliche Diskurs zu sozialen und kulturellen Themen findet kaum noch Platz in den Medien.» Wäre mir neu, aber ich bin ja kein Ostschweizer.

«Durch diese Veränderungen fällt dem Ostschweizer Kulturmagazin Saiten eine neue Rolle zu: Wir sind dadurch vermehrt gesellschaftliche Impulsgeber, Kommentatoren, Seismografen.» Wunderbar, und wie durchbricht «Saiten» diese Monokultur? Nun, einige angepriesenen Themen des Februarhefts: «50 Jahre Frauenstimmrecht», «Reisen 1980 im Sudan», «indonesische Ultras». Unglaublich, wie global doch die Ostschweiz geworden ist.

Dem Seismographen helfen auch gerne fremde Federn

Gerne übernimmt man auch Rechercheergebnisse befreundeter Organe; so beispielsweise einen launigen WoZ-Bericht über «Hummlers Hofstaat», als gerade dessen Bank Wegelin von den USA geschlachtet wurde. Der Ex-Banquier regte sich fürchterlich darüber auf. Als er sich wieder abgeregt hatte, bemängelte er immerhin zu Recht, dass wie es sich für solche Demagogenartikel gehört, er keine Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen hatte.

Diplom drei: Man verwendet gerne zugespielte Dokumente und lässt sich dadurch für unbekannte Motive instrumentalisieren. Macht die «Republik» regelmässig (auch am Saugnapf der Stiftung), macht «Saiten» ab und an, so beim Knatsch um die Lokremise.

Letztes Diplom: Man ist keinesfalls käuflich, niemals. Nur: «Dieses Heft ist in Kooperation mit der Gemeinde Lichtensteig entstanden und von dieser mitfinanziert.» Was nun aber so was von null Einfluss auf die unabhängige, kritische Berichterstattung hatte, aber hallo.

Das Heuchlerdiplom gibt’s ausser Konkurrenz

Ausser Konkurrenz läuft diese Auszeichnung: das Heuchlerdiplom am Band mit Brillanten. Da ja inzwischen alles Kultur ist, vorausgesetzt, Peter Surber schreibt darüber, gehört natürlich auch dieses Geschimpfe dazu: «Im Fall der Wutbürger, Rechtsparteien und ihren Medienkanälen heisst die Parole: Mehr Egoismus, weniger Staat. Mehr Respektlosigkeit, weniger Solidarität.»

Das sei ein «Kommentar», meint Surber, darunter versteht er offensichtlich: null Fakten, 100 Prozent Häme, Verleumdung, Blödsinn. Und eine sehr gepflegte Sprache. Zuerst bekommt Markus Somm sein Fett ab, offenbar ein Angstbiss angesichts der bevorstehenden Lancierung des neuen «Nebelspalter». Somm «wetterte scharf und widerspruchs-resistent gegen den Bundesrat und den Lockdown». Aha, verwendete Somm zufällig auch Argumente dabei? Ach, damit hält sich doch kein Kommentator auf dem Kriegszug auf.

Aber das ist nur die Einleitung mit einer «besonnenen Stimme im Lärm der Rechtspublizistik». Was ist das schon wieder? Man vermutet: alles, was nicht identischer Meinung mit Surber ist. Weniger besonnene? Bitte sehr: «In der «Weltwoche» geifert Noch-SVP-Nationalrat Roger Köppel gegen den «vollgedröhnten» und «verseuchten» Bundesrat.»

Bevor sich Surber selbst den Geifer vom Mund wischt, muss er noch einen drauflegen: «Auf der Plattform ostschweiz.ch marschiert eine ganze Truppe von Schreibern gegen die Coronamassnahmen auf. Letzten Freitag war es als Gastautor der selbsternannte Tierschützer Erwin Kessler.»

Meinungsfreiheit? Aber doch nicht bei Surber

Vor lauter Schaum vor dem Mund fällt es dem selbsternannten Scharfrichter Surber gar nicht auf, dass er hier doch eine Alternative zur angeblichen medialen «Monokultur» erwähnt. Aber papperlapapp, was soll denn ein Kommentar mit Logik am Hut haben. Lieber weiter ins Gebüsch fahren: «Das war sogar dem «Ostschweiz»-Kolumnisten Gottlieb F. Höpli zuviel.» Der beendete wegen des Gastkommentars von Kessler seine Mitarbeit und liess das gleichzeitig mit dem Chefredaktor der «Ostschweiz» auch alle weiteren «Monopolmedien» wissen.

Surber geht unbeschwert von Logik, Tatsachen und anderen Nebensächlichkeiten in die Zielgerade: «Solche Hass-Attacken (wie die von Kessler, Red.) mehrten und mehren sich in dem Mass, wie die SVP in den letzten Wochen ihren letzten Anstand und politischen Verstand verloren hat …», «Staats- und Sozialabbau», «rechte Scharfmacher»,  Blabla und Blüblü. Ein letzter Stossseufzer: «Man kann sie nicht ändern, denn das Virus bringt nur zutage, was als Haltung, als Charakter, als DNA schon da war.»

Surber als Rassentheoretiker?

Rollen wir das kurz von hinten auf. Surber, der Sozialdarwinist, behauptet doch tatsächlich, die politische Einstellung «rechter Scharfmacher» sei genetisch, charakterlich vorbestimmt. Das trauten sich zuletzt verrückte Rassentheoretiker, ob so ein Schwachsinn im Rahmen der Antirassismus-Strafnorm erlaubt ist? Oder könnte Surber zeitweise Unzurechnungsfähigkeit geltend machen?

Die anderen haben letzte Reste von Anstand und Verstand verloren? Im Gegensatz zu Surber, der einen Noch-NR «geifern» lässt, ein etwas erfolgreicherer Publizist als Surber «wettert widerspruchs-resistent», während «Saiten» dafür bekannt ist, die Spalten des Blatts im Rahmen der Meinungsfreiheit diversen Positionen zu öffnen. Solange sie vegan, politisch korrekt, mit den Meinungen und Vorurteilen Surbers übereinstimmen.

Aber das alles sind eigentlich lässliche Sünden und Dummheiten eines erregten, aber nicht sonderlich begabten Schimpfkanoneurs. Der echte Rohrkrepierer, den Surber auch nicht bemerkt, obwohl er mit schwarzem Gesicht und angekokelten Haaren dasteht, so hat’s gekracht, ist aber: Ich als Autor bei «Die Ostschweiz» bin ganz ausgesprochen mit Kesslers Ansichten nicht einverstanden. Ich teilte auch nicht alle Ansichten von Höpli, genauso wenig die von Stefan Millius oder von vielen anderen Mitarbeitern oder Kommentatoren bei der «Ostschweiz».

Rechthaberei als billiges und ängstliches Gehabe

Aber solange die nicht gegen Strafnormen oder sehr weit gefasste Regeln des Anstands verstossen, bin ich jederzeit und bedingungslos dafür, dass sie publiziert werden. Genauso, wie ich in der «Ostschweiz» meine Meinungen und Artikel veröffentlichen kann, mit denen garantiert auch nicht alle Leser oder Mitarbeiter übereinstimmen.

Ich wäre sogar dafür, dass Peter Surber jederzeit das Wort ergreifen könnte. Selbst die offenkundigen Fehlschlüsse, die blut- und inhaltsleere Polemik, der Ersatz von Argumenten durch Gewäffel würde mich nicht davon abhalten. Ich bin für Meinungsfreiheit als die wohl wichtigste Errungenschaft der Aufklärung und der Neuzeit.

Ich bin auch dafür, dass sich jeder Erwachsene in der Öffentlichkeit zum Deppen machen kann.

Ich bin mir allerdings sicher, dass Surber niemals einen Kommentar von mir auf «Saiten» veröffentlichen würde. Er würde widrigenfalls allerdings auch nicht kündigen, so wie Höpli. Denn wo sollte Surber denn hin? Solche Tiefflieger wie ihn braucht doch kein journalistisches Organ, das selber schauen muss, wie es sich finanziert. Was dem Gewäffel Surbers aus seiner geschützten Werkstatt gegen Somm, Köppel oder Millius noch mehr einen schalen Beigeschmack gibt.

 

Wiegands Geschoss aus der Ferne

Eric Gujer sei bei der NZZ «ein Chefredaktor zum Fürchten». Sind die guten, alten Zeiten zurück?

«Auf der Redaktion muss Diktatur herrschen.» Das wusste schon der Publizist Karl Marx. War wohl die Keimzelle für die Diktatur des Proletariats.

Diese Art von Diktatur würde allerdings bei Gujer Alpträume auslösen. Hingegen scheint er einem eher traditionellen Berufsverständnis nachzuleben. Denn in den guten, alten Zeiten war der Chefredaktor tatsächlich ein Diktator. Geradezu allmächtig behauptete er die inhaltliche Oberhoheit, hatte gleichzeitig die licence to kill, also ein «kannst zusammenpacken und dich verpissen» hatte Rechtskraft. So Liga Peter Uebersax.

Zu einem gestandenen Chefredaktor gehörte natürlich die Büroflasche, gerne Single Malt, Zigaretten oder eher Zigarren, ein sehr gut hörbares Organ, inszenierte oder echte Wutanfälle, ein Porsche und ein Verhältnis zu Frauen, bei dem er heutzutage aus Belästigungsklagen gar nicht mehr rauskäme.

Weitgehend vorbei, verweht, nie wieder. Die beiden Oberchefredaktoren von CH Media und Tamedia haben mit dem Handling aller x Kopfblätter schon genügend zu tun, dann kommen noch ständige Sparrunden hinzu, das absorbiert auch ganz schön Energie, wie man das wieder der Reaktion (und dem Leser) als Verbesserung, Straffung, Synergie verkaufen kann.

Moderne Chefredaktoren sind ein Schluck Wasser dagegen

Von Arthur Rutishauser oder Patrik Müller ist nicht bekannt, dass sie laut werden, saufen, rauchen oder schnelle Wagen fahren. Ihr Gestaltungswille ist auch überschaubar. Das gilt ebenfalls für Christian Dorer. Da steckt zwar hinter dem verbindlichen «Traummann der Schwiegermutter»-Gesichtsausdruck ein harter Kern, aber diktatorische Anwandlungen sind auch nicht bekannt.

Chefredaktoren haben heute zudem die verdienstvolle Aufgabe, auf die Einhaltung des Budgets zu achten und auf Fingerschnippen sich mit den wenigen verbliebenen Grossinserenten zum Lunch oder Abendessen zu treffen. So geht dieses Berufsbild dahin.

Aber Markus Wiegand nützt das Interregnum beim «schweizer journalist» (sj) zu einer brutalen Abrechnung mit Eric Gujer aus. Dazu muss man wissen, dass Wiegand der erste und bis heute hochgelobte Chefredaktor des sj war. Er machte das damals neue Organ recht schnell zu einer Pflichtlektüre aller im Medien- und Kommunikationskuchen. Dann schwirrte er nach Deutschland zum Kress-Report ab.

Von da an ging’s bergab

Und der sj fiel nach der Regentschaft von Kurt W. Zimmermann in Agonie, der vorläufig letzte Alleinchefredaktor versuchte es mit einem verzweifelten Schmusekurs und Lobhudeleien auf Frauen. Das Einzige, was er damit erreichte, war, dass er durch zwei Frauen ersetzt wird. Aber eben, im Interregnum sprang der Chefredaktor der österreichischen Ausgabe ein. Der ist vielleicht mit den Schweizer Machtverhältnissen nicht so vertraut, und Wiegand kann’s sowieso egal sein.

Also haben wir in der sonst so schnarchig wie letzthin immer daherkommenden aktuellen Ausgabe ein Schmankerl serviert bekommen. Eric Gujer als Titelheld der ersten Ausgabe dieses Jahres. Ein Porträt über ihn, auf das er gerne verzichtet hätte. Denn es ist vielmehr eine Hinrichtung. Weil Wiegand ein Profi ist, macht er Gujer natürlich nicht rundum runter. Er lobt seine guten Taten. Klare Kante bei der NZZ, im Gegensatz zu seinem Vorgänger wieder eine einflussreiche Stimme in der Schweiz, Expansionsstrategie nach Deutschland durchaus erfolgreich. Dazu der wohl letzte Chefredaktor, der das Heil nicht bei digitalen Marktplätzen, Crossselling und Vollkommerz sieht, sondern in journalistischer Qualität.

Aber, so mit Rosen bestreut, nimmt sich Wiegand dann Gujer als Führungsfigur, als Chef, als Motivator, Antreiber und Leader vor. Und da wird es eine Hinrichtung und aschgrau. «Klima der Angst», eisige Atmosphäre, abkanzeln von Redaktoren auf offener Bühne, klare Ansage: Befehlsausgabe und Gehorsam. Abweichende Meinungen werden weder gerne gesehen, noch toleriert.

Unterirdische Stimmung auf der NZZ-Redaktion

Das habe zu einer beeindruckenden Fluktuation in der NZZ geführt, bei der man normalerweise eine Lebensstelle innehatte. Natürlich muss sich Wiegand auf eine «zweistellige Zahl von Quellen» berufen, die übereinstimmend Schreckliches berichten. Also eigentlich der betrübliche «Republik»-Stil. Dass aktuelle Angestellte je nach Alter entweder Gujer aussitzen möchten oder sich zur Frühpensionierung hangeln, ist verständlich.

Allerdings hat Wiegand – im Gegensatz zur «Republik»-Recherche – einen Ruf zu verlieren, und zumindest widersprechen auch hier diverse Quellen keineswegs seiner Darstellung der unterirdischen Stimmung auf der NZZ-Redaktion.

Es gibt zudem genügend ehemalige Mitarbeiter. Ein Schlaglicht auf Gujers charakterliche Ausstattung wirft eine kleine Anekdote aus der Vergangenheit. Gujer war bekanntlich einige Jahre als Moskau-Korrespondent der NZZ im Einsatz. Wie es sich für die damals noch sehr reiche Tante gehörte, residierten Korrespondenten an wichtigen Orten in einer NZZ-eigenen Wohnung.

Nun begab es sich, dass die Kinder seiner beiden Vorgänger dort, die einen guten Teil ihrer Jugend in dieser Wohnung verbracht hatten, über ihre Eltern an Gujer gelangten, ob es im Rahmen eines Moskau-Aufenthalts vielleicht möglich wäre, aus nostalgischen Gründen dieser Wohnung einen kurzen Besuch abzustatten, in der viele Erinnerungen hängengeblieben waren. Knappe Antwort Gujers: nein, das sei nicht möglich, das gehöre zu seiner Privatsphäre. Wohlgemerkt zur Privatsphäre eines Angestellten, der die Wohnung seines Arbeitgebers benützt.

Privatsphäre ist Privatsphäre

Eine andere Art von Privatsphäre umhüllt Chefredaktor Gujer und die NZZ-Redaktorin Claudia Schwartz. Das ist nämlich der nom de plume seiner Gattin. Wer es wie der «Republik»-Reporter Daniel Ryser wagt zu kolportieren, dass Schwartz auch mal damit drohe, Widerborstigkeiten Eric zu melden, wird mit juristischem Sperrfeuer überzogen. Als Tamedia mal Anlauf nahm, ein Porträt über Gujer zu veröffentlichen, verhinderte er das durch persönliche Intervention.

In seinen Auftritten als Leitartikler oder in NZZ-TV-Formaten fehlt jegliche Empathie. Kalte Augen hinter dezent designter Brille. Offenbar gehört er zu den Menschen, die problemlos die Raumtemperatur alleine durch ihre Präsenz senken können.

Offensichtlich ist auch im Kontrollgefüge bei der NZZ einiges im Argen. Gegen den dominaten Gujer scheint der neue CEO keinen Stich zu haben, und der gesamte Verwaltungsrat unter Etienne Jornod knabbert immer noch am Fast-GAU, als er Markus Somm als neuen Chefredaktor inthronisieren wollte.

Corporate Governance? Als Forderung gerne gesehen, aber bei anderen

Denn bei funktionierenden Checks and Balances wäre schon alleine die Mitarbeit der Ehegattin zumindest ein Thema und könnte nicht mit eisigem Schweigen behandelt werden. Noch absurder wird es bei der hier zuerst dargestellten gemeinsamen Fastenkur in einem Luxushotel.

Während der eitle Gatte sich im Hotelblog interviewen liess, füllte seine Gattin zwei Seiten in der NZZ mit diesem Aufenthalt. Das wirklich Erschreckende: weder in der NZZ, noch in der gesamten Schweizer Medienlandschaft führte das zu einer wahrnehmbaren Reaktion. Wobei es hier nicht um erlaubt/verboten ginge. Sondern schlichtweg darum, dass ein Chefredaktor der NZZ und seine Frau so etwas nicht tun sollten.

Niemand mehr da, der Anstand einfordern könnte

Aber da es niemanden gibt, der ihm das zu sagen wagt, braucht es eben ZACKBUM und diese einmalige Konstellation beim sj, damit die Frage thematisiert wird, welches Herrschaftsmodell Gujer bevorzugt und warum ihn «niemand stoppt», wie Wiegand provokativ fragt.

Das ist übel, weil es die NZZ ist. Dass im sj ein Jubelartikel über die Storytelling-Agentur der kommenden Co-Chefredaktorin erscheint, ist auch übel. Aber dieses Übel wird sich von selbst erledigen. Gujer nicht.