Wiegands Geschoss aus der Ferne
Eric Gujer sei bei der NZZ «ein Chefredaktor zum Fürchten». Sind die guten, alten Zeiten zurück?
«Auf der Redaktion muss Diktatur herrschen.» Das wusste schon der Publizist Karl Marx. War wohl die Keimzelle für die Diktatur des Proletariats.
Diese Art von Diktatur würde allerdings bei Gujer Alpträume auslösen. Hingegen scheint er einem eher traditionellen Berufsverständnis nachzuleben. Denn in den guten, alten Zeiten war der Chefredaktor tatsächlich ein Diktator. Geradezu allmächtig behauptete er die inhaltliche Oberhoheit, hatte gleichzeitig die licence to kill, also ein «kannst zusammenpacken und dich verpissen» hatte Rechtskraft. So Liga Peter Uebersax.
Zu einem gestandenen Chefredaktor gehörte natürlich die Büroflasche, gerne Single Malt, Zigaretten oder eher Zigarren, ein sehr gut hörbares Organ, inszenierte oder echte Wutanfälle, ein Porsche und ein Verhältnis zu Frauen, bei dem er heutzutage aus Belästigungsklagen gar nicht mehr rauskäme.
Weitgehend vorbei, verweht, nie wieder. Die beiden Oberchefredaktoren von CH Media und Tamedia haben mit dem Handling aller x Kopfblätter schon genügend zu tun, dann kommen noch ständige Sparrunden hinzu, das absorbiert auch ganz schön Energie, wie man das wieder der Reaktion (und dem Leser) als Verbesserung, Straffung, Synergie verkaufen kann.
Moderne Chefredaktoren sind ein Schluck Wasser dagegen
Von Arthur Rutishauser oder Patrik Müller ist nicht bekannt, dass sie laut werden, saufen, rauchen oder schnelle Wagen fahren. Ihr Gestaltungswille ist auch überschaubar. Das gilt ebenfalls für Christian Dorer. Da steckt zwar hinter dem verbindlichen «Traummann der Schwiegermutter»-Gesichtsausdruck ein harter Kern, aber diktatorische Anwandlungen sind auch nicht bekannt.
Chefredaktoren haben heute zudem die verdienstvolle Aufgabe, auf die Einhaltung des Budgets zu achten und auf Fingerschnippen sich mit den wenigen verbliebenen Grossinserenten zum Lunch oder Abendessen zu treffen. So geht dieses Berufsbild dahin.
Aber Markus Wiegand nützt das Interregnum beim «schweizer journalist» (sj) zu einer brutalen Abrechnung mit Eric Gujer aus. Dazu muss man wissen, dass Wiegand der erste und bis heute hochgelobte Chefredaktor des sj war. Er machte das damals neue Organ recht schnell zu einer Pflichtlektüre aller im Medien- und Kommunikationskuchen. Dann schwirrte er nach Deutschland zum Kress-Report ab.
Von da an ging’s bergab
Und der sj fiel nach der Regentschaft von Kurt W. Zimmermann in Agonie, der vorläufig letzte Alleinchefredaktor versuchte es mit einem verzweifelten Schmusekurs und Lobhudeleien auf Frauen. Das Einzige, was er damit erreichte, war, dass er durch zwei Frauen ersetzt wird. Aber eben, im Interregnum sprang der Chefredaktor der österreichischen Ausgabe ein. Der ist vielleicht mit den Schweizer Machtverhältnissen nicht so vertraut, und Wiegand kann’s sowieso egal sein.
Also haben wir in der sonst so schnarchig wie letzthin immer daherkommenden aktuellen Ausgabe ein Schmankerl serviert bekommen. Eric Gujer als Titelheld der ersten Ausgabe dieses Jahres. Ein Porträt über ihn, auf das er gerne verzichtet hätte. Denn es ist vielmehr eine Hinrichtung. Weil Wiegand ein Profi ist, macht er Gujer natürlich nicht rundum runter. Er lobt seine guten Taten. Klare Kante bei der NZZ, im Gegensatz zu seinem Vorgänger wieder eine einflussreiche Stimme in der Schweiz, Expansionsstrategie nach Deutschland durchaus erfolgreich. Dazu der wohl letzte Chefredaktor, der das Heil nicht bei digitalen Marktplätzen, Crossselling und Vollkommerz sieht, sondern in journalistischer Qualität.
Aber, so mit Rosen bestreut, nimmt sich Wiegand dann Gujer als Führungsfigur, als Chef, als Motivator, Antreiber und Leader vor. Und da wird es eine Hinrichtung und aschgrau. «Klima der Angst», eisige Atmosphäre, abkanzeln von Redaktoren auf offener Bühne, klare Ansage: Befehlsausgabe und Gehorsam. Abweichende Meinungen werden weder gerne gesehen, noch toleriert.
Unterirdische Stimmung auf der NZZ-Redaktion
Das habe zu einer beeindruckenden Fluktuation in der NZZ geführt, bei der man normalerweise eine Lebensstelle innehatte. Natürlich muss sich Wiegand auf eine «zweistellige Zahl von Quellen» berufen, die übereinstimmend Schreckliches berichten. Also eigentlich der betrübliche «Republik»-Stil. Dass aktuelle Angestellte je nach Alter entweder Gujer aussitzen möchten oder sich zur Frühpensionierung hangeln, ist verständlich.
Allerdings hat Wiegand – im Gegensatz zur «Republik»-Recherche – einen Ruf zu verlieren, und zumindest widersprechen auch hier diverse Quellen keineswegs seiner Darstellung der unterirdischen Stimmung auf der NZZ-Redaktion.
Es gibt zudem genügend ehemalige Mitarbeiter. Ein Schlaglicht auf Gujers charakterliche Ausstattung wirft eine kleine Anekdote aus der Vergangenheit. Gujer war bekanntlich einige Jahre als Moskau-Korrespondent der NZZ im Einsatz. Wie es sich für die damals noch sehr reiche Tante gehörte, residierten Korrespondenten an wichtigen Orten in einer NZZ-eigenen Wohnung.
Nun begab es sich, dass die Kinder seiner beiden Vorgänger dort, die einen guten Teil ihrer Jugend in dieser Wohnung verbracht hatten, über ihre Eltern an Gujer gelangten, ob es im Rahmen eines Moskau-Aufenthalts vielleicht möglich wäre, aus nostalgischen Gründen dieser Wohnung einen kurzen Besuch abzustatten, in der viele Erinnerungen hängengeblieben waren. Knappe Antwort Gujers: nein, das sei nicht möglich, das gehöre zu seiner Privatsphäre. Wohlgemerkt zur Privatsphäre eines Angestellten, der die Wohnung seines Arbeitgebers benützt.
Privatsphäre ist Privatsphäre
Eine andere Art von Privatsphäre umhüllt Chefredaktor Gujer und die NZZ-Redaktorin Claudia Schwartz. Das ist nämlich der nom de plume seiner Gattin. Wer es wie der «Republik»-Reporter Daniel Ryser wagt zu kolportieren, dass Schwartz auch mal damit drohe, Widerborstigkeiten Eric zu melden, wird mit juristischem Sperrfeuer überzogen. Als Tamedia mal Anlauf nahm, ein Porträt über Gujer zu veröffentlichen, verhinderte er das durch persönliche Intervention.
In seinen Auftritten als Leitartikler oder in NZZ-TV-Formaten fehlt jegliche Empathie. Kalte Augen hinter dezent designter Brille. Offenbar gehört er zu den Menschen, die problemlos die Raumtemperatur alleine durch ihre Präsenz senken können.
Offensichtlich ist auch im Kontrollgefüge bei der NZZ einiges im Argen. Gegen den dominaten Gujer scheint der neue CEO keinen Stich zu haben, und der gesamte Verwaltungsrat unter Etienne Jornod knabbert immer noch am Fast-GAU, als er Markus Somm als neuen Chefredaktor inthronisieren wollte.
Corporate Governance? Als Forderung gerne gesehen, aber bei anderen
Denn bei funktionierenden Checks and Balances wäre schon alleine die Mitarbeit der Ehegattin zumindest ein Thema und könnte nicht mit eisigem Schweigen behandelt werden. Noch absurder wird es bei der hier zuerst dargestellten gemeinsamen Fastenkur in einem Luxushotel.
Während der eitle Gatte sich im Hotelblog interviewen liess, füllte seine Gattin zwei Seiten in der NZZ mit diesem Aufenthalt. Das wirklich Erschreckende: weder in der NZZ, noch in der gesamten Schweizer Medienlandschaft führte das zu einer wahrnehmbaren Reaktion. Wobei es hier nicht um erlaubt/verboten ginge. Sondern schlichtweg darum, dass ein Chefredaktor der NZZ und seine Frau so etwas nicht tun sollten.
Niemand mehr da, der Anstand einfordern könnte
Aber da es niemanden gibt, der ihm das zu sagen wagt, braucht es eben ZACKBUM und diese einmalige Konstellation beim sj, damit die Frage thematisiert wird, welches Herrschaftsmodell Gujer bevorzugt und warum ihn «niemand stoppt», wie Wiegand provokativ fragt.
Das ist übel, weil es die NZZ ist. Dass im sj ein Jubelartikel über die Storytelling-Agentur der kommenden Co-Chefredaktorin erscheint, ist auch übel. Aber dieses Übel wird sich von selbst erledigen. Gujer nicht.
Erstaunlich, wie der René Zeyer schreibt und schreibt…….klug schreibt. Beeindruckend.
«Offenbar gehört er zu den Menschen, die problemlos die Raumtemperatur alleine durch ihre Präsenz senken können», ist so ein Satz, der elektrisiert.
Selbst dem Roger Schawinski ist damals diese enorme Anzahl an täglichen Artikeln aufgefallen.
Dass Felix «Fixie» Graf als CEO einen starken Chefredaktor nicht stoppen kann, liegt auf der Hand. Von Medien hat er ja auch keine Ahnung, eher vom Strombusiness. Wie will er da eine inhaltliche Diskussion führen? Seine bisherige Führungsstrategie basierte ja eher darauf, folge mir untertänigst oder suche Deine Zukunft anderswo.
Es ist und bleibt so: Noch so gerne teilen Medien Schelte aus, haben den Laden selber aber nicht im Griff (in diesem Fall die Good Corporate Governance)… Und sich dann wundern, wenn man nicht mehr ernst genommen wird…