Es darf gelacht werden: Der Sonntag war zäh

Man spürt das Aufatmen, dass wenigstens die Beerdigung von Prinz Philipp Platz füllt.

 

Bilderblatt SoBli

«Sonntags

Blick |»

hat’s nicht leicht. Logo, so nennt das der Designer, Pardon, verkackt, Cover langweilig aufgeräumt, kein Wunder, dass die Titelgeschichte streng nach Mundgeruch unter der Maske riecht:

Wie verzweifelt muss man sein, um das zur Titelstory zu machen?

Auch der SoBli, wir machen doch eine Fotoromanza draus, muss natürlich noch etwas zu Tschanun sagen. Der kann sich ja nicht mehr wehren:

Dafür hätte er natürlich nochmal in den Knast gemusst.

Prinz Philipp, Beerdigung, Trauer, Königshaus, kriegen die beiden Enkelkinder Krach, bricht die Queen zusammen?

 

Allein, aber ungebrochen: die Queen.

Da hätte man was draus machen können. Aber «Die gebrochene Queen»? Sieht so diese tapfere, zähe, niemals die Contenance verlierende Dame aus? Und dann schlechtes Geschwurbel: «Niemand hält ihr die Hand, niemand tröstet sie.» Der Queen die Hand halten? In der Öffentlichkeit? Sie gar trösten? Ach, Helmut-Maria Glogger, wie du fehlst.

Inhalt? Jemand fragt nach Inhalt? Aber bitte sehr:

Mit so was verdient er seit vielen Jahren sein Auskommen.

Ein kleiner Kalauer im Titel, aber dann reitet Frank A. Meyer eines seiner Steckenpferde zu Tode. Kein Rahmenabkommen, heul. Schweiz wird’s dreckig gehen, schluchz. «Miteinander statt Gegeneinander» in Europa, tagträumt Meyer. Und die Schweiz, das kleine Stachelschwein, will wieder ganz alleine sein. Wäre doch auch ein hübscher Titel gewesen.

Noch mehr Inhalt? Nun ja, das ist hier so eine Sache:

Der Peter Maffay der Literatur.

Noch wichtiger als der Büchnerpreis – seither rotiert der arme Büchner im Grab – ist bei modernen Gesinnungsdichtern – das Foto. Darin hat sich Lukas Bärfuss von Anfang an ausgezeichnet. Lächeln, Weinglas auf dem Kopf, Grimassen? Himmels willen, das wäre ja Friedrich Dürrenmatt, niemals.

Der Dichter muss so schauen wie Bärfuss. Grimmig, leidend, misstrauisch, kritisch. Aber wehrhaft, mit den Fäusten die Brecht-Lederjacke umklammert. Brecht? Ach, lassen wir das. Haare streng zurückgekämmt, graumeliert, das Leiden an der Welt hinterlässt Spuren. Dazu der sorgfältig unterhaltene Dreitagebart, Symbol für: kam nicht mal zum Rasieren, musste schreiben.

Kleider machen keine Schriftsteller

Was das alles mit dem Inhalt vom «Essay» zu tun hat? Nichts, aber im Essay gähnt ja auch das Nichts. Bärfuss fordert den Rücktritt der Bundesräte Berset und Cassis. Das zeugt von überparteilicher Strenge. Auch Didaktik ist dem Dichter nicht fremd. So raunt er verdichtet schon am Anfang: «Die Schweizer Regierung besteht aus sieben Bundesräten, und jeder dieser sieben Bundesräte steht am Kopf einer Behörde, deren Aufgabe …»

So mäandert er sich durch Staatskunde für Anfänger und Zurückgebliebene. Viel zu viele Worte später erklärt der Nationalschreiber noch, was die Schweiz zusammenhalte: der «nationale Finanzausgleich». Darauf ist noch niemand gekommen, das ist originell. Allerdings nur deshalb, weil es bescheuert ist und deshalb von niemandem behauptet wurde. Bis Bärfuss kam.

Weiter stolpert Bärfuss durch die deutsche Sprache, die wie immer bei ihm nicht unbeschädigt davonkommt: «Leider gibt es hin und wieder Herausforderungen, die sich nicht in die Marktlogik übersetzen und deshalb nicht mit Geld lösen lassen.» Unübersetzbare Herausforderungen, die sprechende Marktlogik, die deshalb nicht angenommen oder bestanden werden, sondern gelöst? Oder eben nicht?

Müsste auch Bärfuss zurücktreten?

Der Sprache ist es schon ganz übel, und auch mir wird’s schummerig. Wollen wir’s nochmal probieren: «Die helvetische Normalität kennt nur die Verteilung des Gewinns. Einen gemeinsamen Verlust zu tragen, das vermögen wir hingegen nicht.» Hm, also allgemeine Gewinnverteilung, das wüsste ich aber. Und das gemeinsame Tragen von Velusten? Keine Ahnung, wo Bärfuss seine Steuern zahlt; sollte das in der Schweiz der Fall sein, trägt sogar er mit.

Aber wieso sollen denn nun ausgerechnet Cassis und Berset zurücktreten? Nun, wenn man dem Dichter folgen will: «Berset wollte keine Lockerungen, und Cassis wollte gar nie wirklich fürs Rahmenabkommen kämpfen.» Aha.

Bärfuss will doch auch nicht der deutschen Sprache ständig ans Mieder gehen und schlecht formulierte Absurditäten furzen. Aber obwohl er es tut, fordert niemand ein Schreibverbot für ihn. Das ist zwar bedauerlich, muss aber ertragen werden.

 

CH Media ist überall daheim

Das zweite Kopfblattmonster bemüht sich um Lokalkolorit. Manchmal gar nicht schlecht, um für unsere Ostschweizer Leser mal aus dem «Tagblatt» zu zitieren:

«Mit dem Slogan «So schmöckt’s Dihei» versucht ein Werbespot, Gemüsebouillon mit Heimatgefühlen zu verknüpfen. Nur: Der Sprecher sagt auf eine Art Zürichdeutsch «bi öis z Schaffuuse», die Herstellerfirma gehört einem britischen Grosskonzern, und als Hintergrund präsentiert sich ein Schneeberg aus Oberbayern – wo sind wir nun eigentlich dihei?»

Nicht schlecht die Katastrophe beschrieben, wenn Grosskonzerne Grossagenturen mit Werbung beauftragen, aber unbedingt authentic, you know. Heidi snow mountains, perhaps chocolate, okay?

Immerhin, auf zwei Seiten hat CH Media eine Antwort auf die Frage gefunden, die am Wochenende alle Redaktionen umtrieb: okay, Beerdigung, was machen wir dazu? Also neben dem, was alle anderen auch machen? Beerdigung, Leichenzug, was ist das Faszinosum daran? Das kann eine fürchterlich langweilige Story werden. Aber nicht, wenn sie von Daniele Muscionico geschrieben wird.

Das Lesevergnügen vor dem Tod.

Der persönliche Einsteig sei ihr verziehen, denn er ist gut. Und wer relativ rasch Helmut Qualtinger zitiert, kann anschliessend sowieso kaum mehr etwas falsch machen. Denn Qualtinger war einfach herausragend genial, und seine Sentenzen funktionieren auch, wenn nicht er selbst sie vorträgt:

«In Wien musst’ erst sterben, damit sie dich hochleben lassen. Aber dann lebst’ lang.»

Weiter vorne beisst sich die «Schweiz am Wochenende» an etwas fest, was Journalisten ungemein, 90 Prozent der Leser eher am Rande interessiert: Wie war das nun genau beim Westschweizer TV? Aufmacher auf Seite eins, Doppelseite dahinter, grosser Kommentar im Anschluss.

Erschwerend kommt noch hinzu: weil sich Journis so extrem für sich selbst interessieren, basteln sie sogar eine Doppelseite über ihre (kleine) Welt, wenn es eigentlich nichts Neues zu berichten gibt.

Die Berichterstattung ist gar nicht knapp.

Letztlich ist diese Riesenstory so aussagekräftig wie der Minikommentar und Artikel zu Kuba, wo ein Fernrohrbeobachter aus Mexiko seine Erkenntnisse rieseln lässt. Jetzt müsse ökonomisch etwas geschehen, aber das sei gar nicht so einfach. Das hätte man auch unter dem Schreibtisch in Aarau herausfinden können.

Aber, das muss man Patrik Müller lassen, ein Interview mit Bradley Birkenfeld, der den ersten, bereits tödlichen Schuss auf das Schweizer Bankgeheimnis abfeuerte, keine schlechte Idee. Er musste dafür in den Knast, bekam aber rund 100 Millionen Dollar «Finderlohn», weil er dazu beitrug, die Schweizer Banken abzumelken.

Macht was her: der neue Maybach.

Viel Neues hat auch er nicht zu sagen, aber er ist ein unterhaltsamer Ami, und wir freuen uns, dass es ihm gutgeht: «Demnächst wird mein neuer Mercedes-Maybach ausgeliefert. Ich habe mir auch einen Ferrari F8-Spider gegönnt.» Für Sozialneidige: So ein Maybach kostet von 200’000 Franken aufwärts.

Etwas zu barock in der Innenausstattung: so mag’s der Scheich.

Tagi gegen Rechtsstaat: 2 zu 0

Es bröckelt überall bei Tamedia. «Vergewaltigung, schaut Zürich weg?» Nein, die Autorin schielt am Rechtsstaat vorbei.

Lisa Aeschlimann ist einer dieser Kindersoldaten, die mutig auf komplexe Themen losgelassen werden. Im besten Fall stimmt’s auch, im schlechtesten gibt’s etwas Ärger, aber die Schreibkraft ist dafür billig.

Nun nahm sich am Samstag Aeschlimman der Frage an, die sie so formuliert: «Wer im Kanton einer Vergewaltigung beschuldigt wird, bleibt in 12 von 13 Fällen straffrei.»

Das hat sie in der Journalistenschule gelernt: Szenischer Einstieg mit einem Beispiel, dann der Aufschwung ins Allgemeine. Das hat sie auch soweit sauber hingekriegt, sogar mit einem Fall, der zeige, «wie schwierig es ist, strafrechtlich aufzuarbeiten, was zwischen zwei Menschen bei einer mutmasslichen Vergewaltigung geschehen ist».

Der Aufmacher auf Seite eins …

Das ist soweit wahr, ausser, dass die «mutmassliche Vergewaltigung» die Sichtweise des Opfers ist. Oder des mutmasslichen Opfers. Nun baut Aeschlimann eine ganz wacklige Brücke ins Allgemeine. Es gebe eine Untersuchung, nach der im Kanton Waadt 61 Prozent der Beschuldigten verurteilt wurden, in Zürich nur deren 7,4 Prozent.

Ebenfalls aus der Journalistenschule stammt noch der Einschub: «Die Daten sind mit Vorsicht zu geniessen.» Aber leider hält sie sich selbst nicht an diesen guten Ratschlag. Um es nicht selber sagen zu müssen, kommen nun völlig unparteiische Fachleute zu Wort, zum Beispiel eine Vertreterin der «Frauenberatung sexuelle Gewalt»: «Die Zürcher Quote ist stossend tief. Sie zeigt, dass sexuelle Gewalt nach wie vor ein fast straffreies Delikt ist.»

Immerhin: von 26 Vergewaltigungsverfahren vor Zürcher Bezirksgerichten im Jahre 2020 endete ein Drittel mit einer Verurteilung, räumt Aeschlimann ein.

Aber wieso dann dieser frappierende Unterschied bei dem Prozentsatz von Verurteilungen? Da macht Aeschlimann zwei Ursachen dingfest. Frauen würden nach einer Vergewaltigungsanzeige in der Einvernahme immer noch unter Schock stehen, seien traumatisiert, und müssten «in dieser Verfassung viele, zum Teil sehr intime Fragen beantworten.»

Daher sei ein spezielles Zentrum für solche Fälle unbedingt nötig. Den zweiten Schuldigen sieht die Journalistin in der Zürcher Staatsanwaltschaft, die überproportional viele Fälle gar nicht zur Anklage bringe. Dann dürfen Zürcher Behörden dazu nichts sagen oder diese Behauptungen «kategorisch» zurückweisen.

Absurde Vergleiche, monströses Verständnis vom Rechtsstaat

Damit kann man handwerklich wenig gegen diesen Artikel einwenden, obwohl er rechtssaatlich bedenklich und desaströs ist. Schon alleine der Vergleich der Verurteilungsrate ist absurd. Noch schlimmer wird es mit der Behauptung, dass also im Kanton Zürich überproportional viele «mutmassliche» Vergewaltiger frei herumlaufen.

Dafür gibt es nur ein englisches Wort: Bullshit. Denn mit dem «mutmasslichen Vergewaltiger» verhält es sich so: Sie laufen nie völlig frei herum. Entweder sitzen sie in U-Haft, oder sie können bis zum Abschluss der Untersuchung unter strengen Auflagen ihrem normalen Leben nachgehen. Dann gibt es entweder eine Einstellung des Verfahrens, oder eine Gerichtsverhandlung. Bis zum rechtsgültigen Entscheid der letzten damit befassten Gerichtskammer gilt, selten so gelacht, auch für diese «mutmasslichen» Täter die Unschuldsvermutung.

Wird das Verfahren eingestellt, laufen sie anschliessend genau so unschuldig herum wie alle anderen Zürcher auch, die niemals in Verdacht gerieten, ein Vergewaltiger zu sein. Oder aber, es kommt zu einem Prozess. Wenn der mit Freispruch endet, gilt das gleiche. Endet er mit einem Schuldspruch, gegen den nicht Einsprache erhoben wird, verwandelt sich der «mutmassliche» Vergewaltiger in einen verurteilten. Der nach Verbüssung seiner Strafe wieder ein unbescholtener Bürger wird.

Nicht beschämend wenig, beschämend wenig Sachverstand

Aeschlimann zur Seite springt in einem Kommentar Liliane Minor. Dass in Zürich nur «sieben von hundert Strafanzeigen» mit einer Verurteilung endeten, sei «beschämend wenig». Hier werkle die Staatsanwaltschaft «als Blackbox» vor sich hin. Und das müsse dringlich geändert werden.

Ob sich die beiden Damen bewusst sind, was sie hier dummbeuteln? Die Verurteilungsrate von «mutmasslichen» Vergewaltigern an Prozentzahlen ausrichten? Der Kanton Waadt ist die Benchmark, 60 Prozent Verurteilungen sollten doch auch in Zürich zu schaffen sein.

Das erinnert stark an die dunklen Zeiten der Inquisition, wo auch Regionen oder Städte zur Ordnung gerufen wurden, wenn sie nicht eine genügende Anzahl von Ketzern und Hexen auf den Scheiterhaufen verbracht hatten.

Aber, offensichtlich, im schwer verunsicherten Tagi traut sich keiner, vor allem kein Mann, zwei Journalistinnen auf die Absurdität ihrer These aufmerksam zu machen, die zudem, wie beide einräumen, auf einer Studie beruht, «die viele Fragen offen» lasse und «teils auf sehr kleinen Zahlen» Schlussfolgerungen ziehe. Also auf Deutsch: nahezu unbrauchbar ist, ausser, man will Thesenjournalismus betreiben.

Gefährliche Demonstranten vor dem Bezirksgericht Zürich

Dass eine absurde Verzerrung der Wirklichkeit nicht nur mit Buchstaben möglich ist, beweist gleich die nächste Seite. Da geht es um den Prozess gegen Schweizer Teilnehmer an den G-20-Protesten in Hamburg. Im Gerichtssaal ging es turbulent zu und her, aber da ist natürlich fotografieren nicht erlaubt.

Also knipst der Fotograf in seiner Not «Demonstranten», die sich «vor dem Zürcher Bezirksgericht mit den drei Angeklagten solidarisieren». Auf dem Foto sieht man ein rundes Dutzend Polizisten, die den Eingang bewachen. Die sind allerdings den «Demonstranten» im Verhältnis von 6 zu 1 überlegen. Denn es gibt nur zwei; das Minimum, um ein Transparent ausrollen zu können.

In der Psychiatrie würde man das galoppierenden Realitätsverlust nennen. Wie man das an der Werdstrasse nennt, ist geheim. Aber unser Mitgefühl begleitet all die Journalisten dort, ob männlich, weiblich oder divers, die bei so einem Schrott die Augen nach oben rollen und ihn durchwinken. In der Hoffnung, dass morgen alles vergessen ist.

 

 

Sonnen im Lichtblick

Hier sei immer alles so negativ und kritisch. Kritisieren immer wieder Leser. Bitte, wir können auch anders.

Das letzte Mal, als wir positiv waren (trotz Corona!), interessierte das eigentlich niemanden. Aber wir geben ja nicht so schnell auf.

Auch auf die Gefahr hin, parteiisch zu erscheinen: Nach dem heutigen Leidensweg durch die Medien mit ihrer Kakophonie über die Lockerungsbeschlüsse, bei der eigentlich niemand den Puck gesehen hat, braucht es Erholung, Labsal, ein Licht der Hoffnung, dass es auch anders geht.

Da hilft nur eins: die NZZ. Sicher, da ist auch nicht mehr alles Gold, was blättert – zum Beispiel fehlen die Beiträge eines Kuba-Korrespondenten –, aber dennoch. Es geht doch (noch).

Der Balken der Vernunft.

Es ist in der gestrigen Ausgabe, und nur darauf beziehen wir uns, ein bunter Strauss an Anregungen, Einordnungen, bedenkenswerten und kaum bedenklichen Artikeln. Was will Putin mit seinem Säbelrasseln an der ukrainischen Grenze? «Die Unentschlossenheit des Westens entlarven». Besser kann man das nicht auf den Punkt bringen.

Leichtes Schwächeln bei Corona

Der Kommentar zu den Lockerungsbeschlüssen vermisst einen «Fahrplan» des Bundesrats. Nachdem bislang alle mittelfristigen Ankündigungen im Gestrüpp endeten. Nun, es kann nicht alles gelingen, selbst in der NZZ.

Wie steht es nun genau mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson? Wie und warum wagt das deutsche Saarland den Ausstieg aus dem Lockdown? Immer gut, wenn man eigene Korrespondenten vor Ort hat. Die auch noch wissen, worüber sie schreiben. Und nicht als Kindersoldaten bei der Inauguration des US-Präsidenten schon am äussersten Sicherheitscordon steckenbleiben.

«Das Huhn töten, um den Affen zu erschrecken», endlich mal ein China-Artikel, bei dem der Autor chinesische Sprichwörter kennt. Denn genau das passiere Jack Ma, dem leicht in Ungnade gefallenen Besitzer von Alibaba. Zuerst das Verbot des Börsenganges, jetzt eine Busse von 2,8 Milliarden US-Dollar, weitere Massnahmen sind geplant. Da werden sogar einige Hühner geschlachtet, damit Ma wieder weiss, wo der Hammer hängt.

Auch der Nachruf auf den «Betrüger Ihres Vertrauens», den grössten Anlageschwindler aller Zeiten Bernie Madoff, zeugt von Sachkenntnis. Gut auch, dass sich die NZZ in ihrem ausgebauten Berliner Büro einen Wirtschafskorrespondenten leistet. So muss René Höltschi nicht anderswo abschreiben, wenn er über die Fortsetzung des Wirecard-Skandals berichtet.

Wirecard-Skandal aus erster Hand berichtet

Die neuste Wendung ist, dass es offensichtlich genügend Belege für eine Zusammenarbeit des deutschen Nachrichtendiensts BND mit Wirecard gibt, speziell mit dem immer noch flüchtigen Vorstand Jan Marsalek. Höltschi kann aus dem ihm vorliegenden Untersuchungsbericht zitieren, der diese Verbindungen durchforstet. Das nennt man den Bock zum Gärtner machen, kommentiert ein Beteiligter, der BND wollte internationale Geldwäscherei bekämpfen und spannte dafür ausgerechnet mit dem wegen Millionenbetrugs gesuchten Marsalek zusammen, der seinerseits Datensätze von Geschäftspartnern einforderte – angeblich, um sie dem BND zu übergeben. Aber der erhielt niemals solche Daten.

Das wäre sozusagen das Standbein, aber die NZZ hat auch noch ein Spielbein. Und nimmt in einer Breite Ereignisse wahr, die sie meilenweit vom copy/paste, Ein-Informationsfitzel,-ein-Artikel-Journalismus, abhebt. Sahra Wagenknecht von der deutschen «Linke» hat ein Buch geschrieben. Die Autorin und der Inhalt müsste eigentlich jedem stramm-liberalen NZZ-Redaktor den Angstschweiss auf die zornig gerötete Stirne treiben. Weit gefehlt, sie wird zu diesem Buch befragt. Ist schliesslich interessant.

Der abtretende Feuilleton-Chef René Scheu hat sich mit dem Virologen Hendrik Streeck unterhalten. Ein seltener Vertreter seiner Zunft, der die Welt nicht nur durchs Mikroskop betrachtet. Dietrich Schotte setzt sich intelligent mit dem Begriff «Gewalt» auseinander. Eine dieser Worthohlkörper, die mit vermeintlich beliebigem Inhalt abgefüllt werden können. Das ändert Schotte mit einem Buch, das rezensiert die NZZ.

100 Jahre «Schweizer Monat» – hier wird’s gewürdigt

Sie zieht – als einziges Schweizer Medium – Bilanz nach 100 Jahren «Schweizer Monat». Die Zeitschrift mit der wohl beeindruckendsten Liste von Mitarbeitern über die Zeiten hinweg. Und auch heute ist der Monat, trotz beengten finanziellen Verhältnissen, immer wieder für einen Denkanstoss oder zwei gut. Allerdings nur für die happy few, die auch vor mehrseitigen Texten nicht zurückschrecken, wenn sie interessant sind. Ansonsten wird der Monat im Schwarzweiss-Raster des Mainstreams als Unterstützer der dunklen Seite der Macht denunziert – und ignoriert.

Schliesslich noch mein Liebling unter den Artikeln: «Wie Epidemien enden». Ja, über den Ausbruch, die Ursachen, die Bekämpfung gibt es Legionen von Untersuchungen. Aber ein Blick auf das Ende, wie findet es statt, wie wird es bewirkt, all das wurde bislang stiefmütterlich behandelt. Die NZZ ändert auch das. Bloss nicht nachlassen!

Tschanuns Auferstehung

Es gibt wenige Bluttaten, die so in Erinnerung bleiben wie der Amoklauf von Günther Tschanun.

Es geschah am helllichten Tag und am 16. April 1986. Als wären wir in den USA, lief Günther Tschanun durch das Zürcher Amtshaus IV und erschoss gezielt vier seiner Mitarbeiter. Einen fünften verletzte er schwer.

Nach kurzer Flucht wurde er verhaftet und zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Wegen guter Führung kam er im Jahr 2000 frei. Spätestens hier verlor sich seine Spur, bis die Journalistin Michèle Binswanger sich Einsicht in die Fallakten erzwang. In einer grossen Story zeichnete sie das Leben, die Bluttat, den Gefängnisaufenthalt und schliesslich das Leben unter Pseudonym im Tessin nach. Im Februar 2015 beendete ein Velounfall Tschanuns Leben. 

Natürlich beschäftigt alle bis heute, wie es zu einer solchen Bluttat kommen konnte. Die in der Schweiz eher singulär dasteht. Vergleichbar: Im Juli 2004 verletzte ein Kadermitglied der ZKB in der Filiale Enge durch Schüsse zwei Vorgesetzte so schwer, dass sie anschliessend im Spital verstarben, Dann richtete er sich selbst.

Es war ebenfalls – wie im Fall Tschanun – mehr eine Abrechnung als eine Amoktat. Denn in einer Sitzung, in der auch andere anwesend waren, zückte der Finanzberater plötzlich eine Pistole und schoss zwei Vorgesetzten in den Kopf. Daraufhin flüchtete er in sein Büro einen Stock höher und erschoss sich selbst.

2018 macht der Amoklauf eines offensichtlich geistig Verwirrten Schlagzeilen, der zuerst einen ehemaligen Freund mit einem Messer grausam ermordet und danach in einer Moschee drei dort betende Menschen schwer verletzt hatte. Schliesslich richtet auch er sich selbst.

Der fundamentalistische Terror übertrifft alles Vorherige

Der Amoklauf im Zuger Parlament, bei dem 14 Menschen erschossen werden und 10 weitere verletzt: Das war der grösste Blutzoll durch einen Einzeltäter bis heute. Auch hier richtet sich der Mörder anschliessend selbst. Glücklicherweise ist die Schweiz vom Ausmass und der hohen Frequenz solcher Amokläufe, wie sie in den USA üblich ist, bislang verschont geblieben.

Durch den islamistischen Terrorismus sind solche Blutbäder leider in Europa keine Seltenheit mehr. Aber Tschanun war nicht geistesgestört, kein fanatischer Terrorist. Er war offensichtlich von seiner Tätigkeit überfordert, damals kannte man den Begriff Burn-out noch nicht. Ebenso wenig die Symptome, die auf ein mögliches Ausrasten hinweisen könnten.

Damit ist Binswanger ein Primeur gelungen, rechtzeitig zum Jahrestag der Bluttat, der im Journalismus weiterhin eine grosse Bedeutung geniesst. Besonders bitter ist das für die Angehörigen der Todesopfer, die dadurch diese Schreckenszeit nochmal durchleben.

Aber richtig bitter ist es auch für den «Blick». Sein unermüdlicher Gerichtsreporter Viktor Dammann war schon damals dabei und darf auf «Blick tv» seine Artikel über den Prozess in die Kamera halten. «17 Jahre! Aber Tschanun blieb eiskalt», lautete einer seiner Titel. Das waren noch richtig schöne Boulevard-Zeiten. Und nun das. Man konzentrierte sich auf Pipifax wie ein neues, verunglücktes Logo, währenddessen zog Tamedia am «Blick» vorbei, und zwar vom Gröberen.

Der dienstälteste Profi und Gerichtsreporter Viktor Dammann.

Das konnte «Blick», mit oder ohne Regenrohr im Logo, nicht auf sich sitzen lassen. Also ballerte er gleich einen Strauss von Artikeln raus. «So gut lebte Tschanun», «so erhielt der Vierfachmörder eine neue Identität», «so starb der Vierfachmörder», dann ging «Blick» das «So» aus: «Hier ruht Vierfachmörder Günther Tschanun».

So lange Schlagzeilen wären damals undenkbar gewesen, im Bereich der grossen Buchstaben. Aber das alles nennt man im gepflegten Boulevard-Journalismus «Rehash». Also Bekanntes neu gewürzt, leicht ergänzt, gut gemixt – und nochmal serviert. Aber wo bleibt das Neue, wo bleibt die Story, zu der man mal wieder «Exklusiv» schreiben kann, sich auf die Schulter klopfen?

Endlich ein Durchbruch; Donghi kann sagen: ich bin dabei

Da kann es heute beim «Blick» nur einen geben: Ralph Donghi. Eine der letzten richtigen Boulevardgurgeln, hier im Duett mit Daniel Riedel. Der machte sich auf die Suche, schnüffelte und schüttelte und kam endlich mit der Story nach Hause. Er konnte mit dem Sohn der damaligen Freundin von Tschanun sprechen.

Donghi kann sein Glück kaum fassen. «Geliebte verriet Vierfachmörder bei der Polizei», «sie waren schon vor der Tat ein Paar», «Sohn von Clara F. packt aus». Allgemeines Aufatmen beim «Blick» . Auch beim Oberchef Christian Dorer, der gerade von seinem Reisli mit Aussenminsiter Cassis zurück ist. Nach seinen Schulaufsätzen darüber – furchtbar heiss hier – wunderte sich Dorer sicher über die Schweizer Temperaturen.

Aber nach dieser Story wurde ihm wieder warm ums Herz. Ganze 11 (!) Storys ballerte das schreibende Regenrohr in den letzten zwei Tagen insgesamt raus. Und was sagt der Dritte im Bunde, im Tageszeitungs-Duopol der Multi-Kopfblätter? Nicht viel sagt CH Media. Nur Oberchefredaktor Patrik Müller setzte zu einer Kollegenschelte in Richtung Christoph Mörgeli an: «Mörder Günther Tschanun war SP-Mitglied – spielt das eine Rolle?» Wie Mörgeli da sagen würde: «Die Frage stellen, heisst sie beantworten.»

Bleibt nur noch die Frage, ob das Thema damit ausgewrungen ist – oder ob irgend eine verborgene Stelle in Tschanuns Leben Anlass zu weiteren Nachzügen gibt. Oder ob die Mitbetroffenen wieder Ruhe haben.

Lob der NZZaS

Wieder mal eine –seltene – Gelegenheit. Wir loben die NZZaS. Warum? Sie hat über die Credit Suisse berichtet.

Nur der völlig unschuldig-naive Zeitungsleser kann sagen: na und? Alle anderen haben doch auch geschimpft. Das stimmt, aber hinter Mundschutz. Mit Schalldämpfer. In einem Tonfall, den man auch bei einem widerspenstigen Kind anschlägt. Leichte Gereiztheit, aber von pädagogischem Geist beflügelt.

Die NZZ selbst schaffte ein Interview mit dem CEO Thomas Gottstein. So viel Subersivität kann man ihr nicht zutrauen, dass sie ihn absichtlich so viele Bankerblasen blubbern liess, dass er sich damit innerhalb und ausserhalb der CS zum Deppen machte.

Aber nun kommt die NZZaS. Da geht’s schon mit dem Titel los: «Wie die Credit Suisse Milliarden verbrennt». Wie tut sie das? Nun, über das katastrophale Risk Management und die immer wieder erwiesene Unfähigkeit der Gierbanker wurde schon kräftig geschimpft.

Die NZZaS weiss eben, wie man das wirkliche Problem adressiert, nicht mit dem Finger in der Luft fuchtelt, sondern ihn schmerzhaft in die Wunde bohrt. Oder die Geldvernichtungsmaschine CS gnadenlos auseinandernimmt.

Mit wenigen Schnitten zum Kern des Problems durchgedrungen

Mit drei vermeintlich einfachen, aber punktgenau gesetzten Sonden.

  1. Schon 2011 wurde der CS von der Anlagestiftung Ethos vorgerechnet, dass ihre grossartige Investmentbank bislang 7 Milliarden Fr. Verlust produziert hatte. Der in zwei Wochen abtretende VR-Präsident Urs Rohner meinte damals noch arrogant: «Ich halte nichts von der Idee, aus der CS eine Art übergrosse Schweizer Privatbank zu machen
  2. Seit dem Amtsantritt dieses Versagers hat die CS zwar kumuliert einen Gewinn von 8,1 Milliarden erzielt. Allerdings: mit zehnmal weniger Angestellten hat das die ZKB in ähnlicher Höhe auch geschafft.
  3. In der Schweiz hat die CS auch kumuliert 15 Mrd. Fr. seit 2011 verdient. Also hat das weitergführte Abenteuer bei den Big Boys im Investmentbanking weitere 7 Milliarden Verlust beschert.

Sonst noch Fragen? Eigentlich nicht, aber noch ein paar weitere Antworten. Geradezu symbolisch für den Drang, ganz gross rauszukommen, war der Kauf von DLJ im Sommer 2000 für einen absurd hohen Preis. Dann platzte die Dotcom-Blase, und DLJ  wurde zur unglaublich schrumpfenden Investmentbank.

Sehr interessant ist auch der Gewinn-Vergleich zwischen CS und ZKB. Aber noch interessanter ist die Grafik daneben.

Links rot Gewinne und Verluste der CS, rechts blau die Anzahl der Geldvernichter.

Denn hier lodert das Fegefeuer, in dem Milliarden verröstet werden. Es handelt sich um die sogenannten «Key Risk Taker». Das ist das Fettauge auf den «Managing Directors». Von diesen «Risikonehmern» gibt es inzwischen rund 1400 in der CS (rechts blaue Linie). Die vermehrten sich wie die Schmeissfliegen. Von etwas über 400 auf über 1400 in zehn Jahren.

Die meisten arbeiten – where else – in London oder New York. Und haben als Söldnerseelen keinerlei innere Bindung an die CS. Eine sehr enge aber an den eigenen Geldbeutel. Diese Pfeifenbande hat ebenfalls seit 2011 bis heute sagenhafte 14 Milliarden Franken kassiert. Von verdient kann da keine Rede sein.

Das entspricht wiederum dem Doppelten des Gewinns, den der ganze Konzern mit seinen immer noch 40’000 Mitarbeitern in dieser Zeit erwirtschaftet hat. Das wurde diesen Multimillionären nachgeschmissen. Für welche «Risiken» denn? Nein, natürlich nicht für deren eigene, die Risiken musste immer die CS übernehmen. Und dafür Milliarden um Milliarden Verluste kassieren.

Milliardenverluste mit Milliardengehältern erkaufen? Macht Sinn

Wir fassen zusammen. Für einen Verlust von 7 Milliarden Franken (die aktuellen Klatschen noch gar nicht eingerechnet), hat die CS 14 Milliarden bezahlt. Das konnte sie (bislang) nur wegstecken, weil der Teil, auf den Rohner die CS auf keinen Fall reduzieren wollte, nämlich der Schweizer Ableger, Jahr für Jahr stabile Gewinne abwarf.

Noch Fragen? Ach, wieso die CS einen solchen Wahnsinn zehn und mehr Jahre durchzieht? Ein Geschäftsmodell, zu dem jeder Knirps sagte, der eine einfache Addition und Subtraktion an den Fingern abzählend beherrscht: «völlig gaga»?

Alles im grünen Bereich. Allerdings auf bescheidenem Niveau …

Das ist eine gute Frage. Dazu fällt mir auch keine Antwort ein. Ausser einer Anregung, die ich schon in St. Gallen deponierte. Dort ist die Polizei doch sehr erfahren in Wegweisungen. Zürich müsste auf den Knien um die Entsendung eines Detachements bitten. Es dann um die CS herum aufstellen und jeden, den eine Krawatte, Anzug und Bürolistenschuhe, sowie ein leicht arroganter Gesichtsausdruck als Banker enttarnt, sofort wegweisen.

Angesichts des Schadens, den er anrichten könnte, ist auch der Einsatz des Schlagstocks, von Reizgas und eine Verhaftung mit Kabelbinder und einem kräftigen Stoss in den Transporter absolut verhältnismässig.

Banker im Tränengas. Allerdings in Hongkong.

Leichenfledderei

War Robespierre Masochist? Nahm Nietzsche wirklich die Peitsche mit zum Weibe? Oder war Foucault pädophil?

Wenn eine Ideologie totalitär durchdreht, dann will sie nicht nur feste Regeln für richtiges Verhalten in Gegenwart und Zukunft aufstellen. Sondern auch die Vergangenheit säubern. Geradezu pervers wird das, wenn Verstorbenen aus heiterem Himmel sexuelle Abartigkeiten vorgeworfen werden.

Solche posthume Anschuldigungen gehen gerne viral. Sie brauchen nur drei Bestandteile. Ein toter, aber berühmter oder nachwirkender Mensch. Ein «neuer» Vorwurf, gerne auf sexuellem Gebiet, der aber jahrzehntelang stumm geblieben war. Und dann die Exegese durch Journalisten, die dann das tun, was auch Geier lieben: Leichenfledderei.

Das jüngste Beispiel ist der französische  Philosoph Michel Foucault. Es ist eigentlich erstaunlich, dass nicht schon viel früher solche Vorwürfe gegen einen der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts erhoben wurden.

«Wahnsinn und Gesellschaft», «Die Archäologie des Wissen», «Die Ordnung der Dinge», «Überwachen und Strafen» und schliesslich «Sexualität und Wahrheit», alle seine Werke schlugen wie Bomben in den Wissenschaftsbetrieb, in die Philosophie ein.

Wie zeigt sich Macht in der Gesellschaft?

Seine Forschungen drehten sich immer um eins: um die Ausformungen von Macht. Strukturalistisch in der Methode, spürte er den verschiedensten Machtstrukturen nach; durch Unterscheidung zwischen Vernünftigen und Wahnsinnigen, durch alle Formen der Ausgrenzungen in Gefängnissen, in anderen Institutionen der Gesellschaft.

Vornehmlich auch im Bereich der Sexualität, eine der wichtigsten Kampfplätze der Machtausübung, durch Ausgrenzung, durch Definitionen von Perversion, durch das Einpflanzen moralischer Imperative, die mit sexuellen Wünschen in Konflikt geraten.

Foucault war ein radikaler Denker, der enzyklopädische Streifzüge durch die Geschichte, die Kunst, durch Strukturen der Machtausübung unternahm. Er lebte genauso radikal; nahm Drogen, war homosexuell und starb 1984 an Aids. Die Beschäftigung mit seinen Werken lohnt sich bis heute.

Aber für Flachepigonen wie Andreas Tobler ist eine andere Frage viel wichtiger: «War der Starphilosoph pädophil?» Im typischen Spekulationston stellt Tobler in den Raum: «Michel Foucault soll Buben missbraucht haben.» Wenn das so wäre, wäre das widerlich. Aber: was tut das fast 40 Jahre nach Foucaults Tod zur Sache? Welche Belege gibt es dafür?

Ein mässig erfolgreicher Publizist macht damit in der «Sunday Times» Ende März 2021 auf sich aufmerksam. Er berichtet von einem Besuch bei Foucault, der damals in Tunesien lebte. Er will gesehen haben, dass acht-, neunjährige Kinder Foucault hinterhergerannt seien und «nimm mich» gerufen hätten. Der Denker habe ihnen Geld zugeworfen und gesagt, man treffe sich um zehn Uhr nachts am «üblichen Ort». Das sei der Friedhof gewesen, wo Foucault auf Grabsteinen Sex mit den Buben gehabt habe, will Guy Sorman wissen.

Erinnerung nach über 50 Jahren

Das soll sich an Ostern – 1969 abgespielt haben. Wieso Sorman diese Anekdote über 50 Jahre für sich behielt, erklärt er nicht. Der damalige Lebensgefährte von Foucault erklärt kategorisch, dass diese Vorwürfe «chronologisch und objektiv falsch» seien. An Ostern 1969 sei Foucault gar nicht in Tunesien gewesen, zudem sei zu dieser Zeit offene Pädophilie in diesem arabischen Land höchst gefährlich und geradezu selbstmörderisch gewesen.

Auch sonst mag sich eigentlich niemand an dieses Ereignis oder an pädophile Verhaltensweisen von Foucault erinnern. Ausser einer ehemaligen Lebensgefährtin von Sorman, der es plötzlich auch wieder eingefallen sei.

Es ist ein Leichtes, selbst für philosophische Leichtmatrosen wie Tobler, damalige Manifeste heranzuziehen, die sich für eine Entkriminalisierung sexueller Praktiken, beispielsweise, aber nicht nur, von Homosexuellen einsetzten. Das war damals Zeitgeist, zusammen mit der Stundentenrevolte 1968 ging der Ruf nach sexueller Befreiung, Enttabuisierung. Nicht nur in Frankreich, auch die deutschen Grünen veröffentlichten noch Jahre später Positionen zur «Befreiung» sexueller Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern, solange diese «im gegenseitigen Einverständnis» stattfinden sollten.

Selbst der grosse Pädagoge Jürg JeggeDummheit ist lernbar») wurde Jahrzehnte später von damaligen Handlungen eingeholt und damit in seiner Reputation schwer beschädigt, obwohl er sich offen erklärte und keinesfalls Fehlverhalten bestreiten oder beschönigen wollte.

Nun also Foucault. Der Rundruf von Tobler bei Foucault-Kennern, ein Gespräch mit Foucaults Lebensgefährten, ergibt keine brauchbaren zusätzlichen Indizien. Der Verursacher der ganzen Aufregung weigert sich, weitere Belege anzuführen, zum Beispiel eine Kopie des damaligen Einreisevisums in seinem Pass.

Typischer Fall einer Null-Story

Als Tamedia noch Wert auf Qualität legte, wäre das ein typischer Fall einer zu Tode recherchierten Geschichte gewesen. War nix, aber war den Versuch wert, macht nix. Das geht heutzutage natürlich nicht mehr, also muss Tobler über 13’000 Anschläge absondern, als hätte er den Auftrag gefasst, für die «Republik» ein ganz kurzes Stück zu schreiben.

Im Wesentlichen darüber, dass da nichts ist. Das erinnert an die vernichtende und völlig richtige Kritik meines Freundes Hugo Loetscher an einer meiner ersten Reportagen über Kuba. «Nimm’s mir nicht übel», sagte er, «aber das liest sich wie eine Beschreibung, wie jemand nicht an irgendwas rangekommen ist und sich furchtbar darüber beklagt.»

Ich war einen Moment tief beleidigt, musste ihm aber uneingeschränkt Recht geben. Gut, dass er mich davor bewahrte, mich öffentlich lächerlich zu machen. Aber solche Skrupel hat Tobler schon lange nicht mehr.

Nur fällt selbst ihm auf, dass er versuchen muss, eine Begründung für diesen Sermon von «da ist wohl nichts» zu geben. Aber woher nehmen, und nicht stehlen?

Man merkt den abschliessenden Zeilen überdeutlich an, dass sie nach ausführlichem Kopfkratzen und einem länger anhaltenden Schreibstau entstanden sind. «Man» (wer ist man?) halte es «doch für ratsam, Foucaults Theorien mit der Möglichkeit eines Missbrauchs zu konfrontieren – also auszutesten, ob diese Texte nicht etwas zuarbeiten, was abzulehnen wäre.

Und Foucaults Theorien allenfalls zu modifizieren, sowie durch eine Ethik zu ergänzen, an der Foucault in seinen letzten Lebensjahren zu arbeiten begann».

Man kann Foucault nur wünschen, dass ihm diese Leichenfledderei an seinem philosophischen Monument erspart bleibt. Seine Theorien «modifizieren»? Durch Tobler? Himmel, alle Postrukturalisten der Welt, alle, die Kant von Hegel unterscheiden können: eilt Foucault zu Hilfe, beschützt ihn. Das hat er wirklich nicht verdient.

 

Hilfe, mein Papagei onaniert V

Hier sammeln wir bescheuerte, nachplappernde und ewig die gleiche Leier wiederholende Duftmarken aus Schweizer Medien. Subjektiv, aber völlig unparteiisch. Diesmal die Jugendunruhen in St. Gallen.

 

Die Leerstelle

Normalerweise schreiben wir über realisierte Attacken auf die deutsche Sprache, die Logik, die Wirklichkeit oder journalistisches Ungenügen in jeder Form. Diesmal müssen wir uns aber über eine Lücke sorgen.

Blick himmelwärts gerichtet.

Das dürfte der Flughöhe des neuen «Nebelspalter» entsprechen. Das Auge erfreut sich an einem wunderschönen Sonnenaufgang; welche Farben, welches Gemälde. Das ist schön, nur: die Wirklichkeit liegt unter der Nebeldecke.

Der grösste Skandal, der zurzeit die Schweiz umtreibt, liegt unter der Nebeldecke. Für den «Nebelspalter». Ist die Ankündigung eines neuen Virus-Typs aus Brasilien tatsächlich Corona-Hysterie? Ist das Porträt einer 24-jährigen Präsidentin des «Energie Club Schweiz» ein Must? Nur weil sie für Atomkraft ist?

Sind das wirklich die Themen nach Ostern? Fehlt da nicht was? Fehlt da nicht einiges? Natürlich soll der «Nebelspalter» offensichtlich keiner Berichtspflicht genügen müssen. Das ist auch völlig okay.

Zwei Überthemen in der Schweiz aktuell, neben Corona

Was nicht okay ist: Bei der Credit Suisse spielt sich gerade wieder einmal ein Skandal ab, der nicht nur wegen des Doppelschlags der Hiobsbotschaften singulär ist. Der Bank drohen Multimilliardenverluste. Ihr Risk Management ist weiterhin unter jeder Kanone. Dem abtretenden VR-Präsidenten Urs Rohner droht das gleiche Schicksal wie weiland Marcel Ospel.

Es ist keinesfalls klar, ob die CS dieses Desaster in ihrer heutigen Form überleben wird. Ob sie Staatshilfe als systemrelevante Bank anfordern muss. Wer von der aktuellen Geschäftsleitung und vom Verwaltungsrat spätestens nach der GV noch im Amt sein wird, ist völlig unklar. Das ist nun ein absolutes Must-Thema, selbst wenn man nur beitragen könnte, dass einem die Krawatten von Rohner noch nie gefallen haben.

Aber: Pausezeichen. Nicht mal Nebel. Nichts gespalten. Null. Dann gäbe es noch die rechtsstaatlich mehr als fragwürdige Aktion der St. Galler Polizei, über 600 ihnen verdächtig vorkommende Jugendliche ohne grosse Anhörung wegzuweisen. Nicht etwa für 24 Stunden, sondern für die maximale Dauer von 30 Tagen.

Dazu muss ein sich als «klar liberal» bezeichnendes Magazin etwas sagen. Müsste.

Da wir als Bezahlschranken-Leugner nur sehr beschränkten Zugang zum Inhalt haben, liessen wir mal von zwei Fachleuten die Performance der Webseite analysieren. Deren vernichtendes Urteil werden wir demnächst veröffentlichen. Hier nur ein erster Kommentar: «Die Homepage hat den Charme eines Wühltischs.»

Wegweisen, warum nicht?

Selbst der «Blick», der sich wohl nicht als «klar liberal» bezeichnen würde, kümmert sich um die Frage: «Sind die Rayonverbote legal?» Eigentlich nicht, ist das unsichere Ergebnis, aber.

Hier zeigt auch der «Blick» eine bedenkliche Schwäche bei der Verteidigung des Rechtsstaats. Unbestritten, dass die Ordnungskräfte diese Kompetenz haben. Aber: sie sollte nur mit Vorsicht ausgenützt werden, denn hier gilt sozusagen die Beweisumkehr. Nicht die Staatsmacht muss Absicht oder Schuld nachweisen, um sanktionieren zu können. Der Jugendliche, der am Ostersonntag den Fehler machte, vom St. Galler Hauptbahnhof aus zu welchem Behuf auch immer in die Stadt zu spazieren, musste belegen, dass er das nicht in der Absicht tut, dort Randale zu veranstalten.

Wie kann er das? Selbst wenn er die Bestellung für ein Sushi auf seinem Smartphone vorweisen kann: was spricht dagegen, dass er so gestärkt zum Gewalttäter wird? Es kommt hinzu, dass prinzipiell Wegweisungen für 30 Tage ausgesprochen wurden. Dieses Maximum erfordert obligatorisch eine Anhörung des Betroffenen. Das sei angesichts der vielen Jugendlichen nicht möglich gewesen, räumt die Polizei ein.

Wie steht es denn mit Jugendlichen, die in der Stadt arbeiten oder zur Schule gehen? Der Sprecher der Stadtpolizei darf im «Blick» unkommentiert sagen: «Wer Zweifel hat, ob er zur Schule darf, kann uns anrufen und fragen.» Dümmer als die Polizei erlaubt; das gilt offenbar nicht für die Polizei selbst.

Leider offenbart der «Blick» auch kleine Schwächen bei seinen Kernthemen.

Ist die NZZ klar liberal?

Immerhin, sie weicht dem Thema nicht aus und erteilt einem Strafrechtsprofessor das Wort. der ist nun in erster Linie Staatsangestellter, also temperiert er seine Kritik an dieser Massnahme auf lauwarm runter. Er hält Wegweisungen für ein taugliches Mittel, logo, ist aber «überrascht» über die Ausnützung der Maximaldauer von 30 Tagen: «Das scheint mir sehr lange zu sein.»

Messerschärfer könnte man das nicht formulieren. Der Professor ist zudem verwundert, dass das Rayonverbot für die ganze Stadt St. Gallen inklusive Aussenquartiere ausgesprochen wurde. Dass es in diesem Fall eine ordentliche Anhörung des Betroffenen bräuchte, ist ihm aber keine Bemerkung wert.

Dafür macht er auf das absurde Mittel des Rekurses aufmerksam. Bitte schriftlich ans Sicherheits- und Justizdepartement richten. Da die Einsprache keine aufschiebende Wirkung hat und es dem Betroffenen wahnsinnig viel nützt, wenn am Tag 31 entschieden wird, dass in diesem Einzelfall das Rayonverbot zu Unrecht ausgesprochen wurde, ist das Pipifax.

Im Übrigen zeigt hier die Verödung der Schweizer Medienlandschaft wieder ihr hässliches Gesicht. Die Gratisportale berichten so neutral wie möglich. Tamedia und CH Media stellen sich eindeutig hinter die Massnahme. «Blick» und NZZ eiern.

Nur «Die Ostschweiz» bezieht klar Stellung: «Der Rechtsstaat ausser Rand und Band», leitartikelt der Chefredaktor. Immerhin ein klar Liberaler.

 

Packungsbeilage: René Zeyer publiziert auf «Die Ostschweiz» und hat sich dort schon selbst zu den Ausschreitungen geäussert.

 

Onanieren mit Parisern

Pardon, das ist nicht vulgär, sondern ein Zitat vom grossen Bertolt Brecht. Gut, den kennen die heutigen Kindersoldaten des Journalismus auch nicht. Aber man kann ja googeln.

Es war eines der Lieblingszitate meines Streitgenossen Niklaus Meienberg (auch googeln, bitte): «Es gibt Menschen, die onanieren. Es gibt Menschen, die vögeln mit Parisern. Und es gibt Germanisten, die onanieren mit Parisern.»

Das hat mich als studierten Germanisten hart getroffen, aber natürlich hatten Brecht und Meienberg völlig recht. Dieses Zitat kann man auch prima auf die aktuelle Journaille anwenden.

Die geht da sogar noch einen Schritt weiter, sozusagen. Sie greift sich reihum in den Schritt und massiert das Gemächt. Ohne Rücksicht darauf, wie peinlich das für die Zuschauer ist. Ein aktuelles Beispiel dafür, denn mehr würden bei Autor und Lesern wohl Würgereflexe auslösen.

Da schreibt der Leiter der Bundeshausredaktion der ehemaligen Qualitätsmedien aus dem Hause Tamedia eine sogenannte «Analyse zu St. Gallen». Für diesen Tiefflug über unbekanntem Gelände sollte man Fabian Renz die Verwendung des Wortes Analyse für seine Restlaufzeit als Journalist verbieten.

Unbelegtes Gefasel, eine Dummheit auf die nächste gestapelt. Sein Tagi-Kollege Marc Brupacher hatte schon zuvor auf Twitter etwas in die Debatte gerülpst. In seiner üblichen strahlenden Dummheit.

Journalisten loben Journalisten – öffentlich

Lässt sich das noch steigern? Locker. Kaum ist diese Schwachstrom-«Analyse» erschienen, dieser in Buchstaben gefasste Wackelkontakt mit der Wirklichkeit, enblöden sich andere Tagi-Mannen nicht, ihrem Kollegen an den, nein, so wollen wir das nicht formulieren. Obwohl, wie sollte man diesen Tweet von Sandro Benini sonst bezeichnen:

Man kann sich winden und wegdrehen, mehr nicht.

Häufig? So Kommentare von Laura de Weck, Barbara Bleisch, Peter Burkhardt und vielen anderen? Ein Tiefpunkt nach dem anderen. Während sich sogar das Kummer gewohnte Lesepublikum darüber lustig macht, setzt Brupacher noch ein kleines Highlight:

Du rubbelst mich, ich rubble dich, wir rubbeln uns.

Daraus kann man ableiten, dass Brupacher nicht der Ansicht von Benini ist. Aber wer alles Dumm-Kommentare schreibt, das verrät uns der leitende Tagi-Redaktor leider nicht.

Man muss sich schon fragen, welches Niveau hier noch nach unten durchbrochen werden kann. Tamedia gleicht immer mehr einem tiefergelegten Auto. Bodenabstand kaum mehr vorhanden, jede kleine Bodenwelle lässt das Blech wegfliegen.

Ex-Press XXXIV

Blüten aus dem Mediensumpf.

 

Diesmal die Ostereier-Spezial-Ausgabe mit viel Eierlei.

Milde gestimmt am Tag der Auferstehung wollen wir diesmal nur lustige Eier vorführen, die die Schweizer Medien ausgebrütet haben. Wobei wir wohlwollend berücksichtigen, dass es schon ziemlich blöd ist, dass wegen Corona so viele lieb gewonnene Seitenfüller an Ostern wegfallen.

Zunächst aber ein Höhepunkt aus dem journalistischen Schaffen des grossen deutschen «Nachrichtenmagazins», des einzigen und wahren «Spiegel»:

«Wer sehr häufig auswärts isst, hat ein höheres Risiko, an Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben. Das zeigt eine Studie. Durch richtige Wahl der Speisen lässt sich die Gefahr auch mindern.»

Früher war das die Rettung für Boulevard-Medien, wenn es nun überhaupt nichts zu skandalisieren gab. Dann half eine «Studie» ungemein. Das Zaubertrick heisst: Korrelation mit Kausalität verwechseln.

Glatzköpfige werden schneller impotent; eine besonders hohe Zahl von schwarzen Katzen bewirkt häufigere Todesfälle durch vom Dach stürzende Ziegel. Wer von roten Tellern isst, bekommt schneller Magengeschwüre. Usw.

Dafür braucht es nur zwei Dinge: die Korrelation von zwei möglichst zusammenhangslosen Phänomenen und irgend etwas, das sich als Studie bezeichnen lässt. Es gibt sogar die grossartige Institution des Ig-Nobelpreises (ig für ignoble, unwürdig, schändlich).

Gemischte Signale aus dem Hause Tamedia

Man soll auch loben können; vom Titel bis zur letzten Zeile ist das mal ein gelungenes Interview mit grossem Spassfaktor, obwohl der Tamedia-Streichelzoo auch hier das Thema «sexuelle Belästigung» hochziehen muss. Aber die Antworten von Tana Douglas entschädigen auch dafür.

Sie war der erste weibliche Roadie, sieht auch noch mit 63 spannend aus und hält mit ihren Antworten, was das Titelquote verspricht: «Ich trank jeden Mann unter den Tisch.»

 

Screenshot SonntagsZeitung.

Hinzuzufügen wäre, dass es die einzige Ausnahme nicht überlebte.

Eigenwilliger Oberchefredaktor

Etwas eigenwillig versucht der Oberchefredaktor von Tamedia die karge Osterzeit zu überstehen. Arthur Rutishauser erzählt einfach die Titelstory der «Handelszeitung» über eine nun schon drei Jahre zurückliegende Machtkampfposse bei der grossen Revisionsgesellschaft EY nach. Er reichert sie lediglich mit einem Namen an; das Original sei aber allen empfohlen, die einmal einen Blick in die Innereien einer Chefetage nehmen wollen. Sehr interessant ist dabei auch, wie die Medien benützt werden; mit Anfüttern und Durchstechen; diesmal spielte allerdings «Inside Paradeplatz» dabei keine gloriose Rolle.

Wo Eier gelegt werden, gibt es auch faule Exemplare darunter. Denn die SoZ bewirtschaftet weiter ihr Lieblingsthema, ob und wie Bundesrat Berset eine Schweizer Impfproduktion für die Schweiz in den Sand gesetzt habe. Erkenntnisstand heute: Genaueres weiss man nicht wirklich.

Das hindert aber den Wirtschaftschef nicht daran, den Zweihänder zu schwingen: «Lonza-Debakel: Bersets Rechtfertigung fällt in sich zusammen», wütet Peter Burkhardt. So nachtragend sind Journalisten, wenn sie eine Richtigstellung einrücken mussten, die eine Falschmeldung korrigierte.

Zumindest originell ist das Ei, das die SoZ dem designierten Post-Boss und ehemaligen Parteipräsidenten der SP schenkt: «An der Spitze der Post braucht es nicht einen schnittigen, auf Shareholder-Value getrimmten Manager, sondern eine Integrationsfigur. Eine, die dem Service public verpflichtet ist.» So schleimt sich Bundeshausredaktor Mischa Aebi ins bald erfolgende erste Exklusiv-Interview mit Christian Levrat. Unbeschadet davon, dass es sich um einen weiteren, übelriechenden Fall von Beziehungskorruption handelt.

 

Der Untergang der Sternchen?

Eigentlich hatten wir uns ein einstweiliges Schweigeglöbnis zum Thema Genderstern und Proteststernchen auferlegt. Aber das hier ist stärker als die besten Vorsätze. Der Tagi hat den groben Fehler gemacht, in einer Umfrage wissen zu wollen, wie es denn die lieben Leser mit dem Asterisk, auch berüchtigt als Gendersternchen, hielten.

Am Himmel, da leuchten die Sterne …

Immerhin über 18’000 Leser nahmen daran teil. «Lediglich 5,5 Prozent stimmten dabei für den viel diskutierten Genderstern. Schlechter schnitt nur das generische Femininum ab.» Tschakata. Da ist guter Rat teuer. Sind die Leser einfach noch nicht so weit, zu träge oder gar zu ungebildet? So weit will der Autor nicht gehen, aber bevor auch Linus Schöpfer in Gefahr gerät, als übler Sexismus-Macho in Fadenkreuz zu geraten, schreibt er tapfer:

«Ist die Umfrage also ein Plädoyer für den Status quo, fürs generische Maskulinum? Nein. 

Denn von den sieben Möglichkeiten vereinte die etablierte, lange von allen ganz selbstverständlich genutzte Variante bloss 47 Prozent der Stimmen auf sich.»

Da lachen selbst die Sterne Tränen. Obwohl sie generisch männlich sind.

Ein Interregnum ist immer Saure-Gurken-Zeit

Die NZZaS dümpelt im Interregnum bis zum Antritt von Jonas Projer so vor sich hin. Das «Magazin» inhalts- und blutleer, aber immer für einen Aufmacher auf der Front gut, wenn sonst nichts los ist. Eine Protestnote zur absurden Tatsache, dass über Ostern die Impfzentrum Pause machen und ein eher samtpfotiges Porträt über den abtretenden Credit-Suisse-VR-Präsidenten Urs Rohner.

Es wird knallhart recherchiert, dass man Rohner vieles vorwerfen kann, aber nicht, auch noch Rassist zu sein, wie der über einen Bespitzelungs-Skandal gestolperte Tidjane Thiam über die «New York Times» verbreiten liess.

Aber ansonsten hätte eigentlich die Entwicklung des Aktienkurses während seiner Amtszeit (minus 70 Prozent) und die Ausgaben für Strafzahlungen und Rechtskosten (dabei war Rohner zuerst Chief Legal der Bank) von 13 Milliarden Franken für ein Porträt völlig ausgereicht.

Natürlich fragt sich die NZZaS, wie «weisse Weste» Rohner das alles überleben konnte und sich nun zum Ablauf seiner maximal möglichen Amtszeit schleppt. Aber diese Frage wird auch hier nicht beantwortet; genauso wenig wie bei «gespannte Weste» Axel Weber bei der UBS.

Wir diskriminieren den SoBli nicht. Niemals.

Bevor sich der Sobli über Diskriminierung beklagt: Hier zwei Duftmarken:

«Che Guevara hängt auf halbmas».

«Diagnose nach Puck-Treffffer war ein Schock für Nico Hischier.»

Das Geschoss scheint auch die f-Taste getroffen zu haben.

Ansonsten: Ei, Eier, Eierlei. Dazu die Frage: wo ist Frank A. Meyer? Beim Eiersuchen verloren gegangen?

 

Frage in den Nebel

Über zwei Wochen seit dem Neustart des Nebi: Was ist genau neu?

Bei jedem Relaunch eines Mediums helfen zwei Faktoren. Interessanter Inhalt im Allgemeinen, ein Primeur oder zwei, damit man zitiert wird.

Natürlich auch der Lockstoff, mit dem Inhalt Unentschiedene zu überzeugen, ein Abo abzuschliessen, also Geld in die Hand zu nehmen. In diesem Punkt kennt der neue «Nebelspalter» nichts. Gratis ist nicht, alles, was mit Buchstaben zu tun hat, kostet, bevor man es lesen darf.

Interessanter Inhalt? Ich als Zahlungs-Leugner kann nur einen im wahrsten Sinne des Wortes oberflächlichen Eindruck wiedergeben. More of the same, würde der Ami sagen; Themen, Autoren, Inhalte: das hat alles so einen Geruch nach eingeschlafenen Füssen und und dem Gestus: Wir haben’s schon immer gesagt, deshalb sagen wir’s hier nochmal.

Neue Entwicklungen sollen doch nicht den Trott stören

Dafür sendet der «Nebelspalter» das Pausenzeichen, wenn es um den wohl grössten Schweizer Krisenfall dieses Jahres, wenn nicht dieses Jahrzehnts geht. Zwar darf der abgehalfterte Eric Sarasin, der noch so schön Akquise nach alter Herren Sitte machte, über «Vom Vehikel zum Megatrend Elektroauto» labern, was einen Newsgehalt nahe beim absoluten Nullpunkt hat.

Aber nachdem Sarasin auch dem deutschen Milliardär Carsten Maschmeyer Cum-Ex-Gebastel angedreht hatte, was der gar nicht komisch fand, hat Sarasin genügend Zeit für Musse und Besinnung.

Was kümmert uns die Credit Suisse?

Man fragt sich allerdings: Und die Credit Suisse? War da nicht was? Gibt’s da nicht ein, zwei kleine Probleme? Oder sogar grosse Probleme? Möglicherweise existenzbedrohende Probleme? Bei einer der beiden übrig gebliebenen Schweizer Grossbanken? Die in den letzten zehn Jahren nach der Finanzkrise eins weiter zu Schanden geritten wurde? Von weissen Westen und schwarzen Hoffnungen? Die den Aktionär mit einem Wertzerfall von 70 Prozent erfreute?

Aber was ist das schon gegen «Die Gurke der Woche»? Oder «Schuh kompliziert»? Oder die gähnlangweilige Abrechnung mit Christian Levrat, der selbstverständlich nicht wegen seinen unternehmerischen Fähigkeiten zu seinem Ruhepöstchen kam? Ex-Banquier Konrad Hummler weist auf eine «gefährliche Kurspflege» der US-Notenbank hin. Aber dass der Aktienkurs der CS mal wieder einstellig geworden ist, das ist kein Thema?

Der umständlich verzettelte Aufbau der Webseite erleichtert es dem Lesewilligen auch nicht gerade; kommt halt davon, wenn der eigene Geschäftsführer auch noch CEO und Gründer der Bude ist, die das Content Management System für den «Nebelspalter» entwickelte. Der findet überraschenderweise sein Produkt ziemlich toll und weigert sich im Übrigen, auf Fragen zu antworten. Weil Hochmut bekanntlich vor dem Fall kommt.

Gab’s denn noch keinen Brüller vom neuen «Nebelspalter»?

Also hat der Nebi bislang keinen einzigen Brüller produziert, einen richtigen Hammer, etwas, das die anderen Medien aufnehmen mussten, das für Aufmerksamkeit sorgte? Jein, muss man da sagen.

Der Ansatz war da: «Breaking News» lärmte der NL am Donnerstag. War zwar nicht ganz der richtige Begriff, aber so in der Eile … Die News war: «Toni Brunner will ins Parlament zurück.» Die Spekulation: «Bundesratsambitionen»? Brunner als Brückenbauer und SVP-Retter und Garant für eine bürgerliche Corona-Bekämpfung, das wär’s.

Hat er Grund zum Grinsen? Toni Brunner.

Aber wieso sollte er das ausgerechnet dem «Nebelspalter» verraten? Einschaltquote kaum messbar, also eine schlechtere Plattform hätte er sich nicht aussuchen können. Dafür wäre ihm nicht nur die WeWo, sondern natürlich auch die NZZ offen gestanden. Oder wollte der Nebi damit klarstellen, dass er die Nachfolgelösung für Christoph Blocher hat, und die heisst nicht Roger K.? Und auch nicht Magdalena M.?

Aber gut, vielleicht war Brunner ja dem Witz und Charme des Chefredaktors Markus Somm erlegen. Immerhin, das wäre tatsächlich mal ein Knaller gewesen. Solange, bis die von vielen schon erwartete Auflösung im zweiten NL des Tages kam: «April, April.» Danach wird es wieder etwas holprig, wenn der Nebi versucht, witzig zu sein.

Er verkündet seinen Lesern, dass der Donnerstag der 1. April sei, was denen ja auch mal gesagt werden musste. Um fortzufahren:

«Toni Brunner, der Charismatiker aus dem Toggenburg, wird nicht in die Politik zurückkehren, wie er uns in einem exklusiven Interview im Nebelspalter versprochen hat. For the record: Er hat das Interview vergangene Nacht um 2 Uhr 03 autorisiert, nachdem wir uns diesen Aprilscherz einige Stunden zuvor ausgedacht hatten. Er war bei Verstand, ich auch.»

Ach ja? Zu dieser nachtschlafenden Zeit entsteht noch schnell ein Aprilscherz beim «Nebelspalter»? Weil der 1. April einen zwar jedes Jahr, aber immer wieder so unerwartet anspringt? Ui, ui. Also weiter nach der Devise: Scherz lass nach.

1939: Das waren noch ganz andere Zeiten – und ein anderer «Nebelspalter».