Die Plattmacherin

Alles nur geträumt? Eine Archäologie am Berg.

Sibylle Berg hat ein bedeutendes Oeuvre geschaffen. Immer getragen von finsterer Weltsicht und artistisch dekorierter Depression.

Ob sie ihre eigene Biographie aufgehübscht, fiktionalisiert oder schlichtweg erfunden hat, ist eine lässliche Sünde. Wenn Journalisten ihr das alles abgenommen haben, ohne auf Widersprüchlichkeiten oder mangelnde Belege aufmerksam zu werden, wohlan. Lucien Scherrer von der NZZ hat die verdienstvolle Knochenarbeit geleistet, nachzugrübeln – um zum Ergebnis zu kommen, dass für vieles, für allzu vieles jeglicher Beleg fehlt; vom schweren Unfall über den Selbstmord der Mutter bis zur Dissidenz in der DDR.

Selbst über Geburtsdatum oder den Ort, wo Berg aufgewachsen sein will, gibt es verschiedene Angaben – von ihr selbst. Daher ist es absurd, sie damit verteidigen zu wollen, dass ihre Biographie privat sei und niemanden etwas angehe. Dahinter versteckt sie sich selbst, lässt das ihren Anwalt sagen – und nur rudimentär gebildete Journalistinnen wie Alexandra Kedves versuchen, das mit untauglichen Beispielen zu verteidigen: «Bezüglich ihres Privatlebens darf sie sich bedeckt halten, so wie das eine Menge Autorinnen und Autoren vor ihr taten.»

Kedves sollte es bei backfischartigen Schwärmereien «Kehle-Zuschnür-Momente, die hier für diese so gespaltene, so wunde Nation geschaffen wurden» in wackligem Deutsch bewenden lassen und nicht Grössen wie Thomas Pynchon für untaugliche Vergleiche missbrauchen.

Nun ist es unbezweifelbar so: in ihrem literarischen Werk, selbst in ihrer Biographie darf Berg Dichtung und Wahrheit vermischen, wie es ihr drum ist. Schreibt sie als Journalistin, sieht das ganz anders aus. Da gibt es nur die Wahrhaftigkeit – oder den Missbrauch des Vertrauens des Lesers, der ja dem Autor glauben muss, dass der gesehen, erlebt und recherchiert hat, was er schreibt.

Schauen wir uns die drei von Scherrer erwähnten Artikel von Berg einmal genauer an. Da wäre zum ersten «Der Totmacher», im November 1996 in ehemaligen Nachrichtenmagazin «Facts» erschienen. Copyright beim «Zeit Magazin», wir kommen darauf zurück. Fast 15’000 Anschläge über den polnischen Massenmörder Leszek Pekalski, der 57 Menschen umgebracht haben soll.

Berg verwendet einleitend diesen pseudo-literarischen Sound der Verdichtung, der guten «New Journalism» ausmacht, aber sehr schal wird, wenn er nicht gekonnt ist:

«Der Ort liegt da wie besoffen, wie im Koma liegt er da, in der Mittagshitze. Ein Nest in Polen. Eine staubige Strasse und Regen drauf, ganz offen, das Dorf zu säubern von versautem Leben. Eine ausgehöhlte Fabrik. Bekloppte Hunde kläffen, als gäbs da was zu bewachen. Links und rechts als Häuser getarnte Ruinen, als Menschen verkleidete Säufer. Wanken am Strassenrand, zum Kiosk, zum Saufen, die Beine nur von Gummistiefeln am Boden gehalten.»

Man weiss es ja, die Polen sind Säufer, die Lage ist hoffnungslos. So beginnt auch angeblich das Leben des Mörders: «Hier wird 1966 Leszek Pekalski geboren. Sein Vater ein debiler Traktorist, seine Mutter eine Magd, die Zeugungsnacht eine Vergewaltigung. Dreck, vom ersten Tag an.»

Dann kriecht sie in das Leben von Pekalski, als sei sie dabei gewesen: «Sitzt er in diesem Zimmer, auf dem Bett, und weiss die Feinde draussen, die Leere draussen. Und drinnen. Und wartet, dass die Zeit vergeht. Vergeht nicht, die Scheisszeit. So gern hätte er etwas für sich, das die Langeweile wegmachen würde. Fasst er sich an und weiss auf einmal, was ihm helfen würde.»

Aber Polen ist halt trostlos: «Kommt die Nacht, ist Polen verlassen. Alle sitzen in ihren Häusern, trinken.» Vielleicht ist Polen nicht verloren, aber verlassen und versoffen.

Dann überfällt Pekalski im Wald eine Frau, auch hier ist Berg dabei, sozusagen in ihm: «Endlich hat Leszek etwas, was ihm gehört. Er zieht sie aus, er untersucht die Frau. Sie wehrt sich nicht. Fein. Eine warme, weiche Frau. Das tut gut. Das riecht gut. Frauenhaar, Frauenkörper. Auf ihr liegen. Neben ihr. Bewegt sich nicht, kann er alles in sie stecken, kann er stark sein, Mann sein

Wenn es widerlich wird, ist Berg in ihrem Element, die Beschreibung der Vergewaltigung einer 13-Jährigen: «Sie lebt noch, als Leszek sie vergewaltigt. Sie lebt, trotz des Blutes, das aus ihrem Kopf kommt, trotz der Knochen, die im Hirn stecken. In ihrem Schmerz, ihrer Angst bis zum Wahnsinn, zerbeisst das Mädchen sich die Finger, bis das Weisse rausschaut.»

Dann fabuliert Berg ihre eigene Begegnung mit dem Mörder im Gefängnis: «Journalisten empfängt er nur, wenn sie ihm seine Wünsche erfüllen. Tüten voll Pornohefte, Schokolade, Kekse. Journalisten kommen viele, weil jeder gerne Mörder guckt. Ist ein gutes Grauen, dem Leszek gegenüberzusitzen, auf Armlänge, die Bewacher im Nebenraum.»

Auch sie habe seine Wünsche erfüllt: «Da schaut er lieber in die Tüte, wo die Schokolade drin ist und die Pornohefte.»

Nun gibt es hier ein paar Probleme. Berg will zum Beispiel auch wissen, wie es im Haus des Onkels des Mörders roch und aussah, als Pekalski dort einzog: «In einem heruntergekommenen Haus steht er, der Leszek, der versagt hat, in einem dunklen Flur, der stinkt, nach Moder, nach verfaulten Abfällen. In der guten Stube werden die Wände zusammengehalten von Heiligenbildern und Kruzifixen, und zu reden gibt es nichts. Der Onkel zeigt ihm ein Zimmer. Eine Stiege hoch, in den ersten Stock. Zwölf Quadratmeter gross. Tapete wellt von den Wänden. Pappe im Fenster, statt Scheiben. Ein Bett.»

Frage: Woher weiss Berg das? Ist sie dort gewesen? Hat’s Jahre später immer noch gestunken? Der Prozess war nur in kleinen Teilen öffentlich. Und da gibt es den Autor Jaques Buval, der aufgrund von Interviews mit Pekalski im Gefängnis (zu denen er ihm Schokolade und Pornohefte mitbrachte) später ein Buch über den Fall schrieb.

Diese mit Video aufgezeichneten Interviews spielten eine bedeutende Rolle im Prozess. Nun hat schon Truman Capote in seinem (im Übrigen furchtbar mäandernden) Werk «Kaltblütig» mit äusserster Genauigkeit die Morde (und die Mörder) einer vierköpfigen Farmerfamilie beschrieben. Allerdings als Rekonstruktion aufgrund von Akten, Zeugenaussagen und Gesprächen mit den Mördern.

Er erweckte dabei niemals den Eindruck, er sei selbst dabei gewesen; sozusagen als unsichtbarer Zuschauer oder versteckt im Hirn der Täter. Das ist in einer Reportage auf jeden Fall unstatthaft.

Die Beschreibung der Polen und Polens als hemmungslose Säufer in einem trostlosen Land ist an Rassismus und Diskriminierung schwer zu überbieten. In einer literarischen Verdichtung einer Reportage muss der Leser immer wissen, was faktisch unterlegt und was Ausdruck der literarischen Fantasie des Autors ist. Wer mit schalen und wohlfeilen Metaphern arbeitet, erweckt Misstrauen:

«Polen ist überall, der Sozialismus ist überall, und Stumpfheit liegt auf dem Land wie grauer Schmier

Diese Grenzen überschreitet Berg in ihrer «Reportage» mehrfach. Der Sound ihres Artikels ähnelt fatal den Werken von Tom Kummer oder von Claas Relotius. Diese zwei Serientäter haben mit ihren erfundenen oder fabulierten Geschichten dem Ansehen des Journalismus im Allgemeinen und des «Zeit Magazin» sowie des «Spiegel» im Speziellen schweren Schaden zugefügt. In beiden Fällen hatte die Aufdeckung ihrer Lügenstorys personelle Konsequenzen.

Wie heisst es doch heutzutage immer so schön: Im Fall von Sibylle Berg gilt die Unschuldsvermutung … Sie wird Gelegenheit bekommen, zu den hier aufgeworfenen Fragen (und zu einigen weiteren zu weiteren Artikeln) Stellung zu nehmen.

Weiss Berg, was in diesem Kopf vorgeht?

 

 

 

Mediales Trauerspiel UBS/CS

Es geht um insgesamt 275 Milliarden Franken. Steuer- und Staatsgelder.

Das wären schon ein paar Gründe, mehr Artikel über den Aufkauf der Credit Suisse zum Schnäppchenpreis zu schreiben – als über Unterleibsgeschichten eines deutschen Sängers.

In den letzten 7 Tagen sind 1001 Artikel über die CS erschienen – und 756 über Rammstein. Bei der deutschen Krawallband geht es um die Behauptungen von anonymen Groupies, sie seien gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen worden.

Bei der Zwangsfusion zwischen CS und UBS, angestossen und faktisch erzwungen durch den Bundesrat, stehen immerhin insgesamt 275 Milliarden im Feuer. 250 Milliarden Liquiditätsgarantie durch die SNB. 9 Milliarden Risikoübernahmegarantie durch den Bund. 16 Milliarden AT1-Bonds, die mit einem Federstrich von der Bankenaufsicht FINMA ausgelöscht wurden – Staatshaftung.

Da könnte man erwarten, dass in den Schweizer Medien entschieden mehr Artikel zu diesem gigantischen Risiko erscheinen – vom Risiko einer Dinosaurier-UBS ganz zu schweigen.

Aber das erregt nur unmerklich mehr Aufmerksamkeit. Alleine über den Frauenstreik erschienen in der letzten Woche 840 Artikel. Dabei steht bei dieser fragwürdigen Kaufaktion immerhin ein Viertel des Schweizer BIP im Feuer. Dabei hat hier das Image der Schweiz als Rechtsstaat mit Eigentumsgarantie schweren Schaden genommen.

Zudem sind viele Artikel aus der «Financial Times» und anderen Organen abgeschrieben, wo noch recherchiert wird. Zudem hat ein Einzelkämpfer wie Lukas Hässig die Idee, mal im Handelsregister den Fusionsvertrag genauer anzuschauen – sonst niemand. Damit hat Hässig schwarz auf weiss und amtlich, dass die UBS mit 3 Milliarden Einsatz 20 Milliarden Gewinn gemacht hat – ungeheuerlich.

Zählt man noch die geschenkten 16 Milliarden AT1 hinzu, sind es sogar 36 Milliarden. Da staunte sogar Dagobert Duck

Weitere Ungereimtheiten stehen im Handelsregister, wenn man schaut. Die «Credit Suisse Group» ist tatsächlich gelöscht, existiert nach der Übernahme durch die UBS nicht mehr. Aber siehe da, am Paradeplatz 8 residiert immer noch die «Credit Suisse AG». Sie besteht seit dem «5. Juli 1856» und wurde am 27. April 1883 ins HR eingetragen. Fröhlich werden letztmals am 15. Mai Mutationen bei der Unterschriftenberechtigung vorgenommen, laut HR hat sogar Axel Lehmann noch seinen Job als VR-Präsident.

So als kleiner Lachschlager nebenbei. Aber selbst ins HR zu schauen, das ist im heutigen Elendsjournalismus den Wirtschaftsredaktoren nicht gegeben.

Auch eine ganz einfache und  naheliegende Frage stellen sie nicht, diese Koryphäen.

Der Bund, also der Steuerzahler, geht unbezweifelbar auf verschiedene Arten ins Risiko bei diesem Deal. Es ist die normalste Sache der Welt, dass bei der Übernahme von Risiko eine Gegenleistung erfolgt. Wer zum Beispiel einen Kredit gibt, bekommt dafür eine Risikoprämie namens Zins. Dafür, dass das geliehene Geld auch einfach futsch sein könnte.

Wer sich an einer geschäftlichen Transaktion beteiligt und dabei Risiko trägt, bekommt normalerweise einen Gewinnanteil, sollte sich das Geschäft als profitabel erweisen. Wer beispielsweise mit viel Geld und Garantien beim Entstehen einer neuen Firma durch einen gewaltigen Zukauf hilft, bekommt dafür natürlich eine Gewinnbeteiligung. Die wird selbstverständlich – wie alles andere – vorher schriftlich vereinbart.

Das ist Business as usual, das war auch damals so, als der Bund der abserbelnden UBS unter die Arme griff und ihr bei der Errichtung einer Bad Bank half. Dafür kassierte der Bund dann auch einen netten Gewinn, als sich die UBS wieder erholt hatte.

Das ist bis heute ein Argument gegen die Gegner der damaligen Notrettung der UBS – die dann im Steuerstreit ein zweites Mal gerettet werden musste, diesmal durch die Aufgabe des Bankkundengeheimnisses und Kunden- sowie Mitarbeiterverrat.

Denn das mit der Verantwortung, mit der die Bankenlenker ihre obszönen Gehälter und Boni für Verluste begründeten, galt natürlich nicht im Ernstfall, wenn sie in den USA persönlich für Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter hätten geradestehen sollen.

Aber item, trotz der üblichen Hektik und dem mediokren Personal in der Bundesverwaltung, angeführt von mediokren Bundesräten, war man damals so schlau, eine Gewinnbeteiligung auszumachen.

Inzwischen ist man offenbar noch dümmer geworden. Es ist von einer neuerlichen Gewinnbeteiligung für den Fall, dass die UBS sich tatsächlich grün und blau am Kauf der CS verdienen sollte – nichts bekannt.

Bislang sieht es so aus, dass der Gewinn für die UBS dermassen gigantisch ist, dass er sich nicht mal mit kreativer Buchhaltung kleinrechnen lässt. Sollte das so bleiben, könnten die staatlichen Behörden und die SNB eigentlich einen gewaltigen Batzen Gewinnbeteiligung erwarten, viel mehr als die lächerlichen 100 Millionen, die bislang herumgeboten wurden.

Nur: offenbar gibt es eine solche Vereinbarung nicht. Vergessen? Verstolpert? Nicht dran gedacht? Zu blöd dafür?

Man weiss es nicht. Und in den Massenmedien fragt niemand nach.

Jedes Volk hat die Medien, die es verdient.

 

 

Stäuble: und tschüss

Wir erweitern die Liste der Un-Personen. Um Mario Stäuble.

Wie die Herrin, so’s Gescherr. Reimt sich zwar nicht so, aber das, was Raphaela Birrer von sich gibt, tut’s auch nicht. Auf ihren Spuren wandelt Mario Stäuble, der abmontierte Co-Chefredaktor des «Tages-Anzeiger».

Er tut das, was alle hilflosen und einfallslosen Journalisten tun, die zu faul zum Recherchieren sind. Er kommentiert. Und wie: «Selenski legt die Heuchelei in der Schweizer Ukraine-Politik frei». Unglaublich, und wie schafft er das? Nun, sowohl der Präsident des Nationalrats wie die Präsidentin des Ständerats hätten Selenskyj vor und nach seiner Rede ihrer Solidarität versichert. Aber hinzugefügt: im Rahmen der Neutralität.

Da kommt Stäuble ins Vibrieren: «Solidarisch, aber neutral. Präsident Selenski ist in jenem Moment auf den Monitoren im Nationalratssaal noch nicht eingeblendet. Ob sich wohl Falten auf seiner Stirn gebildet haben? Wie sollen diese beiden Adjektive zueinander passen

Leider weiss Stäuble nichts Genaues über die Faltenbildung bei Selenskyj. Aber er weiss: «In den beiden kurzen Reden offenbarte sich die ganze Heuchelei der Schweizer Ukraine-Politik. Selenski hielt der Schweiz den Spiegel vor – allein durch seine virtuelle Präsenz.»

Der Mann spricht Dunkles und Unverständliches. Wieso soll der Hinweis auf die Schweizer Neutralität Heuchelei offenbaren? Wieso soll Selenskyj der Schweiz den Spiegel vorgehalten haben? Gaga.

Aber nun kommt Stäuble erst richtig in Fahrt: «Eine Partei, der die Souveränität des eigenen Landes heilig ist, verweigert dem höchsten Vertreter eines angegriffenen souveränen Rechtsstaats das Ohr.» Damit ist wohl die SVP gemeint, die nicht damit einverstanden war, dass zum ersten Mal in der modernen Geschichte der Schweiz ein Präsident, der in einen Krieg verwickelt ist, direkt zum Parlament sprechen darf.

Deren Absenz ist nicht etwa der anständige Ausdruck eines Protests, nein: «das ist feige». Welch ein Irrwisch; was soll denn daran feige sein?

Aber Stäuble hat noch nicht fertig. In einem wilden Gedankensprung wechselt er zu den «Hackerangriffen, welche diese Woche auf zahlreiche Schweizer Websites eingeprasselt sind». Nächster Schritt in die Absurd-Logik: «SVP-Vertreter argumentierten: Die Schweiz müsse sich eben auf die neutrale Vermittlerrolle beschränken, dann stelle man auch kein Angriffsziel dar.»

Aha, aber: «Dabei ist das Gegenteil der Fall. Die – vergleichsweise harmlosen – Cyberangriffe sind ein Beispiel dafür, wie sich Risiken heute manifestieren

Wir versuchen zu entwirren. Für Russland ist die Schweiz, nicht zuletzt, weil sie die Sanktionen ungeprüft übernimmt, nicht mehr neutral. Aber das nur nebenbei. Denn Stäuble hat immer noch nicht fertig. Nun kommt der Abschuss des Air-Malaysia-Flugs vom Juli 2014 dran. Was der mit der Schweiz und der Neutralität zu tun hat? Nun, in dem Flugzeug seien 192 Niederländer gesessen. Daher: «Heute gehören die Niederlande zu den offensivsten Staaten, was die Unterstützung der Ukraine betrifft.»

Allerdings sind die Niederlande, wenn wir uns nicht täuschen, nicht neutral und Mitglied in der NATO. Im Gegensatz zur Schweiz. Die hingegen sei «wenn es zu schärferen Angriffen auf die Schweizer Infrastruktur käme», auf «internationale Unterstützung angewiesen». Aha. «Und auf befreundete Staaten, die nicht schulterzuckend erwidern: Wir sind solidarisch. Aber leider auch neutral

Allerdings gibt es, wenn wir uns nicht täuschen, in Europa nur noch den Vatikan, Liechtenstein und Österreich, die sich für neutral erklären. Oder meint Stäuble etwa Andorra, die Mongolei, Turkmenistan oder Costa Rica? Ohne deren Hilfe wäre die Schweiz allerdings verloren.

Es ist Sonntag, das Wetter ist zu schön, um sich weiterhin mit einem solchen Ausbund von Unlogik, Unfähigkeit und blinder Angriffigkeit herumzuschlagen. Wir nehmen auch Stäuble auf die Liste der personae non gratae von ZACKBUM. Kein Wort mehr über ihn.

 

 

Hat sie alles erfunden?

Die NZZ versucht, nicht nur den biographischen Geschichten auf den Grund zu gehen.

Und scheitert, wie Autor Lucien Scherrer unumwunden zugibt. Er hat umfangreich versucht, all die vielen romanhaft wirkenden Anekdoten aus dem Leben der Schriftstellerin Sibylle Berg zu verifizieren – oder zu falsifizieren.

Herausgekommen ist ein interessantes Feuilletonstück über die neue Fluidität, nicht nur, was die sexuelle Ausrichtung betrifft, sondern auch die eigene Biographie.

Einleitend beschreibt Scherrer die wichtigsten Eckpunkte dieser Biographie. Der schwere Autounfall: «Das Scharnier des Cabriodachs bohrt sich in ihren Kopf, bleibt kurz vor der Hirnhaut stecken. Klinisch tot wird Berg geborgen. Ihre Stirnhöhle ist seither weg, ihr Gleichgewichtssinn ebenfalls. Sie muss 19-mal, 20-mal oder auch 22-mal operiert werden, man muss ihr Plastikteile unter das Gesicht ziehen.»

Der Selbstmord der Mutter, Bergs Ausreiseantrag, direkt an den damaligen Staatschef Erich Honecker. Ihr Geburtsdatum im Jahr 1952, 1962, 1966 oder 1968. Zu all dem finden sich Angaben, oftmals von Berg selbst. Die handkehrum zugibt, dass sie das mit dem Brief an Honecker erfunden habe.

Weder für den Autounfall, noch für den Selbstmord der Mutter, noch für viele weitere biographische Anekdoten lassen sich Belege finden. Was nicht beweise, dass es nicht so gewesen sei, relativiert Scherrer vorsichtig.

Allerdings: «Belege für ihre Selbstdarstellung als DDR-Dissidentin gibt es bis jetzt keine.» Da fängt dann das Schräge an. Scherrer fährt fort: «Wer einen schweren Unfall erlebt hat, weiss in der Regel das Datum und die Uhrzeit, weil es ein Leben davor und eines danach gibt. Es gäbe Untersuchungsakten der Justiz, Polizeiberichte, Fotos, in spektakulären Fällen auch Medienberichte. Im Fall von Sibylle Berg gibt es bis dato: nichts, nicht einmal eine eindeutige Jahresangabe.»

Nun darf eine Schriftstellerin auch ihr Leben zur fiktionalen Erzählung machen, warum nicht. Als Scherrer aber Nachfragen stellt, hat Berg zunächst keine Zeit für Antworten. Als er insistiert, meldet sich ein Anwalt:

«Dieser wertet die Fragen der NZZ – gibt es Dokumente zu ihrem Unfall?, hat sie ihre Kindheit nun in Rangsdorf oder Constanta verbracht?, kann jemand ihre DDR-Biografie bestätigen? – als «verstörenden Vorstoss in die intimsten Bereiche eines Menschen» und droht mit juristischen Schritten.»

Sehr schräg wird es, wenn es um den Inhalt von Reportagen geht, die Berg geschrieben hat. 1996 ein Bericht für das damalige Magazin «Facts» über einen polnischen Massenmörder. «Der Text, den Berg schreibt, nennt alle Details aus Pekalskis Leben. Sie weiss, wie es in seinem Haus gerochen hat, was seine Opfer gedacht haben und was er beim Morden gefühlt hat und dass er sich einst eine Gummipuppe gewünscht hat. … Ein Jahr später ist Sibylle Berg für das «Zeit»-Magazin in Kambodscha, dem «Land der frohen Mörder». Zufällig sitzt sie im Strandrestaurant neben einem Anführer der Roten Khmer, der drei Touristen aus einem Zug kidnappen und hinrichten liess. Der Mörder sieht nett aus und hübsch, während des Gesprächs zermalmt er mit einer Hand ganz langsam ein grosses Insekt. … 2016 ist Sibylle Berg zufällig vor Ort, als ein islamistischer Attentäter in Tel Aviv zwei Menschen erschiesst und zehn verletzt. Sie sitzt, so schreibt sie in einem Augenzeugenbericht in der «Welt» und im «Bund», in ihrer Wohnung an der Diezengoffstrasse, rennt auf den Balkon und sieht schreiende Menschen.»

Schliesslich kam sie neulich in die Schlagzeilen, als sie sich beklagte, dass sie vergeblich 62 Wohnungsbewerbungen geschrieben habe, ein Opfer der Zürcher Wohnungsnot. «Ob es die 62 Bewerbungen wirklich gibt? Und wie gross ist die Not einer Schriftstellerin, die bestens im Zürcher Bürgertum vernetzt ist, nach eigenen Aussagen eine Wohnung im Tessin hat und von einer weiteren Wohnung in Tel Aviv schreibt?», merkt Scherrer spitz an.

Allerdings gerät Berg zumindest unter Relotius-Verdacht, was den Wahrheitsgehalt ihrer Reportagen betrifft. Sind es literarische Fiktionen, handelt es sich um Etikettenschwindel.

Aber auch dieses Thema steht natürlich unter Sexismusverdacht. Also eilt Alexandra Kedves von Tamedia der Autorin zu Hilfe:

Bei Tamedia ist man für kleine Werke niemals um grosse Begriffe verlegen. Das sei eine «Analyse», sei der NZZ-Bericht «ein Aufreger? Wir ordnen ein». Kedves, also «wir», ist ansonsten nicht so für Einordnung, eher für backfischartiges Schwärmen. So sülzte sie über die Amtseinführung von Joe Biden: «Zum Heulen schön: Was für eine Biden-Show!» – «Kehle-Zuschnür-Momente, die hier für diese so gespaltene, so wunde Nation geschaffen wurden.» – «Das rote Haarband der schwarzen Poetin und Aktivistin Amanda Gorman – der jüngsten Dichterin, die je zur Vereidigung eines US-Präsidenten auftrat

Also hat auch Kedves etwas Mühe, zwischen Realität und Schwärmerei zu unterscheiden. In ihrem grossen Berg-Verteidigungsartikel zählt sie zuerst die literarischen Meriten auf, die von niemandem bestritten werden. Dann repetiert sie auszugsweise die Ergebnisse der Recherche der NZZ. Dann geht Kedves zur freihändigen Verteidigung des nächsten Idols über: «Bezüglich ihres Privatlebens darf sie sich bedeckt halten, so wie das eine Menge Autorinnen und Autoren vor ihr taten.» Das wäre richtig, wenn nicht fast alle dieser widersprüchlichen Erzählungen über das Privatleben der Schriftstellerin – von Berg selbst stammen würden.

Dann lässt Kedves ein wenig Bildung aufblitzen. Allerdings mit ausnahmslos falschen Vergleichen. Der Verleger von «Gullivers Reisen» habe die Identität des Autors nicht gekannt. Dass es 1726 nicht sehr ratsam war, selbst romanhaft verkleidet scharfe satirische Spitzen gegen die herrschende englische Klasse zu schreiben, mag wohl auch Kedves einsichtig erscheinen. Wenn sie es denn wüsste. Dann führt sie noch die Brontë-Schwestern an, die unter Pseudonym geschrieben haben. Das hat aber nichts damit zu tun, dass sie sich bezüglich ihres Privatlebens «bedeckt halten wollten». Und schliesslich noch «der amerikanische literarische Superstar Thomas Pynchon», der sich den Medien «fast komplett» verweigere. Das ist richtig, damit steht er aber in scharfem Gegensatz zu Berg, die sich niemals den Medien verweigert.

Ausser, wenn sie mit kritischen Fragen konfrontiert wird. Dagegen urteilt Kedves nassforsch: «Die Lesenden haben kein Anrecht auf ihre private Geschichte.» Das mag stimmen, beantwortet aber nicht die Frage, ob und warum Berg bei den vielen Erzählungen über ihre Biographie geflunkert, erfunden, dazugedichtet, umgedichtet hat.

Das mag noch angehen. Sollte das auch bei ihren non-fiktionalen Reportagen der Fall gewesen sein – hier trippelt dann Kedves auf den Zehenspitzen: «Dass da eine Claas-Relotius-hafte Imaginationskraft mitgeschrieben hat, will der NZZ-Journalist nicht ausschliessen» –, gibt es ein gröberes Problem mit Sibylle Berg. Ein Problem der Glaubwürdigkeit.

Denn bei aller Liebe zum Fluiden: Claas Relotius und Tom Kummer sind eine Schande ihres Berufs, da nützt auch keine noch so verschwurbelte Erklärung oder gar Rechtfertigung etwas. Denn was sie betrieben (oder noch betreiben), ist Leserverarschung. Ein Anschlag auf die sowieso schon erschütterte Glaubwürdigkeit der Medien. Mit einem Wort: eine Schweinerei.

 

Altes aus dem Abfallhaufen

Kommentare sind (meistens) eine Pest.

(Auch) die eigenen Leser – zumindest die Kommentatoren – beschimpfen, das ist vielleicht keine gute Idee. Muss aber sein. Es ist auch nicht wirklich eine Beschimpfung, sondern ein Seufzer.

Nicht nur ZACKBUM ist in langwierige, teure und nervige juristische Auseinandersetzungen verwickelt, weil mutige Kommentatoren – meistens im Schutz der Anonymität – so richtig vom Leder ziehen. Und der Betreiber der Webseite nicht sorgfältig genug darauf achtete, dass sich darin keine justiziablen Formulierungen befinden.

Geradezu todesmutig ist in dieser Beziehung Lukas Hässig mit seinem Finanz-Blog «Inside Paradeplatz». Dort verwandelt sich der Kommentarteil nicht allzu selten in eine Kloake*. Wer das liest, ist erschüttert. Weil man doch davon ausgehen kann, dass hier ein repräsentativer Querschnitt von Angestellten im Schweizer Finanzsektor kommentiert. Nicht zuletzt deshalb ist es wohl kein Wunder, in welch desolatem Zustand sich die Schweizer Banken befinden.

Die Quittung: Credit Suisse klagt ihn ein, was das Zeug hält. Für einige seiner Artikel, vor allem aber für viele Kommentare. Diese Klage überlebte sogar den Aufkauf der CS, man ist nachtragend. Zuletzt geht es dabei um die Wiederherstellung einer verletzten Ehre oder Persönlichkeit. Es geht einfach darum, Hässig mit den Gerichts- und Anwaltskosten fertigzumachen.

Inzwischen sind eigentlich alle Plattformen, die Kommentare zulassen, dazu übergegangen, alles zu moderieren. Also Geld dafür auszugeben, dass der schlimmste Schlamm, das Übelste, Widerwärtiges, Beleidigendes und Krankes nicht publiziert wird. Glücklicherweise ist das bei der Leserschaft von ZACKBUM nicht der Fall. Natürlich, kleines, schleimiges Kompliment. Ist aber so. Pro Monat muss vielleicht ein Kommentar, maximal zwei gelöscht werden. Gelegentliche Spam-Versuche können heutzutage problemlos durch Sperren der IP-Adressen abgewehrt werden.

ZACKBUM will hier nicht die bekannten Forschungsergebnisse wiederholen, was sich in Kommentarspalten abspielt, was die Motivation der Schreiber ist, wieso mindestens die Hälfte die eigene Meinung kundtun will, aber keinesfalls auf den Inhalt des Kommentierten eingehen.

Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt, der gewisse Hygienevorschriften bei den Kommentaren unabdingbar macht. Gleicht dort das Niveau mehr einer Wirtshausschlägerei kurz vor der Sperrstunde, bei der ein hoher Alkoholspiegel und nichtige Anlässe zu gröberen Beschädigungen von Mensch und Mobiliar führen, sind feinnervigere Kommentatoren abgeschreckt, die vielleicht wirklich interessante Beiträge leisten könnten.

Ein aktuelles, abschreckendes Beispiel ist leider «Weltwoche online». Recht trocken und korrekt veröffentlichte sie den Inhalt der Rede, die Selenskyj vor dem Schweizer Parlament halten durfte. Darüber ergossen sich (Stand Donnerstagabend) 332 Kommentare.

Einige Müsterchen (in Originalversion):

«Sauhund! – Sie wollen sich vorstraengeln zum klatschen, damit der Verbrecherstaat USA sie sehen kann. – Bundesrat Ständerrat sowie der Nationalrat hat unser Land ins jenseits Befördert. – parlament auflösen bevor sie noch mehr schaden anrichten können – Eine Schande für die Schweizer Landesvertreter. Mehrheitlich leider Landesverräter. Nur, bald ist Wahltag = Zahltag. Wir müssen denen endlich zeigen wer hier das Sagen hat! – Nun, wenn die erste Kinschal das dieses Bundeshaus pulverisiert, mit samt dem Inhalt, werde ich eine Flasche Prosecco öffnen und es feiern. – Drecksparlamentarier, vor euch soll man noch Respekt haben? Ihr Neutralitätsverräter und Verfassungsbrecher! – Standing ovations? Ich glaub’s nicht! Alle ab an die Front, ihr lieben Volksdiener. ich kann nur noch kotzen ab unseren erbärmlichen Parlamentariern – PFUI DEIBEL !!!! Schweizer, schämt euch. !!!!»

Ist es jemandem noch nicht schlecht? Selbstredend sind all diese Kommentare von feigen Wäfflern verfasst, die sich hinter einem Pseudonym verstecken und nicht einmal wissen, dass man sie über ihre IP-Adresse identifizieren könnte.

Immerhin einen kleinen Lichtblick-Kommentar gibt es. «Das Niveau der WW und ihrer Anhänger ist ja schon absolut unterirdisch!»

Ds ist nun auch etwas pauschal, aber angesichts dieser Ladung Jauche verständlich. Unverständlich ist hingegen, wieso die WeWo das zulässt. Damit senkt sie tatsächlich das Niveau bis auf den Nullpunkt. Da anonyme Belferer meistens feige sind, ist auch nicht zu befürchten, dass ohne diese Bedürfnisverrichtung mit amoklaufenden Schützen zu rechnen wäre.

Eigentlich gibt es zwei einfache Abhilfen für all das. Erstens, der Kommentar wird nur publiziert, wenn er von einem verifizierten Absender stammt, der mit seinem richtigen Namen dahintersteht. Zweitens, für die Benützung der Plattform wird bezahlt. Viele Kommentarschreiber haben das Gefühl, es sei ihr unveräusserliches Menschenrecht, öffentlich ihren Senf absondern zu dürfen, und krähen sofort lautstark Zensur, wenn man sie daran hindert. Das ist ein Irrtum.

*Packungsbeilage. René Zeyer publiziert gelegentlich auch IP und auch bei der «Weltwoche». 

Reza Reinfall

Sprecht nicht mit diesem Mann!

Wer mit dem frischgebackenen Chefredaktor des «SonntagsBlick» ein paar Worte wechselt, tut das auf eigene Gefahr. Während seine Oberchefin Ladina Heimgartner gerade Loblieder auf die neue Bezahlschranke beim «Blick» singt, weil die angeblich Qualität garantieren würde, benimmt sich Reza Rafi – im Duett mit seiner interimistischen Chefin Steffi Buchli – qualitätslos unanständig.

Marco Rima machte den Fehler, mit Buchli und Rafi mehr als ein paar Worte zu wechseln, genauer, ein Interview zu führen. Rima ist nicht nur einer der erfolgreichsten Komiker der Schweiz, sondern wurde als Kritiker der Corona-Massnahmen vom «Blick» kräftig gebasht. Denn bekanntlich sorgte die Standleitung zwischen Ringier-CEO Marc Walder und dem damaligen Gesundheitsminister Alain Berset dafür, dass all dessen Fehlentscheide angehimmelt wurden, dagegen wurde Rima als angeblicher «Corona-Leugner», Verschwörungstheoretiker und auf Abwege geratener Irrwisch beschimpft.

Also dachte sich Rima, der leider an das Gute im Menschen glaubt, dass Ringier ihm hier eine Gelegenheit geben wollte, ein paar Dinge klarzustellen, schliesslich wurde ihm zugesichert, dass er frei reden dürfe und nicht zensiert werde.

Bei der Orthografie helfen Korrekturprogramme. Gedankenleere ist allerdings nicht korrigierbar. Zum banalen Anfängerwissen gehört, wie man ein mündlich auf Schweizerdeutsch geführtes Interview verschriftlicht. Das ist keine Kunst, sondern biederes Handwerk.

Manche Interviewpartner sprechen druckreif, andere mäandern, umkreisen eine Antwort, brechen ab, setzen neu an. Wie es halt in einem Gespräch üblich ist. Die Aufgabe des Journalisten ist dann, daraus eine schriftliche, lesenswerte Fassung zu destillieren, die den Wesensgehalt der Antwort möglichst nahe am Sprachgebrauch des Interviewten wiedergibt.

Das lernt der Journalist in Anfängerkursen. Falls er keine besucht hat, bringt es ihm ein erfahrener Kollege, ein Textchef, ein Produzent bei.

Wenn gleich zwei Chefs den Ständeratskandidaten Rima interviewen, sollte das Resultat chefwürdig sein. Insbesondere, da die Ausgangslage komplex ist. Hier Ringier mit seinem direkten Draht zum damaligen Gesundheitsminister Berset, mit seiner beflissenen und lobhudelnden Unterstützung aller staatlicher Massnahmen während der Pandemie.

Dort Rima, der sich vom Comedian zum besorgten Kritiker dieser Massnahmen wandelte. Dafür vom «Blick» mit Anlauf in die Pfanne gehauen und gebasht wurde. Als angeblicher Heuchler, der Corona-Entschädigungen bezog, aber die Regierung kritisiere. Dass es sich lediglich um eine ungenügende Ausfallsumme handelte, die allen Zuger Künstlern ausbezahlt wurde und mit der lediglich 80 Prozent des durch die Massnahmen entstandenen Schadens gedeckt wurde, verschwieg «Blick».

Bei dieser Vorgeschichte hätte man besondere Sorgfalt bei der Verschriftlichung erwarten dürfen. Schon alleine deswegen, weil Buchli und Rafi wussten, dass Rima ihre Fassung zum Autorisieren bekommt.

ZACKBUM konnte Einblick in die SoBli-Fassung nehmen. Es ist erschütternd. Es ist eine Verschriftlichung auf einem Niveau, die jedem Praktikanten um die Ohren geschlagen würde, begleitet von der Frage, ob er sich nicht vielleicht einen anderen Beruf suchen möchte.

Man will den beiden «Blick»-Heros fast zubilligen, dass sie absichtlich und bösartig mit dieser Holper-Stolper-Fassung Rima als Depp darstellen wollten. Es ist aber wohl noch schlimmer: sie können es nicht besser.

Ein Chefredaktor muss nicht schreiben können. Aber wenn er es tut, dann sollte er ein gewisses Vorbild sein. Ein Chefredaktor muss nicht interviewen können. Sollte er es tun, muss das Resultat Minimalansprüchen an Niveau und handwerklicher Beherrschung genügen.

Kostprobe? Bitte sehr. Die Eingangsfrage lautete, ob Rima wirklich Lust habe, sich als Ständerat in komplizierte Dossiers einzuarbeiten. Seine Antwort in der «Blick»-Version:

«Erstens müsste ich mich in gewisse Themen einlesen. Zweitens reagiere ich auf gewisse Entscheide, die gerade eben im Ständerat gefällt wurden. Windkraft in den Bergen, zu Null Stimmen! Aber ich komme von woanders her, ich bin nicht der klassische Politiker. Ich komme von einem Ort her, an dem die Familie zuvorderst steht. Die Familie ist der Anfang der Politik. Die Familie ist die Kinderstube, in der die Auseinandersetzung, der Umgang miteinander gelehrt wird.»

So ging’s dann holterdipolter weiter. Kein Wunder, dass dem Komiker hier der Hut hoch und der Humor verloren ging. Also redigierte er kräftig, was erlaubt ist. Zudem strich er Passagen und ersetzte sie durch ihm wichtigere Anliegen. Was grenzwertig ist.

Im professionellen Journalismus, das räumt sogar der SoBli ein, ist das durchaus üblich. Oder anders gesagt: wäre der Interviewtext so vom Kommunikationsfuzzi von Berset zurückgekommen, hätte der «SoBli» ihn ehrfürchtig unverändert abgedruckt.

Normalerweise greift sonst der Interviewer zum Telefonhörer und rauft sich mit dem Interviewten in einem manchmal länglichen und strapaziösen Gespräch zusammen. Ein Geben und Nehmen. Nur ganz, ganz selten gelingt das nicht.

Hier aber bekam Rima die trockene Antwort: «Nein, wir wollen dieses Interview nicht veröffentlichen.» Mit der freundlichen Bitte um Verständnis. Okay, dachte sich Rima, dann halt nicht. Wir haben’s probiert, hat nicht funktioniert. Shit happens. Deckel drauf.

Das dachte er solange, bis er am Sonntag das Schmierenblatt aufschlug und dort auf zwei Seiten eine Hinrichtung lesen musste. Er habe wild herumgefuhrwerkt im Text, verändert, so gehe das nicht. Auf einer Seite wurde nochmals mit ihm abgerechnet, was ein Leichtes ist, wenn das Opfer nicht widersprechen kann. Rima sei vom «Sonnenkönig zum Nachtschattengewächs» geworden, wird er angepflaumt.

Das ist schon mal unanständig. Widerwärtig wird’s, wenn das ausgelassen wird, was in den ganz seltenen Fällen sonst passiert, wenn eine Redaktion den Nicht-Abdruck eines Gesprächs publik macht und begründet. Dann wird das mit Beispielen untermauert, wieso solche massiven Veränderungen nicht akzeptiert werden konnten und auch keine Einigung über eine gemeinsame Fassung möglich war.

Rafi und Buchli verzichteten aber konsequent auf Beispiele. Wer die Originalversion gesehen hat, versteht, warum. Rafi und Buchli verzichteten auch darauf, mit Rima in den Clinch zu gehen, welche Veränderungen akzeptabel seien und welche nicht. Sie baten um Verständnis für ihren Entscheid – und hatten zeitgleich bereits die öffentliche Hinrichtung Rimas auf dem Schirm.

Das ist kein Beitrag zur Qualitätssteigerung. Das ist handwerklich ein Pfusch. Das ist zudem hinterfotzig und bösartig. Rima zitiert in diesem Zusammenhang einen grossartigen Gedanken des amerikanischen Verlegers Joseph Pulitzer, dessen Preis niemals in diesem Leben und im nächsten ein «Blick»-Schreiberling bekommen wird:

«Eine zynische, käufliche, demagogische Presse wird mit der Zeit ein Volk erzeugen, das genauso niederträchtig ist wie sie selbst

Daran arbeitet der Ringier-Verlag unermüdlich. Angeführt von Figuren wie Rafi und Buchli, denen man jegliche Kenntnis journalistischer Ehre absprechen muss. Dass sie Meinungsbüttel sind, ist nicht ihre schlimmste Eigenschaft. Sie beherrschen nicht einmal ihr Handwerk, sollten als Chefredaktor aber Vorbild sein.

Eigentlich müssten beide nach einer gewissen Schamfrist entlassen werden. Das wäre endlich mal ein Entscheid von Ladina Heimgartner, Marc Walder oder Michael Ringier, dem man aus vollem Herzen applaudieren könnte.

«Blick» plustert, reloaded

Ladina Heimgartner gewährt ein Interview. Es darf gelacht werden.

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Was der Tagi im Allgemeinen ist, ist persoenlich.com im Speziellen, im Kommunikationsbereich. Wer eine gewisse Bedeutung hat und ein Interview geben will, in dem er unbelästigt von kritischen Fragen was sagen möchte, ist hier richtig.

Also stellte sich Ladina Heimgartner (die Dame mit der extrabreiten Visitenkarte dank Ämterakkumulation) den Wattebauschfragen von Nick Lüthi (ehemals «Medienwoche», dann kä Luscht).

Immerhin, während es bei Tamedia häufig ärgerlich ist, kommt hier der Humor nicht zu kurz. Allerdings der unfreiwillige. Wieso habe denn der «Blick» so lange gezögert, eine Bezahlschranke einzuführen? «Die Zeit war bis jetzt einfach nicht reif. … Je mehr oben in den Trichter reinkommt, desto grösser ist die Chance, dass unten etwas hängenbleibt.»

Hä? Wodurch ist denn die Zeit reif geworden? Was unterscheidet die reife Zeit von der unreifen? Ist ein Trichter ein Gefäss, bei dem unten etwas hängenbleibt? Wieso kennen wir diese Art von Trichter bislang nicht? Gibt es vielleicht eine Zeichnung davon? So wie vom Yeti?

Wie reifte denn die Entscheidung? Heimgartner habe sich umgeschaut und umgehört: «alle haben uns gesagt: «Macht das, habt keine Angst!» Diesen Ratschlag bekamen wir überall.» Als furchtlose Kämpferin für Resilienz, dabei verantwortlich für den grössten Auflageschwund im Schweizer Medienmarkt, hat Heimgartner dann die Bezahlschranke hochgezogen.

Aber damit ist sie noch nicht am Ende des Lateins, wohl weil sie Romanisch kann. Denn sie fragt sich – wohl im Meyerschen Sinne –, was denn die Aufgaben der Medien seien: «Früher war die Antwort ganz klar: informieren und unterhalten. Heute sollten grosse Medientitel – und der Blick ist nun mal einer der grössten – Begleiter in allen Lebenslagen sein.» Sagen wir mal so: dass der «Blick» immer kleiner wird, ist Heimgartners Verantwortung …

Begleiter, Service, da wagt selbst Lüthi die kritische Frage, ob das Internet nicht jetzt schon von Service-Angeboten und Lebenshilfe überquelle. Erst noch gratis. Nun darf man sich bereits die Lachtränen abwischen: «Bei uns steht ein Qualitätsstempel drauf. Da stehe ich zu 100 Prozent hinter Blick. Wir bieten eine Qualität, die einfach verständlich und sehr nah bei den Menschen ist. Das unterscheidet uns von anderen.»

Aber wieso sollte denn nun ein Abo gekauft werden? «Wer sich kurz informieren will, kann das weiterhin genauso tun wie bisher auf Blick.ch. Wer aber in ein Thema eintauchen möchte, kauft ein Abo.» In ein Thema eintauchen, beim «Blick»? Gröl.

Was für Veränderungen ergeben sich sonst noch aus dem «Blick+»? «Blick bleibt Blick, egal ob ein Artikel kostet oder nicht. Da müssen wir den genau gleichen Qualitätsanspruch haben.» Kicher.

Nun kommt aber der Überhammer, so ganz nebenbei. Sei das ein weiterer Schritt weg vom Boulevard? «Genau, wir nennen es nicht mehr Boulevard. Wir verstehen uns als Newsplattform, die schnell ist und auch komplexe Themen sehr einfach erklären und erläutern kann. Dabei stellen wir immer den Menschen ins Zentrum – das macht uns aus, dafür stehen wir.»

«Blick» ist Boulevard. ZACKBUM will nun Heimgartner nicht erklären müssen, was Boulevard ist. Das verstünde sie sowieso nicht. Aber sagen wir so: Boulevard, das macht den «Blick» resilient.

Dann, clever ist die Dame, kommt noch der finanzielle Abbinder: «Natürlich haben wir einen soliden Businessplan. Aber wenn wir zum Beispiel in drei Jahren nicht den Break-even erreichen, hören wir nicht auf mit Blick+. Es geht ja nicht nur darum, ob es ein Digitalabo gibt oder nicht, sondern um ein ganzes Ökosystem

Aha. Es gibt einen stabilen Businessplan. Wenn der dann aber nicht so stabil wäre, macht’s auch nix. Wobei noch die (ungestellte) Frage wäre, was Heimgartner eigentlich unter «Break-even» versteht. Dass der «Blick» mit Bezahlschranke online nicht weniger Geld macht als ohne? Dass er mehr Geld verdient? Wenn ja, wie? Aber wir wollen doch nicht grübeln.

Dann wird Lüthi, immerhin, doch noch etwas fies und fragt, wie das «werteorientierte» Unternehmen Ringier, dass einen verdienten Chefredaktor schon deswegen in den Zwangsurlaub schickt, weil der angeblich «eine gewisse Mitarbeitergruppe bevorzugt behandelt haben» soll, mit Werten wie Gleichstellung oder LGBTQ beispielsweise in Serbien umgehe.

Da braucht Heimgartner zwei Anläufe: «Ringier ist auch sehr unternehmerisch getrieben und die Managements in den verschiedenen Ländern sind weitgehend autonom.» Das reicht dann wohl nicht, muss sie sich gesagt haben: «Ringier Serbien steht hinter unseren Werten, etwa in Sachen LGBTQ oder sie positionieren sich klar im Russland-Ukraine-Kontext, mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt.» Hier braucht der Leser ein neues Taschentuch, aber ein grosses, für die Lachtränen. Und der schlecht vorbereitete Lüthi haut ihr hier keine Schlagzeilen von Blic-Serbien um die Ohren.

Aber immerhin hakt er nach, wie das denn konkret bei Blic in Serbien aussehe. Heimgartner rudert resilient vor sich hin; das Blatt bilde eine «breite Perspektive an Ansichten ab. Darunter auch Positionen, über die wir hier in der Schweiz vielleicht die Nase rümpfen würden oder die wir aus unserer Sicht sogar verurteilen, etwa beim Umgang mit Kosovo

Man könne halt nicht alles durch die Schweizer Brille betrachten, meint Heimgartner staatsfraulich. Hier wird’s nun echt peinlich, wie schlecht ausgerüstet Lüthi ins Interview ging.

Dass CEO Marc Walder im letzten Moment als «Key Note» Speaker bei der Verleihung des Zürcher Journalistenpreises kniff, um vom serbischen Präsidenten Vucic eine Ehrenmedaille umgehängt zu kriegen? Dass der Blic ungehemmt Regierungspropaganda betreibt, Titel produziert wie «Russland wärmt sich in der Ukraine gerade auf», einen Artikel über den gestählten Kämpfer Putin mit dessen Zitat über die G7-Führer überschreibt «Wenn sie sich ausziehen würden, wäre das ein ekelhafter Anblick»?

Gut, kann man vielleicht nicht durch die Brille des Schweizer «Blick» betrachten, der seinerseits Selenskyj zum Kriegshelden hochhudelt.

Den grössten Elefanten lässt Lüthi allerdings unkommentiert im Raum stehen. Wie verhält es sich mit den Inseraten hinter der Bezahlschranke? Wieso schafft es Ringier nicht, wenigstens hier nur selbst abzukassieren? Was unternimmt man gegen Google-Ads? Da verstummt Lüthi.

Dass eine deutlich überforderte Steffi Buchli den Tennis-Star anlässlich der Wirren um dessen Einreise nach Australien als «Und täglich grüsst der Drama-King» beschimpfte, während der Blic Serbien schäumt, Djokovic  aus dem Land zu schmeissen sei «einer der grössten Sportskandale des 21 Jahrhunderts», wäre das nicht auch eine Frage wert gewesen?

Aber vielleicht ist das ja gelebte Meinungsvielfalt. Was aber Heimgartner betrifft: keine Meinung haben und sie nicht ausdrücken können, das erlaubt ihr auch nur persoenlich.com.

 

Kleine Zahlenkunde

Moderner Journalismus: alles löst sich auf.

Was bleibt vom Frauenstreiktag, Pardon, vom feministischen Streiktag? Etwas Frauengewalt, viel Violett und ein Rätsel.

Wir sagen es in den Worten des Recherche-Organs «Tages-Anzeiger», der Problemen nah und fern auf den Grund geht:

Nun dürfte es selbst einem feministisch gestimmten, streikenden Tamedia-Mitarbeitenden (!) aufgefallen sein, dass zwischen 120’000 und 15’000 eine klitzekleine Lücke klafft. Ob nun bloss 15’000 oder achtmal mehr Demonstranten, Pardon, Demonstrierende durch die Strassen Zürichs zogen, das sollte nun eruierbar sein.

Eine echte, kleine Aufgabe für einen Praktikanten, Pardon, Praktizierenden, ähm, Praktikandierenden, nein, also gut, für einen Bürogummi.

Heutzutage, Drohnen, algorithmische Analyse von Fotos von Massenaufläufen, Messungen, Personen pro Quadratmeter, Länge mal Breite des Umzugs, ZACKBUM behauptet mal: das lässt sich herausfinden.

Ebenso lässt sich eine Antwort auf die Frage finden, ob bei der Beseitigung einer Verkehrsstörung am Paradeplatz die Demonstrantinnen (doch, waren nur Weiber) oder die Polizistenden (waren Männlein wie Weiblein) überreagiert haben. Ob getreten, an den Haaren gezogen, überhaupt eskaliert wurde, und wenn ja, von wem. Vom Moment an, wo’s richtig zur Sache ging, existiert ein wackeliges Handyvideo. Aber was vorher geschah, weiss man nicht.

Zwei Themen, die sich direkt vor der Haustüre der Zentralredaktion von Tamedia abspielen, wo angeblich rund 200 Journalisten Tag und Nacht nichts anderes tun, als die Wirklichkeit nach den wichtigsten Nachrichten abzugrasen, dem Leser, der Leserin, aber auch den Leser*Innen, mit Kommentaren den nötigen Beistand zu geben. Dazu vertiefen sie sich unentwegt in den Gemütszustand von Rammstein-Groupies, machen sich tiefschürfende Gedanken über Machtstrukturen und Missbrauch und was es bedeutet, wenn ein Ja kein Nein ist – oder umgekehrt. Dazu nehmen sie sogar im Übermass die Hilfe ihrer Münchner Kollegen in Anspruch. Pardon, Kollegenden. Oder so.

Nun könnte es doch einen der beiden Beteiligten als Lügner entlarven, wenn eruiert würde, wie viele Teilnehmer (generisches Maskulin!) die Demonstration in Zürich hatte, wer die Rangelei auf dem Paradeplatz angefangen und mit welchen Mitteln vorangetrieben hat.

Aber nein, nichts. Zu schwierig? Zu aufwendig? Keine Zeit? Lieber streiken? Lieber Forderungen aufstellen? Lieber versagen.

Bruce war hier

Ein Konzert in Zürich, vier Blickwinkel.

Alle sind sich einig: Bruce Springsteen ist einer der Grössten. Er ist 73 und immer noch «going strong». Er arbeitet sich durch einen Konzertabend, drei Stunden sind das Minimum. Nun schwanken die Konzertkritiker zwischen Bewunderung und Gemäkel. Aber auf ganz verschiedenen Niveaus.

Den oberen Kammerton setzt, who else, die NZZ. Schon im Titel ist eigentlich alles drin: «Bruce Springsteen ist der «Last Man Standing» des Rock’n’Roll». Mit sicherer Hand wählt Adrian Schräder die Höhepunkte des Abends, «Nightshift». Genauso gut fasst er das Wesen des Sängers zusammen: «Und mit der stoischen Kraft seines Daseins stemmt er sich dagegen, von irgendetwas vereinnahmt, beherrscht oder übervorteilt zu werden

Wie alle anderen bemängelt Schräder die Tonqualität am Anfang des Sets, ist dann voller Bewunderung für die Präzision des Auftritts: «Etwa seine E-Street Band, die ihn vom ersten Ton an mit geradezu überwältigender Wucht – manchmal gehen mit ihr fast die Pferdchen durch – begleitet und ihm an diesem wunderschönen Sommerabend in Sachen Spielfreude in nichts nachsteht.» Dann spürt man, wie der Rezensent – und sicher nicht nur er – beim Zugabeblock richtig mitgerissen wurde: «Mit «Born In The USA», «Born To Run», «Bobby Jean», «Glory Days» und «Dancing In The Dark» bündelt «The Boss» fünf seiner grössten Hits zu einen Powerpaket. Und so klingt, neben diesen Supernummern, die jedem Autoradio, jeder Strasse gut anstehen, letztlich die Geschichte nach, die der so in der Musik eingemittete Star des Abends vor dem Song «Last Man Standing» erzählte.»

Ziemlich trocken kommt dagegen die Beschreibung von Erika Unternährer in «20 Minuten» daher. «Während mehr als drei Stunden gab die Rockband Springsteens Tophits zum Besten.» Au weia. Statt in die Musik einzudringen, gibt’s Oberflächliches: «Der fitte Springsteen (73) ist seinem Stil treu geblieben: Er trug ein figurbetontes schwarzes Jeanshemd, um den Hals eine Silberkette mit Anhänger und die schwarzen Turnschuhe mit leuchtend weisser Sohle verliehen ihm noch mehr Jugendlichkeit.» Oh je. «Diese Songs spielte die Band, So interagierte Springsteen mit dem Publikum, Diese Zugaben spielte Springsteen». An der Journalistin ist eine Buchhalterin verlorengegangen. Schade auch, da wäre sie sicher gut.

Etwas mehr Pep kriegt Carl-Philipp Franke für CH Media hin. Er kommt so schnörkellos wie der Boss gleich zur Sache: «Im ausverkauften Letzigrund Stadion hat er gezeigt, wie eine Rock’n’Roll-Show geht.» Denn: «Die Maschine läuft, das Publikum brennt.» Dann lässt Franke eine kondensierte Beobachtung auf die nächste folgen: «Springsteen ist der Master of Ceremony, Dreh- und Angelpunkt der Show. Dabei macht er kaum Ansagen. Ohne grosse Worte ist er der grosse Kommunikator.» Und: «Springsteen variiert die Dynamik, lässt den Song zusammenfallen, die Band leise brummen, bevor sie wieder explodiert. One, two, three…und weiter gehts. Ohne Unterbruch, die Spannung bleibt.»

Man ist sogar geneigt, seiner Schlusspointe zuzustimmen: «Auf dem Bühnendach des Letzigrund Stadions flattern derweil einträchtig die amerikanische und die Schweizer Flagge nebeneinander. Das gute Amerika war hier.»

Für Tamedia liefert Jean-Martin Büttner das ab, was man von diesem Medienhaus erwarten konnte. Eine Mischung aus Abschweifung, Gemecker und kleinen Ausbrüchen von Bewunderung. Schon im Lead ist das versammelt: «Maximaler Ausdruck, minimale Variation und lange ein schlechter Sound: Bruce Springsteen und seine E Street Band gaben am Dienstag im Zürcher Letzigrund ein kraftvolles, wenn auch gleichförmiges Konzert.»

Dann gibt es als Einstieg einen Ausflug nach Amsterdam, zu einem Sturz, der mit dem Sturz Bidens verglichen wird. Dann fällt Büttner auf, dass er eigentlich über das Konzert in der Schweiz berichten sollte: «Im Zürcher Letzigrund fällt Bruce Springsteen nicht hin, sondern löst mit seiner Präsenz und dem Engagement seiner Musikerinnen und Musiker ein, was er von Beginn an verspricht: «No Surrender», gib nicht auf.» Das nennt man mit quietschenden Reifen die Kurve kratzen.

Darauf folgt eine halbe Hinrichtung des Artisten: «Bruce Springsteen muss mit Intensität und Ausdauer kompensieren, was ihm an stilistischer Vielfalt abgeht.» Eigentlich eine Frechheit, bei dem Oeuvre. Sein letztes originelles Album verortet Büttner dann 1995, was auch ziemlich bescheuert ist.

Schliesslich erzählt Büttner, immer wieder abschweifend, die Geschichte von «Born in the USA» falsch. Damit habe er sich «die Unterstützung von Ronald Reagan» gesichert, gegen dessen «Vereinnahmung sich der Musiker auf auffallend zahme Weise wehrte». Blühender Unsinn, Springsteen machte es einen Heidenspass, dass Reagan (und viele dumpfe Republikaner mit ihm) «Born in the USA» als Loblied auf Amerika missverstanden. Dabei ist es eine zutiefst melancholische Abrechnung mit dem amerikanischen Traum, gekleidet in ein pumpendes, vor Kraft fast nicht gehen könnendes musikalisches Powerpaket.

Kein Wunder, dass dann auch Büttners Resümee sehr durchwachsen ausfällt: «Was das Konzert bei allen Längen und Wiederholungen, trotz der Gleichförmigkeit der Arrangements und Akkordfolgen, ungeachtet der fast durchgängig gleich klingenden Begleitung vitalisiert, ist Bruce Springsteens überbordende Begeisterung.»

Die scheint er nun zumindest bei Büttner, im Gegensatz zu den übrigen 48’000 Zuhörern, nicht ausgelöst zu haben.

Ach, da fehlt doch ein Organ, das gerade die Bezahlschranke hochgefahren hat, um «noch mehr» tolle Artikel auf seine Leser regnen zu lassen. Aber zumindest am Tag danach ist dem «Blick» das Konzert keine Zeile wert. Vielleicht sind da alle Kräfte durch Rammstein gebunden.

 

Die Leihmeinung

Tamedia meint immer seltener selbst.

Aber immerhin, Ronen Steinke von der «Süddeutschen Zeitung» hat doch die Lösung aller Probleme gefunden: «machen wir Schluss mit Sexismus». Und wenn wir schon dabei sind, Kriege sind auch ganz schlecht, Hunger gehört abgeschafft, und machen wir endlich Schluss mit der Klitorisbeschneidung.

Da nun bereits so ziemlich alle so ziemlich alles repetitiv zum Rammelstein-Vorfall gesagt haben, muss Steinke tief Luft holen, um nicht nur Wiederholungen beizutragen: «Eine Debatte um frauenfeindliche Rollenbilder ist notwendig

Hoppla, diese Forderung wurde nun allerdings schon bis zum Gehtnichtmehr erhoben.

Auch anschliessend bewegt sich Steinken auf ausgetretenen Pfaden:

««Ich schlafe gerne mit dir, wenn du schläfst», hat der Sänger 2020 in einem Gedicht geschrieben. «Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas). Kannst dich gar nicht mehr bewegen. Und du schläfst, es ist ein Segen», so liest man da, heute noch angewiderter als damals.»

Wieso «noch angewiderter»? Na, «der Vorwurf, den Frauen gegen Lindemann erhoben haben – und den er bestreitet –, ist die Überwältigung mit K.-o.-Tropfen».

Okay, ganz langsam. So wie kein Krimiautor Mordgelüste hat, so wie Edgar Allen Poe zwar ausgeklügelte Mordmaschinen erfand und sogar einen sonderlichen Mörder, so wie Stevenson weder Jekyll noch Hyde war, so wenig haben literarische Fantasien normalerweise mit den Autoren zu tun. Diese Liedzeilen angewidert oder nicht so zu zitieren, zeugt von Flachdenken.

Nun geht Steinke detektivisch dem Verdacht nach, dass hier K.o.-Tropfen zum Einsatz kamen. Aber leider: «K.-o.-Tropfen sind nur für wenige Stunden im Blut nachweisbar.» Dann geht er ins Detail: «da helfen auch die klarsten Paragrafen traurigerweise nichts, wenn die Betroffenen nicht rasch zur Polizei gelangen und dort – wichtig – ebenso rasch von der Polizei ernst genommen werden. Eine gynäkologische Spurensicherung funktioniert unter Umständen zwar noch etwas länger. Aber das hilft in einer Rockstar-Fan-Konstellation auch nicht, wenn nicht gleichzeitig die K.-o.-Tropfen nachgewiesen werden können. Weil sonst der Beschuldigte sagen kann: Das war einvernehmlich.»

Am Schluss stehe Aussage gegen Aussage. Zudem gebe es Zweifel: «Den Frauen drohen dann oft Unterstellungen, die von Beratungsstellen als «Vergewaltigungsmythen» bezeichnet werden. Wie etwa: Frauen würden sich Vorteile davon versprechen, sich als Opfer zu inszenieren. Oft ist das sexistisch und abstrus. Wer in der notwendigen, durch den Fall Rammstein angestossenen gesellschaftlichen Debatte erst auf das Strafrecht wartet, wartet am Ende vielleicht vergeblich.»

Damit unterstellt Steinke etwas gewundener, was schon andere Denunzianten getan haben: Till Lindemann ist doch wohl schuldig, nur kann man es ihm halt leider nicht beweisen. Während Frauen per Definition Opfer sind, wird Lindemann als Täter inszeniert.

Das ist nun noch knapp einen halben Schritt vor der Selbstjustiz. Denn wenn das Recht nicht greift, obwohl für Steinke die Sache eigentlich klar ist, dann muss man doch das Recht in die eigenen Hände nehmen. So wie das auch anderweitig im Tagi gefordert wird; es könne doch nicht sein, dass die beiden Konzerte in Bern einfach stattfänden. Zunächst müssten doch die «schwersten Vorwürfe» untersucht werden, aber selbstverständlich gälte die Unschuldsvermutung.

Aber eben, wer auf da Strafrecht warte, «wartet am Ende vergeblich», behauptet Steinke. Nun sind zwar die ersten Strafuntersuchungen angestossen worden. Aber Steinke weiss schon jetzt, wie sie ausgehen werden. Also was tun? Den Abbruch der Konzerttournee fordern ist das eine. Aber wie machen wir denn nun «Schluss mit Sexismus»? Wohl am besten, indem wir ein Exempel statuieren. Den Sänger unermüdlich ans mediale Kreuz nageln. Mit Andeutungen, Unterstellungen, Behauptungen, anonymen Aussagen.

Ist doch immer noch besser, als ihn gleich zu lynchen, was dieser Triebtäter doch eigentlich verdient hätte.