Intellele

Über die Bruchlandung einer Zunft.

Es gab Zeiten, da traf diese Definition von Wikipedia tatsächlich auf viele zu:

«Als Intellektueller wird ein Mensch bezeichnet, der wissenschaftlich, künstlerisch, philosophisch, religiös, literarisch oder journalistisch tätig ist, dort ausgewiesene Kompetenzen erworben hat und in öffentlichen Auseinandersetzungen kritisch oder affirmativ Position bezieht. Dabei ist er nicht notwendigerweise an einen bestimmten politischen, ideologischen oder moralischen Standort gebunden.»

Ob das nun «freischwebende» (Mannheim) oder «organische Intellektuelle» (Gramsci) seien oder ob der Begriff abschätzig verwendet wird wie unter den Nazis: gibt es diesen Typus eigentlich noch, und wenn ja, wie weit verbreitet ist er – oder gehören seine Vertreter zu einer aussterbenden Art?

Fangen wir mit den ausgewiesenen Kompetenzen an. Wie viel Prozent der in diesem Sinne an der öffentlichen Debatte Teilnehmende wissen, wer Mannheim oder Gramsci war? Wie viele haben einen Bildungs- oder Wissenshorizont, der nicht knapp oberhalb der Erdkrümmung liegt? Es mag Leute geben, die Lukas Bärfuss nicht für einen Sprachvergewaltiger, sondern einen Intellektuellen halten.

Lassen wir solche Fehlurteile (und solche Leute) mal beiseite, dann wird in der Schweiz die Luft recht schnell recht dünn. Denn am Kriterium «ausgewiesene Kompetenzen» scheitern doch die meisten.

Was kritische oder affirmative Positionen betrifft, daran herrscht allerdings kein Mangel. Nur geht das allzu häufig mit Rudelbildung einher. Ein Leitwolf heult, die Meute stimmt ein. Bringt dabei nichts Neues, Sinnvolles oder Erhellendes zustande, einfach nur die Repetition in einer Endlosschlaufe.

Damit verhalten sich viele Intellele, wie wir das nennen wollen, wie in einer Ameisenmühle. Das beste Bild für den geistigen Zustand in der Debatte, das ZACKBUM jemals gefunden hat. Eine Ameisenmühle entsteht, wenn blinde Ameisen der Duftspur der vorangehenden Ameisen folgen. Das ist eine prima Orientierungshilfe, damit sich der Ameisenstamm nicht bei einer Wanderung verliert.

Aber manchmal will es das ungnädige Schicksal, dass die voranmarschierenden Ameisen ihren eigenen Pfad wieder kreuzen. Daraufhin entwickelt sich ein Kreisverkehr. Fatal, denn durch den ständigen Rundlauf verstärkt sich natürlich die Duftspur und macht es den Ameisen unmöglich, diese Ameisenmühle zu verlassen. Nicht allzu selten endet das mit dem kollektiven Tod durch Erschöpfung.

Genau gleich verhalten sich viele Intellele in der Gesellschaft. Sie umkreisen ein Thema und werden dabei immer mehr. Sei das Gendern, der Nahe Osten, Trump, Energiewende, Ukraine, Klimawandel oder etwas Kleineres, Lokales. Da wird der Pfad dann ausgetrampelt und in ewigen Wiederholungsschleifen das Gleiche gesagt, von immer wieder anderen. Allerdings fallen die Intellektuellen dann nicht einer solchen menschlichen Mühle zum Opfer, sondern schwärmen wieder aus, wenn sich ein neues Thema gefunden hat, in das sie sich verbeissen können.

Am letzten Kriterium scheitern dann sowieso die meisten. In seinen Positionen sei der Intellektuelle nicht an Standorte gebunden, seien die politisch, ideologisch oder moralisch. Die dadurch entstehende produktive Verunsicherung halten die wenigsten Intellelen aus. Sie sind eben nicht mehr freischwebend, sondern haben einen festen Standort.

Das schützt sie vor der Verunsicherung, auf eine widersprüchliche und überkomplexe Welt mit eigenen Gedankengängen oder Analysen antworten zu müssen. Das würde nämlich intellektuelle Arbeit voraussetzen, und an dieser Fähigkeit mangelt es sehr.

Wie schön, wenn Putin einfach böse und Selenskyj einfach gut wäre. Wenn das auch für Trump und Biden gälte. Für den Nahen Osten. Für China. Für die USA. Für Überlebensstrategien des Kleinstaats Schweiz. Da könnten erfrischende, faszinierende Gedankenreisen unternommen werden, Mind Games, Food for Thoughts, wie man das besser auf Englisch ausdrücken kann.

Aber wiederkäuen und sich an die Korsettstangen des allgemein akzeptierten Framings zu halten, das ist natürlich viel einfacher. Vor allem hat das den Vorteil, dass sich der Intellele nicht als das outet, was er eigentlich ist: ein aufgeblasener kleiner Wicht, ein kleines Licht auf der Torte, sozusagen eine geistige Monade.

Die Folgen des Aussterbens der Intellektuellen sind dramatisch. Es finden kaum mehr aufklärende Debatten statt. Der Königsweg zur neuen Erkenntnis, das ungehemmte Aufeinanderprallen verschiedener Ansichten, ist längst im Dickicht, im Unkraut der korrekten und guten Denkungsart verschwunden.

Dumme Schwarzweissraster beherrschen weitgehend die intellele Welt. Die Teilhaber lassen sich auch nicht davon irritieren, dass sie so die Wirklichkeit nur sehr ungenügend abbilden oder verstehen können. Da spielen sich dann ständig Entwicklungen ab, die angeblich nicht vorhersehbar, überraschend, wider Erwarten geschehen.

Dieser Niedergang lässt sich in den letzten Jahren an zwei Knotenpunkten festmachen. Der erste ist die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Kaum jemals in der jüngeren Geschichte haben so viele angeblich kompetente Fachleute so krachend versagt und sich der Lächerlichkeit preisgegeben. Als wäre das nicht schon schlimm genug: anschliessend versuchten sie, ihr Versagen wegzuschwatzen. Heraus kam Relotius.

Der zweite ist die Pandemie. Mit geliehenem und nachgeplappertem Fachwissen sahen Intellele hysterisch den drohenden Untergang der Gesellschaft voraus und verhielten sich nicht weniger schlimm als Inquisitoren in dunklen Zeiten. Nur hatten sie zu ihrem Bedauern nicht deren Machtmittel. Aber soziale Ausgrenzung, berufliches Karriereende oder Stigmatisierung als potenzieller Massenmörder von Andersdenkenden, das kriegten sie hin. Auch da hat man kein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung gehört.

Es gibt ein weiteres signifikantes Indiz für den Niedergang der Intellektuellen. Die um sich greifende tiefe Humorlosigkeit. Empfindlichkeit. Die beleidigte Leberwurst als Vorbild. Die Erdenschwere der moralischen Verantwortung. Die Besserwisserei aus Unsicherheit. Das Verschanzen hinter vorgestanzten Positionen, um nicht schutzlos ins Schussfeld der freien Debatte zu geraten.

Und, last but not least: ein dramatisch um sich greifender Mangel an Bildung. An historischen, literarischen, philosophischen Grundkenntnissen. Nur all das zusammen, um es an einer Person zu erden (es könnten auch ein paar andere sein), nur all das erklärt es, dass ein Bärfuss nicht schallend ausgelacht wird, wenn er mit tief gefurchter Denkerstirne geholperten Flachsinn von sich gibt.

Es gibt allerdings noch kleine Widerstandsnester einiger Happy Few, die geradezu konspirativ alte Traditionen weiterführen und sich mit kenntnisreichen und witzig geführten Debatten intellektuellen Spass verschaffen. Aber man muss sie mit der Lupe suchen und gut aufpassen, dass sich nicht intellele Scheinriesen hineinschmuggeln und das Niveau unerträglich senken.

2 Kommentare
  1. Guido Kirschke
    Guido Kirschke sagte:

    Eine herrliche Glosse. Macht einfach Spass, solche Texte zu lesen. Die sterbenden Diskurse sind fatal und die fehlenden Debatten auf hoher Flughöhe vermisse ich schmerzlich. Von einer guten Debatte können alle Beteiligten immer lernen. Man ist jeweils gescheiter als zuvor. Auch das Abnehmen des Humors in den wenigen Debatten, die noch stattfinden, ist symptomatisch. Mit Humor lässt sich kurz und knackig vieles klarstellen. Die Leute, die vorgeben, sich um die Demokratie zu ängstigen, die haben in Wirklichkeit Angst vor der Demokratie, weil sie das Wesen der Demokratie und der damit verbunden pluralistischen Gesellschaft nicht (mehr?) verstehen.

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