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Selektive Wahrnehmung

Die Qualitätsmedien im weiteren Niedergang.

«Hunderttausende bei propalästinensischer Grosskundgebung in London», berichtet die deutsche «Tagesschau». «Festnahmen in London: 300’000 Menschen bei Pro-Palästina-Demo», berichtet das ZDF. «Hunderttausende Menschen auf propalästinensischer Demonstration», berichtet «Zeit online».

Immerhin: «300’000 Menschen in London bei pro-palästinensischer Demo», berichtet «20 Minuten». Ebenso «watson».

Nun zu den Qualitätsmedien. Tamedia: nichts. NZZ: nichts. CH Media: nichts. «Blick»: nichts. Das Blatt mit dem Regenrohr im Titel macht noch weniger als nichts:

Der Schriftstellerdarsteller hat extra ein noch grimmigeres Foto anfertigen lassen, das nun schwer steigerbar ist.

So grimmig das Antlitz, so grimmig die Worte. Zum Schutz des Lesers sind sie immerhin hinter einer Bezahlschranke verborgen. Aber ZACKBUM kennt keine Furcht: «… unerträgliche, unannehmbare Entwicklung … Was sie zu einer Schande macht … Antisemitismus ist kein Randphänomen … Der Hass auf Juden bietet sich als Lösung an … werden instrumentalisiert zu reinen Stellvertretern eines feindlichen Systems … In den marxistischen Klassikern ist Antisemitismus eine Konstante … üblichen Täter-Opfer-Umkehr … », es ist verblüffend, wie Lukas Bärfuss eine hohle Worthülse auf die andere stapelt, ohne dass es ihm auffällt.

Aber seine Spezialität ist ja das Dunkle, Unverständliche: «Der Begriff «Schulmedizin» ist gang und gäbe und wird nicht nur von Impfgegnern und Homöopathen verwendet, obwohl seine antisemitischen Konnotationen hinlänglich untersucht sind.» Hä? Die Einleitung, um plötzlich gegen Esoterisches, gegen Rudolf Steiner vom Leder zu ziehen: «Die esoterische Praxis kann nicht von der Ideologie getrennt werden. Wer obskure, antisemitisch grundierte Ideen in der Landwirtschaft, in der Kosmetik oder bei der Erziehung seiner Kinder gutheisst, wird sie in der Politik nicht von vornherein zurückweisen.» Hä?

Noch schräger wird es, wenn die Karikatur eines Schriftstellers sich mit der Sprache beschäftigt, die er konsequent misshandelt, missbraucht, quält: «Die deutsche Sprache ist versetzt mit Begriffen, die sich gegen jüdische Menschen richten. «Mauscheln» und «schachern» gehören dazu. Auch hier braucht es Aufklärung – und sie muss stetig, nachhaltig und unaufhörlich sein.»

Vielleicht sollte sich Bärfuss mal mit dem Begriff Etymologie vertraut machen, aber das ist für einen so grimmig dreinschauenden Menschen wohl auch schon irgendwie antisemitisch.

Hat der Büchner-Preisträger eigentlich auch Lösungsvorschläge? Aber ja, einen sehr praktikablen sogar:

«In einer Demokratie hat niemand das Recht, auf den Staat, auf die Wirtschaft, auf die Institutionen zu warten. Das Einschreiten gegen Judenhass ist Bürgerpflicht. Wer Antisemitismus sieht oder hört, muss einschreiten, laut werden, Solidarität zeigen – und zwar jetzt, hier, immer.»

Einschreiten, laut werden, Solidarität zeigen. Da ist ZACKBUM aber mal gespannt, wie das geht, wie das von Bärfuss selbst praktiziert wird. Wer ihn beim Einschreiten, Lautwerden oder Solidaritätzeigen beobachtet, bitte sofort an ZACKBUM melden.

Archäologie des Verschwindens

Was weg ist, fehlt nicht. Oder doch?

Wer erinnert sich noch an die grossen Debatten, ob eine Impfung gegen Corona nützt oder schädlich ist? Ob Ungeimpfte potenzielle Massenmörder seien? Da liefen Corona-Kreischen wie Marc Brupbacher zu Höchstformen auf, sahen völlige Verantwortungslosigkeit herrschen («Der Bundesrat ist völlig übergeschnappt») und das Ende der Welt nahen.

Vorher völlig unbeachtete Wissenschaftler überboten sich in Ankündigungen von Todeszahlen (Wissenschaftler Althaus gewann mit dem Höchstgebot von 100’000 Toten in der Schweiz).  Eine Task Force ermächtigte sich, verantwortungsfrei allen Politikern, inklusive Bundesrat, der sie eigentlich zwecks stillen Beratungsdienstleistungen ins Leben gerufen hatte, Noten, Ratschläge und besserwisserische Forderungen zukommen zu lassen.

Das Maskentragen war nicht nur obligatorisch, sondern Nicht-Träger wurden öffentlich an den Pranger gestellt; alle Dissidenten von der medial unterstützten Regierungslinie wurden als Corona-Leugner, Aluhutträger, Verschwörungstheoretiker und willige Gefolgsleute von üblen Rechtspopulisten beschimpft. Wer an bewilligten Demonstrationen teilnahm, war ein nützlicher Idiot, wer sie mit Treicheln begleitete und den eidgenössischen Schlachtruf «Horus» anstimmte, ein Faschist.

Welche Schäden die hysterische und überzogene Politik wirtschaftlich und gesellschaftlich angerichtet hat – Schwamm drüber.

Vorbei, verweht, vergessen.

«#metoo», die grosse Bewegung gegen männliche Herrschaft, Übergriffe von Mächtigen auf Abhängige, der Aufschrei lange schweigender Frauen. Neben wenigen sinnvollen Anklagen produzierte die Bewegung eine Hexenjagd, diesmal aber auf Männer. Harvey Weinstein, als Sexmonster entlarvt und in den Knast gesteckt. Kevin Spacey und so viele andere: falsch beschuldigt, ruiniert, fertiggemacht, und wenn sie Jahre später von allen Anwürfen freigesprochen werden, interessiert das niemanden mehr wirklich. Die doppelte Endmoräne dieser Bewegung trägt die Namen Anuschka Roshani und Till Lindemann. Sie als Falschbeschuldigerin, er als Falschbeschuldigter.

Erinnert sich noch jemand daran, dass der heruntergekommene «Spiegel» dem Rammstein-Sänger sogar eine Titelgeschichte widmete, Roshani ihre grösstenteils frei erfundenen und längst widerlegten Anschuldigungen dort veröffentlichen durfte? Dass nun auch noch ein gefallener linker Starreporter seine Karriere beenden musste, weil ihm anonym verbale Übergriffe und ein angeblicher körperlicher Übergriff vorgeworfen werden, wobei eine medienbewusste Medienanwältin eine zwielichtige Rolle spielt: war da mal was?

Vorbei, verweht, vergessen.

«We stand with Ukraine», jede bessere WG machte neben der Pace-Fahne Platz für eine Ukraine-Flagge. Der ehemalige Schauspieler Volodymyr Selenskyj, an die Macht bekommt dank der Millionen eines ukrainischen Oligarchen, der sich damit eine Amnestie von gewaltigen Unterschlagungen erkaufte, wurde zum neuen Superhelden des Widerstands. Selbst eine Modestrecke in der «Vogue» mitsamt vor zerschossenen Flugzeugen posierender Gattin konnte diesem Image keinen Abbruch tun. Endlich war die Welt wieder in Ordnung. Nach dem bösen chinesischen Virus nun der böse russische Autokrat.

Seither dürfen Ukrainer und Russen in einem Stellvertreterkrieg verbluten. Der völkerrechtswidrige Überfall hat bislang Schäden in der geschätzten Höhe von 1000 Milliarden US-Dollar angerichtet. Zahlen wird die nicht Russland, auch nicht die Ukraine. Und erst recht nicht China oder Indien. Wer bleibt? Genau, in erster Linie die EU. Da gab es neulich eine gross angekündigte ukrainische Offensive. Wie geht’s der, wo steckt sie, ist sie erfolgreich, erfolglos, ist die Ukraine am Ende oder Russland oder beide? Wen interessiert’s im Moment, der arme Selenskyj versucht verzweifelt, darauf aufmerksam zu machen, dass es Hamas-Terrorismus und russischen gäbe. Dabei zählen seine westlichen Verbündeten ihre Munitions- und Waffenlager durch und fragen sich, womit sie allenfalls Israel unterstützen wollen.

Vorbei, verweht, vergessen.

Ein Treppenwitz ist dagegen, dass der grosse Shootingstar der Schweizer Literatur, der mehrfach preisgekrönte Kim spurlos verschwunden ist. Das eint ihn mit dem anderen grossen Gesinnungsblasenschreiber Lukas Bärfuss, von dem man auch noch kein ordnendes Wort zu den aktuellen Weltläufen gehört hat. So viel zu der gesellschaftspolitischen Verantwortung des Schriftstellers, die immer als Begründung herhalten muss, wenn mehr oder minder begabte Schreiber meinen, ihre persönliche Meinung zu diesem und jenem interessiere eine breitere Öffentlichkeit. Ach, und wo bleibt Sibylle Berg, die nach Plagiatsvorwürfen und leichten Zweifeln an der Authentizität von Reportagen auch deutlich leiser geworden ist.

Ein Treppenwitz im Treppenwitz ist, dass die Webseite von «Netzcourage» seit Tagen nicht mehr erreichbar ist, und ausser ZACKBUM ist das noch niemandem aufgefallen, bzw. keiner hält es für nötig, darauf hinzuweisen, dass nun Tausende, na ja, Hunderte, öhm, Dutzende, also eine Handvoll von Cybermobbing-Opfern unbeholfen und ungeholfen rumstehen. Ach, und es können wieder ungehemmt «Cockpics» verschickt werden, wovon angeblich bereits jede zweite Frau belästigt wurde. Nun kommt auch noch die andere Hälfte dran.

Vorbei, verweht, vergessen.

Sich prügelnde Eritreer, überhaupt Nachrichten aus den Elendslöchern dieser Gegend, aus Äthiopien, Sudan, Somalia, aber auch Tschad, Niger? Ach ja.Falsche Hautfarbe, keine nennenswerten Rohstoffe, Pech gehabt. Hat noch nie gross interessiert, interessiert aktuell überhaupt nicht. Armenier? Ach ja, die Armenier, war da nicht neulich was? Der religiöse Autokrat Erdogan, der die Errungenschaften Atatürks aus reiner Machtgier rückgängig gemacht hat und die Türkei ins Mittelalter zurückführen will, bombardiert als Kriegsverbrecher kurdische Lager in Syrien? Na und, ist aber doch in der NATO, hilft bei den Flüchtlingsströmen und daher ein Guter. Mohammed bin Salman, auf dessen Befehl hin ein Dissident unter Bruch aller diplomatischer Regeln in einer saudischen Botschaft brutal ermordet und zerstückelt wurde – nun ja, ein Freund des Westens, Waffenkäufer und Besitzer von Ölquellen. Da sehen wir ihm doch sein Gemetzel im Jemen auch gleich nach.

Vorbei, verweht, vergessen.

Hunderttausende von Kindern, denen bei der Kakaoernte Gegenwart und Zukunft gestohlen wird, die missbraucht, gequält, geschlagen, erniedrigt werden? Das wurde vom Läderach-Skandal überstrahlt, von der erschütternden Enthüllung, dass Läderach Senior als Mitglied einer Freikirchen-Sekte mitverantwortlich dafür war, dass vielleicht zwei oder drei Dutzend Zöglinge eines Internats ein wenig psychisch oder physisch misshandelt wurden.

Das Zurich Film Festival kündigte sofort erschreckt die Partnerschaft. Das gleiche Filmfestival, das den geständigen Vergewaltiger einer Minderjährigen Roman Polanski noch einige Jahre zuvor den Ehrenpreis fürs Lebenswerk überreicht hatte. Das gleiche Filmfestival, das ohne Skrupel solche Schoggi verteilt hätte, wenn das Problem nur darin bestanden hätte, dass sie mit ausbeuterischer Kinderarbeit gewonnen wird. Na und, Westafrika, Schwarze, who cares.

Vorbei, verweht, vergessen.

Israel, Israel, Israel. Ein bestialischer Überfall, das Abschlachten von Zivilisten. Das Vorgehen einer Mörderbande, wie es nur mittels der mittelalterlichen Todesreligion Islam möglich ist. Und schon wieder werden die Fundamente der Aufklärung in Frage gestellt. Es ist diskussionslos widerwärtig, dass in Deutschland (und in kleinerem Umfang auch in der Schweiz) antisemitische Ausschreitungen stattfinden. Wer die Sache Palästinas mit radikalfundamentalistischen Wahnsinnigen wie Hamas vermischt, ist ein Vollidiot und schadet der Sache Palästinas schwer. Aber wer Antisemitismus als wohlfeiles Totschlagargument gegen jede, auch gegen berechtigte Kritik an Israel verwendet, schadet einer fundamental wichtigen Sache unserer westlichen Gesellschaft: dem freien Diskurs. Der Überzeugung, dass nur im Austausch von Argument und Gegenargument, von Meinung gegen Meinung Erkenntnis und somit Fortschritt möglich ist.

Niemand hat das anschaulicher auf den Punkt gebracht als der ehemalige Pfaffenbüttel Giuseppe Gracia: «Wer Israel für Dinge kritisiert, die er bei anderen Staaten akzeptiert, ist ein Antisemit.» Wer Israel kritisiert, muss also zuerst Vorbedingungen erfüllen, die von Gracia und seinen Gesinnungsgenossen selbstherrlich aufgestellt werden. Wer Israel kritisiert, muss zuerst eine Litanei herunterbeten, welche anderen Staaten er auch kritisiert. Wer Israel kritisiert, muss zuerst Bekenntnisse ablegen. Zu oder gegen oder über. Sonst sei er Antisemit. Wer sagt «Israel verübt im Gazastreifen Kriegsverbrechen», dürfte das laut diesen Zensoren allenfalls nur sagen, ohne als Antisemit beschimpft zu werden, wenn er vorher sagt «Russland verübt Kriegsverbrechen in der Ukraine, die USA verüben Kriegsverbrechen überall auf der Welt, der Iran verübt Kriegsverbrechen, Saudiarabien, die sudanesische Regierung» usw. usf.

So wie früher die Inquisition forderte, dass Bekenntnisse abgelegt werden mussten, bevor in von ihr bestimmtem engem Rahmen Kritik an der Kirche geübt werden durfte. Bis man ihr dieses Recht wegnahm. So wie man es heute all diesen Anti-Aufklärern wegnehmen muss. Denn wer da zuschaut, wenn freie Rede beschränkt werden soll, ist das nächste Opfer.

Oder ganz einfach: grausame Kriegsverbrechen, die gegen Israel begangen werden, rechtfertigen, erklären, beschönigen nicht Kriegsverbrechen, die Israel begeht. Dass für persönlich Betroffene Hamas-Anhänger Tiere sind, die vernichtet werden müssen, ist menschlich verständlich. Dass der israelische Verteidigungsminister von menschlichen Tieren spricht, die als solche behandelt werden müssten, ist inakzeptabel. Ein militanter Israel-Verteidiger hat vor Kurzem in der NZZ eine richtige Frage gestellt: Wie kann Israel auf monströse Taten reagieren, ohne selbst zum Monster zu werden?

Auch beim Kampf gegen Monster darf man nicht selbst zum Monster werden. Auch gegen Palästinenser gab es Massaker, oder hat man die Namen Sabra und Schatila samt der üblen Rolle Israels bereits vergessen? Erinnert man sich schon nicht mehr an den Werdegang des aktuellen israelischen Ministerpräsidenten, den nur sein Amt vom Knast trennt? Entschuldigt, relativiert, verniedlicht, erklärt das die bestialischen Massaker der Hamas? In keiner Art und Weise. Aber es hilft dabei, nicht auf Stammtischniveau dumm zu schwätzen.

Das Schlimmste, was den Palästinensern in den letzten Jahren passiert ist, ist die Machtübernahme durch fundamentalistische Islamisten, durch Anhänger einer menschenverachtenden Todesreligion. Was Hamas will, ist Zerstörung, sie haben keinerlei positive Perspektive. Weder für Israel, noch für die Palästinenser. Was will aber Israel? Wo bleibt hier der gesunde Menschenverstand, der freie Diskurs, die konstruktive Debatte?

Einfache Frage: sollte es Israel gelingen, die Hamas zu liquidieren, wie es sein erklärtes Ziel ist: und dann?

Vorbei, verweht, unmöglich.

Bramarbasierender Bärfuss

Veronika, der Lenz ist da. Aber nicht Jakob Lenz.

Legen wir das Bildungsniveau etwas tiefer, es geht schliesslich um den Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss. Nun hat Georg Büchner eine Novelle «Lenz» geschrieben, in der in jeder Zeile mehr dichterische Schaffenskraft steckt als im Gesamtwerk von Bärfuss.

Der zeigt im Blatt für die gehobenen Stände und die literarischen Überflieger «SonntagsBlick», dass er auch an einfachen Themen scheitern kann. Denn er hat sich rechtzeitig zu dessen Ende den Frühling vorgeknöpft.

Frühling, das ist ein ewiges Aufsatzthema, an dem sich schon Primarschüler versuchen dürfen. Oftmals mit mehr Erfolg als der Dichter:

«Nun ist es warm geworden, von einer Woche zur andern, die Magnolien sind schon wieder verblüht, die Felder stehen grün, die Wolken hoch.»

Man beachte die doppelte Verwendung von «stehen», Wahnsinn. Wobei es nur einmal wirklich passt; grün «stehen» die Felder? Aber das ist nur die Einleitung zu tiefen, ganz tiefen Erkenntnissen: «Die Jahreszeiten prägen unser Leben. Ihr Wechsel gibt den Rhythmus vor, er treibt uns weiter, lässt uns niemals stillstehen im Tanz des Lebens.»

Tanz des Lebens, da hätte es selbst Utta Danella geschüttelt. Aber Bärfuss lässt nichts aus: «Der Tagbogen wölbt sich … Wir werden alle älter, und am Ende sind wir alle tot … Der Zauber in allem Anfang ist der Zauber der Vergänglichkeit … Erst die Tat, die Handlung, die Geste, die gefordert ist und die verändert, erst das tätige Leben gibt dem Frühling eine Antwort.»

Der Leser winselt um Gnade, aber wir sind – wie Bärfuss – gnadenlos: «Wir Menschen fürchten uns vor der Witterung. Wir sind ihrer nicht ebenbürtig, noch immer nicht, und das Klima zu verändern, bedeutet nicht, es zu beherrschen … Die Frage der Philosophie: Wie willst du sterben? Die Frage der Politik: Wie willst du leben?»

Dabei dachte ZACKBUM, die Fragen der Philosophie seien: «Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?» Das wäre dann Immanuel Kant, andere Liga.

Aber auch der quälendste Text findet einmal sein Ende, darin liegt tiefer Trost: «Der Frühling wird nicht bleiben. Es wird ein neuer kommen. Nicht für alle, aber für immer.»

Auch Bärfuss reiht sich in den Reigen ein: heutzutage ist alles erlaubt. Keiner zu klein, Dichter zu sein. Nichts zu banal. Kein Halten im Sturz ins Bodenlose, Niveaulose. Selbst Primarschüler müssten vor Scham erröten, würden sie solches Geschwurbel zu Papier bringen. Seufzend läse es der Lehrer. Weil er muss.

Was aber das süsse Geheimnis des «SonntagsBlick» bleibt: warum nur, warum quält er seine Leser so? Will das Blatt wirklich, dass der Leser an einem schönen Sonntag so griesgrämig schaut wie der gequält-quälende Dichter?

Buchli und Rafi schreiben schamlos darüber, wie sie ein Interview in den Sand setzten. Meyer tobt vor sich hin. Und Bärfuss bramarbasiert; er sei «der wichtigste zeitgenössische Schweizer Schriftsteller», behauptet der SoBli. Das dürfte Peter von Matt, Thomas Hürlimann und ein paar andere erstaunen. Aber die Sonne der Kultur stand schon immer ganz, ganz tief beim SoBli. Nicht nur im Frühling.

Postfaschistisch

Sprachreinigung oder korrektes Sprechen ist elitär-postfaschistisch und angebräunt.

Ein Blick in die Geschichte hilft häufig, die Gegenwart besser zu verstehen. Schon im März 1933, kurz nach der Machtübernahme der Hitler-Faschisten in Deutschland, wurde das «Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda» geschaffen. Hier wirkte das böse Propaganda-Genie Joseph Goebbelswollt ihr den totalen Krieg?»).

Möglicherweise wurde hier auch der Begriff «Sprachregelung» erfunden. Berüchtigt bis heute sind Begriffe wie «Endlösung der Judenfrage» für den Holocaust, «Kinderlandverschickung» für die Evakuierung aus bombardierten Städten. Wer in den 1970er-Jahren von der BRD statt von Deutschland sprach, von West-Berlin statt von Berlin, von der Baader-Meinhof-Gruppe statt der Baader-Meinhof-Bande, konnte sich leicht ein Berufsverbot einfangen, also mit dem «Radikalenerlass» in Konflikt geraten. Die Tradition solcher Beschönigungen wird natürlich in der Politik bis heute betrieben; so hiessen Ausgangssperren in der Coronazeit in Deutschland offiziell «Ausgangsbeschränkung».

«Wider den undeutschen Geist» war der Kampfruf. Den verkörperte für die Nazis der Jude. Entlarvend hiess es in einem Flugblatt der «Deutschen Studentenschaft»: «Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er. Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutlich denkt, ¡st ein Verräter

Das führt dann zu dieser Schlussfolgerung: «Wir fordern die Auslese von Studenten und Professoren nach der Sicherheit des Denkens, im deutschen Geiste.»

Wem es bei diesen Sätzen kalt den Rücken hinunterläuft, der hat ein gutes Sprachgefühl. Natürlich würden es heute nur noch verblendete rechtsradikale Kreise wagen, solchen Unfug über Juden zu schreiben.

Aber die gleiche Mentalität, die gleiche Ideologie metastasiert sich weiterhin durch Universitäten und hat leider auch ihre Anhänger in den Medien. Die jüngste Philippika von Tamedia gegen «Blackfacing» oder das Verkleiden als Indianer an der Fasnacht ist das letzte von unzähligen Beispielen, wie Sprachreiniger gewisse Begriffe so stigmatisieren wollen, dass sie «nicht mehr verwendet werden» sollten, wie «20 Minuten» in einem wiedererwachten völkischen Geist sich nicht entblödet zu schreiben.

Einen einsamen Höhepunkt setzten Andreas Tobler (noch am Gerät) und Aleksandra Hiltmann (inzwischen entsorgt) in der «SonntagsZeitung»:

Selten erschien unter dem Rubrum «Kultur» etwas dermassen kulturloses. Das hätte problemlos, unter Verwendung anderer Kampfbegriffe, zwischen 1933 und 1945 in Deutschland erscheinen können. Es erschien aber am 28. März 2021; bis heute hat sich Tamedia dafür weder entschuldigt, noch davon distanziert, um mit der gleichen inquisitorischen Strenge vorzugehen wie die beiden Autoren.

Sie handelten auf ganzen drei Seiten das Thema «richtig gendern» ab. Mit Handlungsanleitungen und allen weiteren Dummheiten:

ZACKBUM war damals davon überzeugt, dass nun diese Genderwelle ihren Scheitelpunkt erreicht hätte und dieser Blödsinn wieder verschwände. So kann man sich täuschen. Der Schoss ist bis heute fruchtbar, aus dem das kroch: «Diversität ist zu einer Frage der gesellschaftlichen Verantwortung geworden, ähnlich wie Nachhaltigkeit oder Umwelt.»

Aber nicht nur Journalisten zeigen bis heute, dass sie Grundprinzipien der Sprache und der Kommunikation nicht verstanden haben. Dass sie sich mit Inbrunst um Pipifax-Themen kümmern und immer wieder erstaunt bis angeekelt zur Kenntnis nehmen müssen, dass die der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung (und ihrer Leser) schwer am Hintern vorbeigehen. Da sehen sie nicht etwa ein, dass sie eine Dienstleistung gegen Bezahlung erbringen sollten, sondern schwingen sich zu Lehrmeistern auf. Und geben Irrlichtern (nur ein Beispiel unter ach so vielen im wuchernden Genderlehrstuhl-Wahnsinn) wie dem Zürcher AL-Gemeinderat David García Nuñez das Wort: «Als Arzt hat er eine wissenschaftliche Studie geleitet, die zeigt, dass auch bei Transmenschen, die den Geschlechtsangleichungsprozess hinter sich haben, die falsche Ansprache traumatisierend wirkt und Depressionen hervorruft

In diesem Dreiseiter wurden auch einige Schweizer Literaten gefragt, wie sie es denn mit dem Genderstern hielten. Korrekterweise wurde der Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss nicht gefragt, der kann bekanntlich kein richtiges Deutsch. Unvergesslich aber die Antwort von Peter von Matt, dem wohl intelligentesten und elegantesten Essayisten der Schweiz. Der drückte seine Verachtung für diese Frage mit einem kurzen Wort als Antwort aus: «Nein

Nun werden aber bis heute Diskussionsrunden wie der «Club» im Schweizer Farbfernsehen, Meinungsumfragen (mit erschütternden Ergebnissen für die Anhänger einer sauberen und diskriminierungsfreien Sprache) durchgeführt, an diversen Universitäten in der Schweiz korrektes Gendern als Benotungskriterium verlangt.

Als Männerhasserin outete sich damals die einschlägig bekannte Tamara Funiciello. Sie schrieb sich in einen wahren Rausch hinein:

«Genug Männer, die uns Gewalt antun oder angetan haben, dass wir mit unserem Schlüssel zwischen den Fingern nach Hause laufen, flache Schuhe zum Rennen dabeihaben, keine Musik hören, wenn wir alleine sind, damit wir die Gefahr hören, wenn sie kommt. … Wir sind in unserer Freiheit eingeschränkt, weil wir Angst haben müssen vor Übergriffen, Gewalt, Belästigung, Drohung. Es ist ein bisschen wie Corona – nicht jeder Mensch, den du triffst, ist eine reelle Gefahr – dennoch schützen wir uns, weil es eine sein könnte.»

Zu solchen Absurditäten, die nichts mit der Schweizer Realität zu tun haben, versteigen sich völlig verpeilte Feministinnen, die mit jedem Wort der Sache der Frau schaden. All diese Sprachreiniger verwechseln eine gesäuberte Sprache mit einer verbesserten Realität. Nicht das Wort Mohrenkopf ist diskriminierend, seine Ächtung macht die Welt um keinen Biss rassismusfreier.

Modernisieren wir doch kurz den damaligen Aufruf der «Deutschen Studentenschaft».

«Wider den unkorrekten Geist. Der Macho kann nur männlich denken. Schreibt er genderkorrektes Deutsch, dann lügt er. Der Mensch, der deutsch schreibt, aber nicht genderkorrekt denkt, ist ein Verräter. Wir fordern die Auslese von Studenten und Professoren nach der Sicherheit des Denkens, im genderkorrekten, inkludierenden Geiste.»

Das könnten ach so viele dieser moderneren, postfaschistischen Sprachreiniger ohne zu zögern unterschreiben. Sie sind so geschichtsvergessen, dass ihnen nicht einmal das Angebräunte in ihren Gedankengängen auffällt.

 

Bärenstark, oder?

Schon blöd, wenn der Druck wieder funktioniert, aber die Redaktion …

Sagt mal, liebe kompetente NZZaS-Journalisten, ist das Euer Ernst? Oder habt Ihr spielerisch mit dem «SonntagsBlick» einfach die Front getauscht?

Ausser dem Regenrohr im Logo, dem gewagten Kugel-Insert oben rechts, diese Front hätte sich doch auch bei NZZaS gut gemacht. Und Bärenumarmen sowie eine aufgeplusterte Geschichte über gestiegene Flugpreise hätte bestens auf den Boulevard gepasst.

Gut, anschliessend kommt im SoBli ein Editorial von Gieri Cavelty, da lässt’s dann wirklich schwer nach.

Aber auch auf Seite 2 beweist die NZZaS, dass die Debatte damals, ob die alte Tante überhaupt Fotos braucht, und erst noch in Farbe, durchaus ihre Berechtigung hatte:

Vier Betende vor dem Bundesgericht, welche Platzverschwendung.

Wunderbar auch diese Duftnote:

Aber immerhin, es gibt einige (wenige) Stücke, die versöhnen. Zum Beispiel die Hinrichtung des neusten Machwerks des PR-Genies Benjamin von Stuckrad-Barre. Der machte schon aus seiner Drogensucht einen öffentlichen Auftritt, nun will er Ersatz generieren für die üppigen Honorare, die er über Jahre hinweg für kleine Leistung für den Springer-Verlag erbrachte.

Mit «Noch wach?» schafft er es, und das ist nicht einfach, sogar Lukas Bärfuss zu unterbieten, gewinnt aber sprachlich den Nahkampf mit der/die/das Kim. Die Rezension in der NZZaS beginnt völlig richtig: «Eigentlich ist es falsch, diesen Text zu schreiben. Weil man damit einem Mann die Aufmerksamkeit gibt, nach der er giert.»

Um dann in einer fulminanten Hinrichtung zu enden:

««Noch wach?» ist aber trotzdem kein #MeToo-Roman. Er gibt nur vor, einer zu sein: Stuckrad-Barre kritisiert ein Machtsystem, von dem er selbst über Jahre profitiert hat. Jetzt eignet er sich die von Frauen hart erkämpften Errungenschaften an, die unter #MeToo zusammengefasst werden, und macht daraus Marketing für sich selbst. Sein Roman ist nicht literarisch interessant, sondern als Symptom für den grassierenden Zwang zur Selbstdarstellung. Wie sehr die Lust, sein Ego über die Sache zu stellen, dem Journalismus schadet, immerhin das transportiert er.»

Ähnliches könnte man allerdings über den Kulturchef der NZZaS sagen. Peer Teuwsen interviewt nämlich John Irving. Denn kann man kennen, muss man aber nicht. Einen Anlass fürs Interview gibt’s auch nicht, und so plaudert es sich halt dahin. Ach doch, Irving hat mal wieder einen ellenlangen (mehr als 1000 Seiten!) Familienroman geschrieben. Das ist aber noch lange kein Grund, ihm solche Fragen zu stellen:

«Was ist Familie eigentlich?
Familie ist die plötzliche Erkenntnis, jemanden mehr zu lieben als sich selbst.
Garp sagt: «Lachen ist meine Religion.»
Meine auch.
Ihre einzige?
Ja, Lachen ist meine einzige Religion.»

Nun muss ZACKBUM sowohl loben wie tadeln: «Die geschmierte Gewalt. Österreichs Medien erhielten im letzten Jahr von den öffentlichen Stellen Inserate im Wert von gesamthaft über 200 Millionen Euro.»

Es kann natürlich reiner Zufall sein, dass Beitrag und Thema verblüffende Ähnlichkeit mit diesem Stück haben: «Tamedias tiefes Schweigen». Das erschien am 17. April hier. Auch mehr in den Bereich Tadel gehört die Frage, wieso die NZZaS zwei Seiten für österreichische Zustände aufwendet, aber kein Wort über spiegelgleiche Verhältnisse in Deutschland und durchaus auch staatliche Jornalistenschmiere in der Schweiz verschwendet. Weil da peiplicherweise auch NZZ-Journalisten auftauchen?

Auch darüber hat ZACKBUM schon berichtet, aber vielleicht passte der NZZaS die eigentliche Quelle der Schweizer Untersuchung nicht, denn das war der «Nebelspalter».

Grossartig ist hingegen, das wollen wir gerne einräumen, eine Verteidigung von Lukas Bärfuss durch Manfred Papst. Also glücklicherweise keine Verteidigung dessen letzten Machwerks. Aber dessen Verwendung des Sprichworts «nach der Decke strecken». Unter Zuhilfenahme des Röhrich (für Sprachbanausen: «Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten», gehört in jeden besseren Haushalt) weist Papst nach, dass damit nicht die Zimmer-, sondern die Bettdecke gemeint ist. Das nutzt Papst, um seinem Kollegen von der NZZ eine reinzuhauen, der sich über das Sprachbild von Bärfuss, einer müsse sich nach der Decke strecken, wolle er keine kalten Füsse bekommen, lustig machte. Was, wir gestehen’s, auch von ZACKBUM geteilt wurde.

Aber: mit Verweis auf GoetheWer sich nicht nach der Decke streckt / dem bleiben die Füsse unbedeckt») klärt Papst auf, dass damit eben gemeint ist, dass eine kleine Decke zur Folge haben kann, dass die Füsse kalt bleiben. Die NZZaS als Bildungsanstalt, aber hallo.

 

 

World gone wrong

Es ist nicht Dylans beste CD. Aber der Titel sitzt.

Auf dem Video zu «Blood in my Eyes» sieht man einen entrückten Dylan mit Zylinder und schwarzem Gehrock durch die Strassen Londons streifen und huldvoll Autogramme geben. Nach der Devise: es ist alles egal, aber man sollte neugierig und offen bleiben.

Immerhin seit 1988 ist der Barde auf seiner «Never ending Tour» unterwegs. Die ihn dermassen auslastet, dass er keine Zeit fand, den Literaturnobelpreis persönlich in Empfang zu nehmen. Das ist abgeklärte Weltzugewandtheit, die man sich auch für sich wünscht.

Wir aber, nun ja. Vielleicht erhöhen wir unser Schicksal, wenn wir an Hölderlin denken:

Ihr wandelt droben im Licht
Auf weichem Boden, selige Genien!
Glänzende Götterlüfte
Rühren euch leicht,
Wie die Finger der Künstlerin
Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende
Säugling, atmen die Himmlischen;
Keusch bewahrt
In bescheidener Knospe,
Blühet ewig
Ihnen der Geist,
Und die seligen Augen
Blicken in stiller
Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.

Wollten wir nicht auch lieber schicksalslos sein? Allerdings müssen wir zugeben: hier in der Schweiz wandeln wir droben im Licht, verglichen mit ungefähr 99,9 Prozent der übrigen Welt. Wir haben Luxusprobleme, Luxusängste, Luxusbobochen, wir jammern auf hohem Niveau, haben gelernt, wehzuklagen ohne zu leiden.

Wir schauen auf unserem iPhone Szenen an, wie eingepferchte Arbeiter in der chinesischen iPhone-Fabrik von Polizisten zusammengeschlagen werden. Schon wieder die nächste Hungersnot in Ostafrika, wollen wir mal wieder «Live Aid» aufführen und heutzutage statt Feuerzeugen Handys schwenken? Der ukrainische Präsident will den Dritten Weltkrieg herbeilügen, was soll’s. Afrika ist endlich die Mumie Mugabe losgeworden, aber in Äquatorialguinea ist Teodoro Obiang Nguema seit 1979 an der Macht und hat immer noch nicht genug. Nur, wo liegt das schon wieder, irgendwo am Äquator wahrscheinlich, aber wie heisst denn die Hauptstadt?

In Brasilien haben sich die Wähler, sofern sie überhaupt zurechnungsfähig waren und gewählt haben, zwischen Pest und Cholera entscheiden dürfen und die Cholera gewählt. Auf Kuba kann das Regime nicht einmal mehr die primitivsten Grundbedürfnisse – Strom, Wasser, Nahrung – befriedigen, von Ausbildung und medizinischer Versorgung ganz zu schweigen. Aber das ist in Lateinamerika ja fast überall der Fall.

Können wir uns wenigstens damit trösten, dass wir die Weltherrschaft Chinas nicht mehr erleben werden, fortgeschrittenes Alter vorausgesetzt? Ist es ein Anzeichen dafür, dass in zunehmendem Ausmass Printwerke Gähnreflexe auslösen? Nicht nur, weil ihr Inhalt so vorhersehbar ist. Sondern auch, weil sie meist von so erbärmlichem intellektuellen Niveau sind, vor eingebildeter Ungebildetheit strotzen.

Wie muss es um die Kultur eines Landes bestellt sein, wenn ein Lukas Bärfuss ernsthaft als Schriftsteller auftreten darf? Wie muss es um die Politik eines Landes bestellt sein, wenn man der Bevölkerung ernsthaft einreden will, dass Solarstrom aus den Alpen sämtliche Stromlücken schliessen könne? Wie muss es um die öffentliche Debatte zwecks Erkenntnisgewinn bestellt sein, wenn aus Schiessscharten Worte abgefeuert werden, die an der gegenüberliegenden Schiessscharte abprallen?

Bleibt da nur noch der Rückzug ins Private, in Beschaulich-Überschaubare? Wer bewundert noch die Klugschwätzer, die unermüdlich grosse Lösungen für kleine und grosse, für alle Probleme dieser Welt anbieten? Wer verachtet nicht die Dummschwätzer, die meinen, mit faschistischer Sprachreinigung und Sprachvergewaltigung einen Beitrag zu einer gerechteren Welt zu leisten?

Menschen kleben sich an den Boden oder an Kunstwerke, die sie zuvor mit Suppe überschütten. Die SP diskriminiert Männer und ist noch stolz darauf. Die «Republik» geisselt Steuervermeider und vermeidet selbst Steuern. Wären Heuchelei, Sittenzerfall und wie Meereswogen ansteigende Dummheit Anzeichen für ein Ende der Welt, es müsste nahe sein.

Aber so biblisch sind wir nicht gestimmt, es ist wohl einfach nur: world gone wrong. Wobei, falsch und kaputt war sie in vielen Gegenden der Welt eigentlich immer. Nur in Kerneuropa und ausstrahlend auf wenige andere Gegenden der Welt zündete die Aufklärung ein kleines Licht an. Das blendende aber allzu grell.

Wir suhlen uns lieber in der Kuhle wärmender Vorurteile und Gesinnungsblasen, wir mögen es nicht, dem scharfen Wind der intellektuellen Auseinandersetzung ausgesetzt zu sein. Wir mögen es nicht, von besseren Argumenten zu einer Änderung einer Haltung gezwungen zu werden. Unsere Lieblingssätze, nicht nur von Politikern verwendet, lauten: ich habe schon immer gesagt. ich habe noch nie gesagt. Da könnte ja jeder kommen.

Seien wir ehrlich: wir mögen nichts Buntes. Wir wollen Schwarzweiss. Wir brauchen gut/böse. Wir können ohne falsch/richtig nicht leben. Wir brauchen Orientierung, Kartografie, Wegweisung, Einweisung. Wir haben’s gerne kommod und einfach. Wir kriegen bei Widersprüchlichkeiten Pickel. Wir haben die Welt gerne klein und rund. Wir mögen nichts Fremdes und nichts Neues. Wir betrachten am liebsten unseren Bauchnabel und schauen zur Not noch anderen bei deren Bauchnabelschau zu.

Wer versucht, uns aus unserer Komfortzone zu reissen, wird mit Verachtung bestraft, ausgegrenzt, im Zweifelsfall zum Hetzer, Populisten und Unmenschen erklärt.

Mit anderen Worten: wir wollen blöd bleiben. Lasst uns bloss in Ruhe.

Schön, dass ein paar ZACKBUM-Leser die löbliche Ausnahme bilden …

 

Treffen zweier Taucher

Nora Zukker und Lukas Bärfuss. Gibt es eine Steigerung des literarischen Grauens?

Schwurbel Time. Der Literaten-Imitator Lukas Bärfuss, nur echt mit grimmigem Blick, hat ein Büchlein geschrieben. 96 Seiten für satte 27 Franken. Schon das ist eine Frechheit.

Der Inhalt dreht sich unter anderem um Müll und ist Müll. Ungeordnetes Flachdenken mit Attitüde. Aber für das Feuilleton ist der Büchner-Preisträger immer wieder neu Anlass für Wallungen. So wallt die «Süddeutsche Zeitung»:

«Über solche Widersprüche hinweg spannt Bärfuss seinen essayistischen Bogen von der Genesis bis zur Gegenwart, um dann aus seinen Befunden konkrete Handlungsvorschläge abzuleiten, die der Verantwortung für das Erbe künftiger Generationen Rechnung tragen.»

Nix verstanden? Macht nix, das ist ein gutes Zeichen geistiger Gesundheit. Kann man das Geschwiemel und Geschwurbel noch steigern? Schwierig, aber nicht unmöglich. Tamedia wirft dazu seine Literaturchefin in die Schlacht. Nora Zukker gelingt es mühelos, die SZ im Tieftauchen in flachem Geplätscher zu unterbieten.

Wir betrachten nun zwei Leserverarscher beim vergeblichen Ausloten der Tiefen und Untiefen des Flachsinns.

«Wir vererben vor allem Abfall», lässt sich der literarische Zwergriese im Titel vernehmen. Eine schöne Selbsterkenntnis, aber natürlich versteht Bärfuss das als Gesellschaftskritik. Denn dafür erklärt er sich ungefragt zuständig. Er ist der Mahner und Warner mit den kritisch zusammengekniffenen Augen.

Er verkörpert das, was bei Salonlinken sonst auf dem gepützelten Glastisch vor dem Sofa liegt. Bibliophile Bände mit voluminösem Nichts drin, Gedankenabfall, Ornamente als Verbrechen, aber wer Alfred Loos war, das weiss hier keiner.

Zurück zum Interview, wo es auf dumme Fragen dümmliche Antworten setzt. Zum Beispiel:

«Ihr neues Buch heisst zwar «Vaters Kiste», er spielt aber nur am Rande eine Rolle. Warum? – Weil ich nichts über ihn weiss.»

Immerhin, man kann diese Einleitung auch so verstehen: lieber Leser, sei gewarnt. Wenn dich das nicht abschreckt und du weiterliest, dann lass jede Hoffnung fahren. Aber das wäre ja Dante, also zurück in die flachen Gewässer.

Wobei, Bärfuss beschäftigt sich schon mit fundamentalen Fragen, spannt eben einen Bogen, wie die SZ weiss und ihm Zukker entlockt: «Die Familie ist wahlweise eine soziale, biologische Gruppe, deren Rollen unterschiedlich definiert werden.» Der Schriftsteller ist wahlweise ein überflüssiger, durchaus biologischer Teilnehmer an einer Gruppe, dessen Rollen unterschiedlich definiert werden. Nix verstehen? Macht nix.

Aber Zukker hätte da noch eine Frage: «Ihre radikale Forderung lautet, dass wir das ererbte Privatvermögen in Gemeingut überführen. Warum? – Ist es nicht seltsam, dass wir zwar das Privateigentum kennen, aber nicht den Privatmüll

Ist es nicht seltsam, dass wir nicht nur den Privatmüll kennen, sondern ihn auch kostenpflichtig entsorgen müssen? Allerdings kann das nicht jeder in Form eines gebogenen Essays oder geschwurbelten Interviews tun.

Bärfuss ist mit dem Stochern in Müll noch nicht am Ende seiner Weisheit angelangt: «Abfall ist ein klassischer Fall von herrenlosem Gut und stellt das Gesetz immer wieder vor Schwierigkeiten

Bevor hier das Gesetz kapituliert, eilt ihm der Dichter zu Hilfe: «Die Lösung, den Müll einfach an die Strasse zu stellen oder als CO2 in der Atmosphäre zu entsorgen, müssen wir hinterfragen.»

Hinterfragen ist immer gut, wenn man nicht weiss, was vorne und hinten ist und nach unten noch etwas Luft. Aber eigentlich noch schlimmer als der Abfall ist etwas anderes: «Der sogenannte Markt ist ein Problem, ein anderes sind die Waren, die gehandelt werden

Also der Markt, der sogenannte, dient doch eigentlich dem Handeln von Waren, womit aber laut dem Flachdenker zwei Probleme aufeinanderprallen. Besonders problematisch ist für Bärfuss die Handelsware Öl, auf dem sogenannten Markt, da wagt er einen weiten Blick in die Zukunft: «Das Öl ist Segen und Fluch unserer Zeit. Wir leben in der Ölzeit. Sie wird nur kurz dauern.»

Nach diesem Ausflug in die Öl- und Essigzeit geht’s im wilden Ritt wieder zurück zur Familie, zum Erben. Auch da weiss Bärfuss mehr als andere: «Es gibt kein geistiges Erbe, das wir übernehmen müssen. Wir entscheiden selbst, in welche Tradition wir uns stellen

Sagen wir so: nur weil Bärfuss keine Ahnung von literarischem Erbe hat, nicht einmal die deutsche Sprache rumpelfrei beherrscht, muss das nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben.

Nun kommt aber ein Bogen, bei dem es Ikarus nicht nur das Wachs, sondern sämtliche Federn verbrennen würde: «Befreiung ist zuerst Befreiung von der Herkunft. Befreiung bedeutet, über die eigene Zugehörigkeit zu entscheiden. Das Geburtsrecht anzunehmen oder auszuschlagen, seine Geburtspflicht zu verweigern. Nichts anderes bedeutet Mündigkeit. Ab 18 Jahren liegt es an ihnen, über ihre Herkunft zu entscheiden. Wenn Herkunft als unabänderlich gilt, wird es gefährlich.» Nichts verstehen? Macht nichts, dunkel und raunend muss das Dichterwort sein, damit das moderne Feuilleton ins Schwärmen gerät und die einzig sinnvolle Frage zu stellen vergisst: was soll dieses hohle Geschwätz?

Stattdessen fragt Zukker, wahrscheinlich, während sie die nächste Flasche Prosecco öffnet: «Inwiefern gefährlich?  – Weil es Menschen reduziert, die Möglichkeiten beschränkt, die Freiheit beschneidet und verhindert, dass Menschen für ihr Handeln Verantwortung übernehmen.» Nichts verstehen? Macht nichts, oder sagten wir das schon.

Zum Schluss muss noch Max Frisch dran glauben, der sich nicht mehr wehren kann und das wirklich nicht verdient hat: «Was ist eigentlich Ihre Mission? Sie werden gern als Nachfolger von Max Frisch verstanden. Lukas Bärfuss, der die Schweiz aufklärt.»

Da wird der grosse Mahner und Warner, der Beschimpfer der Schweiz, der Kritiker eines chemischen Industriellen, der schon während Corona die Gesellschaft aus Profitgier auseinanderfliegen sah, während sich die Toten auf den Strassen stapelten, ganz bescheiden: «Ich bin Schriftsteller, ich habe keine Mission. Frisch habe ich spät gelesen. In meiner literarischen Herkunft spielt er eine kleine Rolle

Eben, es gebe ja kein geistiges Erbe, das wir übernehmen müssten, behauptet Bärfuss. Dass dann aber Wüste im Oberstübchen staubt, das führt er zusammen mit Zukker exemplarisch beim gemeinsamen Sändele vor.

Der See ist getötet worden

Lukas Bärfuss leidet. Und lässt die Leser mitleiden. An ihm.

Dem grossen Büchner-Preisträger ist kein Anlass zu klein, Betroffenheit zu zeigen. Er leidet bekanntlich unter der Last der ganzen Welt, insbesondere der Schweiz, und weil ihn kein Qualitätsmedium mehr perseverieren lassen will, müssen die armen Leser des Blöd-«Blick» dran glauben.

Erschauert und vernehmt die schröckliche Kunde: ein See ist ausgetrocknet. Der Bodensee? Der Vierwaldstättersee? Der Genfersee? Nein, es handelt sich um den Lac des Brenets. Hä? Keine Bange, muss man nicht kennen. Die Pfütze ist in besseren Zeiten gerade mal 800’000 m2* gross:

Der liegt im Jura und wird normalerweise von der Doubs gefüttert. Ohne dem lokalen Tourismus zu nahe zu treten: kann man besuchen, muss man nicht besuchen.

Nun sieht der See auch dieses Jahr, was bei Trockenzeiten nicht ganz unüblich ist, halt so aus:

Das ist nicht besonders schön, für Bärfuss ist es aber Anlass, mal wieder richtig Guzzi zu geben:

Verschwörung, Schweigen? Jawohl, der Schriftsteller wirft sich extra aus diesem Anlass in eine neue Pose, denn der streng-tragisch-grimmige Blick reicht angesichts dieser Katastrophe natürlich nicht mehr aus:

Die Politik sei sprachlos, behauptet der Dichter, er selber ist’s leider nicht. Ganze 8257 Buchstaben mutet er dem «Blick»-Leser zu, der nun ehrlich gesagt eher ein Kurzstreckenläufer ist. Aber der Schriftsteller kann das Wasser, Pardon, die Tinte nicht halten.

Letzten Mittwoch hätten die Nachrichtenagenturen den Tod des Sees gemeldet. Und? Nichts und. Ging ein Aufschrei durch die Schweiz, eilten Politiker zur Leiche, wurden Sofortmassnahmen beschlossen, wurde wenigstens Wasser herbeigeschafft? Nein: «Er war kein politisches Traktandum, kein Menetekel, kein Zeichen an der Wand, kein Bild für die Falle, in die sich unsere Gesellschaft begeben hat. Wer vermisst hierzulande schon einen See

Der Tod fand in aller Stille statt. Das stimmt zwar nicht, aber ein Dichter ist nicht verpflichtet, mit der Wirklichkeit Kontakt zu halten. «Das minimale touristische und landwirtschaftliche Gewerbe hingegen, das von diesem See abhängig war, wird man mit vergleichsweise wenig Geld entschädigen können», weiss der Barde. Nur melden die Medien anderes:

«Auf Anfrage von Nau.ch bestätigt Urs Niederberger, der Besitzer des Campingplatzes «Lac les Brenets», dass wohl weniger Menschen die Region wegen See, Schifffahrt und Wasserfall besuchen. «Doch auch das Gegenteil ist der Fall», freut sich Niederberger. «Der Eine oder die Andere kommt gerade zu uns, um das Phänomen persönlich vor Ort zu sehen.» Jetzt kommen die Katastrophen-Touris!

Ausserdem werde der Campingplatz glücklicherweise nicht nur wegen dem See besucht. Niederberger zählt auf: «Die Gäste kommen in unsere Region und schätzen die Natur, die Ruhe, die Wanderwege, die Bikestrecken, und vieles mehr.»»

Also doch kein Weltuntergang, aber Bärfuss hat’s halt nie eine Nummer kleiner. Schnell wechselt er vom Ereignis auf die Metaebene der Sprache, denn da kennt er sich auch nicht so aus: «Die Verarmung der Sprache ist ein Zeichen für die Verarmung der Politik. Und wie der See, so trocknet auch die Sprache aus, sie verödet, flüchtet sich in Floskeln und Worthülsen.» Eigentlich spricht er hier nicht über die Politik, sondern über sein eigenes Schaffen, aber das fällt ihm nicht auf.

Denn Bärfuss will, muss schimpfen, auch wenn er die Anlässe an den Haaren herbeiziehen muss. Denn, wie schrecklich, zwei Tage «bevor der See verschwand», gab der Finanzminister eine Pressekonferenz, ohne auf dieses tragische Ereignis einzugehen. Stattdessen: «Die Pressekonferenz war reine Routine, ein totes Ritual ohne Bezug zur Wirklichkeit, die Sprache des Finanzministers hölzern, plump, angeödet von der Stumpfsinnigkeit und von der eigenen Entfremdung. Ausgestattet mit den Privilegien des Amtes, das jede persönliche Gefährdung ausschliesst, sprach der Bundesrat seinen ewigen, tödlich langweiligen Text.»

Geht’s noch schlimmer? Oh ja, auch Bundesrätin Sommaruga erregt das höchste Missfallen des Leidensmannes. Sie hielt eine Ansprache zum 1. August, was schon ein Weilchen her ist, aber dennoch ereilt sie sein Zorn: «Als wären die Anwesenden Kinder oder Schwachsinnige, so spricht die Bundesrätin. … Ausgerechnet eine sozialdemokratische Politikerin ergeht sich in einem nationalistischen Phantasma, das immer wieder zur Stilisierung dient und im Film «An heiligen Wassern», gedreht von einem alten Nazi, endgültig den Eingang in die lokale Mythologie gefunden hat. Die Walliser Weissweinseligkeit wird bei ihr zum Exempel für den sozialen Zusammenhalt in dieser Berggemeinde. Ihre Worte sind losgelöst von der Wirklichkeit und von den Menschen, an die sie sich wendet.»

Versteht hier einer das Dichterwort? Macht nichts, dunkles Geraune hat auch eine üble Tradition. Aber wer bis zum Schluss durchhält, und das sind sicher nicht viele, wird endlich aufgeklärt, worum es hier geht und was eigentlich die Ursachen für das Austrocknen des Sees sind. Hitze, mangelnde Wasserzufuhr? Ach was: «In dieser Wirklichkeit verschwindet nach vierzehntausend Jahren ein See. Niemand weiss, was das für die Gefühle, die Umwelt und unsere Kultur bedeutet, aber alle wissen, was die wesentlichen Ursachen dafür sind. Sie lauten «Steuersubstrat», «Wettbewerbsfähigkeit», «Arbeitsplätze» und «wirtschaftliche Rahmenbedingungen».»

Der See ist wegen diesen Begriffen ausgetrocknet? Da braucht es schon einen dichterischen Seher, um auf diesen Zusammenhang zu kommen. Aber leider widerspricht sich der Sprach- und Denkholperer dann noch am Schluss: «Totschweigen nennt man dieses Prinzip, es ist eines der Gewalt, denn tatsächlich tötet diese Methode. In der vergangenen Woche ist ihm unter anderem ein See zum Opfer gefallen.» Obwohl über die Auswirkungen des Austrocknens ausführlich berichtet wurde, soll das Schicksal des Sees totgeschwiegen worden sein. Das sei Gewalt, meint Bärfuss, diese Methode töte. Sogar ein unschuldiger See sei ihr zum Opfer gefallen.

Die einzig richtige Frage ist allerdings: was lösen 8257 Buchstaben von Bärfuss aus? Dagegen ist der Tod eines Sees ein Klacks …

*Nach Leserhinweis korrigiert.

Was kostet der Mensch?

Ein Menschenleben ist nicht in Geld aufzuwiegen. Leider Quatsch.

Absolute Wahrheiten sollte man Gläubigen überlassen. Denn wo Zweckrationalität, Logik und Erkenntnis herrschen, gibt es sie nicht.

Absolutes ist sowieso immer bedenklich. «Alles für», «vorwärts im Sinne von», «niemals, immer, auf ewige Zeiten», wer solche Sprüche klopft, ist potenziell gefährlich.

Das gilt besonders heute, in den garstigen Zeiten einer bislang erfolglosen Bekämpfung einer Pandemie. Wer schüchtern nach den Kosten, Folgekosten und Schäden durch drakonische Massnahmen fragt, wird schnell zurecht gestutzt: wie könne man wagen, den Wert eines Menschenlebens in Franken ausdrücken zu wollen.

Menschenverachtend, zynisch, neoliberal, oder wie Dummschwätzer Lukas Bärfuss formuliert: «In einem Teil des rechtsnationalen Spektrums herrscht die Vorstellung, dass Corona den helvetischen Organismus durchputzt.»

Vielen Corona-Kreischen, die sich mit Forderungen nach Lockdowns, nach der wiederholten Paralysierung der Wirtschaft und Gesellschaft überschlagen, sind die Folgeschäden und -kosten schnurzegal. Das muss uns doch ein Menschenleben wert sein, ist ihr Totschlagargument.

Hat nichts mit einem Menschenleben zu tun …

Auch Banker werden schnell emotional

Auch Zahlenmenschen, die normalerweise nicht zu Gefühlsduseleien neigen, rasten schnell aus, wenn es um die Berechnung des Werts eines Menschenlebens geht. Das konnte ZACKBUM gerade austesten, mit der Frage nach den Kosten der Corona-Bekämpfung, drüben auf «Inside Paradeplatz».

Da überschlägt sich jeweils der Kommentator. Natürlich ist die grosse Mehrheit voller Lob, wie es sich gehört. Aber nehmen wir einen anonymen Kritiker, weil der so schön wäffelt:

«Eine Krankenkasse kann nur prüfen ob eine Behandlung wirtschaftlich und Zweckmässig ist, das ist grossmehrheitlich auch alles im Tarif abgelegt, es gibt praktisch keine Individualentscheide. Das KVG ist Deckungsidentisch.

Diese Diskussion steht uns eben allen noch bevor, entgegen Ihrer Behauptung kann die KK eben gerade nicht Entscheiden das dem 90 Jährigen kein neues Hüftgelenk mehr eingesetzt wird, er hat Anspruch darauf auch wenn er 3 Monate später stirbt.»

Zunächst ein schönes Beispiel dafür, dass Kommentarspalten nicht gerade zur Steigerung des Niveaus beitragen (ausser auf ZACKBUM, versteht sich). Dann sehen wir über eine etwas rumpelige Beherrschung der deutschen Sprache hinweg. Und konzentrieren uns auf den Inhalt.

Unbezahlbar oder mit zugemessenem Wert?

100’000 Franken, dann ist Schluss

Dem Absolutismus, dass ein Menschenleben unbezahlbar sei, stehen ganze Tabellen entgegen, die den Wert jedes Körperteils (bzw. dessen Verlust) genau beziffern. Schliesslich ist auch hier der Verursacher eines Schadens haftbar. Kostet der einen Finger, ein Bein, die Niere, das Augenlicht oder die geistige Gesundheit: alles berechenbar, alles in Franken und Rappen umrechenbar.

In einem häufig zitierten Bundesgerichtsurteil von 2012 kamen die obersten Richter zum Schluss, dass in einem spezifischen Fall eines 70-Jährigen eine Therapie für 400’000 Franken nicht von seiner Krankenkasse übernommen werden musste. Maximal 100’000 Franken lägen drin, entschied Lausanne.

Der Wert eines Menschenlebens, wird es schuldhaft beendet, bemisst sich schlicht und einfach nach dem dadurch entstehenden Verdienstausfall. Unter Vermutung der abgekürzten Lebenserwartung, Qualifikation, Vorerkrankung, Alter usw.

Das ist nun kein Einzelfall oder Ausdruck zynischer Richterlogik. Im Gegenteil, it’s the law in der Schweiz. Denn falls keine schwierigen Entscheide getroffen würden, zahlten wir wohl doppelt so hohe Krankenkassenprämien, was auch all den Gutmenschen, die jede Monetarisierung eines Menschenlebens entrüstet ablehnen, auch nicht recht wäre.

Chemisch gesehen sind wir knapp 24 Dollar wert …

In diesem Zusammenhang kann man nur immer wieder auf einen ausgezeichneten Artikel einer ehemaligen Bundesrichterin hinweisen, die als Mitglied der Grünen nicht im Verdacht stehen kann, neoliberaler Menschenverachtung anzuhängen.

Brigitte Pfiffner stellt klar:

«Mediziner, Krankenkassen, Gerichte müssen genau diese Fragen – sprich: Kosten-Nutzen-Erwägungen im Zusammenhang mit Leben und Tod – praktisch täglich beantworten

Dann führt sie Bundesgerichtsurteile an, in denen die Kostenübernahme verweigert – oder befohlen wurde. Denn: «Gesetz und Rechtsprechung stellen bei medizinischen Behandlungen stets Kosten-Nutzen-Überlegungen an. Das Krankenversicherungsgesetz schreibt nämlich vor, dass drei Kriterien – Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit – gleichberechtigt zu prüfen seien. Eine Kostenobergrenze sieht das Gesetz nicht vor.»

Wirtschaftlichkeit, das gilt auch bei allen anderen staatlichen Massnahmen. So ist das Kriterium für die Errichtung einer Lawinenverbauung, in welchem Verhältnis die Kosten mit der Anzahl der potenziell geschützten Menschenleben stehen, also mit deren kumuliertem Wert.

Seherische Fähigkeiten der Autorin

Man muss erwähnen, dass dieser Artikel Anfang Mai 2020 erschien. Als es sich abzuzeichnen begann, dass die Bekämpfung der Pandemie nicht nur mit der Benützung von Schutzmasken durchgeführt wird, sondern dass es auch drakonische Beschränkungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens geben wird.

«Wie hoch darf der Preis für die Stilllegung der Wirtschaft sein, um die aktuelle Pandemie zu bekämpfen?»

Geradezu seherisch mutet die Schlussbemerkung der alt Bunderichterin an:

«Zu welchem Preis also erkaufen wir uns bei der Corona-Krise eine nicht bezifferbare Lebensverlängerung?

Wenn es so ist, dass viele Todesfälle wegen oder mitbedingt durch Vorerkrankungen eintraten, relativiert sich die Gefährlichkeit von Covid-19. Wenn es so ist, dass die allermeisten der infizierten Personen eher leichte Krankheitsverläufe aufweisen, relativiert sich die Gefährlichkeit auch aus diesem Grund.

Mit anderen Worten: Bei einer zögerlichen Aufhebung des verordneten wirtschaftlichen Stillstandes – der anfänglich seine Berechtigung hatte – bestünde je länger, desto stärker ein Missverhältnis zwischen Nutzen und Kosten der Schutzmassnahmen.»

Es gibt Artikel, die gültig bleiben – und denen auch fast anderthalb Jahre später nichts hinzuzufügen ist. Man muss nur jede Gelegenheit beim Schopf packen, sie wieder in Erinnerung zu rufen

Oder ist das Leben etwas raunend Mystisches?

«Organismus durchputzen»

Wenn ein Dichter nicht ganz dicht ist.

Lukas Bärfuss, unsere Unke mit dem düsteren Blick, geht zu offenen Drohungen über:

«Ich biete mich dem Bund hiermit offiziell als Kommunikationsberater an.»

Was würde er denn so kommunizieren? Nun, solchen hanebüchenen Unsinn. Demagogisch, falsch, unbelegt, polemisch, spalterisch und verantwortungslos:

«Eugenisches Denken hat eine lange Geschichte in der Schweiz. Alt und krank bedeutet in dieser unmenschlichen Logik eben auch unproduktiv und verzichtbar. In einem Teil des rechtsnationalen Spektrums herrscht die Vorstellung, dass Corona den helvetischen Organismus durchputzt.»

Kennt nix mehr: Lukas Bärfuss (Screenshot Tamedia).

Es ist eine Schande, dass jemand so etwas öffentlich sagen darf. Es ist eine grössere Schande, dass es Alexandra Kedves, der Interviewerin von Tamedia, nicht einfällt, von ihrer Rolle als Stichwortgeberin abzuweichen und dem Dichter klarzumachen, dass auch er nicht einfach jeden Unsinn hinausblasen darf.