Voll verkehrt

Tamedia will mit einem «Verkehrsmonitor» auf die Schnauze fallen.

Tatä, die digitale Offensive rollt. Der «Beirat für Digitalisierung» Mathias Müller von Blumencron, ein Dampfplauderer vor dem Herrn, will die Lücke ausfüllen, die der abrupte Abgang von Marco Boselli hinterlassen hat.

In einem den Leser mit heisser Luft umfächelnden Interview hat – wir nennen ihn der Kürze halber Müller – der Digitalcrack Müller bereits die Marschrichtung angedeutet: «Wir wollen schneller mehr digitale Abonnentinnen und Abonnenten gewinnen.»

Das ist ja wunderbar, und wie geht das? Na, indem morgen der «Verkehrsmonitor» an den Start geht. Was ist denn das? Das ist ein B2B-Portal. Das «Go-to-market» und «Brand-Design» wurde mit der Agentur Wirz entwickelt, auch so ein Heissluftfön. «Datengetriebenes Kampagnensetup, laufende Optimierung, Zusammenspiel mehrerer Disziplinen und mit Fokus auf Impact», und Blabla und Blüblü.

Hört sich irgendwie toll an, aber wer mit einem solchen Headerfoto auf der Homepage startet, sollte vielleicht zuerst einen Grundkurs im Webseitendesign besuchen.

Okay, und was bietet der «Verkehrsmonitor»? Bahnbrechend Neues: «exklusive Nachrichten, fundierte Hintergrundgeschichten und aktuelle Recherchen». Die Geschichte des modernen Journalismus wird neu geschrieben. Und für wen soll’s denn sein? Er sei «speziell für Entscheidungsträger:innen und Angestellte der Verkehrs- und Mobilitätsbranche in der Schweiz konzipiert».

Auch das ist ja das Betreten von echtem Neuland. Oder wie lautet der Slogan, so originell wie eine Staumeldung: «Der Verkehrsmonitor – Mehr als nur Neuigkeiten». Wahnsinn. Weniger Rechtschreibung, mehr Neuigkeiten. Gibt es also auch antiquarische Meldungen? Man darf gespannt sein.

Und was kriegt der Leser? «Jeden Werktag 2 bis 3 neue Artikel» plus «jeden Morgen früh via Newsletter als Professional Briefing». Also das, was ZACKBUM auch so schafft, allerdings 7 Tage die Woche, gratis und ohne «Professional Briefing».

Aber Tamedia braucht dafür ein «sechsköpfiges Redaktionsteam». Das dürfte dann, mitsamt der sackteuren Unterstützung durch Wirz, mal so eine Million im ersten Jahr kosten. Mindestens.

Und was kostet es den «B2B»-Kunden? Festhalten anschnallen, Airbag auslösen:

195 Franken im Monat, das ist vielleicht eine Vollbremsung für den Interessenten. Das sind also sagenhafte 2340 Franken im Jahr. Für 780 Artikel, also rund 3 Stutz pro Werk. Plus natürlich der NL.

Bei Unkosten von einer Mio bräuchte es also rund 430 wildentschlossene und vollzahlende Jahres-Abonnenten. Das hört sich nicht nach allzu viel an. Aber: ob das neue Portal wirklich einen Nutzwert produzieren kann, der über die übliche Berichterstattung hinausgeht und diesen exorbitanten Betrag wert ist, wenn das Gratis-Schnupperabo abläuft?

Aber damit nicht genug: «Der VerkehrsMonitor ist das erste Branchenportal von Tamedia Monitor, der B2B-Dachmarke von Tamedia. Es ist geplant, dass Tamedia in den nächsten Jahren mehrere Branchenportale aufbaut, die den jeweiligen Entscheidungsträger:innen und Mitarbeitenden der Branche wichtige Informationen und Hintergründe liefern.»

Aha, es handelt sich also um die erste Attacke einer ganzen Offensive. Das ist vielleicht mal eine originelle Idee. Oder auch nicht:

Gut kopiert ist immer besser als schlecht erfunden:

Gut, beim «Tagesspiegel» sind es Euro, das ist natürlich was ganz anderes. Aber von dort hat Müller natürlich die Idee, nun, mitgebracht, denn er hätte ja mal Co-Chefredaktor werden sollen. Ob diese «Background»-Geschichte in Deutschland Erfolg hat? In einer Präsentation behauptet der «Tagesspiegel» nur wolkig: «Tagesspiegel Background erreicht täglich eine Vielzahl von Leser:innen».

Überwältigender Erfolg hört sich anders an. Aber dafür kann man im «Background» inserieren, was im Monitor bislang nicht erkennbar ist. Und Deutschland hat ein paar potenzielle Leser mehr als die Deutschschweiz. Rund 80 Millionen im Vergleich zu knapp 6 Millionen …

Das Ganze wirkt ein wenig so, als in den guten alten Zeiten der Anfänge des Internets ganze Gelddruckmaschinen dort vermutet wurden – bis die Dotcomblase dann platzte. Sicher, probieren ist immer gut. Aber ob solche Randgruppen-Lösungen die Misere der Bezahlmedien von Tamedia ausgleichen können? Was soll es bringen, Bestandteile der Tageszeitungen, also Autoseiten und Berichte über Mobilität- und Verkehrsthemen, zu kannibalisieren, auszulagern, den Content der Bezahlzeitungen weiter auszudünnen?

Wenn der Stamm morsch ist, hilft dann das Anflanschen von kleinen Seitentrieben? Abgesehen davon, dass es nach der Kenntnis von ZACKBUM – abgesehen vielleicht von einigen Geldanleger-NL – kein Angebot im Internet gibt, nicht mal von der Pornoindustrie, das sagenhafte 200 Franken im Monat kostet. Für läppische rund 60 Artikel.

Ob also Müller dann mal das Schicksal von Boselli erleiden wird? Und Pietro Supino der langen Liste seiner Flops einen weiteren hinzugefügt haben wird? Aber der Mann ist der Einzige im ganzen Verlag, der unkündbar ist.

 

5 Kommentare
  1. H. C.
    H. C. sagte:

    Der helle Wahnsinn und zum Kaputtgrölen, wenn es nicht so tragisch wäre. Das Aufmacherbild ist so animierend wie ein Backblech. Die Produktbeschreibung ebenso.

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    • Victor Brunner
      Victor Brunner sagte:

      Bild des Verkehrsmonitor-Team vom TA, mit Sales Manager 6 gestandene, zum Teil überstandene Manner, 1 Frau. Mindestens kommt «Müller von …» von der Frauenquote weg.

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  2. Gerold Ott
    Gerold Ott sagte:

    Der unkündbare Pietro Supino dürfte ein weiteres Wunder erleben. Im Chaosistan an der Werdstrasse träumt man weiter von realitätsfremden Lufschlössern.

    Der Vermarkter Goldbach Medien (Profitcenter in derTx Group) müsste international so stark und profitabel sein, um den Tagesanzeiger und Co quasi das Dasein zu ermöglichen. Die strengen Vorgaben, die die Tx Group für den Zeitungsbereich vorgibt, sind unhaltbar. Ein Tod auf Raten ist prognostiziert. Suizidal!

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