Geschichte ist, was einem passt

Selektive Vergangenheitsbetrachtung beim Tagi.

Stephan Israel schreibt – mal wieder die Geschichte um. Zunächst aber verteilt er Betragensnoten vom Katheder: «Der Präsident der Ukraine hatte sich einen klaren Fahrplan für den Weg in die Allianz erhofft und sieht sich nun zu Recht enttäuscht.»

Denn Israel weiss: «Die Nato-Mitgliedschaft ist für Russlands Nachbarn die einzige Sicherheitsgarantie.» So kann man das natürlich auch sehen. Vielleicht könnte man es auch so sehen, dass die ständige Osterweiterung der NATO – entgegen allen Zusicherungen, die damals Gorbatschow gemacht wurden – genau diese Sicherheitsprobleme ausgelöst hat.

Aber Israel ist schnell mit der Hand auf der Tastatur, wenn «ein Grossintellektueller, eine Alt-Feminstin und eine Linkenpolitikerin» Sachen machen oder sagen, die dem Kleinintellektuellen Israel nicht in den Kram passen.

Natürlich hat Russland die Ukraine unter Bruch internationaler Vereinbarungen über deren territoriale Integrität überfallen. Aber die Geschichte ist nur halb erzählt, wenn man den Zusammenbruch der Sowjetunion und damit auch des Warschauer Pakts, des östlichen Verteidigungsbündnisses, unter den Tisch fallen lässt.

Aber wozu Fakten erwähnen, die den schönen Fluss eines schrägen Gedankens stören würden. Und wenn Israel schon schief unterwegs ist, dann richtig: «Westdeutschland durfte schon 1955 kurz nach Kriegsende und lange vor der Wiedervereinigung in die Nato.»

Durfte? Es ist richtig, dass alle heiligen Schwüre, dass Deutschland – wie Japan – von jeglicher militärischer Aufrüstung Abstand nehme, damit nach der Zivilisationskatastrophe des Zweiten Weltkriegs garantiert nicht nochmal ein Krieg von Deutschland ausgehe – vom Reaktionär Adenauer in das westliche Militärbündnis geführt wurde.

Als Reaktion darauf, was Israel natürlich auch unerwähnt lässt, als Reaktion darauf wurde der Warschauer Pakt gegründet, von damals acht Ostblockstaaten. Also die Wiederbewaffnung Westdeutschlands provozierte das östliche Verteidigungsbündnis, nicht etwa umgekehrt.

Alle grossen Versprechungen deutscher Politiker hatten sich mal wieder als Lügen auf kurzen Beinen erwiesen. So trompetete der spätere bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauss noch 1949: «Wer noch einmal das Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand abfallen.»

Wie ging’s weiter? Der Warschauer Pakt löste sich zusammen mit der UdSSR auf. Und die NATO führte ihre sogenannte Osterweiterung durch und wuchs auf 28 Mitglieder an. Wodurch sich Russland zunehmend eingekreist fühlte – und betrogen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die NATO nicht nur 2001 – nach den Anschlägen vom 11. September – den Bündnisfall erklärte und auch deutsche Truppen in Afghanistan einmarschierten um angeblich die Demokratie auch am Hindukusch zu verteidigen. Viel gravierender war das militärische Eingreifen im sogenannten Kosovokrieg, wo die NATO unter anderem Terror-Luftangriffe gegen das damalige Jugoslawien und auf Belgrad durchführte.

Das war sicherlich völkerrechtswidrig, weil dafür kein UNO-Mandat vorlag; die Bombardierungen Belgrads waren zudem mutmassliche Kriegsverbrechen.

Das alles entschuldigt den russischen Überfall auf die Ukraine nicht. Wer aber immer nur so einseitig das aus der Geschichte herausnimmt, was ihm gerade in dem Kram passt, disqualifiziert sich selbst. Besonders, wenn er aus solch selektiver Geschichtswahrnehmung heraus dann wohlfeile Ratschläge an die NATO-Mitglieder erteilt.

Aber immerhin; diesmal ist es ein verpeilter Tagi-Redaktor, nicht eine Fremdmeinung aus München. Man ist heutzutage bei Tamedia mit wenig zufrieden. Mit ganz wenig.

6 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Sorry für die Unterstellung Herr Zeyer, ohne Steuerunterlagen aus dem darknet konsultiert zu haben.
    Irgendwie hängen wir alle mit drin, leben und verdienen mussten fast alle. Das grosse Erben hat erst nach und nach eingesetzt – als vorletzte Etappe des Wirtschaftswunders für Nichtaltenreichtum.

    Als Unterschied zu heute erkenne ich nur: früher konnte eher noch gewählt werden, wie viel Frau Mann mitmischeln wollte im System. Heute mischt das System Alle s konform und platt, inklusive dem Teil, der mit SozialGeld auf Abhängigkeit getrimmt wird.

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  2. Hans von Atzigen
    Hans von Atzigen sagte:

    Bitte Herr R. Zeyer, etwas mehr Nachsicht mit den Zeitgenössischen Schreiberlingen. (Kindersoldaten) Die haben zur Regierungszeit eines Gorbatschow noch in die Windeln, oder waren bestenfalls im Kindergarten.Dazu zeigen die wenig Neigung sich in Sache Geschichte des 20.Jahrhundert schlau zu machen, da werden Einzelepisoden, zur durchsetzung zeitgenössischer Ziele herausgepikt und ohne Gesamtzusammenhang und Betrachtung missbraucht. Wer die Geschichte nicht kennt, kann keine wenigstens etwas bessere Zukunft gestalten nur periodisch neues Elend —VERURSACHEN !—Kriege werden gross mehrheitlich nicht gemacht, die werden —VERURSACHT !— Um das zu verstehen muss, sollte man sich nun einmal zumindest in den wesentlichen Ereignissen der Geschichte und laufenden Ereignissen auskennen.

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    • René Küng
      René Küng sagte:

      Doch, doch Herr von Atzigen,
      die haben schon Geschichte gelernt. In der Schule, auf SRG, von den alten Schreiberlingen.
      Hier beginnt eine unserer grossen Weissen Flecken: das UN-Wissen von heute wurde von den Alten gelegt, die unser System noch in Saus und Braus leben durften.
      Damals, als die Zeit noch vollkommen ok war.
      Für die Profiteure, die glauben durften und wollten, was uns als Weltordnung serviert wurde.
      Zeyer war schon damals ein eher punktuell geduldeter Schreiber, hie und dort, leben konnte er von DEM nicht……

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  3. René Küng
    René Küng sagte:

    Aha, die Korrektur-Abteilung von zackbum scheint sich geautet zu haben.
    Wobei mir der pädagogisch wertvolle Rotstift doch lieber wäre, als die DeppenSünderEcke.

    Es fehlt nun allerdings ein angepasstes Organigram von zackbum, CEO und Korrektor in Personalunion und die Schreibtischapposition irgendwo neben der Putzequipe?

    Ich kritzle weiter meine Beiträge und lebe leichter mit der zeyerschen Opposition als mit Fall-Fallen (die ich kaum bemerkt hätte, ui ui ui) – denn der Sprache drohen noch viel grösserer, neuzeitliche Gefahren als grammatikalische.

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  4. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Zum Glück ist Stephan nicht Israel.
    Die treten der Natod nicht bei – wollen keine Vasallen sein.
    Ganz im Gegensatz zum Filialleiter von Kiew.

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  5. Peter Bitterli
    Peter Bitterli sagte:

    „… Zusammenbruch der Sowjetunion und damit auch des Warschauer Pakts, dem östlichen Verteidigungsbündnis…“
    DES östlichen VerteidigungsbündnisSES

    Bitte die Deppendativapposition nicht gebrauchen.

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