Gerd Heidemann †
Triumph und Tragödie: das Leben eines Getriebenen.
Der grössere Teil seines Lebens war ein journalistischer Siegeszug. Er war der harte Kriegsreporter, der aus Biafra, Angola, Mosambik, Burundi, Uganda oder dem Kongo berichtete. Halt von überall dort, wo gekämpft, gemetzelt und geschlachtet wurde. Seine Berichterstattung über den deutschen Söldner Siegfried Müller, alias Kongo-Müller, machte Heidemann berühmt, weltberühmt.
1970 rettet er sich selbst und 17 weiteren Geiseln in Ammann das Leben, als er todesmutig eine kurze Feuerpause aushandelte und sie zum Rückzug nutzte. Er war der Reporter, der (höchstwahrscheinlich) das Rätsel um den berühmten Autor B. Traven löste, der unter diesem Pseudonym Weltbestseller publizierte, Bücher von selten eindringlicher Wucht («Das Totenschiff», «Der Schatz der Sierra Madre», der Caoba-Zyklus).
Wann seine Faszination für die Grossen des Hitler-Faschismus genau begann, ist schwer zu eruieren. Auf jeden Fall kaufte er 1973 die Luxusyacht Carin II, die früher Hermann Göring gehört hatte. Nicht nur das, er restaurierte sie mit so grossem finanziellen Aufwand, dass er sich damit ruinierte. Zudem unterhielt er eine Beziehung mit Edda Göring, der Tochter von Hermann Göring.
Heidemann behauptete, dass er das alles tue, um so besseren Zugang zu überlebenden Nazis zu bekommen und die entlarven zu können.
Auf verzweifelter Geldsuche kam er mit einem potenziellen Financier in Kontakt, der ihm berichtete, dass man ihm angeblich echte Hitler-Tagebücher angeboten habe. Daraus entstand der journalistische Donnerschlag: am 23. April 1983 präsentierte Heidemann auf einer weltweit beachteten Pressekonferenz seinen Sensationsfund: die Hitler-Tagebücher.
Der «Stern» begann mit einem Teilabdruck und kriegte sich vor bedeutsamer Wichtigkeit nicht mehr ein. Aber schmerzlich schnell stellte sich heraus, dass es sich um Fälschungen handelte. Nicht mal sonderlich geschickt hergestellt von einem Fälscher namens Konrad Kujau, der angesichts der hohen Nachfrage immer schludriger nachlieferte und dann sogar auf einem Einband in Fraktur die Buchstaben FH klebte; ein A war gerade nicht zur Hand für die Initialen Hitlers.
Was als krönender Höhepunkt seiner Karriere geplant war, wurde zum krachenden Niedergang. Er wurde nicht nur sofort vom «Stern» entlassen, sondern auch noch unter Betrugsverdacht verhaftet. Er soll von den 9,3 Millionen D-Mark, die der «Stern» an Kujau zahlte, zwei Millionen für sich abgezweigt haben. Er wurde zu vier Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt, beteuerte aber bis an sein Lebensende seine Unschuld.
Die Hybris, der Wahnwitz, dem nicht nur Heidemann, sondern die gesamte «stern»-Führung verfallen war, die diese Tagebücher als geheime Kommandosache an der Redaktion vorbeischaukelte, ist grossartig in der Filmsatire «Schtonk!» wiedergegeben.
Die Yacht Carin II wurde von der Deutschen Bank zwangsversteigert und kam zu einem ägyptischen Geschäftsmann, der sie für den läppischen Preis von 270’000 Mark erwarb.
Heidemann verbrachte den langen Rest seines Lebens zurückgezogen als Rentner mit Sozialhilfe, da er bis zu seinem Lebensende nicht aus seinen Schulden herauskam. Sein sorgsam gepflegtes Privatarchiv über die Nazizeit war so bedeutend, dass es von einer amerikanischen Universität übernommen wurde.
Am 9. Dezember ist Heidemann (1931 – 2024) in Hamburg gestorben. Sein bester Satz nach diesem Leben, das jahrelang von einem journalistischen Scoop zum nächsten, von einem Triumph zum anderen führte, um dann in der wohl grössten Medientragödie der deutschen Nachkriegszeit zu enden, wird ihn überleben:
«Jeder Reporter ist immer nur so gut wie seine letzte Geschichte.»