«Hauptstadt»-Vorbilder: alle mit hohler Hand
Nach dem Arbeitstitel «Neuer Berner Journalismus» ist nun bekannt, dass die geplante Berner Lokal-Onlinezeitung «Hauptstadt» heissen wird.
Von Stefan Millius
Nein, Bern ist nicht die Hauptstadt der Schweiz, so etwas haben wir nicht mal, aber weil das kaum jemand weiss, kann man es machen: Eine Zeitung für Bern so nennen. Bald soll es losgehen mit der «Hauptstadt». Aber vor den Erfolg haben die Götter nicht etwa den Schweiss gesetzt, sondern das Crowdfunding. Für das neue Medium beginnt dieses in wenigen Tagen.
Stand der Dinge am Donnerstag.
Das Portal will der «Berner Zeitung» und «Der Bund» zu schaffen machen, beziehungsweise die Meinungsvielfalt bereichern. Der Fokus gehöre dem Grossraum Bern, jedoch «ohne kleinkariert und provinziell zu werden», wie die künftigen Macher auf der vorübergehenden Webseite neuerjournalismus.be schreiben.
Dort erfährt man auch, wie das aussehen soll. Und zwar ziemlich deckungsgleich mit fast jeder Ankündigung eines neuen Mediums der vergangenen Jahre. Konstruktiv, gemeinnützig, divers, kollektiv und so weiter. Damit weiss man zwar noch nicht, was dereinst in der «Hauptstadt» stehen wird, aber man ahnt, dass es politisch sehr korrekt sein dürfte.
Gemein und nützlich?
Ein Teil des Programms soll die Zusammenarbeit mit anderen jungen Onlinemedien sein, in diesem Fall als «Die Alternativen» beschrieben. Das Wort trifft es im doppelten Sinn, wenn man die Karte konsultiert, auf der die «Hauptstädter» die gewünschten Komplizen der Zukunft aufführt. Einige wie «tsüri», «Republik», «Bajour» oder «Journal B» gehören zu den üblichen Verdächtigen.
Aber: «Baba News»? «Kolt»? «Kultz»? «Lucify»? «Rums»?
Neben fehlender Bekanntheit (und vermutlich Reichweite) ist den meisten dieser kreativ benannten Titel vor allem eines gemein: Sie möchten natürlich gerne finanziell unabhängig werden dank Zuwendungen der Leserschaft, eines Tages ganz bestimmt, das kommt schon noch. Aber vorerst benötigen sie mal die Unterstützung von Geldgebern wie Stiftungen und so weiter. Und das bitte möglichst lange.
Leistung soll sich lohnen? Igitt
Einzelne von ihnen versichern sogar vorbeugend, sich niemals restlos dem schieren Kommerz auszuliefern. «Kolt» beispielsweise hat die jährlichen Werbeeinnahmen freiwillig auf 60’000 Franken begrenzt. Wenn die Mitte Jahr erreicht sind, muss der Anzeigenverkäufer also sechs Monate in den Winterschlaf. Inwiefern die künstliche Eingrenzung der Einnahmen dem Ziel der Meinungsvielfalt einträglich ist, fragt sich.
Ziemlich geschickt hat es «Baba News» gemacht mit einer klaren Positionierung, die gewisse Stellen ganz einfach unterstützen müssen, es geht nicht anders. Das «Online-Magazin für Šhvicer*innen mit Wurzeln von überall» erhält Beiträge von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung des Bundes. Was eine originelle Schreibweise alles auslösen kann.
Im besagten Netzwerk aus «Alternativen» hingegen konsequent nicht aufgeführt sind alle Onlinezeitungsprojekte, die weder auf Crowdfunding noch Stiftungen noch private Mäzene setzen, die sich mit geerbtem Geld einen Platz im Himmel kaufen wollen. Also alle Zeitungen, die davon ausgehen, dass man Geld selbst verdienen muss und sonst keine Existenzberechtigung hat. Beispielsweise die Portal24-Gruppe des Verlegers Bruno Hug oder Primenews.ch in Basel. Da führt man für die Nordwestschweiz lieber Hansi Voigts «wepublish.ch» als Partner auf, das keine Zeitung ist, sondern Zeitungsmachern eine digitale Infrastruktur basteln möchte. Auch «Die Ostschweiz» (dessen Mitbegründer der Autor dieses Beitrags ist) hat keine Aufführung verdient.
ZACKBUM.ch? Ach was, hier wird zwar um Spenden gebettelt, aber nicht allzu aufdringlich.
Erstaunlich, dass man sich als neues Medium konsequent nur an den Vorbildern orientiert, die sich nicht am freien Markt ausrichten und permanent der Gnade reicher Leute ausgeliefert sind.