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Manchmal schwächelt auch die NZZ

Wie kann man nur Mark Pieth zur Fifa interviewen …

Er wird ausführlich gelobhudelt: «Vorkämpfer gegen Korruption … hat sich als Anti-Korruptions-Experte einen Namen gemacht. Er gründete 2003 das Basel Institute on Governance … Bis 2013 leitete er die unabhängige Kommission für Governance und trieb die Fifa-Reformen voran.»

Das ist, höflich formuliert, eine etwas einäugige Sicht der Dinge. Man kann es mit Fug und Recht auch so sehen: bei der Fifa sollte er mit seinem Ruf dafür sorgen, dass der ewige Geruch nach Korruption weggepustet würde. Gebracht hat es schlichtweg – nichts. Zunächst verkündete er grossmäulig, man habe «unabhängige Strukturen gepflanzt, die funktionieren können». Bloss 18 Monaten danach wurden Fifa-Funktionäre spektakulär im Baur au Lac verhaftet – Korruptionsverdacht.

Nichts gebracht ist allerdings relativ. Denn der Professor arbeitete nicht gratis für die Fifa. Sondern zu einem Stundenansatz von 650 Franken und einem Tageshonorar von 5000 Eiern. Pieth alleine kassierte rund 215’000 Franken, sein «gemeinnütziges Institut» räumte 2,5 Millionen ab. Money for nothing.

Der Professor ist auch immer grossmäulig dabei, wenn es gilt gegen andere und vor allem gegen die Schweiz auszuteilen, wie der «Blick» mal zusammenfassend dargestellt hat. Wenn man dem emeritierten, aber lautstarken Professor zitiert, der immer und überall gerne auftritt, wenn er «Korruption» krähen darf, als Interviewpartner über die Fifa die Spalten öffnet, bekommt der Spruch vom Bock zum Gärtner eine ganz neue Dimension.

Hier darf Pieth mal wieder richtig vom Leder ziehen:

«Auf brutale Weise geht’s nur noch um Gewinnmaximierung.»

Er meint damit aber nicht die 2,5 Millionen, die er und sein Institut für nix abräumten.

Jammern darf er auch: «So wurde damals unser Reformprogramm torpediert.» Oder mit anderen Worten: auf ganzer Linie gescheitert, nachdem er sich als Feigenblatt willig missbrauchen liess. Dann widerspricht er sich auch gerne selbst, wie toll doch seine Arbeit gewesen sei: «Damals brachten wir professionelle Leute von aussen in die Fifa rein. Das war wichtig für die Reform. Doch die hat man alle entfernt. Jetzt dominieren Unfähigkeit oder Gefälligkeit. Früher tat die Ethikkommission ihre Arbeit.»

Starke Worte hat Pieth auch heute noch; über die Vergabe der Fussball-WM an Saudi-Arabien sagt er: «Die Fifa geht einen Deal mit dem Teufel ein.» Auch für den Schweizer Fussballverband hat er nur Beschimpfungen auf Lager: «Ja, im Übrigen sind es Feiglinge. Das gilt für fast ganz Europa.» Von sich selbst hingegen hat er eine ungebrochen hohe Meinung: «Vor der Fifa war ich daran beteiligt, die Uno zu reformieren.»

Aber zum Schluss blitzt doch noch ein Spürchen Selbstkritik durch: Nach seinem grossartigen Reformwerk der UNO (2000 Seiten!) «waren sie sehr freundlich, warfen aber alles in den Papierkorb. In der Fifa war es ähnlich. Ich war zu wenig Fussballer. Deshalb merkte ich das sehr spät

Tja, zu wenig Fussballer, zu wenig effizient, zu mediengeil, von allem etwas «zu». Sollte die NZZ lassen, wenn auch ZACKBUM in journalistischer Manier einen Ratschlag geben darf. Eine Seite mit Pieth ist eine verschenkte, verschwendete Seite.

Jubel, Trubel, Lächerlichkeit

Das Zurich Zensur Festival zieht Bilanz. Und keiner widerspricht.

Die Medien überschlagen sich: «Starschwemme – das Erfolgsrezept des Zürich Film Festival» (SRF), «ZFF-Hauptpreis für zwei Frauen» («Südostschweiz»), «Zurich Film Festival mit Zuschauerrekord» (CH Media), «VIP Lounge» («Blick»), Sendepause hingegen bei Tamedia. Wahrscheinlich war die «Kultur»-Redaktion gerade nicht besetzt.

Sehr aufrecht meckert die NZZaS: «Dass Filmfestivals Orte des Austauschs und Auseinandersetzung seien, ist bald nur noch eine Floskel. Denn sie geraten immer stärker unter Druck. Seit Putins Überfall auf die Ukraine 2022 und mehr noch seit dem Angriff der Hamas auf Israel 2023 gehören Proteste und Boykottaufrufe auf den roten Teppichen dazu. Festivals werden zum Schauplatz von ideologischen Machtkämpfen. Das führt zu Überforderung, schlimmstenfalls zu Selbstzensur.» Aufrecht deswegen, weil die NZZ Besitzerin des ZZF ist.

Völlig aus dem Häuschen ist das ZZF selbst. In einer Medienmitteilung jubiliert es in Cinemascope und auf der extra breiten Selbstlob-Leinwand.

«Historischer Meilenstein: mit 140’000 Besucherinnen und Besuchern … festigt seinen Ruf … an jedem Tag präsentierten Stars … ein Festival der Superlative … hochkarätige Filmvorführungen … unvergessliches Erlebnis … neues Festivalzentrum … neue Dimension der Professionalität und Exzellenz … fördert den Austausch zwischen aufstrebenden Regisseuren und dem Publikum

Da hat der PR-Manager Simon Keller schwer in die Harfe gegriffen und in die Schalmei gepustet. Zudem wurden jede Menge Preise verliehen, Hauptpreise in den Kategorien Spielfilm und Dokumentarfilm.

Verständlich, dass die Mannen (und Frauen and everybody beyond) um Big Boss Christian Jungen Lobeshymnen anstimmen. Das gehört sich so, und es wurde ja tatsächlich auch einiges geleistet. Nun ist es aber so, um es in den Worten des ehemaligen Festival-Financiers und CS-Versagerrats Urs Rohner zu sagen, dass das ZZF keineswegs eine weisse Weste hat.

Als im gepflegten Ambiente des Opernhauses die Hauptpreise verliehen wurden, fehlte selbst bei den Erwähnungen und der ellenlangen Preiseliste ein Dokumentarfilm, der absurderweise im Wettbewerb verblieben war, aber nicht gezeigt wurde. «Russians at War» ist eine Dokumentation über russische Soldaten an der Ukrainefront. Zunächst hatte Jungen noch tapfer getönt: «Filme sollen zu Diskussionen anregen», also zeige das ZZF die Arbeit von Anastasia Trofimowa.

Dann geschah Ungeheuerliches. Die ukrainische Regierung und die ukrainische Botschafterin in Bern mischten sich in innerschweizerische Angelegenheiten ein, schissen auf die Freiheit der Kunst und verlangten in harschen Worten, dass der Film nicht gezeigt werde. Begleitet wurde das, wie schon in Toronto, von Hassbotschaften anonymer, wahrscheinlich ukrainischer Feiglinge, die wüste Todesdrohungen ausstiessen.

Statt dass Politik und Festivalleitung diese Unverschämtheit mit kräftigen Worten verurteilt hätten und den Film als «jetzt erst recht» gezeigt hätten – zogen alle Beteiligten den Schwanz ein. Der Film wurde gecancelt; alle sich auf dem grünen Teppich in Begleitung von Hollywood-Promis spreizenden Politiker blieben stumm. Genau wie all die tapferen Künstler, die immer gerne für dieses und jenes Gute eintreten. So lubhudelte Richard Gere den Dalai Lama und beklagte Repressionen gegen diesen Gutmenschen.

Aber ein Wort zu diesem Skandal? Aber nein, mit dem Cüpli in der Hand und chauffiert in einer dicken ZZF-Limousine vom Luxushotel zum Teppich und zurück protestiert es sich schlecht.

Aber damit nicht genug. Die Medien, voller glamouröser Storys über das Festival, vermeldeten diese Zensur knapp – und schwiegen ansonsten verkniffen. Ausser, das ist ihr hoch anzurechnen, die NZZ. Die «Weltwoche» tat das, was alle anderen vermieden: sie gab der anderen Seite eine Stimme und interviewte die Autorin ausführlich.

Ist das die viel gerühmte Presse- und Kunstfreiheit in der Schweiz? Ist das das korrekte Verhalten von Regierungsverantwortlichen, wenn sie einmal im Blitzlichtgewitter Rückgrat beweisen könnten? Ehrt das die Stars und Sternchen, die von eigener Bedeutung besoffenen über den grünen Teppich wandeln, huldvoll posieren, bedeutungsschwangere Worte über Kunst und Film absondern – aber keinen Ton zu diesem Skandal dieses Festivals sagen?

Bei allem Respekt vor der organisatorischen und finanziellen Leistung von Jungen: dieser grosse, dunkle Fleck auf seiner blütenweissen Hemdbrust unter dem knapp sitzenden Smoking wird ihn von nun an begleiten. Statt Zurich Film Festival wird der Anlass Zurich Zensur Festival heissen müssen. Organisatoren, Gäste, Medien und Politiker haben versagt. Kein Happy-End in Sicht.

 

Mehr Sitze und mehr Platz?

Früher hätte der Journalist vielleicht nachgefragt …

Es ist ja nur ein kleines Luxusproblem, aber dennoch. Mit Jubelschreien wird die neue Bestuhlung von Edelweiss begrüsst. Völlig unkritisch wird sie in der Businessclass gelobt: «Die 2-2-2-Bestuhlung biete vor allem für Paarreisende ein «angenehmes Konzept»», salbadert Tamedia.

Das mag vielleicht so sein, aber wie steht es mit den Alleinreisenden, die es scheint’s auch geben soll? Da erhöbe sich doch die interessante Frage, wie der Passagier im Fenstersitz den Weg zur Toilette findet. Offensichtlich, indem er über seinen Sitznachbarn klettern muss. Ist der partnerschaftlich verbunden, sicher kein grosses Problem. Sonst aber Zustände wie in der Holzklasse.

Geht’s auch anders? Aber sicher, so sieht es bislang aus:

Es gibt Einzelsitze und nebeneinander angeordnete Sitze, die aber direkten Zugang zum Gang haben. Ist sowohl für Paar- wie für Alleinreisende ein wirklich angenehmes Konzept. Denn bislang sind die Sitze 1-2-1 oder 2-2-1 angeordnet. Ein einziger Sitz jede zweite Reihe hat keinen direkten Zugang zum Gang. Allerdings: damit kommt Edelweiss auf insgesamt 27 Sessel. Neu sind es nun 30. Also gibt es keineswegs mehr Platz und Komfort, sondern weniger. Falls physikalische Gesetze auch für Edelweiss Gültigkeit haben.

Trotzdem wird bei Tamedia geschwurbelt: «In der Businessclass bringt es vorderhand deutlich mehr Platz. «Bei unserer A340-Businessclass heute fahren die Füsse in der Liegeposition in einen Tunnel im Vordersitz. Die Latam-Sitze haben hingegen viel mehr Platz bis zum vorderen Sitz.»»

Nun, flacher als flach kann ein Businessclass-Sitz nicht ausfahren, und das tut er auch heute schon. Wer beim Schlafen nicht zu Spreiz-und Dehnübungen neigt, hat mit dem sogenannten Tunnel überhaupt kein Problem.

Aber eben. Mehrwert, kritisch berichten, hinterfragen, einordnen, erklären: das war gestern. Im Grossen wie im Kleinen. Heute ist Brei. Überall.

 

Köppel rides again

Ist es Sturheit, Beratungsresistenz oder Tollkühnheit?

Die «Weltwoche», ein Problem von fehlenden Checks and Balances, titelt «Der Missverstandene» über Präsident Putin. Wem das bekannt vorkommen sollte: richtig, so titelte die WeWo schon mal. Roger Köppel hat seit dem unsterblichen Titel «La crise n’existe pas», passgenau zum zweiten UBS-Desaster, ein Händchen dafür, im genau falschen Moment ein Cover in den Sand zu setzen.

Als er im Februar 2022 sich einfühlsam mit der sensiblen Seele des Kremlherrschers befasste, beziehungsweise völlig unparteiische Autoren wie Thomas Fasbender damit befassen liess, marschierte der Missverstandene gerade in die Ukraine ein. Schon damals musste ZACKBUM Köppels bedingten Reflex kritisieren:

«Wenn alle dafür sind, bin ich dagegen. Worum geht es eigentlich? Keine Ahnung, macht aber nix

Putin stehe für eine Abrechnung zwischen «Tradition, Familie, Patriotismus, Krieg, Religion, Männlichkeit, Militär, Machtpolitik und nationale Interessen» und dem «Zeitgeist», der für die «Woke»- und «Cancel-Culture»» stehe, «der unsere Intellektuellen und viele unserer Politiker so inbrünstig huldigen», schwurbelte damals mannhaft-martialisch Köppel.

Also hier der Naturbursche mit nackten Oberkörper, dort die verweichlichten Memmen des Westens. Nun könnte man meinen, dass Köppel nach diesem Sprung mit beiden Beinen in einen riesengrossen Fettnapf am liebsten Gras über die Sache wachsen lassen möchte. Aber da kennte man ihn schlecht.

Sozusagen zum Jahrestag meint er da capo, nochmal, weil’s so schön (unsinnig) war. Köppel selbst legt im Editorial mit diesem frömmlerischen Ton los, den er sich in letzter Zeit zugelegt hat: «Siehe, die Welt ist noch nicht verdammt». Siehe, Köppel hat immer noch nicht die Kriminalgeschichte des Christentums gelesen.

Dann darf, soll, muss, will Wolfgang Koydl eine Eloge, ein vermeintlich verständnisvolles Porträt über die «Persönlichkeit des Kremlchefs» schreiben. Der Ferndiagnostiker ist ihm ganz nahe gekommen und horcht in Herz und Seele:

«Putin ist und bleibt Herr des Narrativs über sich selbst und sein Leben … Auf Putins Privatleben trifft zu, was Winston Churchill über Russland sagte: ein Rätsel innerhalb eines Geheimnisses, umgeben von einem Mysterium … Gerhard Schröder schwärmte von einem «lupenreinen Demokraten», US-Präsident George W. Bush erkannte bei einem Blick in Putins Seele einen vertrauenswürdigen Partner … Vielleicht aber ist er es auch nur müde, vom Westen ständig missverstanden zu werden …»

Die WeWo muss mal wieder Hosianna singen, weil es der ins Religiöse abgeglittene Chef so will. Apotheose von Koydl: «Putin ist absolut berechenbar: Er tut, was er sagt – sei es Versprechen oder Drohung. Und er wird einen Weg finden, beides einzulösen. Daher lohnt es sich, ihm genau zuzuhören.»

Wer ihm genau zuhörte, bekam von diesem Lügner erzählt, dass nicht beabsichtige, die Ukraine zu überfallen. Wenn ein Staatsvertrag, der die territoriale Integrität der Ukraine gegen die Rückgabe der Atomwaffen zusichert, kein gebrochenes Versprechen ist, was dann? Wenn einer einen inzwischen über ein Jahr andauernden Krieg als «militärische Spezialoperation» tituliert, die in wenigen Tagen vorbei sei, was ist der dann? Ein Versager, jemand, der eine Situation völlig falsch eingeschätzt hat. Der US-Präsident Johnson, dem das gleiche mit Vietnam passierte, hatte immerhin das Rückgrat, das Amt aufzugeben. Putin klammert sich an die Macht, bis man ihn aus dem Kreml tragen oder putschen wird. Denn es ist nur den wenigsten Autokraten vergönnt, wie Fidel Castro im Bett zu sterben.

Am lächerlichsten wird Koydl, wenn er Putin über dessen angeblich mehrfache Lektüre der «Toten Seelen» von Nikolai Gogol zu erklären versucht. Offensichtlich hat das Koydl kein einziges Mal gelesen, sonst wüsste er, dass dieses Provinzschelmenromanfragment keinen Deut dazu beiträgt, dass man das heutige, «das chaotische, das träge, das gleichgültige, das letztlich unregierbare Russland» verstünde.

«Es würde sich lohnen, Putin zuzuhören», behauptet die «Weltwoche». Damit hat sie natürlich ein Stück weit recht; die keifige Reaktion auf das über zweistündige Interview von Tucker Carlson in den Mainstream-Medien ist kein Ruhmesblatt für die.

Auf der anderen Seite ist es doch sehr ermüdend, wenn man dem historischen Mäandern des Präsidenten zuhört, der geschichtliche Ereignisse wie die Teilung Polens zwischen Hitler-Deutschland und der UdSSR in einer Art umbiegt, dass man wirklich an seinem Geisteszustand zweifeln muss. Das ist sicherlich Ausdruck eines Problems, das jeder autokratische Herrscher hat: keiner traut sich, ihm zu widersprechen, wenn er Blödsinn verzapft.

Also, Sturheit, Beratungsresistenz oder Tollkühnheit? Ein mutiges «hier stehe ich immer noch und kann weiterhin nicht anders?» Ein echter Versuch, Putin zu verstehen? Leider nein. Es ist viel schlimmer. Es enthält keinerlei Erkenntnisgewinn, erklärt nicht, wieso sich Putin dermassen desaströs verschätzen konnte. Er gleicht darin dem von ihm bewunderten Stalin. Der war nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion, der ihm bis aufs exakte Datum von mutigen Spionen vorhergesagt worden, was er aber als feindliches Täuschungsmanöver vom Tisch gewischt hatte, einige Tage nicht handlungsfähig. Und verachtete die anderen Mitglieder des von ihm gesäuberten Politbüros umso mehr, als die ihn nicht einfach als unfähig wegräumten, sondern anflehten, endlich die Führung im Kampf gegen Hitler zu übernehmen.

Putin hat, da nützt alles Schönschwätzen von Kriegswirtschaft und Umorientierung nach Asien nichts, der russischen Wirtschaft einen Schaden zugefügt, an dem das Land noch viele Jahre zu leiden haben wird. Vom Blutzoll dank unfähigen Generalen ganz zu schweigen. Welche katastrophale Auswirkungen das offensichtliche Ungenügen der russischen Waffen auf die Waffenexportindustrie – neben Rohstoffen die wichtigste Einnahmequelle – hat, ein Desaster. Das Fehlen von Ersatzteilen und Chips, die Russland nicht selber herstellen kann: verheerend.

Russlands Führung, als Lügner, wortbrüchig, brutal unfähig und beratungsresistent gebrandmarkt, wer wird denn Putin noch jemals glauben oder vertrauen, wenn er einen bindenden Staatsvertrag unterzeichnet?

Es ist lachhaft, die Verteidigung der Ukraine als Frage von Freiheit, Demokratie und westlichen Werten gegen ein slawisches Unrechtsregime misszuverstehen. Die Ukraine, zutiefst korrupt, undemokratisch, geführt von einem schlecht beratenen Präsidentendarsteller, der unbedingt an der Macht bleiben möchte, ist nicht einmal die Karikatur dieser Werte.

Aber noch dramatischer ist, wie sich Putin in eine Falle locken liess, wie mit Milliardengeldern aus den USA und der EU (und einem schrecklichen Blutzoll der Ukrainer) Russland als unfähige Regionalmacht vorgeführt wird, die nicht mal mit einem militärischen Zwerg fertigwird.

Wie schreibt Koydl am Schluss: «Deshalb sind alle Vorhersagen, dass das Volk Putin stürzen werde, ebenso falsch wie alle anderen Prognosen, Einschätzungen und Urteile über den Herrn im Kreml.» Inklusive seine. Wenn der Kremlherrscher etwas Ehre und Anstand im Leib hätte, würde er nach dieser Katastrophe selber die Konsequenzen ziehen. Was er aber nicht tun wird.

Wenn die NZZ schwächelt

Die deutsche Kriegstreiberin Marie-Agnes Strack-Zimmermann bekommt ein Streichelinterview.

Zwei Redakteure bietet die NZZ auf, um mit der deutschen Kriegspolitikerin mit den beiden Doppelnamen ein Interview zu führen. Benedict Neff, seines Zeichens Feuilletonchef der NZZ und vielleicht nicht der sattelfesteste Militärberichterstatter. Und Claudia Schwartz, lange Jahre für «Streaming/TV verantwortlich», dann 2020 der Wechsel ins Feuilleton. Gute Beziehungen nach ganz oben helfen immer, auch bei einer doppelseitigen Berichterstattung über ein österreichisches Wellness-Hotel, das sie zusammen mit dem Göttergatten besuchte.

Diese beiden ausgewiesenen Fachleute bieten nun Strack-Zimmermann die Gelegenheit, weitgehend unwidersprochen ihre Positionen auszubreiten. Begleitet von unverständlichen Lobhudeleien: «MarieAgnes StrackZimmermann ist eine unbestechliche Stimme, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht.» Unbestechlich? Die Rüstungsindustrie-Lobbyistin sei unbestechlich, im Sinne von unvoreingenommen? Ein unglaublicher Schwächeanfall der NZZ.

Aber er setzt sich durchs ganze Interview hindurch fort: «Dieses Zögern und Abwarten (bei deutschen Waffenlieferungen, Red.) war ein grosser Fehler. Die Bundesrepublik hätte deutlich schneller reagieren müssen.» Sie hätte noch schneller – und im Gegensatz zur Schweiz – ihre Waffenausfuhrgesetze über Bord werfen sollen?

«Auf russischen Panzern steht «nach Berlin», … Das Nein der Schweiz hat in Deutschland die Frage aufgeworfen, wie zuverlässig die Lieferkette dringend benötigter Munition in Zukunft sein wird, wenn die Schweiz selbst bei der Verteidigung von Lebensmittelausfuhr nicht liefert, … Die Antwort liegt auf der Hand. In Zukunft sollte die Munition ausschliesslich in Nato-Staaten eingekauft beziehungsweise in Deutschland direkt hergestellt werden … Das Kanzleramt hat mir tatsächlich mal unterstellt, ich würde ein «Geschäftsmodell» daraus machen, den Kanzler zu kritisieren. Ich finde das offen gestanden geradezu zynisch … Umso unvorstellbarer ist es, dass gerade sie (Alice Schwarzer, Red.) das Leid der vergewaltigten Frauen in der Ukraine ausblendet und nicht einmal bei Demonstrationen thematisiert. Sie verrät ihre eigenen Werte … Wehrhaftigkeit ist das zentrale Thema der nächsten Generation.»

Jede Menge Stoff, um kritische Nachfragen zu stellen. Aber doch nicht die beiden Feuilletonisten der NZZ. Dann wäre ein ungeheuerliche Lügenmeldung von Strack-Zimmermann zu thematisieren gewesen:

«Nicht nur haben russische Raketen offenbar Polen und NATO-Gebiet getroffen, sondern auch zu Toten geführt. Das ist das Russland, mit dem hier einige offenkundig und absurderweise immer noch «verhandeln» wollen. Der Kreml und seine Insassen müssen sich umgehend erklären.»

Das sonderte sie direkt nach dem Einschlag einer Rakete in Polen ab. Sie ist immerhin die Vorsitzende des Deutschen Verteidigungsausschusses, und als solche müsste sie ihre Worte vorsichtig wählen. Mit dieser Behauptung betrieb sie eindeutig Kriegshetze. Was aber noch schlimmer war: als sich herausstellte, dass sie (und andere) auf ukrainische Propaganda reingefallen war, die Rakete in Wirklichkeit eine Abwehrrakete der ukrainischen Armee war, nahm Strack-Zimmermann ihre Behauptung nicht zurück, wies eine Entschuldigung dafür weit von sich.

Zudem ist sie Präsidiumsmitglied in der «Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik» (DWT). Sie ist Vizepräsidentin der «Deutschen Atlantischen Gesellschaft» (DAG), die sich trotz des allgemeinen Namens zum Ziel gesetzt hat, «das Verständnis für die Ziele des Atlantischen Bündnisses zu vertiefen und über die Politik der NATO zu informieren». Zudem ist sie Präsidiumsmitglied beim «Förderkreis Deutsches Heer» (FKH), neben der DWT die wichtigste Lobby-Gruppe der deutschen Rüstungsindustrie.

Aus all dem hätte sich vielleicht die eine oder andere kritische Frage ergeben können. Aber doch nicht vom Duo Neff/Schwartz. Und sollte jemand Kundiger in der NZZ die Nase gerümpft haben, tat er das still und leise. Denn wer will sich schon mit Schwartz anlegen? Niemand.

Vincenz. Alles anders

Vincenz ist neuerdings für Ringier der Watschenmann. Das war schon mal anders.

Wenn Gieri Cavelty ein «Editorial» schreibt, lässt er selten die ganz grossen Fettnäpfe aus. Diesmal nimmt er sich einen jahrealten Lobestext eines Politikers auf Pierin Vincenz zur Brust: «Pirmin Bischof ist nicht der Einzige, auf den frühere Äusserungen bleischwer zurückfallen», schreibt er zur Hinrichtung von Vincenz im aktuellen SoBli.

Nix Neues, aber sauber in chronologische Reihenfolge gebracht.

Das erinnert an einen alten italienischen Polit-Thriller:

Knallt das Monster auf die Titelseite.

Nun zeichnet gerade den Boulevard-Journalismus aus, dass er über ein ausgesprochen schwaches Kurzzeitgedächtnis verfügt. Denn während sich die «Blick»-Familie über die angeblichen Untaten und das Spesenrittertum des gefallenen Raiffeisenstars gar nicht mehr einkriegt, war das vor nicht allzu langer Zeit noch ganz anders.

Das Gegen-Protokoll:

Lob und Hudel aus dem Jahre 2004.

2007 durfte Vincenz sogar den SoBli mitgestalten.

2009 punktete er «mit einem blendenden Jahresabschluss».

Auch 2011 durfte er ganz Mensch sein.

Noch 2012 konnte er «mit gutem Gewissen» in die USA reisen.

Hier war noch eitel Minne und Sonnenschein bei den Ehepaaren Vincenz und Marc Walder:

Natürlich sülzte auch die «Schweizer Illustrierte» kräftig mit, wo Vincenz regelmässsig zu den wichtigsten 100 Schweizern des Jahres gehörte:

«Von Erfolg zu Erfolg»,«mit sonnigem Lächeln», «im Herzen ein Bergler», der «wasserdichte Banker».

Vielleicht sollte Cavelty nicht so bleischwer mit Steinen auf andere werfen, angesichts dieser Strecke von Lobhudeleien aus der Vergangenheit des Hauses Ringier. Aber nirgends mehr als im Journalismus gilt natürlich: Was geht uns unser dummes Geschwätz von gestern an?

Wenn man allerdings schon ganze 9 Seiten darauf verbrät, Vincenz zwei Tage vor dem Prozess in die Pfanne zu hauen, nachdem auch der «Blick» monatelang die Recherchen von «Inside Paradeplatz» verschnarcht hatte, wäre eine klitzekleine Prise Selbstkritik vielleicht möglich gewesen. Als Bausteinchen zum Wiederaufbau von Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

Aber doch nicht bei Cavelty.