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Wumms: Marc Walder

Wird ihm seine Grossmannssucht zum Verhängnis?

Zwei Glatzköpfe vereint im Kampf gegen Corona. Alain Berset trat in der Grauenvoll-Zeitschrift «Interview by Ringier» als Modepuppe auf  und zeigte sich Seite an Seite mit Walder bei der Vernissage des neuen Organs.

Walder reagierte hysterisch auf die Pandemie und liess sich doch tatsächlich dabei filmen, wie er stolz verkündete, dass er «seinen» Redaktionen die Stallorder ausgegeben habe, das Tun von Regierung und Ämtern nach Kräften zu unterstützen. Der damalige Oberchefredaktor der «Blick»-Familie musste auf der Frontseite in einem peinlichen «Statement» behaupten, dass seine Redaktionen selbstverständlich völlig unabhängig von Walders Meinung seien. Michael Ringier höchstpersönlich griff zur Feder und sprang seinem in die Bredouille geratenen Tennis- und Juniorpartner beiseite.

Kaum war das einigermassen abgewettert, wurde bekannt, dass Walder in einem regen Austausch mit Bersets Kommunikationschef Peter Lauener stand. Das hatte selbstverständlich keinerlei Zusammenhang damit, dass der «Blick» Anträgen aus Bersets Departement regelmässig medialen Schub gab, bevor der Bundesrat darüber beriet.

Währenddessen machte Berset mit privaten Kapriolen Schlagzeilen und leistete sich die Peinlichkeit, als Privatflieger von der französischen Luftwaffe zur Landung gezwungen zu werden, weil er sich in ein militärisches Sperrgebiet verfranzt hatte. Es muss grossartig gewesen sein, wie Berset den Franzosen zu erklären versuchte, dass er ein conseil fédéral  der Schweiz sei. «Und ich bin der Papst», hat er sicher von einem Funktionär zur Antwort gekriegt.

Als Sündenbock in der ganzen Walder-Affäre musste bislang Lauener hinhalten; natürlich habe sein Chef nichts Genaueres von diesen Kontakten gewusst. Diese Verteidigungslinie liess sich aufrecht erhalten, solange SMS zwischen Berset und Walder geheim blieben. Walder berief sich dabei auf seinen Quellenschutz.

Aber der «Weltwoche» sind nun die Protokolle der Unterhaltungen zugespielt worden. Die wenigen veröffentlichten Beispiele zeigen, dass es einen engen Kontakt zwischen den beiden gab – und dass Walder aktiv versuchte, auf Entscheidungen des Bundesrats Einfluss zu nehmen: «So eine ganz klare Aussage wäre die kommende Woche wichtig», damit begleitete Walder einen Artikel der NYT, den er Berset ans Herz legte. Der antwortete brav: «Vielen Dank! Werde es lesen und schauen, was wir noch machen können.»

Dass mächtige Manager bei Regierenden ein und ausgehen, ist bekannt. Dass sie gefragt und ungefragt Empfehlungen geben, Forderungen aufstellen, in ihrem Sinne beeinflussen, nichts Neues. Aber dass ein führender Medienmanager dermassen ungeniert  mitregieren will, das ist neu – und schockierend.

«Bersets Berater und Vertrauter», so nennt die «Weltwoche» Walder. Trifft das so zu, ist die Glaubwürdigkeit des Ringier-Organs «Blick» kontaminiert. Dass Walder operativ etwas in den Hintergrund verschoben wurde, ist reine Kosmetik, er ist weiterhin der designierte Nachfolger von Michael Ringier als Verwaltungsratspräsident.

Ausser, Walder fällt doch noch über sein übergrosses Bedürfnis, bei den Mächtigen und Wichtigen auf Augenhöhe zu sein. Männerfreundschaften mit Pierin Vincenz und Philippe Gaydoul resultierten daraus. Beide agierten eher glücklos als Geschäftsleute, um es mild auszudrücken. Dennoch hielten die Ringier-Organe Vincenz lange, zu lange die Stange und gaben ihm die Möglichkeit, Kritiken in Gefälligkeitsinterviews wegzubügeln.

Die Berset-Lauener-Walder-Connection ist inzwischen erstellt. Wie direkt nahm Walder Einfluss auf die «Blick»-Redaktion? Das bleibt solange im Dunkeln, bis weitere SMS oder E-Mails auftauchen. Denn auf eines kann man sich im elektronischen und digitalen Zeitalter verlassen: Kommunikation hinterlässt immer ihre Spuren. Früher hiess das «paper trail», heutzutage ist es viel perfider. Alles, was digital in die Welt gesetzt wurde, verschwindet nie mehr.

Nun muss sich Walder über die Feiertage eine Strategie überlegen, wie er diese neuerlichem Enthüllungen überstehen will. Wir sind gespannt.

 

Unwürdige Glaubwürdigkeit

Worauf stützen wir uns Weltverständnis?

Findet in der Ukraine ein Krieg statt? Waren die Corona-Massnahmen gerechtfertigt und zielführend? Gilt bei Christian Dorer die Unschuldsvermutung? Stimmen die Vorwürfe von Anuschka Roshani? Ist US-Präsident Joe Biden senil? Greift China nach der Weltherrschaft? Interessieren jemanden die Hunderttausenden von Toten und Millionen von Vertriebenen im Tygrai?

Was sollen diese Fragen gemeinsam haben? Ganz einfach: Ihre Antworten entziehen sich unserer persönlichen Überprüfbarkeit. Wir sind dafür auf Boten angewiesen. Auf Nachrichtendienste, auf die Presse, auf Medien.

Es ist eine Binse, dass es eine sogenannte objektive Realität nicht gibt. Oder wahrscheinlich gibt es sie, aber sie ist unseren Aufnahmemöglichkeiten nicht in dieser Form zugänglich. Im schlimmsten Fall gilt sogar die Heisenbergsche Unschärferelation, dazu die Erkenntnis von Gödel, dass ein ausreichend komplexes System niemals in sich selbst widerspruchsfrei sein kann.

Weniger abstrakt ausgedrückt: es gibt nur Annäherungen an die Wirklichkeit. Ob die gelungen sind oder nicht, dafür gibt es allerdings einige Kriterien. Wird die Wirklichkeit durch eine ideologische Brille betrachtet, sind die Ergebnisse nicht sehr überzeugend. Beziehungsweise überzeugen sie diejenigen, die schon vor der Aufnahme der Nachricht Anhänger dieser Ideologie waren. Dabei ist aber der Erkenntnisgewinn nahe null.

Was ist denn nun aber der Wesenskern einer Nachricht? Was sollte sie sein, damit sie sinnvoll ist? Nehmen wir ein einfaches Beispiel, die Prognose. Die Wetterprognose. Wenn berichtet wird, dass Meteorologen aufgrund ihrer wissenschaftlichen Ausbildung und  in Interpretation der vorliegenden Daten zur Ansicht gekommen sind, dass es morgen schneien wird, kann der Empfänger der Botschaft entsprechende Vorkehrungen treffen. Also Winterkleidung hervornehmen, einen Schirm einpacken und Handschuhe. Sollte die Prognose nicht eintreffen, ist der Schaden überschaubar.

Wichtig ist noch, dass die Prognose eben mit wissenschaftlichen Methoden erstellt wurde. Basiert sie auf der Interpretation von Wolkenformationen und Vogelflug als Zeichen der Götter, ist sie abergläubischer Unfug, selbst wenn sie zufällig eintreffen sollte.

Also wieder abstrakt: Informationen über die Welt sollten gewissen handwerklichen Ansprüchen genügen. Während eine Wetterprognose direkten Einfluss auf mein Verhalten haben kann, sind Nachrichten aus aller Welt nicht unbedingt mit meiner Lebenswirklichkeit verknüpft. Dennoch ist der Mensch neugierig und möchte verstehen, was um ihn herum und in der Welt, in der er lebt, so vorgeht.

So kann auch der Krieg in der Ukraine direkte Auswirkungen auf seine Lebenszusamenhänge haben. Er könnte sich zum Beispiel in einen Atomkrieg verwandeln oder dazu führen, dass der Leser aus seiner Wohnung geschmissen wird, weil Platz für ukrainische Flüchtlinge geschaffen werden soll. Oder er muss eine exorbitante Energierechnung begleichen oder auf den Kauf russischer Güter verzichten.

Von den Corona-Massnahmen war jeder ganz direkt und in seinem Lebenszusammenhang betroffen. Theoretisch sollte bei Christian Dorer, wie bei Pierin Vincenz, die Unschuldsvermutung gelten. Die Vorwürfe von Roshani hätten nicht nur auf ZACKBUM einem banalen Faktencheck unterzogen werden sollen. Der geistige Zustand des 80-jährigen Biden kann mit entsprechenden Untersuchungen einigermassen analysiert werden. Welche machtstrategischen Absichten China hat, kann man einschlägigen Ankündigungen entnehmen, vorausgesetzt, man kann Chinesisch. Die Toten und Vertriebenen von Tygrai interessieren keinen, weil sie in der falschen Weltgegend leiden und die falsche Hautfarbe haben.

In all diesen Fällen muss konstatiert werden, dass in den Massenmedien eine Vereinheitlichung der Meinungen, ein ideologisch-moralischer Tunnelblick, eine selbstverliebte Rechthaberei ohne entsprechende Kompetenzen zunehmend um sich greift.

Bezüglich des Ukrainekonflikts klar Partei ergreifen, das ist erlaubt. Wenn aber die Kriegsberichterstattung es dem Konsumenten unmöglich macht zu beurteilen, wer hier Fortschritte macht und wer Rückschritte, wer Kriegsverbrechen begeht und verbotene Waffen einsetzt. Wenn klare Analysen fehlen, wie verwurzelt die faschistische Ideologie, die Verherrlichung eines Nazi-Kolaborateurs und Kriegsverbrechers wie Stepan Bandera noch ist. Wenn kein Massenmedium beispielsweise durch die Publikation verschiedener Blickwinkel die Positionen beider Kriegsparteien dem Konsumenten zumindest darbietet: dann verlieren unsere Messfühler in die Welt ihre Glaubwürdigkeit.

Wenn es auch im Nachhinein kaum möglich ist, die staatlichen Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie kritisch aufzuarbeiten, wenn beispielsweise die «SonntagsZeitung» eine zur Stellungnahme eingeladene kritische Meinungsäusserung einfach kommentarlos unterdrückt, wenn es zu praktisch jedem Thema auf der Welt eine vorgefasste Redaktionslinie gibt, von der keine Abweichung toleriert wird: dann verlieren unsere Nachrichtenboten ihre Glaubwürdigkeit.

Wenn der Kommentar die Analyse verdrängt, wenn die Betrachtung des eigenen Bauchnabels den Blick nach aussen ersetzt, wenn Klatschgeschichten aus dem Innenleben von Redaktionen wichtiger werden als die Berichterstattung über Aussenereignisse, wenn fehlende Kompetenz kein Grund für Schweigen ist, wenn für Beförderungen das Geschlecht der ausschlaggebende Faktor wird: dann verlieren unsere Medien ihre Glaubwürdigkeit.

Wenn die privaten Besitzer dieser Nachrichtenquellen ihren Blättern ihre Meinung aufdrücken, so wie der Wannerclan es bei CH Media vorexerziert, oder der familiennahe Mitbesitzer und CEO bei Ringier, wenn sie gleichzeitig darauf achten, dass ihre Pfründe satte Gewinne abwerfen, während den sogenannten Content Providern sogar noch das Hungertuch weggespart wird und weniger und magerer Inhalt dem Käufer zu exorbitant steigenden Preisen als angeblicher Mehrwert verkauft wird: dann verlieren unsere Newskonzerne ihre Glaubwürdigkeit.

Wenn schliesslich wildes Gehampel über Genderfragen, inkludierende Sprache, Vergewaltigungen der deutschen Syntax und Grammatik wichtiger werden als Inhalte, wenn herrschaftsfrei und nichtdiskriminierend Schwachsinn erzählen wertvoller wird als kenntnisreichen Inhalt zu liefern: dann verlieren unsere Wirklichkeitsverarbeiter ihre Glaubwürdigkeit.

Wenn es nicht mehr erlaubt sein sollte zu konstatieren, dass faktisch alle weiblichen Führungskräfte im Journalismus nicht durch ihre Fähigkeiten in diese Positionen gelangten, dort durch Inkompetenz wie Wappler, Unsichtbarkeit wie Heimgartner oder durch peinlich-banale Kommentare wie Hasse auffallen, dann verlieren unsere angeblich pluralistischen Plattformen ihre Glaubwürdigkeit.

Der Prozess kann als beinahe abgeschlossen betrachtet werden. ZACKBUM ist gespannt, welche neuen Formen der Informationsvermittlung als Geschäftsmodell sich durchsetzen werden.

 

Glaubwürdigkeit

Systematische Probleme in den Medien.

Ohne Häme und Polemik gefragt: warum berauben sich viele Medien freiwillig ihrem wichtigsten Asset, ihrer Existenzgrundlage?

Nähern wir uns der Antwort in vorsichtigen, kleinen Schritten. Die Kernaufgabe eines Newsmediums ist es, News herzustellen. Das ist keinesfalls banal. Denn zu 99 Prozent sind diese Informationen vom Leser nicht überprüfbar. Oder wenn, nehmen sich 99 Prozent der Leser nicht die Zeit dafür. Genau aus diesem Grund halten sie sich doch ein Qualitätsorgan, das für seine Tätigkeit zudem happige Preise fordert.

Was auch immer wo auch immer auf der Welt stattgefunden hat, der Leser muss darauf vertrauen können, dass ihm kein X für ein U vorgemacht wurde. Dass Präsident Biden tatsächlich schärfere Waffengesetze fordert und nicht etwa der Waffenlobby zujubelt. So brandschwarz lügt nun allerdings kaum ein Medium, zu leicht wäre das durchschaubar.

Und dann wäre weg, was die Existenzberechtigung ausmacht. Die Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit heisst, dass sich der Leser oder Konsument darauf verlassen kann, dass zumindest das Faktische stimmt. Dass die Gewichtung stimmt. Dass die Auswahl der News stimmt. Dass dem Satz audiatur et altera pars nachgelebt wird, man höre auch die andere Seite. Das alles gehört zur Glaubwürdigkeit.

Besonders in Kriegen ist es völlig klar, dass alle Kriegsparteien in Propaganda-Modus verfallen und sich bemühen, sich selbst möglichst gut und edel und siegreich, den Gegner möglichst schlecht, heimtückisch und als Versager hinzustellen. Das ist normal und erlaubt. Sowohl in der Ukraine wie in Russland herrscht Zensur, die Massenmedien geben natürlich nur die offizielle Sichtweise wieder.

Nicht kriegsbeteiligte Medien, insbesondere noch in der neutralen Schweiz, sollten hingegen beide Seiten zu Wort kommen lassen. Sie sollten versuchen, hinter die Nebel der Propaganda zu schauen, im Dienst und Auftrag ihrer Konsumenten. Tun sie das nicht, haben sie über kurz oder lang ihre Existenzberechtigung verloren.

Medien haben Haltungen, Redaktoren haben Meinungen. Das ist kein Verbrechen, sondern unausweichlich. Es gibt kein «objektives» Newsblatt, keine völlig ausgewogene Nachrichtensendung. Diese Haltung, diese Meinungen können vertreten, ausgewiesen, in Editorials, Kommentaren und Redaktionsstatuten vertreten werden. Wenn es allerdings offenkundig wird, dass dadurch die Fähigkeit beeinträchtigt ist, in erster Linie Hilfe bei der Meinungsbildung des Konsumenten zu leisten, verliert das Medium sein wichtigstes Asset. Und ist zum Untergang verurteilt.

Der Konsument ist ein geduldiges Wesen, das sich auch überraschend lange und kräftig quälen lässt. Schrumpfende Umfänge, nachlassende Qualität, Rechthaberei, unqualifizierte Schreiber, Einäugigkeit, Voreingenommenheit, Haltungsjournalismus pur, ruppiger Umgang mit abweichenden Meinungen – all das verträgt der Konsument mit wahrlich bewundernswerter Engelsgeduld.

Aber es stauen sich in ihm Bedenken auf. Weniger Umfang als Qualitätssteigerung? Sparmassnahmen als Verbesserung des Angebots? Kolumnitis und Meinungen und Kommentare und Beschreibungen persönlicher Befindlichkeiten oder gar Betroffenheiten als Ersatz für Reportagen, Berichte, Analysen? Schwarzweiss-Malerei statt Wiedergabe der bunten Welt? Gar im Befehlston geschnarrte Handlungsanweisungen an den Konsumenten, wie der sich zu verhalten habe? Was er zu tun und zu lassen habe, um nicht als fahrlässig, uneinsichtig, unmenschlich, moralfrei, bequem, unsolidarisch zu gelten?

Es ist wohl nicht ein einzelner Vorfall dieser Art, sondern ihre Akkumulation, begleitet von einer zunehmenden Kreischigkeit in der Tonlage, mit der der Bedeutungsverlust der Massenmedien kompensiert werden soll, die dann beim Konsumenten den Entschluss reifen lassen: es reicht. Wieso soll ich ein paar hundert Franken dafür ausgeben, damit ich einseitig informiert, dünn dokumentiert, ständig belehrt und beschimpft werde? Was interessieren mich die Meinungen der Redaktoren, ihre Befindlichkeiten, ihr Leiden, ihre persönlichen Probleme? Wieso soll der Konsument dafür bezahlen?

Dann, nun dann folgt auf den Verlust der Glaubwürdigkeit der Verlust des Zahlers. Weil zunehmend aus dem Fokus gerät, dass Newsmedien keine Anstalt für Eigentherapie und das Hinausposaunen der eigenen Meinung sind. Bei der das zahlende Publikum und dessen Interessen eigentlich keine Rolle spielen. Es wird höchstens wahrgenommen als zu belehrende, anzuweisende und natürlich zu kritisierende Masse, die sich allzu oft leider nicht so verhält, wie sie es nach Meinung des Journalisten tun sollte. Sie wählt falsch, hat falsche Ansichten, ist schnell einmal fremdenfeindlich, rassistisch, unsolidarisch, verklemmt, konservativ, egoistisch.

Da sagt sich dann der Konsument: Wenn zur dünnen Suppe des Inhalts, dem starken Tobak der Meinung auch noch Publikumsbeschimpfung dazukommt, dann reicht’s: ich kündige.

«Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht»

So endet «Der Prozess» von Franz Kafka. So können die Medien enden.

Seit es das Internet und das Digitale gibt, ist der Satz «lügt wie gedruckt» leicht veraltet. Aber nur technologisch, nicht inhaltlich.

Seit dem Aufkommen der Presse, was auch noch nicht so lange her ist – weder Ägypter noch Griechen kannten das –, wogt die gleiche Debatte. Wer entscheidet wonach, was es wert ist, publiziert zu werden?

Ein Genie verfilmte Kafka mit einem genialen Anthony Perkins.

Wer entscheidet wonach, wie es kommentiert, gefärbt, beurteilt wird, moderndeutsch «geframt»? Haben sich die Medien das Schmähwort von der «Lügenpresse» redlich verdient oder ist das ein dümmlicher Kampfbegriff von Marginalisierten und Verpeilten?

Gedrucktes ist normalerweise schwarz auf weiss, seltener weiss auf schwarz. Die Wirklichkeit ist aber mindestens grau, häufig bunt, scheckig und kompliziert.

Wo fängt unzulässige Beeinflussung an, wo hört die redaktionelle Unabhängigkeit auf? Ist es eine Karikatur aus dem Bilderbuch des Antikapitalisten, dass der Besitzer der Produktionsmittel, hier des Verlags, befiehlt, wo’s langgeht? Oder geben die Schweizer Medienclans die grossen Linien vor? Lesen wir also im Wesentlichen, was Coninx-Supino, Ringier-Walder , Wanner-Wanner oder Lebrument-Lebrument genehm ist?

In Krisen und Kriegen stirbt die Wahrheit zuerst

Fangen wir mit den Basics an. Erinnert sich irgend jemand, in deren Hausorganen einen kritischen Bericht über diese Clans gelesen zu haben? Ist doch auch logisch, wenn mir «Tages-Anzeiger» oder «Blick» gehören würden, fände ich es auch nicht lustig, von meinem eigenen Blatt in die Pfanne gehauen zu werden.

In Krisenzeiten scharen sich Massenmedien gerne um die Regierenden. In den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts wurde Unsägliches auf allen Seiten publiziert. Gelogen, gehämt, gekeift, gehetzt, ganze Weltbilder auf Lügen und Verzerrungen aufgebaut.

Vor dem Gerichtshof der Massenmedien.

Auch im Kalten Krieg gab es unschöne Auswüchse. Unvergessen die Hetze der NZZ gegen den Kommunisten und Kunsthistoriker Konrad Farner Mitte der Fünfzigerjahre. Unvergessen der Inserateboykott der Autolobby gegen den «Tages-Anzeiger». Unvergessen das Schreibverbot gegen Niklaus Meienberg, das damals Otto Coninx unverblümt als persönliche Abneigung verteidigte: «Daneben aber hat sich ein ungutes Gefühl bei mir verdichtet, ich verspürte einen Aberwillen gegen M.s Schreibart, seine Einseitigkeit, seine Verzerrungen, sein Verhältnis zur Schweiz, seine Animosität, seine Manipulation, der ich mich persönlich als Leser ausgesetzt sah.»

Beziehung Medien – Masse: es ist kompliziert

Einzelfälle, dagegen steht eine lange und strahlende Geschichte von durch die Medien aufgedeckten Skandalen? Muss man dann nicht auch die Glanztat eines Hansjörg Abt erwähnen, der hartnäckig den Hasardeur und Betrüger Werner K. Rey zur Strecke brachte? Auch hier könnte man eine lange Latte von Beispielen aufführen.

Aber sind das alles Gross- und Schandtaten aus der Vergangenheit, weil es an Beispielen aus der Gegenwart mangelt? Durchaus nicht. Das Internet ermöglicht ganz neue Formen der Recherche und Aufdeckung. Was früher mühsam in Archiven oder vor Ort zusammengesucht werden musste, ist heutzutage mit etwas Gelenkigkeit am Bildschirm möglich. Allerdings sind die ewigen «Leaks» und «Papers» kein Glanzlicht dieser neuen, schönen Welt. Sondern verantwortungslose Verwertung von Hehlerware, die von anonymen Quellen zugesteckt wird, ohne dass man deren Motive kennen würde.

Blick in einen Newsroom …

Zudem sind die Medien in einen fast perfekten Sturm geraten. Einbrechende Inserate im Print, im Web nehmen ihnen Internet-Giganten wie Google, Facebook oder Amazon die Butter vom Brot. Inhaltliches und im Umfang dramatisch Geschrumpftes wird hartnäckig zu den gleichen Preisen wie früher angeboten.

Die Personaldecke wird dünn und dünner; drei der vier überlebenden Tageszeitungskonzerne verdienen ihr Geld längst mit journalismusfremden Tätigkeiten. Um für wegfallende Einnahmen kompensiert zu werden, fahren sie zudem einen erkennbaren Schmusekurs gegenüber Staat und Regierung.

Grenzenlose Vermischung von Bezahltem und Berichtetem

Auch die Pandemie ist Anlass, staatstragende Geräusche von sich zu geben. Das ist nicht verboten, aber da es inzwischen faktisch Tageszeitungsmonopole gibt, wäre es schön gewesen, wenn die Behauptung, Forumszeitung und Plattform zu sein, mehr als ein Lippenbekenntnis wäre.

Die schon immer sehr dünne Grenzlinie zwischen bezahltem und selbst erstelltem Inhalt verblasst bis zur Unsichtbarkeit. Früher inhaltsschwere Worte wie «recherchiert», «investigativ», «undercover» oder «Reportage» denaturieren zu Lachnummern.

Das alles sind unangenehme Begleiterscheinungen. Aber die Wurzel des Übels liegt woanders: Glaubwürdigkeit behält man, wenn man nicht heuchelt. Vertrauen geniesst man, wenn man nicht lügt. Kompetenz und Nutzwert strahlt man aus, wenn man inhaltlich und intellektuell etwas zu bieten hat.

Den Anspruch, «wir liefern euch gegen Bezahlung eine professionell gemachte Auswahl der wichtigsten News des Tages, kompetent dargeboten, eingeordnet und analysiert», den kann man behaupten. Wenn man an ihm Tag für Tag scheitert, dann schafft man sich selbst ab.

Arbeiten an der Selbstabschaffung

Genau daran arbeiten die drei grossen Medienkonzerne der Schweiz. Der vierte versucht immerhin, auf Content, Journalismus und Inhalt zu setzen. Und die Staatsmedien, denn nichts anderes ist die SRG, können trotz garantierten Einnahmen immer weniger den Anspruch erfüllen, die Grundversorgung an Informationen aufrecht zu erhalten.

Wenn’s im «Prozess» dem Ende zugeht.

Nur ein Symbol dafür: Wer eine Wirtschaftssendung wie «Eco» ersatzlos streicht, setzt keine Sparmassnahme um, sondern holzt einen Grundpfeiler des Service publique ab.

Die schrumpfende Bedeutung der Medien, der zunehmende Verlust der Deutungshoheit in der öffentlichen Debatte, mangelnde Ressourcen und bescheidene intellektuelle Kapazitäten werden kompensiert mit verbitterter Rechthaberei, mit Kommentaren, die sich mit dem eigenen Bauchnabel, eingebildetem oder geklautem Leiden befassen. Die ungefragt und sowohl haftungs- wie verantwortungsfrei kreischig Ratschläge erteilen, Forderungen aufstellen, Handlungsanleitungen geben.

Einen guten Ruf erarbeitet man sich über lange Zeiten. Verspielen kann man ihn mit wenigen Handgriffen. Wir haben keine «Lügenpresse» in der Schweiz. Aber «All the News That’s Fit to Print» ist’s schon lange nicht mehr.

10’000 Todesfälle

Jeder Tod eines Menschen ist eine Tragödie. Die Berichterstattung über Covid-19 ist ein Skandal.

Eines ist sicher: Die Auswirkungen des Covid-19-Erregers auf die Medien sind letal. In nur 20 Monaten hat sich die sogenannte vierte Gewalt ihrer überlebenswichtigen Eigenschaften begeben. Um sinngebend und wertschöpfend zu funktionieren, brauchen Informationsorgane unverzichtbare Attribute.

Die sind überschaubar: Vertrauenswürdigkeit, Glaubwürdigkeit, Behaftbarkeit und Transparenz. Der zahlende Konsument eines Newsherstellers will gewisse Sicherheiten. Banaler Art, wie beim Kauf eines Liters Milch. Die Verpackung sollte einen Liter enthalten. Die ausgewiesenen Eigenschaften des Inhalts sollten zutreffen. Wenn es Vollmilch ist, dann sollte der Fettgehalt auch der Definition entsprechen.

Steht oder fällt mit Vertrauen.

Der Konsument sollte auch auf das Haltbarkeitsdatum vertrauen können; darauf, dass ihm kein gesundheitlicher Schaden entsteht und dass er das Recht hat, sollte die Milch wider Erwarten sauer oder ungeniessbar sein, Ersatz gestellt zu bekommen. All diese banalen Voraussetzungen, die Grundlage für ein funktionierendes Angebot mitsamt vorhandener Nachfrage, treffen auf Bezahlmedien weitgehend nicht mehr zu.

Wo Nachricht draufsteht, sollte auch eine drin sein

Angefangen bei so Banalem, dass es geradezu hirnrissig ist, es überhaupt erwähnen zu müssen. Wo Milch draufsteht, sollte auch Milch drin sein. Wo «Nachricht» draufsteht, sollte ein Inhalt vorhanden sein, der dem Bemühen geschuldet ist, verdichtete, kompetent aufbereitete und möglichst wahrhaftig dargebotene Wirklichkeit abzubilden.

Die aktuelle Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit der Pandemie in der Schweiz beträgt 10’906 nach den verfügbaren Statistiken. Das Medianalter der an oder mit Covid-19 Verstorbenen liegt bei der durchschnittlichen Lebenserwartung in der Schweiz. Die Todesfallstatistik weist von Anfang bis heute aus, dass es eine signifikante Zahl von Todesfällen bei Ü-70-Jährigen gibt. In diesem Alter ist es beinahe ausgeschlossen, dass nicht eine oder mehrere Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Rheuma, Arthritis oder Herzinsuffizienz vorhanden sind.

Drei Journalisten treffen sich …

Das sind unbestreitbare Tatsachen. Aus diesen wenigen Zahlen lassen sich die Thesen ableiten, um das Elend der Schweizer Bezahlmedien zu beschreiben.

Das Elend in 11 Thesen
  1. Was vor allem am Anfang – teilweise bis heute – an Horrorszenarien in den Medien herumgeboten wurde, grenzt an Straffälligkeit. Oder ist es keine Schreckung der Bevölkerung, wenn von bis zu 100’000 Toten, einem zusammenbrechenden Gesundheitssystem, schrecklichen Szenen vor überlasteten Intensivstationen, ja sogar einem Faustkampf um Beatmungsgeräte berichtet wurde?
  2. Prognosen sind immer mit Unsicherheit behaftet, niemand hat eine Glaskugel, in der er in die Zukunft schauen kann. Aber wäre es nicht Ausdruck von Redlichkeit und Anstand gewesen, sich für krachende Fehlprognosen zu entschuldigen – statt sie einfach durch neue zu ersetzen?
  3. Mit der falschen Behauptung, dass nur Unmenschen einen Zusammenhang zwischen einem Menschenleben und Kosten zu seiner Erhaltung sähen, wurde versucht, jede Debatte über die ungeheuerlichen finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Bekämpfung abzuwürgen. Damit wird den folgenden Generationen – ungefragt – ein Schuldenberg in der Höhe von schätzungsweise 200 Milliarden Franken aufgebürdet. Diese Verantwortungslosigkeit wird in den Medien kaum thematisiert.
  4. Die Newsmedien verloren schnell jede Distanz zum Handeln der Regierenden. Wenn der Ausdruck Gleichschaltung nicht historisch vergiftet wäre, wenn der Vergleich mit Staatsmedien im ehemaligen Ostblock mangels Ostblock nicht verfehlt wäre: selten war der Unterschied zwischen SRG und Privatmedien in der Schweiz und Staatsfunk oder dem «Neuen Deutschland» oder der «Prawda» kleiner als heute.
  5. Eine freie Gesellschaft konstituiert sich über eine freie Debatte. Die nur Sinn macht, wenn sie öffentlich ausgetragen wird. Trotz Social Media, Blogs und allen Multiplikatoren im Internet finden solche Debatten weiterhin in den klassischen Medien statt. Fänden statt, wenn nicht selbst ernannte Zensoren, Inquisitoren und Besitzer der guten und richtigen Wahrheit mit mittelalterliche Strenge zwischen richtig und falsch, gut oder böse, erlaubt oder verboten entscheiden würden.
  6. In einer offenen und modernen Gesellschaft ist man sich bewusst, dass jede Form von Entscheidung multifaktorielle Auswirkungen hat; Rückkoppelungen, Spiegelungen, Dinge beeinflusst, an die man gar nicht gedacht hat. Nicht nur im Materiellen. Die psychischen Auswirkungen in allen Formen, auf Kinder, Heranwachsende, Ehepaare, Kleinunternehmer, die Veränderung der Ursachen für Suizide, die Kosten für steil ansteigenden Bedarf an psychologischer Beratung oder Behandlung – alles Themen, die im Tunnelblick der Monokausalität weitgehend untergegangen sind.
  7. Ein Journalist ist meistens ein Mensch, der meint, über alles alles zu wissen. Ein Generalist, der gestern über einen Naturschutzpark, heute über interne Vorgänge in der EU-Kommission und morgen über die Folgen des Attentats auf den haitianischen Präsidenten berichten kann. Dabei auch selbstverständlich zum Epidemiologen, Virologen, Seuchenspezialisten herangereift ist. Rechthaberisch, arrogant, beratungsresistent.
  8. Es hat sich eine fatale Komplizenschaft zwischen einzelnen Wissenschaftlern und den Medien ergeben. Seuchenspezialist ist normalerweise keine akademische Betätigung, mit der man sich im Scheinwerferlicht sonnen kann. Ausser bei einer Seuche. Karriere, Forschungsgelder, Geltungsdrang trifft auf Unkenntnis und der Suche nach Steigerungen in den Medien. Daraus entstand ein absolut unbekömmliches Gebräu, zum Schaden des Ansehens der Wissenschaft, der Medien und auch der Regierenden. Denn die liessen sich von den resonanzverstärkten Fachleuten vor sich hertreiben. Ohne zu berücksichtigen, dass ein Virologe wohl von Viren Ahnung hat. Aber von Wirtschaft, Gesellschaft, Psychologie, gesamtheitlichem Denken – null.
  9. Wer regiert, muss handeln. Wer handelt kann Fehler machen, schuldig werden. Muss mit Auswirkungen umgehen, die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung gar nicht absehbar waren. Für die er aber dennoch harsch kritisiert wird. Denn Politik ist nicht gerecht oder nett. Sondern ein Kampf um Wählerstimmen, Macht und Posten. Völlig befreit davon sind – Medien und Wissenschaftler. Die einen dienen als willfährige Multiplikatoren, die anderen geben wohlfeile Ratschläge. Beide fordern, kreischen, überbieten sich in der Erregungsbewirtschaftung mit immer absurderen Extremen. Verantwortungslos, zum Schaden ihrer Metiers.
  10. Es gibt keine andere Berufsgattung, bei der die Fähigkeit und der Wille zum Austeilen, zum Kritisieren, zum Rechthaben in einem derartigen Missverhältnis zur Einsicht in eigene Fehler steht. Zur Fähigkeit, Kritik zu vertragen, nicht Besserwisser zu sein, sondern besser zu wissen – als bei Medienschaffenden. Das Eingeständnis eines Irrtums, das Zeigen von Lernfähigkeit, das Beschränken auf Wissensgebiete, über die der Journalist tatsächlich Kenntnisse hat – nur unter Folter denkbar.
  11. Die Darstellung der Wirklichkeit in all ihrer Widersprüchlichkeit, Komplexität, Unüberblickbarkeit – das bräuchte Mut und die intellektuelle Fähigkeit zum «ich weiss doch auch nicht, aber ich beschreib’s halt mal». Ausgeschlossen, wer nicht aus dem Stand bereit ist, dem US-Präsidenten, der Bevölkerung jedes beliebigen Landes der Welt, der Wissenschaft, der Autoindustrie oder der Klimaforschung ungefragt Ratschläge zu erteilen, deren Fehler zu kritisieren, masslose Forderungen aufzustellen – der scheint den Beruf verfehlt zu haben und sollte besser nicht als Journalist tätig bleiben.
Summa summarum: Das sind die wirklichen Krankheitssymptome des Journalismus. Nicht etwa wegbrechende Inserate, schrumpfende Auflagen, flüchtende Abonnenten. Da kann auch Staatshilfe nichts Positives bewirken. Sie gleicht dem Versuch, den Komatösen rote Bäckchen zu verpassen – während die Gehirnaktivitäten gegen null tendieren.

Zu Tode gesparter Journalist betrachtet sich selbst.

Aber keine Panik, das Bedürfnis nach Information über das Nahe und das Ferne, das ist ungebrochen vorhanden. Dafür wird auch in Zukunft Geld ausgegeben. Für die Medien des Duopols in der Schweiz sieht es allerdings aschgrau aus. Zappenduster. Schwarz wie Druckerschwärze. Arme Hungerkünstler, die noch einmal wichtig tun wollen, als klappernde Skelette um die verglimmenden Lagerfeuer der öffentlichen Meinungen tanzen. Umso überzeugter von ihrer Wichtigkeit und Bedeutung, desto deutlicher sie fröstelnd spüren, wie der Nachtwind sie in die Vergänglichkeit weht.

Journalist (früher, nur für Gebildete).

Ruhe sanft, Glaubwürdigkeit

Eigentlich kann man das Gequatsche über das höchste Gut im Journalismus nicht mehr hören. Daher eine Grabrede.

So sicher, wie ein Bibelzitat in der Sonntagspredigt vorkommt, wird im Journalismus das Wort «Glaubwürdigkeit» wie ein Banner gehisst. Umgeben von den Wimpeln «unabhängig, nicht käuflich, redaktioneller Content und gekaufter Werbeplatz haben null miteinander zu tun».

Während die meisten Medien fast täglich den Gegenbeweis antreten, meinen sie weiterhin, damit punkten zu können. Denn sie halten, hieran deutlich sichtbar, ihre Konsumenten für furzblöd.

Da sie das aber (mehrheitlich) nicht sind, tragen wir doch endlich dieses Wort im Zusammenhang mit privaten Profitunternehmen zu Grabe, die als Produkt halt keine Schrauben, sondern News anbieten.

Verwischen bis zur Unkenntlichkeit

Um nicht die falsche Leiche zu beerdigen: Werbefreiheit als Garant für Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit ist natürlich auch Quatsch. Wie nicht nur die «Republik» beweist, ist dann das Organ zu 100 Prozent von der Gesinnungsblase seiner Unterstützer abhängig. Die nicht zögern, ihren Liebesentzug wegen der Veröffentlichung eines «falschen» Artikels sofort mit Abbestellung zu manifestieren.

Es ist auch okay, wenn Reiseberichterstattung inzwischen ausschliesslich «in Zusammenarbeit mit» stattfindet. Leicht euphemistische Umschreibung für: die haben bezahlt, wir haben publiziert. Auch dass alle Shopping-Tipps, Modeanregungen, Einrichtungshinweise, überhaupt alle mit käuflichen Waren verbundene Ratschläge nicht nach bestem Wissen und Gewissen gemacht werden, ist klar.

Die Grenzen zwischen bezahltem Inhalt und Inhalt, für den der Konsument bezahlen soll, verwischen sich aber bis zur Unkenntlichkeit. Ein kleines «Paid Content», ein «präsentiert von», eine Native Ad, eine «Content Bridge», alles kleinere oder grössere Sargnägel über der verblichenen Glaubwürdigkeit, die wir hier bestatten.

Das waren noch Zeiten, als Vielschreiber Max Küng Werbetexte für das Möbelhaus Pfister im «Magazin» rezyklierte. Das waren noch Zeiten, als das Füllen einer ganzen Ausgabe mit dem künstlerisch wertvollen, weil von Beda Achermann gestalteten Migros-Geschäftsbericht noch für Protestgeheul sorgte.

Wie Werbung ihre Glaubwürdigkeit steigern kann

Inzwischen wird vielfach gekaufte Werbefläche dem Erscheinungsbild von redaktioneller Eigenleistung so angepasst, dass irgendwann der Hinweis «das ist eine bezahlte Werbung» zur Steigerung der Glaubwürdigkeit ersetzt wird mit: «Das ist KEIN redaktioneller Inhalt».

Heutzutage, um ganz oben einzusteigen, lässt sich NZZ-Chefredaktor Eric Gujer im Hotelblog eines Fastenhotels mit lobenden Antworten auf Fragen zur Qualität des Gebotenen interviewen. Wobei er darauf hinweist, dass er dieses Angebot auf Anregung seiner Gattin benütze. Die wiederum unter ihrem nom de plume, Claudia Schwartz*, zwei Seiten in der NZZ füllt. Eine mit als «Erfahrungsbericht» verkleideten Lobhudelei auf eben dieses Hotel, die zweite mit einem «wie wollten Sie sich schon immer mal unbelästigt von kritischen Fragen aufplustern»-Interview mit dem «Chefarzt» eben dieser Fastenklinik im Luxushotel.

Auf dieser Ebene würde niemand vermuten wollen, dass Familie Gujer sich so gratis eine lustige Fastenkur gegönnt hat. Obwohl die Reinigung von Körper und Geist zu zweit doch rund 12’000 Franken kostet, für zwei Wochen, und weniger mache ja keinen Sinn, weiss Gujer in dem Interview. Aber erschütternd ist doch, dass die NZZ, in Gestalt ihrer Kommunikationsverantwortlichen, an die Gujers meine Fragen weiterreichten, überhaupt nicht, nicht im geringsten, auf keinen Fall auch nur den Hauch eines Geschmäckle erkennen kann.

Glaubwürdigkeit als guter Werbespruch

Denn, liebe Trauergäste, Glaubwürdigkeit – ebenso wie Anstand oder Höflichkeit – ist im heutigen Managersprech ein Soft Factor, ein Asset, das man gut bewerben kann, aber nicht unbedingt pflegen muss. Kann man schliesslich schlecht quantifizieren, wie viel kostet ein Stück Glaubwürdigkeit? Wie misst man den Schaden, falls die beschädigt werden sollte?

Diese Medienmanager als Erbsenzähler, die wohl deswegen auch dieser Trauerfeier fernbleiben, lassen sich von ihrer Zahlenhörigkeit den Blick auf etwas so Einfaches wie fundamental Wichtiges bei Medien verstellen.

Glaubwürdigkeit heisst, dass der Leser darauf zählen kann, dass der von ihm bezahlte Inhalt nach bestem Wissen und Gewissen des Journalisten hergestellt wurde,

zudem unter Beachtung gewisser Grundregeln. Und dass der Journalist seine Urteile, seine Bewertungen, seine Einschätzungen ganz sicher nicht käuflich in den Wind hängt.

Wieso soll der Leser für gekauften Inhalt bezahlen?

Denn der Berichterstatter ist (meistens) vor Ort, der Leser nicht. Der Leser muss ihm glauben, dass seine Darstellung von Angola, von Brasilien, von den USA oder Russland der Versuch ist, möglichst realitätsnah zu berichten, was sich dort abspielt. Stellt der Leser aus eigener Kenntnis oder aus anderen Gründen zu oft fest, dass diese Berichterstattung das Papier nicht wert ist, auf das sie gedruckt wird, nicht mal die winzige Energie, die ihr Transport auf den Bildschirm braucht, dann fragt er sich völlig zu Recht, wieso er dafür bezahlen soll. Mit Geld oder Aufmerksamkeit.

Fahrenheit 451: Das wenden viele Medien bei ihrer Glaubwürdigkeit an.

Daher, liebe Anwesenden, verabschieden wir uns hier von der Glaubwürdigkeit der Medien. Sie hatte ein längeres, erfülltes irdisches Dasein, überstand auch viele schwere Krankheiten, Angriffe auf Leib und Leben, wurde oftmals vergewaltigt, niedergeschlagen, eingesperrt, beraubt. Stand aber immer wieder auf. Nicht mehr länger. Ruhe wohl, Asche zu Asche, Staub zu Staub.

*Dank des Hinweises eines aufmerksamen Lesers wurde der falsch geschriebene Nachname korrigiert.