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Ehrenwerte Gesellschaft

Gegen aussen hui, aber gegen innen?

Tamedia im Allgemeinen und «Das Magazin» im Besonderen sind der Hort des Gutmenschentums. Der politischen Korrektheit. Des Abscheus über jede Art der Diskriminierung, insbesondere des Sexismus. Hier werden Seiten mit Abhandlungen gefüllt, wie die deutsche Sprache nicht-sexistisch, inkludierend und nicht diskriminierend verwendet werden sollte.

Nun hat eine langjährige «Magazin»-Redakteurin erschreckende Einblicke in den widerlichen, sexistischen Alltag auf der Redaktion dort gegeben. Vorausgesetzt, ihre Darstellung stimmt, herrschte dort ein gestörter Chefredaktor, der Tourette-artig «ficken» sagte, ständig sexuelle Anspielungen machte, Frauen übelst abqualifizierte und brachiales Mobbing betrieb.

Vor aller Augen und Ohren. Daher hat sich ZACKBUM gestattet, einigen der möglichen Augen- und Ohrenzeugen ein paar Fragen zukommen zu lassen.

Zu den Empfängern gehört Daniel Binswanger. Die schreibende Schmachtlocke war lange Jahre Kolumnist beim «Magazin», bevor er als aktuell Chefredaktor a.i. bei der «Republik» amtet. Von ihm wollten wir zudem wissen, wie er bei seinem neuen Organ solche Zustände verhindert.

Dann schickten wir den Fragenkatalog an Christof Gertsch, Journalist des Jahres und redaktioneller Mitarbeiter, des Lobes voll über sein Organ. An Mikael Krogerus, «Magazin»-Redaktor und als Gatte von Franziska Schutzbach sicherlich besonders sensibilisiert für solche Fragen. Schliesslich an die beiden Kolumnisten Nina Kunz und Philipp Loser, der sich überall als Obergenderpapst geriert. Und schliesslich an Bruno Ziauddin, langjähriger Stellvertreter von Finn Canonica und nach dessen abruptem Abgang nachgerutscht auf den Chefsessel.

Da wir befürchten (und uns wünschen, widerlegt zu werden), dass keiner der Angeschriebenen die Eier in der Hose hat (Pardon, Frau Kunz), sich nicht hinter «redaktionsinterne Vorgänge» zu verstecken oder nicht «wenden Sie sich an die Medienstelle» zu schreiben (oder schlichtweg wie üblich und in der Tradition der 78 erregten Protestfrauen bei Tamedia überhaupt nicht zu antworten), veröffentlichen wir hier die Fragen:

Sie haben sicherlich die schweren Vorwürfe zur Kenntnis genommen, die die ehemalige und langjährige «Magazin»-Redaktorin Roshani im «Spiegel» erhebt.
Sie führt unter anderem aus, dass Canonica seine sexistischen Sprüche und Widerlichkeiten auch gerne coram publico geäussert habe.
Vorausgesetzt, Roshanis Darstellungen entsprechen der Wahrheit, und einiges scheint darauf hinzudeuten, sind Sie offensichtlich auch Zeuge gewesen.
Daher einige Fragen an Sie:
1. Waren Sie selbst auch von solchen Aussagen oder von Mobbing durch Canonica betroffen?
2. Wenn Sie Zeuge solcher Widerlichkeiten waren, wieso haben Sie das nicht schon vor Jahren an die Öffentlichkeit gebracht?
3. Haben Sie intern die entsprechenden Anlaufstellen informiert, und wenn ja, wie war deren Reaktion?
4. Canonica soll behauptet haben, er geniesse Protektion von oberster Stelle, insbesondere durch Pietro Supino. Hat er sich Ihnen gegenüber auch so geäussert?
5. Wie vereinbaren Sie Ihr eigenes Auftreten und Eintreten gegen aussen mit dem Tolerieren solcher unglaublicher Zustände in der Redaktion?
6. Hätten Sie, Herr Gertsch, als «Journalist des Jahres» nicht eine Plattform gehabt, auf der Sie solche Zustände hätten anprangern können? Wieso haben Sie das nicht getan?
7. Würden Sie das als verzeihliche Form der Arbeitsplatzsicherung bezeichnen?
8. Oder würden Sie die Darstellung von Roshani bestreiten?
Freundliche Grüsse
Wetten, dass ..?
Nein, wir raten ZACKBUM-Lesern davon ab, Wetten einzugehen, ob hier jemand Eier in der Hose hat. Chefredaktor Ziauddin reagierte immerhin mailwendend mit der Bitte, sich mit den Fragen doch an den Medienmenschen von Tamedia zu wenden. Wie erbärmlich das alles
PS: Natürlich hat der «Kommunikationsverantwortliche Tamedia» schnell in den Stehsatz gegriffen und das hier abgesondert (was wieder mal der Beweis ist, dass es schon Scheissjobs gibt):
«Tamedia hat die Vorwürfe von Frau Roshani sehr ernst genommen und akribisch prüfen lassen. Der Konflikt zwischen Frau Roshani und Herrn Canonica war Gegenstand einer von Tamedia in Auftrag gegebenen externen Untersuchung durch eine spezialisierte Kanzlei. Die Untersuchung des Falles ergab, dass sich die von Frau Roshani in diesem Zusammenhang geäusserten Vorwürfe zu einem grossen Teil nicht bestätigten. In einigen Punkten kam die Untersuchung sogar zu einem gegenteiligen Ergebnis – insbesondere was den Führungsstil und die Arbeitsatmosphäre unter der Leitung von Herrn Canonica betraf.
Eine Mitschuld von Frau Roshani an der für alle Beteiligten schwierigen Situation kann Tamedia weder ausschliessen noch bestätigen. Priorität hatte die Wiederherstellung einer unbelasteten Arbeitsatmosphäre.
Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes kann Tamedia keine weiteren Angaben zum Fall machen.»

Widerliche Gutmenschen

Was ist nur im «Magazin» von Tamedia los?

Starker Tobak: «Als Finn Canonica 2007 »Magazin«-Chefredakteur wurde, begann er ein Regime des Mobbings. Ich war nicht die Einzige, er nahm auch Männer ins Visier. Eine Kollegin entließ er ohne Vorwarnung. Als ihr das Mutterblatt des »Magazins«, der »Tages-Anzeiger«, direkt danach eine Reporterstelle anbot, soll Canonica gesagt haben, man untergrabe seine Autorität, würde man sie dort anstellen. Sie trat die Stelle nicht an.»

Das schreibt die langjährige «Magazin»-Journalistin Anushka Roshani im «Spiegel». Sie war von 2002 bis 2022 dort angestellt, bis sie laut eigenen Angaben «im September 2022 ohne Angaben von Gründen die Kündigung erhielt». Gleichzeitig klagt sie «wegen Verletzung der Fürsorgepflicht aufgrund sexistischer Diskriminierung und Mobbings» gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber.

Sie gehörte zu den erregten Frauen, die einen Protestbrief gegen angeblich unerträgliche, sexistische und demotivierende Zustände bei Tamedia unterzeichnet hatten. Ohne dass allerdings ihre oder andere Beispiele namentlich genannt wurden.

Also ist Roshani nicht gerade eine objektive Zeugin oder unbeleckt von Eigeninteresse. Und die Fähigkeiten des «Spiegel», die Plausibilität von Erzählungen zu überprüfen, ist auch nicht über jeden Zweifel erhaben. Laut persoenlich.com weise der Anwalt des ehemaligen «Magazin»-Chefredaktors die Anschuldigungen zurück. Und Tamedia lässt ausrichten, eine «externe Untersuchung habe Roshanis Vorwürfe «zum überwiegenden Teil» nicht bestätigt». Welcher Teil bestätigt wurde, bleibt offen.

Der «Spiegel» hat sich nach eigenen Angaben nicht alleine auf die Schilderungen von Roshani verlassen: «Der Redaktion liegen Aussagen ehemaliger Kollegen und Kolleginnen, Chatnachrichten, Korrespondenz und Dokumente vor, die die Vorwürfe stützen und insgesamt plausibel erscheinen lassen. Soweit einzelne Vorwürfe, etwa über den Inhalt von Vieraugen­gesprächen, allein auf Wahrnehmungen von Anuschka Roshani beruhen, hat sie diese eidesstattlich versichert.»

Auch hier gilt natürlich wie immer die Unschuldsvermutung.

Aber: Es pfiffen schon länger die Spatzen von den Dächern, dass der abrupte Abgang von Canonica nicht dadurch motiviert war, dass der «eine neue berufliche Herausforderung» annehmen wolle.

Roshani beschreibt eine Unkultur und ein geradezu toxisches Verhalten des Chefs: «Wer zum inneren Kreis gehörte, was sich allerdings jederzeit ändern konnte, genoss Privilegien, bekam Zeit und Platz für Artikel, wurde von Aufgaben freigehalten, musste aber auch, egal ob sie oder er es wollte, Details aus Canonicas Sexleben erfahren. Er mutmaßte über die sexuelle Orientierung oder Neigungen von Mitarbeitern. Äußerte sich verächtlich über jeden, der nicht im Raum war. Bezeichnete unliebsame Themen als »schwul«. Benutzte in Sitzungen fast touretteartig das Wort »ficken«. Erzählte Intimitäten, etwa, dass zwei Redakteure ihre Kinder nur durch künstliche Befruchtung bekommen hätten.»

Ihre persönlichen Erfahrungen schildert Roshani so:

«Im Wesentlichen aber entwürdigte er mich mittels verbaler Herabsetzungen. So unterstellte er mir in einer Konferenz, ich hätte mir journalistische Leistungen mit Sex erschlichen: Ich sei mit dem Pfarrer der Zürcher Fraumünster-Kirche im Bett gewesen, den ich für eine Recherche getroffen hatte. In einer SMS sprach mich Canonica als »Pfarrermätresse« an.
Das war nicht alles. Hinter meinem Rücken nannte er mich vor einer Kollegin »die Ungefickte«. Sagte coram publico zu mir, mein Mann habe »einen kleinen Schwanz«. Brüstete sich in meinem Beisein vor Kollegen mit einem scheinbaren Exklusivwissen über mein Liebes­leben: dass ich zu Beginn meiner »Magazin«-Zeit öfter die Männer gewechselt hätte.»

In dem Artikel dokumentiert Roshani einige ihrer Vorwürfe, so den, dass ihr Canonica bei angeblich zu deutschen Ausdrücken in ihren Manuskripten ein Hakenkreuz daneben gemalt hätte, sie als «Pfarrermätresse» bezeichnet oder ihr mit folgenden Worten zu einer Leistung gratuliert habe: «Obwohl Du eine Frau bist, hast du brilliert.»

Nun könnte man bis hierher sagen, dass hier ein unfähiger und unbeherrschter Diktator Chef gespielt habe, worunter seine Untergebenen zu leiden hatten. Zum systematischen Skandal wird aber diese Beschreibung dadurch, dass Roshani die gesamte Führungsriege von Tamedia beschuldigt, Canonica lange Jahre geschützt und gestützt zu haben:

«Wann immer ich mich zur Wehr setzte, gab er mir zu verstehen, dass ich niemanden im Verlag fände, der mir Gehör schenken würde. Er sitze bombenfest im Sattel und genieße sogar das große Wohlwollen des Verlegers Pietro Supino.»

Mitredakteure hätten gekündigt und teilweise Canonica als Grund bei der Personalabteilung angegeben – keine Reaktion. Nach dem Protestbrief hätten gegen aussen der damalige Geschäftsführer Marco Boselli und auch Oberchefredaktor Arthur Rutishauser Betroffenheit und Null-Toleranz behauptet, aber auf ihre wohldokumentierten Beschwerden sei man nicht eingegangen. Dabei hätte es genügend deutliche Skandale gegeben:

«Nicht mal Canonicas Affäre mit einer Untergebenen und den damit verbundenen Machtmissbrauch fand das Unternehmen als Vorwurf erheblich genug: Erst bevorzugte Canonica seine Geliebte, ohne da­raus einen Hehl zu machen, ging mit ihr auf Dienstreisen, dann, nach dem Ende des Verhältnisses, verbot er uns, mit ihr zu kommunizieren.»

Die Unternehmensleitung, immer laut Roshani, habe alles getan, um das Problem auszusitzen:

«Man ließ mich vollkommen allein in dieser Lage. Ich musste an einem Tisch mit Canonica sitzen, nachdem er schon über meine Vorwürfe informiert war. Vom Stand der Untersuchung erfuhr ich nichts. Längst wissen auch der Verwaltungsrat und der Verleger Pietro Supino von den Vorfällen.
Rutishauser, Canonicas Vorgesetzter, laut ihm sein enger Studienfreund, tat, als wäre ich das Pro­blem. Mein Arbeitgeber behandelt mich, als wäre ich eine Störung des Betriebsfriedens. Und als wäre es ein privater Zwist zwischen mir und Canonica.»

Dass hier ein saftiger Skandal geplatzt ist, scheint auch folgende Aussage von Roshani zu belegen: «So wie sich Canonica anstrengte, mich kleinzukriegen, versucht Tamedia, mich in die Knie zu zwingen. Deren Anwältin behauptet, dass ich alles nur inszeniert hätte, um Canonicas Chefposten zu bekommen.»

Ihre bittere Bilanz:

«Ende Juni gab der Verlag bekannt, Canonica verlasse »Das Magazin«, um eine »neue berufliche Herausforderung anzutreten«. Seitdem hat weder die Leserschaft noch die Redaktion erfahren, wo er ab­ge­blieben ist. Mir sagte man, ich solle mich unterstehen, Gerüchte in die Welt zu setzen, mit meinen Vorwürfen habe sein Weggang nichts zu tun. Aus der Redaktion hieß es, er habe eine hohe Abfindung erhalten.
Canonicas Posten hat sein Vize übernommen, er ist schlicht nachgerückt. Dabei hatte der Verlag nach dem »Frauenbrief« verkündet, dass ab sofort jede Stelle intern und extern zur Bewerbung ausgeschrieben werde. Das ist hier nicht geschehen. Im Editorial verabschiedete der neue »Magazin«-Chefredakteur den alten mit Glanz und Gloria.»

Sicherlich, es handelt sich hier um die Anklageschrift einer einzelnen Journalistin, die zudem offensichtlich mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber ein Hühnchen zu rupfen hat. Es erscheint aber sehr unwahrscheinlich, dass sie sich all diese Geschichten aus den Fingern saugt. Denn im Gegensatz zu den bis heute unbewiesenen Behauptungen im Protestschreiben nennt sie konkrete Beispiele, will Zeugen haben und kann auch Belege vorweisen.

Textnachrichten von Canonica (Screenshot «Spiegel»).

Auf ganz üble Verhältnisse deutet diese Bemerkung von Roshani hin, denn viele seiner widerlichen Sprüche hätte Canonica coram publico gemacht. Reaktion: «In der Redaktion tat man trotzdem so, als wäre Canonica einfach nur ziemlich verquer. Als hätte er einen Spleen, mit dem man sich halt arrangieren müsse.»

Es scheint zumindest in der Redaktion des einstmals angesehenen «Magazin» eine toxische Unkultur geherrscht zu haben. Die Frage ist vor allem, wieso so viele auch männliche Mitarbeiter, die sich gegen aussen wortstark für die Sache der Frau und gegen Sexismus und Figuren wie Weinstein aussprechen, in der Reaktion feige die Schnauze gehalten haben.

Spannend wird auch zu beobachten sein, wie Tamedia um dieses Thema öffentlich herumeiern wird. Wetten, dass die Fürsorge des Arbeitgebers und der Persönlichkeitsschutz von Mitarbeitern leider jede offizielle Stellungnahme verhindern wird?

Dabei wäre es für die zahlenden Leser durchaus von Interesse, wie sich ein solch widerlicher Chefredaktor so lange halten konnte. Ob er wirklich Protektion von oben besass. Ob er Herrschaftswissen hatte, das ihn unantastbar machte. Wieso es ihn dann doch gelupft hat, am Schluss. Wieso auch Roshani – laut ihr ohne Begründung – gefeuert wurde. Wie sich das von ihr geschilderte Verhalten von Boselli, Rutishauser und der Tamedia-Führung mit deren Selbstdarstellung nach aussen verträgt.

Aber so gerne Tamedia auch bereit ist, vermeintliche oder echte Skandale anderswo aufzudecken, so verschlossen wie eine Auster ist das Haus, wenn es um den Dreck vor der eigenen Türe geht.

Es war einmal «Das Magazin»

Im allgemeinen Elend gibt’s ein besonderes.

«Das Magazin», vormals nur Beilage beim «Tages-Anzeiger», war mal etwas Grossartiges. Riesenauflage (die inzwischen noch riesiger geworden ist), völlig losgelöst von Verkaufszwang, eine Spielwiese par excellence. Es war ein Ritterschlag, dort zu publizieren, und die Redaktion gab ihr Bestes, hohes Niveau in eigenen Beiträgen vorzulegen.

Dann ging’s bergab. Steil. Totengräber Finn Canonica begleitet den Niedergang ungerührt, verwaltet das Elend wie weiland Res Strehle im Mutterblatt. Sozusagen die Symbolfigur für den intellektuellen Sturzflug war Daniel Binswanger, der Woche für Woche Sottisen von sich gab, über die man sich ein Weilchen aufregte, bis man die Energie für die Lektüre sparte.

Seither entwickelte sich das «Magazin» immer mehr zu einer Beilage, die viele wie Werbebroschüren von Aldi oder Hotelplan aus dem mageren Samstagsblatt schütteln und entsorgen.

Wenn man das für einmal nicht tut, wird man bestraft. Zunächst ein Schrumpf-«Editorial», eine Paula Scheidt schreibt über das, worüber Journalisten immer lieber schreiben: ihre eigene Befindlichkeit, ihr Verhältnis zum Bewegtbild. Als lange Einleitung zur Titelstory des Hefts, die dann doch noch kurz erwähnt wird.

Auf der nächsten Seite schaut einen eine übellaunige Kaltërina Latifi an und beschwert sich über den angeblich «scheinheiligen Umgang mit Flüchtlingen» im Vereinigten Königreich. Sie lässt den Leser an ihrer Weltläufigkeit teilhaben «schlage ich die «Sunday Times» auf» und erwähnt lobend, dass Grossbritannien 1,3 Milliarden Pfund für die Ukraine bereitstelle. «Gut so, denke ich mir.»

Aber dann muss sie streng tadeln, es gäbe da so eine Abmachung zwischen GB und Ruanda, die ihr höchstes Missfallen erregt. Wie würde die Queen sagen: «we are not amused.» Latifi hingegen zeigt, dass sie es nicht so mit englischen Sprichwörtern hat: «You can have your cake and eat it.» Ist im Original etwas anders, aber original wird doch überschätzt.

Kaum hat man diese Ladung schlechter Laune hinter sich, gerät man vom Regen in die Traufe, oder in die Jauche, um auch hier abzuändern. Richtig, Konzernjournalist und Allzweckwaffe Philipp Loser hat nun das Wort. Auch sein Titel strahlt Optimismus aus: «Nein, nein, nein».

Wie häufig bei Loser, wenn er nicht Fertigmacherjournalismus im Auftrag seines Herrn betreibt, ist es nicht ganz einfach, seinen Gedankengängen zu folgen. Es geht irgendwie um das Stimmrechtsalter 16, oder dann doch um das Stimm- und Wahlrecht für Ausländer. Dabei versteigt sich Loser zu eher dunklen Sätzen wie:

«Es ist nicht an jenen, die schon mitbestimmen, über jene zu urteilen, die das nicht dürfen.»

Himmel hilf dem Leser, das zu verstehen.

Als Nächste schaut einen Katja Früh miesepetrig an und schreibt – über sich selbst, worüber denn sonst. Ihre Tochter habe geheiratet, teilt sie dem Leser mit, als ob den das interessieren würde. Auch Früh interessiert das nicht wirklich, es ist nur die Einleitung, über ihre eigene Hochzeit zu schreiben – als ob das den Leser interessieren würde. Wer sich bis zum Schluss durchkämpft, wird damit belohnt, dass die Drehbuchautorin sich daran erinnert, dass eine Klammer mit Rückkehr zur Einleitung doch zum Standardrepertoire gehört.

Wir gönnen uns einen doppelten Espresso, denn wir haben noch «Kant oder Hegel» zu überstehen (wir lassen Gnade walten und ersparen diesen Sauglattismus dem Leser), ebenfalls das ungefilterte Gewäffel des «russischstämmigen Autors Alexander Estis». Oder wen interessieren Ausführungen über das «immer repressivere, faschistoide Regime in Russland»?

Dann folgt weiteres Nebensächliches, darunter eine gähnlangweilige Story über Kinder-Influencer. Dann ein Gewaltsstück über den sibirischen Permafrost. Wow, will man schon denken, bis man sieht: aus dem «New Yorker» eingekauft, auf fast 12 Seiten ausgewalzt, nicht mal selbst übersetzt. Copy/paste-Journalismus vom Schlimmsten.

Dann noch eine Seite vom ewigen Kolumnisten Max Küng, der halt seit Jahren aus Nichts ein Nichts machen kann, und das mit nichts. Genauer gesagt, eine Anreihung von belanglosen Nichtigkeiten. Bücherbrockenhaus, Spinnenkatalog, Lavabowle. Küng lesen, das ist wie in Zuckerwatte beissen. Nur nicht so süss.

Und damit, lieber Leser, ist entweder die aktuelle Ausgabe des «Magazin» zu Ende – oder ZACKBUM zu fertig, um weiterzumachen.

Das Schönste kommt doch immer am Schluss.

Früher – heute

Früher war nicht alles besser. Aber «Das Magazin» schon.

«Milde ausgedrückt, würde ich Impfgegner am liebsten auf den Mond schiessen. Sie müssen kolossale Egoisten sein.» Früher hätte ein Chefredaktor, der sein Editorial im «Magazin» für solch unanständiges Gerempel missbraucht, kräftig die Kappe gewaschen gekriegt und sich in der nächsten Ausgabe entschuldigen müssen.

Heute wird das Finn Canonica sicher nicht passieren, trotz rigoroser Qualitätskontrolle im Hause Tamedia.

Das hätte Daniel Binswanger in der «Republik» höchstens für ein Vorwort gereicht: 45’663 Anschläge druckt das «Magazin» zur Geschichte des Scheiterns des Rahmenabkommens. Warum? Darum, Christoph Lenz und Gebrauchskonzernjournalist Philipp Loser hatten halt Lust auf das Thema.

Langfädiger szenischer Einstieg mit Wetterbericht «Die letzten Wolkenfetzen einer Kaltfront hingen noch über Bern, …». Ein Flug der Staatssekretärin Livia Leu nach Brüssel, atemberaubend. Heutzutage darf auch dieses Selbstlob nie fehlen:

«Die Suche nach Antworten hat uns in den letzten Monaten zu rund zwanzig Parteipräsidenten, Aussenpolitikerinnen, Top-Diplomaten und Wirtschaftsvertreterinnen geführt.»

Unglaublich, da wurde vielleicht recherchiert. Und wird analysiert, zitiert, kritisiert. Immer wieder die Rolle der SVP erwähnt, sogar Gottseibeiuns Christoph Blocher hat einen Auftritt mit Zitat.

Der Anfang eines überlangen Artikels.

Nur: alle, wirklich alle kommen zu Wort, die mit dieser unendlichen Geschichte etwas zu tun hatten. Bloss die Partei oder ihre Exponenten, die wohl die entscheidende Rolle beim Versenken des Rahmenvertrags gespielt hat – nichts. Kein Wort, kein Gespräch.

Früher hätte man so einen Text den Autoren um die Ohren geschlagen. Um die Hälfte kürzen, und unbedingt Quotes der SVP einbauen, ihr Pfeifen. Und gibt’s eigentlich einen Aufhänger, so ein halbes Jahr nachher? Heutzutage wird der Text abgedruckt, trotz rigoroser Qualitätskontrolle im Hause Tamedia.

Ist doch mal was anderes als immer nur Fremdtexte übernehmen.

Ach, du liebe «Zeit»

Habe sie schon wieder gelesen. Hätte ich wieder nicht tun sollen.

Was für ein Format. 56,5 auf 39,5 cm. Aufgeklappt gar 79 cm breit. Keine Lektüre in der S-Bahn zur Stosszeit. Zugegeben, bis hierher ist es copy/paste. Aber damals schloss sich eine Lobesarie an. Die kann nicht nochmal gesungen werden.

Denn diesmal ist der erste Bund der Ausgabe 28. Oktober 2021 ein Totalflop. Einzig lustig das Foto des Siegers der «Deutschen Bartmeisterschaften». Der hat ein derart kunstvolles Gewinde aus seinen Barthaaren gemacht, dass man sich vor dieser Zwirbelei nur verbeugen kann. Bravo, Christian Feicht aus Altötting.

Beim Barte des Bayern, der kommt wohl zu sonst nix …

Ein «Gastkommentar» der beiden angelsächsichen Wissenschaftler Joseph E. Stiglitz und Adam Tooze. Beide nicht mehr im Zenit ihrer Bedeutung, und nun raten sie schwer davon ab, dass Christian Lindner (FDP) Finanzminister wird. Hä? Genau, was geht die das an.

Dann wird die uralte Frage, wieso die «Politik so frauenlos wie eh und je» sei, nochmal nicht beantwortet. Passend zum Abgang der deutschen Bundeskanzlerin, die wohl eine Frau ist. Artikel: Gerichte sollen helfen, die Klimaziele durchzusetzen. What a joke, wie der Ami sagt. Ein Porträt des möglichen französischen Präsidentschafrtskandidaten Éric Zemmour. Eigentlich erfährt man über ihn nur, dass er «noch rechter als Le Pen» sei, höflich, aber brandgefährlich. Mit welchen Ansichten er sich diese Qualifikation verdient, davon sind eigentlich nur Spurenelemente in dem «Zeit»-langen Artikel vorhanden.

Eine «Streit»-Seite, ob man die private SMS des Springer Boss’ Mathias Döpfner hätte veröffentlichen dürfen oder nicht. Abgesehen davon, dass sie öffentlich ist: Die Argumente dagegen überzeugen, die dafür sind nicht erkennbar.

«Wirtschaft»? Gähn. «Wissen»? Schnarch. Eigentlich müsste man diese Ausgabe unter Flop abbuchen, so wie die gesamte Schweizer Sonntagspresse. Wenn da nicht wieder das «Dossier» wäre. Nein, diesmal nicht unbedingt mit einer Eigenleistung, aber mit einer Trouvaille. Nein, mit zwei.

Ein begeisterndes Interview mit einer beeindruckenden Frau

Zunächst ein Interview mit Inge Jens. Ja, die Witwe von Walter Jens, der 2013 nach langer Dunkelheit in zunehmender Demenz verstarb. Wobei Witwe hier zur Einordnung nötig ist, die 94-jährige Autorin ist dermassen hell im Kopf, hat dermassen weise, trockene, unaufgeregte Antworten auf alle Fragen, dass es eine helle Freude ist, das lange Interview zu lesen.

Und bei der Schlussfrage bleibt Bedauern, dass es nicht weitergeht. Als Appetithäppchen: «Sie sollen Ihr Begräbnis schon genau geplant haben. Ihr Wunsch ist es, dass bei der Trauerfeier in der Tübinger Stiftskirche Brahms’ Requiem in Auszügen gespielt wird

«Es wird wohl doch was anderes. Ich habe mit dem Kantor geredet, und er meinte, sie müssten das Brahms-Requiem ganz neu einstudieren. Ich habe gesagt: Lassen Sie’s, dann nehmen wir Mozart.»

Was für einmal die Fragesteller ehrt, ist diese Einleitung zu einem heiklen Thema, der Selbstmord ihres Sohnes: «Im vergangenen Jahr ist auch Ihr Sohn Tilman gestorben. Dürfen wir mit Ihnen darüber sprechen?»

Die Antwort: «Selbstverständlich. Fragen Sie!»

Was für eine Dame, mit welcher Lockerheit stellt sie feministische Absonderlichkeiten richtig, wie weise beschreibt sie ihr Leben, ihre Begegnungen, ihre Rolle.

Noch nie von Robert Blum gehört? Eine Wissenslücke

Die zweite Trouvaille kommt wieder von einem Engländer, Christopher Clark. Spätestens seit «Die Schlafwandler» hat sich der Geschichtsprofessor aus Cambridge in den Olymp der Historiker geschrieben.

 

Das erhellende Buch zu einem x-mal beschriebenem Thema.

Hier macht er auf Robert Blum (1807 – 1848) aufmerksam. Ein deutscher Demokrat, Beförderer des ersten Versuchs, eine Demokratie auf deutschen Boden zu errichten, ein Kämpfer für seine Sache mit Leib und Seele, aber auch jemand, der auf Ausgleich bedacht war und immer versuchte, Koalitionen zu schmieden, um das Mögliche durchzusetzen, nicht das Unmögliche zu träumen.

Allzu früh endete sein Leben vor einem Erschiessungskommando in Wien, nachdem der reaktionäre Feldmarschall Windisch-Graetz die Aufständischen in der österreichischen Hauptstadt eingeschlossen hatte und den Widerstand niedermetzelte. Blum hatte sich ihnen angeschlossen, zutiefst beeindruckt von ihrer Courage und Entschlossenheit.

Er wurde gefangengenommen, und sein Verweis darauf, dass er als Abgeordneter des deutschen Parlaments Immunität besass, wurde weggewischt. Am 8. November 1848 verurteilte ihn ein Kriegsgericht zum Tode, am nächsten Morgen wurde er hingerichtet.

ZACKBUM war er nicht bekannt, wir sind dankbar für das Schliessen dieser Wissenslücke.

Wirklich zwei hell leuchtende Sterne am «Zeit»-Firmament, das ansonsten eher dunkel bleibt. Auch im völlig belanglosen Schweizer Split, der das Dossier hinten runterzieht.

Tiefer Sturz in die Schweizer Belanglosigkeit

Während die «Zeit» Inge Jens eine Plattform zur Erquickung und Erleuchtung des Lesers bietet, füllt das Schweizer «Magazin» beinahe das ganze Heft mit einem Porträt von Martina Hingis*. Nichts gegen diese Ausnahmetennisspielerin, aber will man ihr Leben, ihre Ansichten, ihre Meinungen oberhalb und unterhalb eines Filzballs wirklich auf Seiten ausgewalzt lesen? Eher nicht.

Das Editorial von Finn Canonica warnt allerdings schon vor. Er geistreichelt: «Tennis ist wie Französisch und Fussball wie Englisch. Fussball spielen kann man auch, wenn man nicht wirklich Fussball spielen kann. Ebenso ist es mit der englischen Sprache.»

Wahnsinn, welch eine Metapher. Geht da noch einer? «Ohne mühsam erworbene Grundkenntnisse ist es unmöglich, in Paris Crêpes au (nicht avec!) Nutella zu bestellen und sich nicht wie ein Vollidiot zu fühlen.»

Crêpe ohne Nutella für Nicht-Idioten.

Wir würden sagen: Man muss sich wie ein Vollidiot fühlen, wenn man Crêpes mit diesem Brotaufstrich bestellt. Ein italienisches Verbrechen: «Sie besteht überwiegend aus Zucker mit Zutaten von Palmöl, gerösteten Haselnüssen, Milchpulver, Kakao, Sojalecithin und Vanillin», weiss Wikipedia. Und wer in Paris oder anderswo nicht ein Crêpe mit einem der vielen anständigen Beläge bestellt, müsste Lokalverbot bekommen. Oder Schreibverbot. Oder beides.

*We did it again. Dafür gibt’s morgen einen Frauentag, versprochen.