Früher – heute

Früher war nicht alles besser. Aber «Das Magazin» schon.

«Milde ausgedrückt, würde ich Impfgegner am liebsten auf den Mond schiessen. Sie müssen kolossale Egoisten sein.» Früher hätte ein Chefredaktor, der sein Editorial im «Magazin» für solch unanständiges Gerempel missbraucht, kräftig die Kappe gewaschen gekriegt und sich in der nächsten Ausgabe entschuldigen müssen.

Heute wird das Finn Canonica sicher nicht passieren, trotz rigoroser Qualitätskontrolle im Hause Tamedia.

Das hätte Daniel Binswanger in der «Republik» höchstens für ein Vorwort gereicht: 45’663 Anschläge druckt das «Magazin» zur Geschichte des Scheiterns des Rahmenabkommens. Warum? Darum, Christoph Lenz und Gebrauchskonzernjournalist Philipp Loser hatten halt Lust auf das Thema.

Langfädiger szenischer Einstieg mit Wetterbericht «Die letzten Wolkenfetzen einer Kaltfront hingen noch über Bern, …». Ein Flug der Staatssekretärin Livia Leu nach Brüssel, atemberaubend. Heutzutage darf auch dieses Selbstlob nie fehlen:

«Die Suche nach Antworten hat uns in den letzten Monaten zu rund zwanzig Parteipräsidenten, Aussenpolitikerinnen, Top-Diplomaten und Wirtschaftsvertreterinnen geführt.»

Unglaublich, da wurde vielleicht recherchiert. Und wird analysiert, zitiert, kritisiert. Immer wieder die Rolle der SVP erwähnt, sogar Gottseibeiuns Christoph Blocher hat einen Auftritt mit Zitat.

Der Anfang eines überlangen Artikels.

Nur: alle, wirklich alle kommen zu Wort, die mit dieser unendlichen Geschichte etwas zu tun hatten. Bloss die Partei oder ihre Exponenten, die wohl die entscheidende Rolle beim Versenken des Rahmenvertrags gespielt hat – nichts. Kein Wort, kein Gespräch.

Früher hätte man so einen Text den Autoren um die Ohren geschlagen. Um die Hälfte kürzen, und unbedingt Quotes der SVP einbauen, ihr Pfeifen. Und gibt’s eigentlich einen Aufhänger, so ein halbes Jahr nachher? Heutzutage wird der Text abgedruckt, trotz rigoroser Qualitätskontrolle im Hause Tamedia.

Ist doch mal was anderes als immer nur Fremdtexte übernehmen.

2 Kommentare
  1. Simon Ronner
    Simon Ronner sagte:

    Nach dem EWR-Nein 1992 konnte sich die Elite aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Journalismus jahrelang selbstgerecht über den Pöbel Stimmbürger auslassen. Schliesslich hatte man nun den Beweis, zu was für kreuzfalschen Entscheidungen die dumme, verführbare Masse bei Volksabstimmungen verführt werden kann. Gefährlich, gefährlich! Wir sollten doch alle wissen, wohin das führen kann… Dann doch besser mit vagem Soft Law, alternativloser Global Governance und diplomatischen Vereinbarungen unter Wertegemeinschaften den demokratischem Prozess umgehen.

    In weiser Voraussicht auf eine todsichere Klatsche an der Urne hat der Bundesrat beim Rahmenabkommen präventiv gehandelt und den Stecker gezogen. Ein halbes Jahr später sind die beiden Linksaussen Philipp Loser und Christoph Lenz (ehemaliger AL-Politiker) noch immer so fassungslos wie entsetzt. Der lachhaft überlange Artikel im «Magazin» diente den beiden EU-Turbos wohl der psychotherapeutischen Verarbeitung.

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  2. Tim Meier
    Tim Meier sagte:

    So geht «Qualitätsjounalismus»: unangenehme Fakten weglassen, immer wieder mit den hauseigenen Teams «Faktencheck» und «Recherchedesk» bluffen und mit ganz vielen Anschlägen Kompetenz simulieren.

    Antworten

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