Somm-Untergang

Man darf (fast) alle Überzeugungen haben. Man darf (fast) alles sagen oder schreiben.

Markus Somm ist ein vehementer Advokat in Sachen Israel. Das ist völlig okay und erlaubt. Dass er dabei Wortblasen blubbert, ist auch erlaubt: «Israel hat jedes Recht, sich zu verteidigen». Genau. So wie die Palästinenser, wie jedes zur Schlachtbank geschleppte Schwein, wie eigentlich jeder und alles. Oder sollte es irgend ein Lebewesen oder eine Entität geben, die nur beschränkte Rechte hat, sich zu verteidigen?

Somm beklagt «westliche Doppelmoral» gegenüber Israel. «Demonstranten, Politiker und Medien verurteilen dessen Handlungen, wie sie es bei keinem anderen Land tun.» Kann man so sehen, muss man nicht, ist auch falsch.

Man kann auch noch ein paar Schritte weitergehen, obwohl Somm schon längst über einem Abgrund von fehlendem Realitätskontakt schwebt: «Wir alle geben uns so viel Mühe, die Juden zu resozialisieren. Dass es umgekehrt war, dass die blasierten Bewährungshelfer im Westen zweitausend Jahre lang die Juden geplagt, verfolgt und dann vernichtet haben: Man käme nicht darauf, wenn man hört und liest, wie sie über Israels angebliche Untaten urteilen.»

Langsam erreicht Somm Betriebstemperatur

Hat nicht mehr wirklich etwas mit den aktuellen kriegerischen Handlungen zu tun, aber wenn es einem Autor beliebt, soll er doch. Dann legt er aber noch einen drauf:

«Es ist ein Schwefelgeruch, der in der Luft liegt, wenn wir uns über Israel erregen.»

Schwefel? Teufel, Beelzebub? Echt jetzt?

Damit verlässt Somm endgültig den Bereich einer rational verständlichen Argumentation. Aber auch das ist nur die Einleitung zu einer Vollklatsche:

«Ich spreche das Wort nicht aus. Nur ein Hinweis: Wenn Sie heute einen Antisemiten überführen möchten, dann geschieht es selten, dass er so dumm ist wie ein Neonazi und entsprechend brüllt – den neuen Antisemiten entlarven Sie, wenn Sie mit ihm über Israel reden. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt.»

Wie entlarvt sich denn dann der «Antisemit»? Auch dazu spricht Somm kein Wort aus, aber die Botschaft ist klar. Der Gesprächspartner zum Thema Israel wird in dem Moment zum Antisemiten, in dem er ein kritisches Wort zu Israels umfassendes Recht wagt, sich zu verteidigen. Und zwar so, wie es Israel aktuell tut.

So apodiktisch fordern nicht einmal Fundamentalisten Glaube und Gehorsam ein. Ein solches Absurd-Kriterium wäre nicht einmal dem schärfsten Verteidiger der Unfehlbarkeit von Hitler, Stalin, Mao, Pinochet oder Donald Trump eingefallen.

Apropos, wenn man schon die Kontrolle verliert, dann richtig, sagt sich Somm offenbar. So argumentierte er im wöchentlichen Krawall-Talk mit Roger Schawinski, dass die Hamas sich nur deshalb zu diesen Taten hinreissen liess, weil US-Präsident Biden den Klammergriff um den Iran lockere, den Trump angesetzt habe. Das gebe den Iranern Luft, um ihre feindselige Politik gegen Israel zu verstärken. Indem die Ayatollen ihre Hundemeute namens Hamas von der Leine liessen.

Ist zwar völlig belegfrei, aber zumindest lustig. Die Verwendung der Antisemitismus-Keule durch Somm ist’s aber überhaupt nicht. Diese Gleichsetzung jeder Form von Kritik an irgend was, die ist zutiefst gegenaufklärerisch, Ausdruck einer eigenen Gesinnungsblase, in die man zwar selber furzen darf, wo man aber keinerlei Kritik akzeptieren möchte. Weil das den Kuschelfaktor unter Gleichgesinnten stören könnte.

Danach überhitzt Somm und kriegt die Kontrollstäbe nicht runter

Hier ersetzt Somm Denkvermögen durch Starrheit, will die Grenzen des Spielfelds definieren. Und jeder, der sie seiner Meinung nach überschreitet, ist dann Antisemit. Wir hoffen für Somm, dass er sich über Herkunft, Geschichte und Verwendung des Begriffs schlau gemacht hat. Ab wann, mit Verlaub ist man denn Judenhasser?

Reicht eine Kritik an der Korruptheit des israelischen Premierministers? Wie steht es mit der Erwähnung, dass Israel mehrfach gegen das Völkerrecht verstösst, zum Beispiel, indem es in besetzten Gebieten die eigene Bevölkerung ansiedelt? Sich an diverse Uno-Resolutionen nicht hält? Kriegsverbrechen verübt? Im Besitz von Atomwaffen ist, ohne das offiziell einzuräumen?

Wann ist was keine berechtigte (oder auch unberechtigte) Kritik mehr, sondern Ausdruck von Antisemitismus? Merkt Somm nicht, dass nicht nur einige (aber keinesfalls alle) Israel-Kritiker besondere Massstäbe bei diesem Land ansetzen, sondern er selbst auch? Wird er intellektuell wirklich so kurzatmig bei Israel, dass er vergisst, dass das grossinquisitorische Allüren von ihm sind?

Rede nur über Israel, Somm legt dann sein geeichtes Antisemitismus-Messgerät an, das verkündet die unbestreitbare Wahrheit. Das ist nun bedenklich. Bar jeder Vernunft. Eine Geisteshaltung, die Somm doch immer wieder (und völlig zu recht) all diesen in ihren Denkrastern einbetonierten Linksmenschen vorwirft, die keine Argumente hören wollen, sondern nur nach dahinterstehenden Haltungen, Gesinnungen suchen.

Das selber machen, was man anderen vorwirft

Nun macht er genau das Gleiche. Kritik an Israel? Inhaltliche Auseinandersetzung damit? Ach was, da schnuppert er Schwefelgeruch, erkennt daran sofort den Antisemiten. Wer ist dann keiner? Na, nur der, der keinerlei Kritik übt, der kritiklos applaudiert oder zumindest nicht widerspricht, dass Israel jedes Recht habe, sich zu verteidigen.

Ob diese radikale Verbissenheit etwas damit zu tun hat, dass der Online-«Nebelspalter» bislang weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit Themen durchwurstelt, mit hoher Wiederholungsrate, Vorhersehbarkeit und Gleichförmigkeit, die niemanden dazu motivieren, dafür auch noch Geld auszugeben?

Zudem gleicht die Mitarbeiterschar immer mehr einer Muppetshow, in die sich einfach alte Weggenossen von Somm einreihen. Nicht unbedingt die Besten, kommt noch erschwerend hinzu. Brachial-Polemiker wie David Klein («Merkels Amtskollege Hitler») werden offenbar nicht als rufschädigend für den «Nebelspalter» wahrgenommen, weil Klein Somm in der Radikalität der Israel-Verteidigung in nichts nachsteht.

Was das alles allerdings mit dem Anspruch zu tun hat, einen liberalen, neugierigen, Widersprüche aushaltenden, geradezu fordernden Journalismus ohne Denkverbote zu betreiben? «Wir suchen nach der Wahrheit», heisst es vollmundig in der Selbstdarstellung des neuen «Nebelspalter». Wie das mit solchen Scheuklappen, mit solchen Gesinnungsverleumdungen als Ersatz für argumentative Auseinandersetzung zusammenpasst?

Da dampft es doch gewaltig und nebulös nach zweierlei Massstäben, Doppelzüngigkeit, Heuchelei. Alles Eigenschaften, die in einem journalistischen Anspruch, der «liberal, dass es kracht» sein will, nichts zu suchen haben.

Schade eigentlich; damit verabschiedet sich der «Nebelspalter» von jedem Anspruch, eine liberale Alternative zu «Weltwoche» oder «Republik» zu sein. Denn der Fisch stinkt vom Kopf, wenn man das sagen darf, ohne gleich als Antisemit niedergemacht zu werden.

 

 

 

Am deutschen Wesen …

Ein Scherz eines überaus erfolgreichen und beliebten Oberbürgermeisters. Übelste Beschimpfungen, völlig belegfrei. Wir warten auf den Schweizer Nachzug.

… soll die Welt genesen. Davon sind inzwischen auch die deutschen Grünen zutiefst überzeugt. Welchen Weg nach unten haben die zurückgelegt. Seit Claudia Roth noch als kleine Sekretärin (durfte man damals so sagen) in einem Bundestagsbüro sass, als die Grünen zum ersten Mal Abgeordnete wurden.

Ich schrieb die ironische und vieles vorausahnende Reportage darüber, Claudia gratulierte: «Wie ein Hubschrauber mit zwei gegenläufigen Rotoren, und immer der erhobene Zeigefinger, genau, so sind sie, danke.» Heute würden sie ohne zu zögern das Wort Grün durch Hellbraun oder Pissgelb ersetzen, wenn das die Chance vergrösserte, Bundeskanzlerin zu werden. Ein Blasenschwätzer wie Parteichef Robert Habeck, gegen den sogar Joschka Fischer ein Ausbund von Prinzipientreue war, eine machtgierige, alle ihre vielen Schwächen in weibliche Waffen verwandelnde Annalena Baerbock, das Dreamteam für den zutiefst verlogenen urbanen Heuchler.

Oberbürgermeister, Grüner, erfolgreich? Na und, Rassist

Da zeigt eine erfolgreiche Galionsfigur der Grünen, der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ein weiteres Mal, dass man die Finger von Twitter lassen sollte. Genauso, wie man in der freien Rede manchmal stolpert, stockt, Slalom spricht, sogar Unsinn, ist es auch bei diesem keifenden Sumpf. Das Parteiausschlussverfahren sei «unvermeidlich» donnert da Habeck, Palmer habe «rassistische und beleidigende Sätze» gepostet. Im Zeichen der Mitmenschlichkeit und Toleranz, aus Respekt vor einem grünen Kollegen, der im Gegensatz zu ihr schon einige Jahre Verantwortung trägt, und das gut, hatte Baerbock bereits die potenzielle Gefährdung ihrer Kanzlerkandidatur erkannt und zuerst Palmers Rausschmiss gefordert.

Verantwortung, Erfolg? Na und, Palmer muss weg.

Wegen welcher Sätze? Ist doch völlig egal; zwar hat Palmer nicht das Wort Auschwitz verwendet, aber er ist halt Rassist, wussten wir doch. Eigentlich müsste diese Partei ein errötendes Rot zur Leitfarbe ernennen. Aber da sind die Grünen abgehärteter als ein Bürogummibaum. Rot werden, niemals. Wer deren Sprechblasen betritt, ist in einer schamfreien Zone.

Es geht aber noch schlimmer

Noch schlimmer erwischte es den ehemaligen Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maassen. Man erinnert sich noch? Seine Zweifel an der Authentizität eines Videos, das angeblich die Hatz auf Ausländer nach einem Mord in Chemnitz belegen sollte, kosteten ihn das Amt. Dass er, wie nachträglich bewiesen wurde, damit völlig recht hatte, was soll’s.

Der Plattform achgut.de gelang es, die Autorin des Kurzvideos zu sprechen, die die Zweifel von Maassen vollständig bestätigte. Aber achgut, Zweifel an der Wahrhaftigkeit einer Gruppe namens Antifa Zeckenbiss, wo kämen wir da hin. Ist es vermessen, an die damals schon gefährlich kontaminierten Hassblasen der Linken zu erinnern? Nur, weil’s ein eignes Werk ist? Wenn es gut gealtert ist, wohl nicht.

Nun tritt Maassen als Bundestagskandidat für die CDU an. Das sorgt für Hallo, und wenn etwas für Hallo sorgt, dann muss es in die Talkshow. Obligatorisch. Da sass dann der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet und musste sich von der «Fridays for Future-Aktivistin» Luisa Neubauer vor laufender Kamera bei Anne Will anhören: «Sie legitimieren rassistische, antisemitische, identitäre und übrigens auch wissenschaftsleugnerische Inhalte, verkörpert durch Hans-Georg Maaßen.» Der verbreite Inhalte antisemitischer Blogs.

Das erinnert nun stark – nein, nicht an Auschwitz – an frühere Vorwürfe, dass der linke Politiker doch von Moskau gesteuert, wenn nicht bezahlt sei, antikapitalistisch den Umsturz der Gesellschaftsordnung anstrebe, und, wenn alt genug, schon zu Zeiten des Hitler-Faschismus als landesverräterischer Widerstandskämpfer tätig gewesen sei. Das musste sich zum Beispiel der Friedensnobelpreisträger Willy Brandt anhören, von Herbert Wehner ganz zu schweigen.

Der Widerstandskämpfer und Kommunist Herbert Wehner.
Würde heute weder bei den Grünen noch in die SPD aufgenommen.

Aber dumme, geschichtsvergessene Pöbler wie Neubauer holzen heute in diesem Ungeist weiter, einfach spiegelverkehrt. Laschet forderte nach dieser Schmähung eines Abwesenden Belege für solch grobe Anschuldigungen. Die blieb Neubauer während und nach der Sendung schuldig. Dafür bemühte sich Moderatorin Will darum: «Schauen wir uns an, versuchen wir zu belegen», sagte sie in der Sendung.

Der Beweis: Antisemitismus und anderen Hetze

Um nachher Threats zu teilen, in denen beispielsweise die Hetzgruppe «Union-Watch», die sich mit der CDU/CSU aus «einer politisch linken Sichtweise beschäftigt», «Belege» für die haltlosen Verleumdungen Neubauers anführen will: «Ob ex-Verfassungsschutz-Chef Maassen ein Antisemit *ist*, kann man nicht rechtssicher feststellen. Was jedoch gesichert ist: er verbreitet regelmäßig und seit Längerem Antisemitismus und andere Hetze.»

Wie das? Nun, Maassen verwende beispielsweise Begriffe wie «Globalisten» das sei in der rechten Szene eine Chiffre für Juden. Dann auch noch «sozialistische Umerziehung» oder gar «Politikerkaste». Schlagende Beweise, was will man mehr?

Man will diesem immer weiter galoppierenden Hirnmüll Einhalt gebieten. Dieser Manie, in Ermangelung von Argumenten sprachpolizeiliche Ermittlungen anzustellen. Auch dafür ist das Wort Auschwitz nicht angebracht. Aber der Verweis auf die Nazi-Tradition der Sprachreinigung, der Ausmerzung jüdischer, bolschewistischer Sprachverunreinigungen, der ist mehr als angebracht.

Was wohl Kermit, der Frosch, über die Grünen denkt?

Wer hier in der Schweiz denkt: die Deutschen spinnen halt, der kennt unsere linken Sprachreiniger und Gesinnungsverurteiler schlecht. Auch denen mangelt es an Argumenten, weshalb sie nicht auf Aussagen, sondern auf angeblich dahinter stehende Gesinnung zielen, auf den Menschen. Und selbst Adolf Muschg den Mund verbieten wollen, rotglühend erzürnen, wenn der es sich leisten kann, auf dieses kultur- und kenntnislose Gewäffel, selbst von einer diesen Begriff verunzierenden Literaturchefin, so zu reagieren:

«Ich nehme nichts zurück.»

Um das zu bringen, war das Schweizer Farbfernsehen, das sich bereits in den Staub geworfen hatte, zu feige. Es forderte Muschg zwar zu einer Stellungnahme auf, der machte sich dann über sich selbst lustig, wie er hatte denken können, das seine sofort abgelieferte Erklärung auch gebracht würde. Das musste dann die «Weltwoche» erledigen, dieses rechte Hetz- und Lügenblatt. Während alle aufrechten, dem Humanismus und der Wahrheit verpflichteten Organe über Muschg wohlfeil herfielen. Wobei sich’s im Zwergenreich am besten schimpfen lässt, wenn der Normalwüchsige abwesend ist.

 

Die Pfusch-Force sollte weg

Jeder Journalist weiss inzwischen: willst du einen Aufreger, nur die Corona-Task-Force fragen.

Dass sich die «Swiss National COVID-19 Science Task Force» so ziemlich in jeder Beziehung lächerlich gemacht hat, ist kein Geheimnis. Kakophonie, immer neue Horrorszenarien, Warnungen, Befürchtungen.

Gar mit eigener Pressekonferenz, in der die Entscheidungen des Bundesrats und der Kantone beäugt, selten gelobt, häufig kritisiert wurden. Ab und an trat ein Mitglied aus, unter Protest, oder weil die öffentliche Präsenz für einen besseren Job gesorgt hatte.

Diese Task Force hatte sich kurzerhand selbst ins Leben gerufen und dann an den Bundesrat rangeschmissen. Kostenlose Beratung durch die wirklichen Cracks der Virologie und Epidemiologie; erst noch gratis. Da konnte der Bundesrat nicht nein sagen. Obwohl es doch seit Jahren eine «Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung» gibt. Genau für solche Fälle; repräsentativ gewählt, kompetent – und ins Abseits gedrängt.

Immer ein Szenario zur Hand, in düsteren Farben

Die Glitzer-Task-Force, die entweder in corpore wichtig in die Kameras unkte, oder aber Solo-Auftritte hinlegte, wenn ein Mitglied unter mangelnder Aufmerksamkeit litt, pustete ein «Szenario» nach dem anderen raus. Die alle zwei Dinge gemeinsam haben, kann man überprüfen: sie waren viel zu pessimistisch. Und sie trafen nie ein. Was speziell merkwürdig ist, weil normalerweise die Eintrittswahrscheinlichket bei binären Prognosen steigt, wenn man immer die gleiche wiederholt.

Morgen regnet’s. Ausserhalb der Wüste Gobi wird und muss das einmal zutreffen. Die Prognosen der Task-Force lagen aber immer daneben. Glücklicherweise hört man auch immer weniger auf sie. Nun könnte es durchaus ein wissenschaftlich interessanter Ansatz sein, sich zu fragen, wieso eigentlich diese Task Force so konsequent sogar ausserhalb der Wahrscheinlichkeit falsch liegt.

Da stellte sich der Task-Force-Chef Martin Ackermann den bohrenden Fragen der NZZaS. Wenn das ein Ausdruck der Befähigung zu Selbstreflexion, Ursachenüberprüfung oder der Fehlerkultur in der Wissenschaft sein sollte, dann gute Nacht.

  • Frechheit eins: «Es gibt einen Unterschied zwischen Alarmschlagen und Alarmismus.» Worin besteht der genau, wenn Ackermann bis zu 20’000 Neuinfektionen täglich in diesem Frühling vorhersagte, es zurzeit aber nur 2000 sind?
  • Und überhaupt, Frechheit Nummer zwei: «Das war das schlimmste von mehreren Szenarien.» Na, das ändert alles, dann war’s nicht um den Faktor 10 daneben, sondern halt ein «schlimmes Szenario». Also keinerlei Fehler gemacht?
  • Ackermann räumt ein: «Ich gehe vor allem von drei möglichen Punkten aus, die wir falsch eingeschätzt haben könnten.» Also der gedoppelte Konjunktiv. Aber in jeder falschen Prognose steckt ein Stückchen Trost: «So gesehen haben die nun kritisierten Modelle vielleicht mitgeholfen, die Pandemie zu bremsen.» Frechheit drei.
  • Das ist eine astreine wissenschaftliche Analyse. Wir haben «buhu» gesagt, immer noch viele Schweizer sind darauf reingefallen und haben Schiss gekriegt.

Das Bananenschalen-Szenario

Das ist ein Erkenntnismodell, das noch etwas ausgearbeitet werden muss. «Die Leute schmeissen immer mehr Bananenschalen auf die Strasse, das wird zu einem deutlichen Anstieg der Oberschenkelhalsbrüche führen, was wiederum die Intensivstationen an den Rand des Zusammenruchs bringt.» – «Oh ist nicht eingetroffen. Na wunderbar, hat unsere wissenschaftliche Prognose doch gewirkt.»

So ungefähr hört es sich an, wenn man den Bereich der wissenschaftlichen Seriosität endgültig verlassen hat. Der immer noch nicht gewonnene Kampf gegen die Pandemie ist aber zu ernst, um eine solche Blödeltruppe weiterhin Zugang zu öffentlichen Plattformen zu erlauben.

Da sie ja, vielleicht abgesehen von ein paar Insidergeschäften, nichts verdient, sollte das doch niemanden kratzen. Selber konstituiert, selber sich abgeschafft, das wäre endlich ein Beitrag zur Versachlichung der Debatte.

Pech für die Journalisten; aber es gibt ja noch genügend Einzelkämpfer-Unken, die man jederzeit in Stellung bringen kann.

Erinnert sich noch jemand?

Corona: Das Weisse Rauschen

Mal Hand aufs Herz: Haben Sie noch den Überblick? Was erlaubt ist, verboten, was kommt?

  • «Fallzahlen um 98 Prozent gesenkt: wie haben die Portugiesen das geschafft?» Das verrät uns der «Blick».
  • «Gastrosuisse will seine Gästedaten direkt an den Staat liefern.» Das weiss nau.ch.
  • «Basel: Hunderte tanzen im Bahnhof zu Hymne gegen die Corona-Massnahmen», beobachtete «20 Minuten».
  • «Die Schweiz als riesiges Wartezimmer – wie die Corona-Impfung vom grossen Versprechen zur Hängepartie wurde.» (NZZ, hinter Bezahlschranke).
  • «Verbreiteter Irrtum: Wie man sich auch auf einer Restaurant-Terrasse mit Corona anstecken kann.» (CH Media, hinter Bezahlschranke)

Der Selbsttest: Wissen Sie aus dem Stand, was Sie heute mit und was ohne Maske tun dürfen? Kommt der Impfpass mit Privilegien? Gewinnt die Schweiz den Kampf gegen die Pandemie, oder steht’s immer noch unentschieden? Wollen wir mal wieder über die volkswirtschaftlichen Schäden reden?

Ist nun alles gut mit dem Impfen? Werden wir den Sommer geniessen können? Wird es im Herbst dann wieder die übliche Welle geben? Was kehrt wieder zur alten Normalität zurück, was nicht?

Geben Sie’s zu, ich gestehe es auch: Nach weit über einem Jahr Corona, Corona, Corona verschmilzt alles zu einem weissen Rauschen. Leistungsdichtespektrum, so nennt man das in der Physik. Es sind keine einzelnen Töne mehr zu unterscheiden.

Absicht oder Zufall oder Inkompetenz?

Wird diese Granulierung, diese Homogenisierung, dieser Brei absichtlich hergestellt? Absichtlich im Sinn von: mit planhaften Hintergedanken? Soll ausprobiert werden, wie schnell und wie lange sich grössere Teile der Bevölkerung zu Untertanen-Schafen machen lassen? Mit welchen Trigger-Begriffen man Abweichendes, Ausbrechendes, den Status quo Gefärdendes stigmatisieren und diskriminieren kann?

Fällt es niemandem wirklich auf, auf welch kläglichem Niveau der öffentliche Debatte wir schon angelangt sind? Da verwendet der letzte lebende Grossschriftsteller der Schweiz das Wort Auschwitz, um seinen vorangehenden, bedenkenswerten, aber für die aktuelle Wisch-und-Weg-Leserschaft viel zu langen und komplexen Gedankengang wenigstens für mehr als eine Minute im Diskurs zu halten.

Und was passiert Adolf Muschg? Das ist ihm gelungen, aber kein Mensch interessiert sich wirklich für seine Kritik am Blasendenken, daran, dass der Rassismus- oder Sexismus-Kritiker so häufig mit den gleichen faschistoiden Methoden bekämpft, was er eigentlich verabscheut. Und dieser Widerspruch ihm überhaupt nicht auffällt.

Wenn selbst das nicht mehr möglich ist, von ganz wenigen, löblichen Ausnahmen abgesehen, alle einmal blub sagen, Auschwitz, zweimal blub sagen Cancel Culture, dreimal blub sagen: geht gar nicht.

Auschwitz ist plakativ

Auschwitz; notfalls hilft Google, damit kann man etwas anfangen. Auf die zeitgemässe Art: indem man sich fürchterlich erregt. Da kreischt doch ein selbstvergessener Geschichtsprofessor ungehemmt rein: «Herr Muschg sollte sich in Grund und Boden schämen.» Mensch und Meinung, deckungsgleich? Schämen, bereuen, büssen, entschuldigen, bringt das die Debatte einen Millimeter weiter?

Wer debattiert überhaupt noch? Spontane und vorbereitete Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen? Da fragt die Journaille bang: Gibt es wieder ein Krawall-Wochenende? Und reibt sich schon die Hände. Journalisten schwärmen aus und bieten Chaoten aus dem Schwarzen Block an, dass sie sie berühmt machen können, wenn die einen Einsatzplan mit Uhrzeit rüberwachsen lassen. Denn dann ist der Reporter zufällig vor Ort, hat das exklusiv, die Chaoten kommen in die Medien, alle sind zufrieden.

Schon dieser Artikel reicht aus, um auf die Watchlist zu kommen. Die Watchlist von potenziell zu Verschwörungstheorien neigenden Menschen. Denn jede Theorie gegen die maskendumpfe, das Gehirn stilllegende, ein Leichentuch über die Gesellschaft werfende Staatspolitik ist ­– Verschwörungstheorie. Verschwörungsanhänger sind bekanntlich im besten Fall harm- und bedeutungslos, im schlimmsten brandgefährlich.

Man wird ihrer nur Herr, wenn man sie vom Diskurs auschliesst. Meinungen, und damit gleiche Menschen, zum unerwünschten Ausländer erklärt. Weg damit. Und das mit der Beschallung mit weissem Rauschen ergänzt, damit die Welt in Fraktale zerfällt. In endlose, unendliche Knäuel. Schön anzuschauen, aber selbstreferenziell nur sich selbst enthaltend.

Genau wie diese Blasenbewohner. Die zu Zeiten der Aufklärung von Denis Diderot und so vielen anderen aus den Salons gelacht worden wären. Aber heute bestimmen sie die modernen Salons, die Pöbelplattformen, die Monopolmedien. Und weil sie wenigstens erahnen, dass ihre geistigen Fähigkeiten höchstens dazu reichen, schillernde Blasen zu blasen, wollen sie keinerlei Widerworte zulassen. Weil das dann die Stecknadeln wären.

Dummheit ist ansteckend

Leider eine weitere Folge. Inzwischen ist das Virus auf die Credit Suisse übergesprungen.

Am Donnerstag gab die einstmals stolze und starke Bank ihr Quartalsergebnis bekannt. Reinverlust eine runde Viertelmilliarde. Mindestens 7 Milliarden mit nur zwei Investitionen verröstet. Einem vorbestraften Family-Office-Manager 10 Milliarden Spielgeld geliehen, vielleicht sogar 20. Also die Hälfte des geschrumpften Eigenkapitals. Risk Management, gesunder Menschenverstand, Kontrolle, die simple Frage: was machen wir da eigentlich, und ist das tatsächlich sinnvoll? Abwesend.

Aktienkurs seit Februar um ein Drittel geschrumpft, und wir messen hier sowieso schon im Keller. Von einstmals stolzen 13,50 Franken auf etwas über 9 Franken. Erinnert sich noch jemand daran, dass er mal über 60 Franken war?

Das ist die Realität. Nun gibt es in jeder Bank die sogenannte Corporate Communication. Also die Oberhoheit über alles, was die Bank so rauslässt. Das hat sehr häufig mit Compliance zu tun, also was muss man zu einem Anlageprodukt sagen, welche Gesetze und Vorschriften müssen eingehalten werden.

Der anspruchsvolle Auftrag

Das ist der dröge Teil der Arbeit. Etwas anspruchsvoller sind die Quartalsberichte und der jährliche Geschäftsbericht. Denn da geht es immer häufiger darum, aus Scheisse Gold zu machen. Also das Kunststück zu vollbringen, Desaster und Katastrophen und Versagen so aufzuhübschen, dass es sich viel weniger schlimm anhört, als es eigentlich ist.

Dabei gibt es aber ein Problem. Man kann ein Ei bunt anmalen. Ein Schleifchen drum drapieren. Es in ein süsses Nest legen. Es sogar golden ansprayen. Aber wenn man es aufschlägt, und es ist ein faules Ei, dann verbreitet sich unvermeidlich ein übler Geruch. Da nützt dann die ganze Dekoration nichts.

Angesichts der aktuellen Zahlen der Credit Suisse wäre es zwar angebracht, einfach zu sagen: Es ist grauenhaft, wir beschäftigen Totalversager für viel Geld. Dafür entschuldigen wir uns, haben sie alle rausgeschmissen und hören endlich auf, Investmentbanking zu spielen, wo die «stupid gnomes from Zurich» seit Anfang an nur Verluste gemacht haben.

Etwas eleganter und staatstragender formuliert, wäre das eine Ansage, die mit der Realität in Kontakt steht. Aber wer das Statement von CS-CEO Thomas Gottstein verfasst hat, ob intern oder – immer noch gefüllte Geldtröge für die darauf spezialisierten Agenturen – extern, der müsste zugeschüttet werden. Nein, nicht mit Gold.

Hätte ein böser Satiriker diesen Text als Persiflage verfasst, es wäre geschmunzelt worden, aber er bekäme gesagt: Vielleicht etwas weniger Gas geben, sonst wird es wirklich zu unrealistisch. So etwas sagt doch kein CEO.

So etwas sagt dieser CEO:

«Unser zugrunde liegendes Ergebnis unterstreicht die Ertragskraft der Credit Suisse.»

Wohlgemerkt, dieses Ergebnis beinhaltet, dass die CS in nur einem Quartal mindestens 7 Milliarden Franken verröstet hat. Mit lediglich zwei riskanten Wetten, bei denen sie einen guten Teil des Eigenkapitals ins Feuer gestellt hat.

Problem? Was für ein Problem? Wo ist ein Problem?

Aber, das ist kein Anlass zu Panik, liess sich Gottstein in den Mund legen. Eigentlich läuft alles bestens, vor allem, weil «wir alles daransetzen, dass die Credit Suisse gestärkt aus dieser Situation hervorgehen wird.» Das freut natürlich den gequälten Aktionär ungemein, vor allem, weil im völlig Ungefähren bleibt, wann denn «diese Situation» gestärkt verlassen wird. Und was das eigentlich heissen soll.

Selbstredend wird durchgegriffen, neu aufgestellt, «Inakzeptables» wird nicht länger akzeptiert, selbstverständlich verzichtet die Geschäftsleitung – und freiwillig auch VR-Präsident Urs Rohner – auf den Bonus fürs letzte Jahr. Das ist nett von denen, aber solange die «Key Risk Taker» sich noch jedes Jahr aus einem Bonustopf von einer Milliarde bedienen – unabhängig davon, ob sie dafür einen Milliardenverlust basteln –, kann von einem Umdenken keine Rede sein.

Damit die CS wie immer gestärkt, wie immer nach einem Schwächeanfall, «aus dieser Situation» herauskommen kann, braucht sie schlappe 1,7 Milliarden frisches Kapital. Das nimmt sie mit Zwangswandelanleihen auf. Diese Contingent Convertibles heissen in Japan «Todesspiralenanlagen». Denn sie werden zwangsweise in Aktien umgewandelt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Bis vor Kurzem stotterte die CS noch bis zu 10 Prozent Zinsen auf die erste Runde in der Finanzkrise eins aufgenommene Gelder auf diesem Weg. So sieht dann die Quartalsbilanz so aus: Risk Management: versagt. Investment-Banking: versagt. Compliance: versagt. Geschäftsleitung: versagt. Verwaltungsrat: versagt. Das kann niemand schönreden, nicht einmal schönsaufen. Ausser, man will den CEO lächerlich machen. Corporate Communication: versagt.

 

 

15 Thesen zum Schweizer Mediensumpf

Jammern, klagen, warnen und fordern. Gibt’s nichts Intelligenteres?

  1. Staatliche Subventionierung privater Medienkonzerne ist des Teufels. Sie schafft Abhängigkeiten und hält am Leben, was zum Untergang verurteilt ist.
  2. Die Herstellung von News und ihre Distribution ist ein Geschäft wie jedes andere. Ist das Geschäftsmodell obsolet, geht es unter.
  3. Wenn Nachfrage vorhanden ist, gibt es ein Angebot. Immer. Der Untergang traditioneller Medienhäuser ist eine Tragödie. Aber kein Weltuntergang.
  4. Staatssubventionen machen fett, aber impotent. Sie verhindern, dass Innovation vorangetrieben wird. Wer Dampfloks subventioniert, verhindert Elektroloks.
  5. In den USA gibt es Substack und diverse weitere, interessante Experimente für anders finanzierten Journalismus. In der Schweiz ist Wüste.
  6. PBS und National Public Radio (NPR) sind zwei interessante Alternativen zur SRG.
  7. Die verordnete Zwangsabschaltung aller UKW-Sender bietet, sollte das gerichtlich gekippt werden, einen interessanten Freiraum für Neues.
  8. Die Übermacht von Google, Facebook & Co. und die clear and present danger, die davon für die Meinungsbildung ausgeht, muss dringlich staatlich gebrochen werden.
  9. Umso mehr wieder klassischer, ergebnisoffener, professioneller Journalismus betrieben wird, desto schneller verschwindet der Gesinnungs-, Meinungs- und Propaganda-Journalismus.

So kann die Zukunft der CH-Medien aussehen.

  • Das Gegenteil von Journalismus, der der privaten Profitsteigerung dient oder mit privater Finanzierung überleben will, ist einzig das Angebot/Nachfrage-Modell. Mit einer Distributionskette vom Hersteller bis zum Konsumenten, bei der ein middle man nicht den Löwenanteil des Preises absahnt. Modelle gibt es, aber wozu nachdenken, wenn man die hohle Hand machen kann.
  • Vier Verlage, vier Modelle. Tamedia setzt auf Handelsplattformen und Skelett-Journalismus. CH Media setzt auf ein Kopfblattmonster mit Multichannel-Unterstützung. Ringier setzt auf Gemischtwaren und Beherrschung ganzer Profitketten. NZZ setzt auf digitale Distribution und die USP Qualität. Nur zwei dieser Modelle haben eine Überlebenschance.
  • Die Entscheidungsträger, bzw. Besitzer kommen alle aus dem Printgeschäft. Das Internet und seine Möglichkeiten – sowie Gefahren – ist weitgehend terra incognita.
  • Es gibt hohe Hürden, um den Dinosaurier SRG auf Normalmass zu schrumpfen. Die Konkurrenzmedien sind mit Brosamen vom Subventionstisch ruhiggestellt. Aber nur so kann eine überlebensfähige Medienlandschaft in der Schweiz entstehen.
  • Durch das Duopol im Tageszeitungs-Markt ist eine gefährliche Meinungsmacht entstanden, da sich Tamedia und CH Media zudem nicht in die Quere kommen wollen. Das muss, wie jedes Monopol, zerschlagen werden.
  • Regionaljournalismus bietet eine grosse Chance. Die Nachfrage bleibt, das Angebot wird bis zur Lächerlichkeit kaputtgespart.

Oder so.

Wutbürger erbrechen sich ins Netz

Kommentarfunktion ist so eine Sache. Social Media oder Chatgruppen ist eine schlimme Sache.

Früher regelte der Rechthaber die Angelegenheiten der Welt und seine eigenen am Stammtisch. Mit zunehmendem Alkoholpegel gerne auch ausfällig. Sein Chef? Vollidiot. Andere Autofahrer? Haben das Billett wohl in der Lotterie gewonnen. Die Welt? Alles immer schlimmer, früher war noch, heute ist nicht mehr.

Die Politik, die Politiker? Alles Versager. Gekauft. Eine Schande. Auch Vollidioten. So ging der Abend dahin, dann noch eine Stange*, der schwankende Gang nach Hause. Am nächsten Morgen dröhnte etwas der Kopf, und dann diese Bierfahne. Aber alles wieder gut. Mal ein anonymes Drohschreiben abschiessen? Tippen, eintüten, Adresse suchen, frankieren, ach was, zu viel Aufwand.

Gibt’s immer noch, aber immer weniger.

Seit Internet ist das anders. Ganz anders. Als vor vielen Jahren es einer wagte, die ganzen Kommentarmöglichkeiten und die Belästigung von Hunderten Millionen Menschen mit aggressiver Idiotie als «die Pissoirwand des Internets» zu bezeichnen – schäumten die Kommentatoren auf.

So empfinden es heute noch viele als ihr Menschenrecht, das Niveau in jeder beliebigen Diskussionsrunde auf unterirdisch zu senken. Und kreischen auf, wenn man ihnen das verwehrt: Zensur, Angst vor anderen Meinungen, kein Gegenargument, unverschämt.

Es gibt immer mehr geschlossene Zirkel im Internet

Zu ihrem Glück gibt es nicht nur Social Media, sondern immer mehr Plattformen, in denen man sich in Gruppen von Gleichgesinnten zusammenballen kann. Da fault man dann gemeinsam unter Luftabschluss vor sich hin, fühlt sich aber wohl ohne jeden Widerspruch.

Das mag der Psychohygiene dienen und entlastet vielleicht ein wenig die Krankenkassen. Aber es hat mehr unangenehme bis gefährliche Auswirkungen als therapeutische.

«Volksverräter, Verbrecher, wie Sie es sind, gehören vor den Richter, enteignet und öffentlich ERSCHOSSEN! Die Bilder der Hinrichtung müssen im Bundeshaus für immer gezeigt werden.»

«Wir wissen, wo deine Kinder zur Schule gehen»

«Teufelsbrut von Bern»

«Gefängnis? Nicht genug für diese Kreatur».

In der vermeintlichen Sicherheit der Anonymität einer fiktiven Adresse lässt der Wutbürger ungeniert alles fahren, was er jemals über Höflichkeit und Anstand gelernt hat. Auch das Strafrecht kümmert ihn einen Dreck, er sieht sich gut geschützt als feiger Pöbler. Das kann aber täuschen, denn wer so durchrastet, ist meist nicht gerade ein Intelligenzbolzen.

Corona ist auch im Hirn ansteckend

Bedenklich ist aber, dass die Menge, die Massivität und die Hemmungslosigkeit zunimmt. Insbesondere seit Corona. Da beharken sich Befürworter und Gegner der Massnahmen mit einer Intensität kurz unterhalb der Kernschmelze.

Je nach Blickwinkel ist der andere ein Mörder, fahrlässig, egoistisch, ein Idiot, wenn er schärfere Massnahmen befürwortet – oder Lockerungen. Früher wurde geschrien, heute wird gekreischt.

Das trifft natürlich fast jeden, der etwas den Kopf aus der Masse heraushält. ZACKBUM, mit seiner überschaubaren Einschaltquote und dem rigiden Moderieren aller Kommentare, hat’s eher leicht. Wer mehrfach auffällig wird – ohne dass seine Kommentare publiziert würden – kommt auf die Blacklist, und Ruhe herrscht. Ist er clever genug, eine neue Fake-Mailadresse zu verwenden, kommt auch die auf die Blacklist, und gibt er immer noch nicht Ruhe, wird er darauf  aufmerksam gemacht, dass die IP-Adresse des Absenders einiges über ihn verrät.

Aber Politiker erhalten inzwischen ganze Wagenladungen von Drohungen, Beschimpfungen, gegen sie selbst und sogar gegen ihre Familie. Gerne wird auch die Privatadresse veröffentlicht, mit dem Hinweis, es dort diesem Versager mal richtig zu geigen. Das hat die NZZ mal wieder auf einer ganzen Seite beleuchtet.

Erschreckend ist vor allem, dass auch immer mehr Ämter aufrüsten. Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich lässt eine «Einlassvorrichtung» einbauen, damit steht sie nicht alleine da. Die meisten Parlamente haben – nach dem Amoklauf von Zug – schon längst physische und elektronische Eingangsbarrieren.

Wir nähern uns langsam den USA, wo vor dem Betreten einer Schule oder eines Amtes immer öfter Kontrollen durchlaufen werden müssen, die einem Flughafen in nichts nachstehen.

Neue Kampffelder für Drohungen kommen hinzu

Es eröffnen sich auch neue Kampffelder. Während früher der Kontakt mit dem Steueramt überschaubar war, müssen immer mehr Menschen eine Stundung der Steuerschulden beantragen. Eine neue, belastende Situation, die vor dem Schalter (persönliches Erscheinen erwünscht) ausgelebt wird. Mit Beschimpfungen und Drohungen; vor Weiterungen schützt die Glasscheibe.

Nicht hilfreich ist, dass die Sanktion solcher verbaler Amokläufe aufwendig und oftmals erfolglos ist. Die Bundesanwaltschaft, zuständig für Drohungen gegen Bundesräte und Parlamentarier, verzeichnet einen deutlichen Anstieg. Sie hat mehrere Strafverfahren eingeleitet. Zu einer Verurteilung ist es – noch nicht gekommen.

*Der ursprünglichen Ausdruck Tschumpeli wurde ersetzt; unsere Leser sind Alkoholkenner.

Wau! Der neue nau-Skandal

Ist eigentlich keiner, ätsch. Aber ein schönes Lehrstück über die Toleranz der Linken.

Im Medienkuchen weiss man: Wenn man etwas für rote Köpfe, Reaktionen und Gebrüll sorgen will, kann man einen von zwei professionellen Krachmachern das Wort erteilen. Der eine ist die Allzweckwaffe für alle Fragen des Antisemitismus, leider schon selbst wegen Verstoss gegen die Antirassismus-Strafnorm verurteilt.

Der andere ist Réda el Arbi. Toller Name, verständlich, dass er den Namen seiner alleinerziehenden Mutter weglässt, denn Stocker ist natürlich stocklahm dagegen. Über Jahre hinweg pflegt el Arbi seinen Ruf als Hau-Drauf für linke Angelegenheiten.

Nachdem er wegen übertriebener Härte andernorts gespült wurde, bekam er ein warmes Plätzchen bei nau.ch. Das Portal will, wie «20 Minuten» auch, sich politisch völlig neutral verhalten und weitgehend von Meinungsjournalismus absehen. Aber so eine Meinungskolumne eines bekannten Rabatzmachers, wieso nicht. Also griff el Arbi wie immer in die Vollen, schimpfte gegen «rechte und reaktionäre Kräfte», auch gegen «liberale Schwätzer», über «Ueli, der zähe Knecht und die Berset-Diktatur», prügelte auf Andreas Glarner (SVP) ein und schliesslich über die «lustigen Rattenfänger von «Mass-voll». Das sei, allerdings nur «oberflächlich betrachtet», ein Haufen von «Corona-Spinnern». Aber el Arbi geht näher und sieht «eine antidemokratische, in Verschwörungstheorien verfangene Rattenfängerbande».

El Arbi sieht in Abgründe

Den el Arbi in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Zudem ballen sich dahinter «jede Menge Staatsfeinde, Libertäre, Rechtsnationale». Und «Rattenfänger», oder sagte das el Arbi schon? Da war der um humanistische Brüderlichkeit, freie Meinungsäusserung und respektvollen Umgang bedachte Softie el Arbi gerade so schön im Schuss, als ihm die Redaktion von nau.ch leider aus rechtlichen Erwägungen die Reissleine ziehen musste.

Denn, so ist das heute: natürlich überschritt el Arbi mit seinem Gewäffel diverse Grenzen des Anstands, aber auch der Strafgesetzgebung. Gleichzeitig kam nau.ch in den Ruf, ein verkappt linksradikales Medium zu sein. Also Gegensteuer; wie es sich wohl auf einem Plattform-Medium gehört, gab nau.ch genau diesen «Rattenfängern» Gelegenheit zur Replik. Es handelt sich dabei wohlgemerkt um eine Vereinigung von rund 16 jungen Menschen, die offen hinter Mass-voll stehen und Forderungen aufstellen.

Mit denen muss man keinesfalls einverstanden sein, aber weder diese Webseite, noch eines der Mitglieder wurde bislang strafrechtlich auffällig. Also bewegt sich eigentlich alles im Bereich der demokratisch erlaubten freien Meinungsäusserung.

Von linkem Fäusteln zu rechtem Fäusteln

Aber die hört nicht nur für El Arbi dort auf, wo sie nicht mit seiner Meinung übereinstimmt. Nau.ch durfte feststellen, dass es sich nach dieser naheliegenden Replik der Co-Präsidentin von Mass-voll.ch, Carla Wicki, schwups von linksradikal zu rechtsradikal, ja angebräunt verwandelt hatte. Während vorher vermutet wurde, dass Chefredaktor Micha Zbinden sein wahres, linksradikales Gesicht zeige, liess er nun die Maske fallen, und dahinter erschien eine braune Fratze.

Aber damit nicht genug. Beschimpfen und toben ist eine Sache, aber man ist ja auch ingeniös in seiner Gegenwehr gegen angebliche Rattenfänger. Also wurde das als Leser-Blattbindung veranstaltete «Leser-Voting» mit einigem Aufwand manipuliert. Nachweisbar. Damit ergab sich auf die Frage, wie der Gastbeitrag von «Mass-Voll» gefalle, ein Verdikt von 8 Prozent «sehr gut» gegen 92 «nicht wirklich gut …».

Auch das nahm nau.ch natürlich vom Netz. Hat sich’s damit? Aber nein, es gibt ja noch Christian Beck von persoenlich.com. Seine eigentliche Berufung scheint Dichter zu sein, aber wer das hier liest, versteht, wieso er es lieber als Online-Redaktor probiert:

«Ist dieses Virus einst besiegt,

dann sicher nicht wegen ein paar Idioten.

Tatsächlich macht sich sehr beliebt,

wer sich hält an des Bundesrats Geboten.»

Sorry, Lesern mit schmerzempfindlichen Zähnen hat’s gerade eine gewischt. Sein journalistisches Schaffen ist aber auch nicht viel schmerzfreier. Zunächst twittert Adlerauge Beck: «Eigenartigerweise ist diese Umfrage auf nau nun gelöscht. Existiert da ein direkter Draht zwischen der Redaktion und #Massvoll?»

Existiert bei Beck ein direkter Draht zu irgendwas?

Dumme Fragen darf jeder stellen, auch das gehört zur Meinungsfreiheit. Schliesslich geht nichts über einen Bericht, bei dem die These schon vorher steht. Also senkt Beck das Niveau von persoenlich.com mit dem Beitrag: «Newsportal löscht manipuliertes Voting». Das könnte man so stehenlassen, wenn Beck dann nicht im Text denunziatorisch weiterfahren würde, schon im Lead: «Ein Gastbeitrag von Massnahmenkritikern ist schlecht bewertet worden. Nau entfernte daraufhin die Umfrage.» Sieht Beck in diesen beiden Aussagen keinen Widerspruch? Ein knappes «Nein» genügt ihm als Antwort.

Dazu passt die Erwähnung, dass der Text von El Arbi «damals ohne Begründung» gelöscht worden sei. Unverschämt, dass die Redaktion von nau.ch nicht sofort alle Fragen von Beck beantwortet. Micha Zbinden, Chefredaktor von nau.ch, will sich zur ganzen Miniaffäre nicht mehr äussern.

Wieso sich Beck allerdings über Löschungen erregt, wird noch unverständlicher, wenn man weiss, dass er das selbst auch tut. Denn inzwischen ist sein Tweet ebenfalls gelöscht. Ohne öffentliche Begründung. Sieht er wenigstens da einen Widerspruch? «Das ist nicht vergleichbar. Hat man sich als privater User auf Twitter im Ton vergriffen, darf man auch Einsicht zeigen. Ein Medium hingegen sollte eine Löschung oder gravierende Änderung eines Artikels transparent machen.»

Ach was. So wie das Beck auch bei Tamedia forderte, als die möglichst geräuschlos den Verleumdungsartikel über ihren Konkurrenten Hanspeter Lebrument löschen wollte? So wie das Tamedia sowieso gerne und schnell macht, wenn eine Anwaltskanzlei zum Stehsatz eines Drohbriefs greift? Aber gut, Beck gesteht ein, sich im Ton vergriffen zu haben. Hat er nicht, er hat einfach eine frei erfundene, bösartige Unterstellung in Frageform gekleidet. Aber lassen wir’s gut sein.

 

Untaugliche Verknüpfungen (Teil II)

Neben der Vereinzelung durch Selbstidentifikation mittels multiplen Ausgrenzungen, die völlig unfähig zu übergreifender Solidarität machen, gibt es auch das pure Gegenteil.

Nämlich die Verwendung von völlig sachfremden Kriterien zur Kritik von Beurteilungen.

(Hier geht’s zum Teil I)

Konkret, es gibt ja aktuell auf sieben Seiten aufgelistet solcher Vorwürfe im Hause Tamedia. Zum Beispiel. Der (hier ist, wie man unschwer erkennt, ausschliesslich das Geschlecht das Kriterium) männliche Vorgesetzte sagt zur weiblichen Untergebenen: «Sie sind gar nicht belastbar

Nun könnte man diesen Vorwurf normal hinterfragen. Stimmt das, woran kann man das messen, bezieht sich das auf einen konkreten Vorfall, ist das eine schützend gemeinte Beobachtung, ist das Ausdruck verschiedener Perspektiven, was Belastbarkeit bedeutet? Oder beinhaltet das ein Vorurteil gegen Frauen?

Das wäre normal, zweckrational, logisch. Unlogisch, eine reine Behauptung ist hingegen: das sagt ein Mann in diskriminierender, sexistischer Absicht zu einer Frau. Als Patriarch, als Macho, als Alphamännchen, das die Frau immer noch als unterlegenes, schwaches, ungenügendes Wesen in einer Männerwelt ansieht.

Zwei weitere Beispiele als Steigerung

Verschärft äussert sich das in zwei weiteren exemplarischen Vorwürfen. Der zur Beurteilung befähigte und verpflichtete Mann sagt zur Autorin: «Dieser Text ist schlecht. Ungenügend, Nicht verwendbar. Ich erkläre dir kurz, warum.» Diese Erklärung könnte sich der Mann eigentlich auch sparen. Denn er sieht sich – mit dieser Methode – sofort mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er sich so abschätzig äussere, weil es eben eine Autorin sei.

Ein weiteres, noch absurderes Beispiel. Bei einem Text, der ausschliesslich von der Perspektive junger Frauen handelte, sagte der ältere Vorgesetzte: «Es ist falsch, was du schreibst.» Darin ist enthalten, dass der ältere, männliche Vorgesetzte alleine durch diese beiden Eigenschaften gar nicht in der Lage ist, hier mitzureden.

Das ist so absurd, wie wenn man sagen würde:

Nur ein Analphabet ist legitimiert, über die Probleme von Analphabeten zu schreiben.

Ein letztes Beispiel, das nicht nur eine unerkannte Höhe der Absurdität erklimmt, sondern höchstwahrscheinlich von der deswegen auch bei den Unterschriften an erster Stelle aufgeführten Autorin des Protestschreibens stammt:

«Als jemand das Thema Gendersternchen vorschlug, hiess es erst, es sei schon genug «Klamauk» zum Thema gemacht worden. Das richtete sich nicht per se gegen eine Frau, aber gegen die Art des gendergerechten, integrierenden Schreibens.»

Hier wird sogar versucht, den nur mit dem Nonsense-Argument «Klamauk» vorgeführten, sicherlich männlichen Opponenten abstrakt zurechtzuweisen, dass er sich damit vielleicht nicht direkt «gegen eine Frau» wende, aber gegen ein «gendergerechtes, integrierendes Schreiben». Was impliziert, dass ein anderes Schreiben, nämlich ohne Gendersternchen, per Definiton genderungerecht und desintegrierend sei. Per Definition? Per reine Rechthaberei, gegen jede Rechtschreiberegel.

Es gibt keine guten oder schlechten Texte mehr

Damit ist der höchste Grad des Schwachsinns erreicht. Es gibt nicht mehr gute, publizierbare, formal und inhaltlich richtige, leserfreundlich aufgebaute Schriftstücke. Wofür es zwar keine objektiven Kriterien gibt, aber in mehreren hundert Jahren Journalismus durchaus entwickelte und anerkannte Massstäbe.

Sondern es gibt nur Texte, die keinesfalls von dazu berufenen Qualitätskontrolleuren beurteilt werden dürfen. Vor allem und eigentlich ausschliesslich, wenn sie einen solchen Text kritisieren, äussert sich darin Sexismus, männliche Arroganz, Unverständnis gegenüber der Autorin. Also ist die Kritik nicht sachlich oder gar sachgerecht, sondern diskriminierend, nicht auf das Werk, sondern auf das Geschlecht der Verfasserin abzielend.

Wenn ein solcher Unsinn in einem angesehenen und nicht gerade kleinen Verlagshaus unwidersprochen trompetet wird, und der Führungsetage bislang nichts Besseres einfällt, als schuldbeladen das Haupt zu neigen «haben mit grosser Betroffenheit gelesen, nicht akzeptabel», dann regiert wirklich das Matriachat in einer Form, die sich alle Vorkämpferinnen für Gleichberechtigung der Geschlechter nicht mal in ihren Alpträumen vorstellen konnten.

Denn «ich bin Mann, Herr im Haus und mir kann keiner» wird einfach ersetzt durch «ich bin Frau, unangreifbar und nicht kritisierbar, mir kann keiner» ersetzt. Das ist genauso absurd, nur entschieden weniger lustig als der alte Macho-Spruch: Warum ist die Frau dem Mann seit Jahrtausenden untergeordnet? Es hat sich soweit bewährt.

Die Granulierung des Betroffenseins, Teil I

Jeder für sich in seiner Privatblase und ansonsten alle gegen alle. Der neuste Unfug.

Exemplarisch wird in Holland zurzeit eine aufgeregte Debatte geführt. Wer ist legitimiert, das bei der Inauguration von Joe Biden verlesene Gedicht einer jungen Afroamerikanerin zu übersetzen?

Jeder, der’s kann und diese Flachsinnslyrik im Kopf aushält? Könnte man meinen. Zudem guckte sich der Verlag eine junge, wilde Poetin aus, die sich als non-binär bezeichnet, also wohl auch als ausgegrenzt und diskriminiert empfindet, wie Amanda Gorman in den USA.

Aber weit gefehlt. Es erhob sich grosses Geschrei der dunkelhäutigen Community in Holland, wie man es wagen könne. Denn die holländische Poetin ist – weiss. Dazu fehle ihr jeder sozio-kulturelle Hintergrund, um das Werk aus den USA adäquat übertragen zu können. Darüber könnte man hinweglachen, wenn es nicht ein Ausdruck der allgemeinen Verwilderung wäre, der Protest, Debatten, gemeinsam sind wir stark, so mühsam bis unmöglich macht.

Die offene Debatte liegt im Koma

Gleich zwei Wellenbewegungen beschädigen, oftmals zerstören sogar die offene Debatte, unser einziges und wichtigstes Alleinstellungsmerkmal gegenüber diktatorisch oder fundamentalistisch-religiös beherrschten Gesellschaften. Die offene Debatte röchelt vor sich hin.

Zunächst durch diesen Mitbetroffenheitsschwachsinn. Nur eine junge Schwarze mit ethnisch ähnlichem Hintergrund kann ein Gedicht einer anderen Schwarzen korrekt übersetzen? Nur ein Einbeiniger kann über die Probleme von Einbeinigen klagen? Nur eine Mutter darf sich zu Kindererziehung äussern? Es wird grundsätzlich bestritten, dass ohne Teilhabe, die sich in schlichter Ähnlichkeit äussert, eine Teilnahme an der Debatte über ein Problem möglich sei.

Und diese Qualifikation wird mit absurden Korrelationen erworben? Gleiche Pigmentfärbung der Haut, gleiches körperliches Gebrechen, gleicher Erfahrungshorizont? Gleiches Geschlecht, gleiche Sozialisierung? Wenn die älteren, weissen, reichen Männer im englischen Parlament auch so gedacht hätten, wäre ihnen nicht im Traum eingefallen, Sklavenhandel und Sklaverei zu verbieten.

Statt immer mehr Teilnehmer immer weniger

Früher, ja früher wurde der gesellschaftliche Fortschritt und die Erkenntnis dadurch befördert, dass im Verlauf der Demokratisierung immer mehr Teilnehmern das Mitdiskutieren, Mitstreiten, Mitdenken erlaubt wurde. Das gipfelte dann in den Erklärungen der allgemeinen Menschenrechte, die jedem alleine durch das Menschsein unveräusserliche Rechte zubilligten.

Auch das wurde zuerst ausschliesslich von wohlhabenden, nicht mehr ganz jungen  weissen Männern beschlossen. Dann entwickelte sich eine Inklusion, die den Namen auch verdiente. Von Frauen, von Besitzlosen, von ethnisch oder schlicht an der Hautfarbe erkennbar anderen. Das war seit 1776, seit 1789, seit 1848 ein grandioses Erfolgsmodell.

Bis 1989, als der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers und der damit verbundene Wegfall eines einfachen Schwarzweiss-Rasters – hier gut, dort böse – das Koordinatensystem zur Weltkartographie und die Orientierung verlorengingen. Nach kurzzeitigem Triumphalismus – das Ende der Geschichte ist erreicht  –, begann eine ganz unheilvolle Entwicklung, um neue Weltvermessungen durchführen zu können und wieder Halt zu finden in einer unübersichtlichen, chaotischen, globalisierten Welt.

Selbstdefinition durch Abgrenzung

Es begann die Granulierung, also die Selbstdefinition jedes Einzelnen durch Abgrenzung, nicht durch Gemeinsamkeit. Während es vorher eine mächtige Schwulenbewegung gab, zersplitterte sie nun. Der schwarze Schwule im Ghetto, genauso meilenweit entfernt vom weissen mittelständischen Schwulen wie der vom reichen Schwulen, unabhängig von der Hautfarbe.

Ausgebeutete und Ausbeuter, Besitzer und Habenichtse, Mächtige und Machtlose, Dominierende und Dominierte? Aber nein, so einfach ist das nicht mehr. Habenichtse müssen nach Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft, Sozialisation, Glauben, Aufenthaltsort und vielen weiteren Kriterien vorsortiert werden.

So entstehen vereinzelte Schneeflocken in ihren Blasen, die vor jedem Kontakt mit Andersartigen, aber auch mit eigentlich Gleichgesinnten, zurückschrecken. Einen schwarzen, schwulen Sozialdemokraten trennen Welten vom Ausbeuter, aber auch Welten von der weissen, weiblichen, heterosexuellen Genossin.

Komplettiert wird diese Symphonie des Wahnsinns durch eine zweite, völlig falsche Zuweisung. Indem eine Eigenschaft, die überhaupt nichts mit einer anderen zu tun hat, mit der korreliert wird, um einen sachunabhängigen Vorwurf zu legitimieren. Hä?

 

Fortsetzung folgt.