Die Walliserkanne des Wahnsinns

Ein neues Beispiel der Verluderung der Medien. Allerorten.

Die News ist schnell erzählt. Die Wirte einer Kneipe im Wallis weigern sich, die Zertifikatspflicht bei ihren Gästen zu kontrollieren. Sie werden mehrfach ermahnt, dann wird ihnen das Lokal geschlossen, der Eingang verbarrikadiert. Als sie dennoch weiter Gäste empfangen, werden sie verhaftet und in U-Haft genommen.

Daran kann man natürlich tiefschürfende Ansichten über Widerstand, Verhältnismässigkeit, Eskalation oder Schuld anschliessen. Oder man kann sich lächerlich machen.

Das gelingt eigentlich allen medialen Beobachtern bestens. Hubert Mooser gerät auf «Weltwoche Daily» in Wallungen:

«Man hört die Schreie der Betroffenen, als diese von den Beamten mit Härte überwältigt werden.»

Er hatte nicht nur sein Hörrohr nahe an der «wildwest-reifen Szene»: «wie Schwerverbrecher, gewaltiger Image-Schaden, wer hat diese überrissene Polizei-Aktion angeordnet?»

Eine Joyce Küng legt noch nach: «Jedes Fünkchen Widerstand gegen die Bekämpfungsmassnahmen einer Krankheit mit einer Überlebenschance von 99,7%, stellt sich als störend dar. Wie sonst soll die Behörde die Verordnungen rechtfertigen, wenn renitente Demonstranten ständig auf die Verhältnismässigkeit hinweisen?»

Der Boulevard hingegen legt sein Ohr an Volkes Mund: «Über die Verhaftung der Wirte am Sonntagmorgen sei der Grossteil der Einwohner und der Gastronomen erleichtert, meint ein Zermatter zu Blick.»

Es gibt Zweifel an der Verhältnismässigkeit

«Blick» berichtet allerdings auch von den Erlebnissen eines nicht unbekannten Augenzeugens, des Gastrounternehmers Mario Julen, der sich als Vermittler angeboten habe und deshalb beim Polizeieinsatz vor Ort gewesen sei: ««Im Rudel ging die Polizei auf die Familie los, mit Fäusten und Schuhen — und zwar ohne Vorwarnung.» Die Familie habe sich zunächst nicht gewehrt. Trotzdem sei Mutter Nelly «zusammengeschlagen», dem Sohn Ivan «die Schulter ausgerenkt» und dem Vater Andreas in den «Nacken geschlagen worden», beschreibt der Einheimische den Einsatz. «50 Polizisten» seien dabei gewesen, die auch ihn dann weggedrängt hätten. »

Das wiederum macht die Polizei ranzig: «Wir distanzieren uns in aller Form von diesen Vorwürfen. Der Einsatz der Polizei lief verhältnismässig ab. In diesem Zusammenhang prüfen wir derzeit, rechtliche Schritte einzuleiten.»

Zuvor hatten die Medien die Staatsorgane harsch kritisiert; so keifte der «Walliser Bote»: «Der Staat darf sich nicht von einem renitenten Wirt auf der Nase herumtanzen lassen. Man muss Härte zeigen.»

Harte Sache, für den «Walliser Bote».

Auf der anderen Seite zeigt Nicolas A. Rimoldi, wie man sich lächerlich machen kann und der eigenen Sache Schaden zufügen: «Die Schweiz nimmt politische Gefangene! Das wird nicht geduldet. Ich fahre also nun erneut von Luzern nach Zermatt. Das Mass ist voll!» «Freiheitshelden, Opfer der Behördenwillkür, Zermatter Mauer», japst er noch, und: «Ich würde es nicht verurteilen, würden unerschrockene Bürger mit schwerem Gerät die Mauer zerstören.»

Er meint damit die Betonblöcke, die die Behörden nicht sehr elegant vor den Eingang des Lokals gewuchtet hatten, als ihr Schliessungssiegel an der Türe immer wieder aufgebrochen wurde.

Man kann’s auch literarisch sehen

Die NZZ hingegen nimmt Zuflucht zur Literatur, stellt den Vorgang in «vier Akten und einem Epilog» dar: ««Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / den Vorhang zu und alle Fragen offen.» (Bertolt Brecht, «Der gute Mensch von Sezuan»)» Das nennt man wohl Verfremdung im Sinne des epischen Theaters.

Ausgerechnet mit Brecht: die alte Tante NZZ.

Auch der «Schweizer Bauer» steht den Ereignissen nicht unkritisch gegenüber:

«Weggesperrt» hört sich nicht freundlich an.

Anschliessend, Überraschung, sagen Politiker dies und das, kritisieren und fordern, verlangen und postulieren.

Schliesslich wagt sich noch Edgar Schuler von Tamedia an einen Kommentar. Der Mann, das muss man ihm nachsehen, war dazu verurteilt, mit Salome Müller, der Sternchen-Fee, den NL des Tagis herauszugeben und musste sich schwer zusammenreissen, damit er nicht auch als Beispiel für die fürchterlich demotivierende, sexistische und diskriminierende Schreckensherrschaft der Tamedia-Männer herhielte.

Scharf beobachtet: Die «Walliserkanne» sei nicht das Rütli.

Aber nun ist er befreit und darf ungehemmt his master’s voice geben. Denn Tamedia findet bekanntlich Corona-Skeptiker jeder Art bescheuert und tut alles dafür, dass das verschärfte Corona-Gesetz angenommen wird.

Dafür ist jedes Borderline-Verhalten sehr willkommen. Als ob eine Walliser Wirtefamilie einen entscheidenden Beitrag dazu leisten würde, mit ja oder nein zu stimmen, wenn es darum geht, ob ein Gesetz in Kraft treten soll, von dem ein renommierter Verfassungsrechtler in der NZZ sagt:

«Das demokratisch gewählte höchste Organ des Bundes hat mit dem Covid-19-Gesetz und seinen Änderungen zwei wichtige Artikel der Bundesverfassung missachtet und die schweizerische Demokratie grob beschädigt.»

Dabei handelt es sich nicht um einen Walliser Wirt, sondern um Andreas Kley, Professor für öffentliches Recht, Verfassungsgeschichte sowie Staats- und Rechtsphilosophie an der Universität Zürich. Aber das ist Kommentarschreibern wie Schuler schnurz.

Ach, du liebe «Zeit»

Habe sie schon wieder gelesen. Hätte ich wieder nicht tun sollen.

Was für ein Format. 56,5 auf 39,5 cm. Aufgeklappt gar 79 cm breit. Keine Lektüre in der S-Bahn zur Stosszeit. Zugegeben, bis hierher ist es copy/paste. Aber damals schloss sich eine Lobesarie an. Die kann nicht nochmal gesungen werden.

Denn diesmal ist der erste Bund der Ausgabe 28. Oktober 2021 ein Totalflop. Einzig lustig das Foto des Siegers der «Deutschen Bartmeisterschaften». Der hat ein derart kunstvolles Gewinde aus seinen Barthaaren gemacht, dass man sich vor dieser Zwirbelei nur verbeugen kann. Bravo, Christian Feicht aus Altötting.

Beim Barte des Bayern, der kommt wohl zu sonst nix …

Ein «Gastkommentar» der beiden angelsächsichen Wissenschaftler Joseph E. Stiglitz und Adam Tooze. Beide nicht mehr im Zenit ihrer Bedeutung, und nun raten sie schwer davon ab, dass Christian Lindner (FDP) Finanzminister wird. Hä? Genau, was geht die das an.

Dann wird die uralte Frage, wieso die «Politik so frauenlos wie eh und je» sei, nochmal nicht beantwortet. Passend zum Abgang der deutschen Bundeskanzlerin, die wohl eine Frau ist. Artikel: Gerichte sollen helfen, die Klimaziele durchzusetzen. What a joke, wie der Ami sagt. Ein Porträt des möglichen französischen Präsidentschafrtskandidaten Éric Zemmour. Eigentlich erfährt man über ihn nur, dass er «noch rechter als Le Pen» sei, höflich, aber brandgefährlich. Mit welchen Ansichten er sich diese Qualifikation verdient, davon sind eigentlich nur Spurenelemente in dem «Zeit»-langen Artikel vorhanden.

Eine «Streit»-Seite, ob man die private SMS des Springer Boss’ Mathias Döpfner hätte veröffentlichen dürfen oder nicht. Abgesehen davon, dass sie öffentlich ist: Die Argumente dagegen überzeugen, die dafür sind nicht erkennbar.

«Wirtschaft»? Gähn. «Wissen»? Schnarch. Eigentlich müsste man diese Ausgabe unter Flop abbuchen, so wie die gesamte Schweizer Sonntagspresse. Wenn da nicht wieder das «Dossier» wäre. Nein, diesmal nicht unbedingt mit einer Eigenleistung, aber mit einer Trouvaille. Nein, mit zwei.

Ein begeisterndes Interview mit einer beeindruckenden Frau

Zunächst ein Interview mit Inge Jens. Ja, die Witwe von Walter Jens, der 2013 nach langer Dunkelheit in zunehmender Demenz verstarb. Wobei Witwe hier zur Einordnung nötig ist, die 94-jährige Autorin ist dermassen hell im Kopf, hat dermassen weise, trockene, unaufgeregte Antworten auf alle Fragen, dass es eine helle Freude ist, das lange Interview zu lesen.

Und bei der Schlussfrage bleibt Bedauern, dass es nicht weitergeht. Als Appetithäppchen: «Sie sollen Ihr Begräbnis schon genau geplant haben. Ihr Wunsch ist es, dass bei der Trauerfeier in der Tübinger Stiftskirche Brahms’ Requiem in Auszügen gespielt wird

«Es wird wohl doch was anderes. Ich habe mit dem Kantor geredet, und er meinte, sie müssten das Brahms-Requiem ganz neu einstudieren. Ich habe gesagt: Lassen Sie’s, dann nehmen wir Mozart.»

Was für einmal die Fragesteller ehrt, ist diese Einleitung zu einem heiklen Thema, der Selbstmord ihres Sohnes: «Im vergangenen Jahr ist auch Ihr Sohn Tilman gestorben. Dürfen wir mit Ihnen darüber sprechen?»

Die Antwort: «Selbstverständlich. Fragen Sie!»

Was für eine Dame, mit welcher Lockerheit stellt sie feministische Absonderlichkeiten richtig, wie weise beschreibt sie ihr Leben, ihre Begegnungen, ihre Rolle.

Noch nie von Robert Blum gehört? Eine Wissenslücke

Die zweite Trouvaille kommt wieder von einem Engländer, Christopher Clark. Spätestens seit «Die Schlafwandler» hat sich der Geschichtsprofessor aus Cambridge in den Olymp der Historiker geschrieben.

 

Das erhellende Buch zu einem x-mal beschriebenem Thema.

Hier macht er auf Robert Blum (1807 – 1848) aufmerksam. Ein deutscher Demokrat, Beförderer des ersten Versuchs, eine Demokratie auf deutschen Boden zu errichten, ein Kämpfer für seine Sache mit Leib und Seele, aber auch jemand, der auf Ausgleich bedacht war und immer versuchte, Koalitionen zu schmieden, um das Mögliche durchzusetzen, nicht das Unmögliche zu träumen.

Allzu früh endete sein Leben vor einem Erschiessungskommando in Wien, nachdem der reaktionäre Feldmarschall Windisch-Graetz die Aufständischen in der österreichischen Hauptstadt eingeschlossen hatte und den Widerstand niedermetzelte. Blum hatte sich ihnen angeschlossen, zutiefst beeindruckt von ihrer Courage und Entschlossenheit.

Er wurde gefangengenommen, und sein Verweis darauf, dass er als Abgeordneter des deutschen Parlaments Immunität besass, wurde weggewischt. Am 8. November 1848 verurteilte ihn ein Kriegsgericht zum Tode, am nächsten Morgen wurde er hingerichtet.

ZACKBUM war er nicht bekannt, wir sind dankbar für das Schliessen dieser Wissenslücke.

Wirklich zwei hell leuchtende Sterne am «Zeit»-Firmament, das ansonsten eher dunkel bleibt. Auch im völlig belanglosen Schweizer Split, der das Dossier hinten runterzieht.

Tiefer Sturz in die Schweizer Belanglosigkeit

Während die «Zeit» Inge Jens eine Plattform zur Erquickung und Erleuchtung des Lesers bietet, füllt das Schweizer «Magazin» beinahe das ganze Heft mit einem Porträt von Martina Hingis*. Nichts gegen diese Ausnahmetennisspielerin, aber will man ihr Leben, ihre Ansichten, ihre Meinungen oberhalb und unterhalb eines Filzballs wirklich auf Seiten ausgewalzt lesen? Eher nicht.

Das Editorial von Finn Canonica warnt allerdings schon vor. Er geistreichelt: «Tennis ist wie Französisch und Fussball wie Englisch. Fussball spielen kann man auch, wenn man nicht wirklich Fussball spielen kann. Ebenso ist es mit der englischen Sprache.»

Wahnsinn, welch eine Metapher. Geht da noch einer? «Ohne mühsam erworbene Grundkenntnisse ist es unmöglich, in Paris Crêpes au (nicht avec!) Nutella zu bestellen und sich nicht wie ein Vollidiot zu fühlen.»

Crêpe ohne Nutella für Nicht-Idioten.

Wir würden sagen: Man muss sich wie ein Vollidiot fühlen, wenn man Crêpes mit diesem Brotaufstrich bestellt. Ein italienisches Verbrechen: «Sie besteht überwiegend aus Zucker mit Zutaten von Palmöl, gerösteten Haselnüssen, Milchpulver, Kakao, Sojalecithin und Vanillin», weiss Wikipedia. Und wer in Paris oder anderswo nicht ein Crêpe mit einem der vielen anständigen Beläge bestellt, müsste Lokalverbot bekommen. Oder Schreibverbot. Oder beides.

*We did it again. Dafür gibt’s morgen einen Frauentag, versprochen.

 

Das ist der Fakt

Unumstössliche Tatsache ist die Definition. Nur: was ist das?

Seit Mönch Ockham (um 1288 bis 1347) im finsteren Mittelalter die Hammererkenntnis hatte, dass das Bezeichnete und das Bezeichnende nicht das Gleiche ist, hat sich unser Verhältnis zur Realität etwas verkompliziert.

Nicht nur wurde damit die absolute Lufthoheit der Bibel erledigt (weswegen Ockham dann, wie man heute sagen würde, sehr low profile weiterschrieb, was seiner Gesundheit durchaus zuträglich war), sondern banale «ist doch so»-Feststellungen waren nicht mehr möglich.

Wilhelm von Ockham, wie er vielleicht aussah.

Umberto Eco baute darauf einen Weltbestseller: Der Name der Rose bleibt Rose immerdar, die Blüte selbst verwelkt. Im Zeitalter der neuen Unübersichtlichkeit, von Fake News und alternativen Wahrheiten und Rechthabern, die ständig falsch oder richtig mit böse oder gut verwechseln, ist eine neue Gattung entstanden.

Vom Dokumentalisten zum Faktenchecker

Trara, der «Faktenchecker». Früher hiess der Dokumentalist, und jedes Qualitätsorgan beschäftigte ihn. Seine Aufgabe war es, den schreibenden Journalisten zum Wahnsinn zu treiben. Ist Bern wirklich die Bundesstadt der Schweiz? Heisst die Firma, der Mensch tatsächlich so, und bitte Belege dafür? Bezieht sich die Angabe auf das amtliche Endergebnis der Wahlen, und wo findet sich das? Wenn das eine AG ist, steht das auch so im Handelsregister? Gibt es eine Landesgrenze zwischen Bolivien und Argentinien?

Mit solchen Fragen nervte der Dokumentalist ungemein, trug aber ebenfalls ungemein zur Qualität von Publiziertem bei. Fehlerfreie Rechtschreibung, faktische Korrektheit, das bot eine akzeptable Basis für glaubhafte Beurteilungen, Einordnungen, Analysen.

Längst vorbei, nur noch ganz wenige deutschsprachige Erzeugnisse leisten sich diesen Luxus. Und wie der «Spiegel» mit der grössten deutschen Dokumentarabteilung schmerzlich erfahren musste, schützt das dennoch nicht vor einem Fälscher wie Relotius, wenn der nur gewünschte Narrative bedient.

«Der Spiegel»: Sagen vielleicht, schreiben nicht.

Aber neu gibt es dafür den sogenannten Faktenchecker. Seine Tätigkeit hat es bereits in Wikipedia geschafft. Das Online-Lexikon ist selbst ein Beispiel für eine moderne Art von Faktencheck. Schwarmintelligenz heisst das Vorgehen. Schreibt einer was Falsches rein, wird das von anderen korrigiert. Ergibt sich daraus ein Battle, greifen Administratoren mit weitergehenden Befugnissen ein. Funktioniert im Allgemeinen ziemlich gut.

Angelsächsische Medien leisten sich weiterhin vielköpfige Dokumentar-Abteilungen und haben aus der «Korrektur» ein eigentliches Ressort gemacht, wo meist schonungslos eigene Fehler richtiggestellt werden.

In der Schweiz herrscht trüber Nebel beim Faktenchecken

Trüber sieht es in der deutschsprachigen Publizistik aus. Wie der vorangehende Artikel exemplifiziert, disqualifiziert sich in der Schweiz der Oberfaktenchecker des grössten Medienkonzerns selber. Denn er will nicht Fakten checken, sondern Rechthaberei im Gesinnungsjournalismus betreiben. Tödliche Mischung.

Die öffentlich-rechtlichen Medien, wie das in Deutschland heisst, verfügen über genügend Finanzen, um sich wie die «Tagesschau» eine Abteilung «Faktenfinder» zu halten. Auch einige Talkshows sind dazu übergegangen, Behauptungen ihrer Gäste im Nachhinein zu überprüfen, weil das in der Hitze des Wortgefechts oft nicht möglich ist. Darum bemüht sich auch die SRG, Tamedia beschäftigt auch ein paar Hanseln zu diesem Thema.

Dann gibt es unabhängige Plattformen wie bspw. «correctiv.de». Faktencheck ist allerdings keine Wissenschaft, Methodik, Validität, saubere Trennung von Fakt, Interpretation, Färbung, Auswahl, verbale Gewichtung usw. lässt sich niemals objektivieren.

Selbst die Aussage von unbestreitbaren statistischen Tatsachen wie «über 70 Prozent aller Betroffenen vom Strafvollzug sind in der Schweiz Ausländer, während es in Europa nur 16 Prozent sind» lässt Interpretationsspielraum, Platz für verschiedenartige Begründungen und Schlussfolgerungen.

Der Bereich des fraglos Faktischen ist nicht sehr gross

Aber Zahlenangaben im Speziellen oder die korrekte Wiedergabe von Aussagen lassen sich tatsächlich objektiv überprüfen. Behauptet jemand, in der Schweiz würde 60 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsschwelle leben, liesse sich das kinderleicht widerlegen.

Schwieriger wird es schon bei der Behauptung, die Reichen würden in der Schweiz zu wenig Steuern zahlen. Hier beginnt das Problem mit Definitionsfragen, was ist «reich», was heisst «zu wenig». Hört damit aber nicht auf, da bspw. die einkommensstärksten 5 Prozent in der Schweiz ein Viertel aller steuerbaren Einkommen bei der Bundessteuer deklarieren und für über zwei Drittel des Steueraufkommens zuständig sind.

Immer ein ungeliebter Hinweis bei der ewigen Umverteilungsdebatte oder dem Ansatz, dass die da oben doch denen dort unten viel mehr unter die Arme greifen müssten.

Faktencheck, das hört sich nur oberflächlich nach Ordnung, Aufklärung, Korrektur an.

Nach sachlicher Richtigstellung, Hinweis auf unbestreitbare Tatsachen. Eben als Korrektiv zu Fake News, alternative Wahrheiten oder reiner Demagogie. Denn so wenig wie es eine reine Wissenschaft gibt (ohne gesellschaftliche Implikationen), so wenig gibt es objektives und unbestreitbares Faktenchecken.

Oberhalb von einfachen Zahlenangaben, historischen Daten oder korrekte Verwendung von Funktionen von Menschen. Plus, aber dieses Thema wollen wir bei ZACKBUM weiträumig umfahren, das korrekte Schreiben von Namen.

Politische Modeerscheinungen sind häufig faktenfrei

Faktenchecken könnte helfen, Debatten zu versachlichen. Allerdings nur ausserhalb der Blasenbildung in sozialen Medien. Da ist Hopfen und Malz verloren. Aber in sogenannten Qualitätsmedien nicht. Umso bedauerlicher, wenn auch hier das Image des Faktenchecks mutwillig beschädigt wird.

Dass Schweizer Anhänger der US-Bewegung «Black live matter» völlig verpeilt sind, sich an geliehenem Leiden Bedeutung und Gewicht verschaffen wollen, ist ein Fakt. Ihr Kampf gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt gegen Schwarze zerschellt leider am Faktencheck, dass bei Tötungsdelikten im Allgemeinen gegen Schwarze über 90 Prozent der Täter – Schwarze sind. Und dass von den 56 Unbewaffneten, die von US-Polizisten 2018 erschossen wurden, «nur» 9 schwarzer Hautfarbe waren, dafür aber 17 Weisse und der Rest anderen Ethnien angehörte. Aber darum geht’s natürlich nicht.

Bei Newsorganen ist das ein Problem der mangelhaften Qualitätskontrolle und der Angst vor Sanktionen. Sonst hätte Tamedia sich schon längst von seinem Oberfaktenchecker, seinem Leiter des Interaktiv-Teams und seinem Politchef getrennt. Denn alle drei, wenn Fakten etwas zählen würden, sind untragbar, haben sich disqualifiziert, dem Image des Journalismus im Allgemeinen und von Tamedia im Speziellen schweren Schaden zugefügt.

Das ist der Fakt, und der ist belegbar, unbestreitbar, denn sie haben sich selbst disqualifiziert. Aber eben, in der besten aller Welten hätten Faktenfakes, Corona-Kreischereien oder antidemokratische Aussagen Konsequenzen.

«Hauptstadt»-Hype?

Mal wieder ein Crowdfunding. Mal wieder Jubel. Allerdings auf bescheidenem Niveau.

Wenn man die Latte tief legt, kann man sie ohne gewaltige Anstrengung überspringen. Das Projekt «Hauptstadt» hat die Latte niedrig gelegt.

Als Markttest, ob es in der Nicht-Hauptstadt Bern einen Bedarf nach einer Alternative zum Einheitsbrei aus dem Hause Tamedia gibt, wirft ein Kollektiv nach nur einem Jahr Brützeit eine Alternative auf den Markt.

1000 Abos sollten es schon sein, damit das Online-Blatt weiterverfolgt wird. Denn existieren tut es noch nicht. Preisvorstellungen hat es hingegen klare:

120 Franken im Jahr ist der Minimal-Obolus, Firmen und Gönner dürfen bis zu 600 Fr. hinlegen. Dann gibt es noch die putzige Möglichkeit

«Ich kann mir das Abo nicht leisten

Hier kann man einen «freien Betrag» wählen, um dabeizusein. Freundlicherweise wird versprochen, dass bei einem Scheitern des Crowdfundings die Einzahlung – minus Transaktionsgebühr – zurückerstattet wird.

Aber eigentlich wussten die Macher natürlich, dass man sich in der Schweiz schon ziemlich blöd anstellen muss, wenn man für ein alternatives Projekt nicht 1000 Zahlungswillige zusammenkratzen kann. Inzwischen (Stand Dienstag) sind es schon knapp 2000; ab dieser Schwelle wird dann sogar noch ein «Ausbildungsplatz» versprochen.

Alle guten Kräfte sind natürlich dabei

Alle guten Kräfte sind natürlich an Bord, selbst der «Hauptstädter» Alec von Graffenried, eigentlich «Stadtpräsident von Bern», liefert mit vielen anderen ein Testimonial ab.

Bei 4000 Abos sei man dann «fast selbsttragend», im Fall. Das wären dann also, machen wir eine Mischrechnung und sagen 200 Franken pro Hauptstädter, im Jahr 800’000 Budget. Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass noch ein paar vermögende Menschen ein Extra-Batzeli springen lassen, damit wäre die «Hauptstadt» sicherlich über der Millionenschwelle.

Das alles ist wunderbar, und ZACKBUM begleitet immer neue Versuche, etwas Qualität und Content in den Medieneinheitsbrei der Schweiz zu werfen, mit grosser Sympathie. Bis wir dann bitterlich enttäuscht werden, wie vom Fehlalarm-Skandalblatt «Republik», das trotz dem grossmäuligen Anspruch, die Demokratie retten zu wollen, einfach zur Selbstbespassungsmaschine von Gesinnungstätern für Gesinnungstäter denaturiert ist.

Heisse Luft oder Heissluftballon?

Aber davon ist die «Hauptstadt» noch weit entfernt; vom Inhalt ist nur eher Wolkiges bekannt: «Die «Hauptstadt» berichtet über die Stadt und die Agglomeration Bern mit ihren 400’000 Einwohner*innen. Neben einem Newsletter, der den Leser*innen das Sortieren der lokalen Nachrichten erleichtert, sind Recherchen, Reportagen und Kolumnen die publizistischen Kernelemente. Die «Hauptstadt» ist werbefrei und verzichtet auf Klick-Journalismus. Wir werden täglich präsent sein, versprechen aber nicht eine bestimmte Anzahl Artikel pro Tag.»

Vielleicht kriegen die das mit der deutschen Rechtschreibung auch noch hin bis zum echten Erscheinen.

Leichter Dämpfer für den Optimismus

Nimmt man die Vorbilder der «Hauptstadt» zur Hand, dann dämpft sich der Optimismus schon deutlich. Es sind ausschliesslich gesinnungsfinanzierte Organe, meist auch noch von reichen Mäzenen alimentiert. Also keinerlei Notwendigkeit, sich mit einem überzeugenden Angebot am Markt bewähren zu müssen, wo einzig Angebot und Nachfrage herrschen, reguliert durch den Preis, der einen Mehrwert für den Käufer beinhaltet.

Falsches Vorbild: Millionengrab «bajour».

Das ist beispielsweise bei «bajour», auch auf der Liste, nicht der Fall. Hier blödelt eine aufgepumpte Redaktion weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit langweilig und ohne Aktualitätsanspruch vor sich hin. Solange der Rubel einer Milliardärin rollt, konkret eine Million pro Jahr, lässt es sich angenehm davon leben, anschliessend wird die Arglist der Zeit beklagt, und Basel ist nach der «TagesWoche» um eine Medienleiche reicher, die nur als am Tropf hängender Zombie überhaupt eine Weile Untoter spielen konnte.

Geht das der «Hauptstadt» auch so? Wir hoffen es inständig nicht. Denn selbstverständlich ist es ein Skandal, dass Tamedia auch dieses Versprechen, «Berner Zeitung» und «Bund» nebeneinander bestehen zu lassen, gebrochen hat. Normalerweise hat jede Hauptstadt in Europa und in Demokratien weltweit mehr als eine Zeitung. Meinungspluralismus und so, das gilt auch für eine Bundesstadt wie Bern.

Also alles Gute für die «Hauptstadt». Vielleicht machen wir ja auch von dieser Möglichkeit Gebrauch, ein Abo abzuschliessen:

«Es gibt auch nach Abschluss eines Abos keinen Zwang, die «Hauptstadt» zu lesen. Man kann auch einfach einen jährlichen Beitrag zahlen, damit es den «Neuen Berner Journalismus» überhaupt gibt und unabhängige Journalist*innen den Mächtigen auf die Finger schauen und den Nicht-Mächtigen Gehör verschaffen.»

Wir empfehlen dieses Modell auch anderen Dienstleistern. Zum Beispiel Fitnessclubs. Schliesse ein Abo ab, dann fühlst du dich besser, und andere kriegen neue Geräte zum Trainieren. Superidee.

Fragen, nur fragen

Eine der übelsten Verirrungen im Journalismus ist der Frage-Titel.

Jürg Ramspeck, man erinnert sich vielleicht, beendete seine grosse Karriere als Kolumnist beim «Blick». Was er dort schrieb, war nicht wirklich der Rede wert. Aber: in all seinen vielen Kolumnen gab es niemals einen Frage-Titel.

Das ist ein rhetorischer Kniff, fast immer gefolgt von inhaltlicher Leere. Nehmen wir zwei Beispiele aus unserer Lieblingsskriptüre. «Antikörpertests sind plötzlich salonfähig – aber warum?» Tja, lieber Tagi, gute Frage. Weil’s den Salons so passt?

Zunächst einmal gilt: «Fachleute haben hingegen ein gespaltenes Verhältnis zu diesen serologischen Tests.» So ist der Fachmann, auch die Fachfrau, immer gespalten in seinen (ihren) Verhältnissen. Der Artikel beantwortet dann so ziemlich jede Frage, die man zu Antikörpertests niemals stellen wollte. Ausser einer: «aber warum?»

Vielleicht sollte Tamedia sich ein Beispiel im eigenen Haus nehmen, denn «20 Minuten» ist da ganz entschieden: «Antikörpertests sollen weitere Lockerungen ermöglichen».

Damit ist Tamedia aber noch nicht ausgeschossen: «Ist grünes Anlegen sinnvoll – oder nur lukrativ für die Bank?» Gute Frage, aber hier kommt schon die nächste, wirklich gewichtige:

«Ist die Pandemie im Frühling zu Ende?»

Neben der Frage, ob es kommendes Wochenende regnet oder die Sonne scheint, handelt es sich hier um ein Thema von brennendem Interesse. Aber auch hier wird die Frage – blöd aber auch – nicht wirklich beantwortet.

Denn schon im ersten Absatz schrumpft die hoffnungsvolle Oberzeile «Rückkehr zur Normalität» auf Normal-Null: «Es ist ein Hoffnungsfunke. Nicht der erste im Verlaufe der schier endlosen Corona-Krise. Lukas Engelberger, der Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren-Konferenz, sagt jetzt: «Ich bin optimistisch, dass wir ab dem nächsten Frühling die Corona-Krise hinter uns lassen können.»»

Aber die Unsitte des Fragetitels kommt in den besten Gazetten vor: «Begibt sich die Schweiz in eine gefährliche Abhängigkeit von ausländischen Cloud-Anbietern?», stellt die NZZ bang in den Raum. Die klassisch liberale Antwort: jein, vielleicht. Also schon. Aber doch nicht so richtig.

Geht da noch einer? Sicher: «Axel Springer – Angriff der «New York Times» auf einen Konkurrenten?» Ja was denn sonst, dumme Frage, muss man das Intelligenzblatt zurechtweisen.

Ganz raffiniert geht hingegen CH Media vor; die verpacken eine Frage in ein Zitat unseres Gesundheitsministers: «Die Frage einer Aufhebung des Zertifikats stellt sich». Wunderbar, denn eine Frage stellen, das bedeutet natürlich nicht, sie zu beantworten. Einfacher sollte aber diese Frage sein: «Waren «einige tausend» oder «über 50’000» in Bern

Mit unseren heutigen modernen Methoden könnte es eigentlich möglich sein, die Anzahl Demonstranten am Samstag in Bern auf die Nase genau zu zählen. Aber leider:  «Klar ist auch: Am Ende ist die Frage nicht nur eine politische, sondern auch eine technische – grosse Menschenmengen präzise zu schätzen, ist schwer.» Och, die im Titel gestellt Frage ist zu schwer. Gut, wer nur beschränkt schreiben kann, kann natürlich noch weniger zählen, logo.

Die «Republik», das ist sie sich schuldig, wirft die Frage in den leeren Raum: «Ist das Schlimmste bald vorbei?» Wohl nicht, denn zurzeit sieht es so aus, als ob die «Republik» dieses Jahresende sogar ohne Bettelaktion und die Drohung, sich zu entleiben, überstehen wird.

Aber die Frage: «Fast 250 Millionen bestätigte Ansteckungen, fast 5 Millionen Todes­fälle im Zusammen­hang mit dem Virus: So lautet die nüchterne weltweite Bilanz zur Corona-Pandemie, die uns seit bald zwei Jahren in ihrem Bann hält. Es fällt nicht leicht, diese Zahlen einzuordnen. Ist das viel, ist das wenig?»

Ja, rund 20’000 Buchstaben später weiss man: kann man so oder so oder auch anders sehen. Aber immerhin, das Artikelende der «Republik» ist originell:

«Zum Schluss diesmal ein ausdrücklicher Hinweis: Haben wir in unserem globalen Überblick ein wichtiges Land vergessen? Oder eine wichtige Begebenheit in einem Land übersehen? Teilen Sie es uns im Dialog­forum mit.»

Wir senken das Niveau nur unwesentlich und schliessen mit ein paar Fragen aus dem «Blick»: «Überzeugt dieser Totimpfstoff auch die Skeptiker?» Aber leider, schluchz, wird auch diese Frage nicht beantwortet. Im Sport sollte sich «Blick» doch auskennen: «Drohen dem FCZ jetzt sogar Punktabzüge?» Aber ach, obwohl die versammelte «Fussball-Redaktion» am Gerät ist, bekommt man statt einer Antwort nur eine weitere Frage eingeköpfelt: «Und warum nicht auch Punktabzüge?» Genau, warum nicht ist immer eine gute Formulierung.

Schliesslich, das ist natürlich unvermeidlich, fragt sich auch das Blatt mit dem Regenrohr im Titel: «Ist die Corona-Pandemie im Frühling vorbei?»

Oder wenn nicht, dann im Sommer? Im Herbst? Immer wieder? Nie? Fragen über Fragen und die Antworten kennt nur der Wind.

 

 

 

 

Es darf immer noch gelacht werden

Slapstick, Heiterkeit und Gelächter. SoBli und NZZaS laden nach und ein.

Auch der SoBli kämpft mit Verzweiflung und Themenleere. Was macht man in der Not? Genau, man schmeisst sich ran:

Das Blatt mit dem Regenrohr schüttet Sympathie aus.

Fertig geklatscht, jetzt wird in die Hände gespuckt; der aus den wohlverdienten Ferien wieder aufgetauchte Chefredaktor Gieri Cavelty weiss:

«Am 28. November sagen Herr und Frau Schweizer hoffentlich mit überwältigendem Mehr Ja zur Pflegeinitiative.»

Das ist eine gefährliche Ansage, denn Cavelty liegt eigentlich meistens falsch mit dem, was er schreibt.

Die schreibende Brille wagt eine Prognose.

Dann widmet der SoBli 18 Seiten dem Thema Pflege. Ach, nein, es sind nur 8, aber wirken tun sie wie eine 180-seitige Schlafpille.

Bloss eine Doppelseite verbrät der SoBli zur Tragödie um Alec Baldwin. Das Problem dabei: es gibt nichts Neues. Nix, null, nada. Nicht mal neue Fotos. Rehash nennt das der Journalist, neu gemixt, gehackt, aufgewärmt und als frisch serviert.

Kann wenigstens der SoBli mal ernst werden?

Jetzt wissen wir, was uns gefehlt hat: Biowindeln.

War ein Versuch, aber war nicht gelungen. Dafür gibt’s noch mehr Polit-Slapstick:

Endlich: lechts und rings vereint gegen den Staat und überhaupt.

Ja Schreck lass nach; die sonst immer auf der richtigen weil linken, weil guten Seite stehende Sibylle Berg hat schon Freund und Feind verblüfft, indem sie sich für das Referendum gegen das Covid 19-Gesetz aussprach. Und jetzt noch das. Antifa und Trychler knutschen sich ab? Funiciello und Martullo Blocher tauschen Tipps für Kleider in Übergrössen aus? Das Ende ist nahe.

Aber vorher darf Bundespräsident Guy Parmelin noch ein Interview geben. Das Schöne daran: es ist nur eine halbe Tabloid-Seite lang. Das genauso Schöne: der Inhalt ist völlig belanglos. Sonst was los auf der Welt? Ach ja, «China greift nach Taiwan», sagt irgend ein «Senior Fellow» in New York, und der SoBli serviert den kalten Kaffee brühwarm. Vergisst aber darauf hinzuweisen, dass in einer chinesischen Provinz ein netzartiges Aufbewahrungsgefäss mit körnigem Inhalt sich von der Vertikalen in  die Horizontale verlagert hat.

Auch hier noch ein Absackerchen:

Bald gehen die Lichter aus (was beim SoBli schon passiert ist).

Endlich, die Schuldigen an der kommenden Energiekrise sind gefunden. Wir alle, wer denn sonst.

Der NZZaS hatten wir bereits letzte Woche einen Zweiteiler gewidmet. Da wäre unfair, das zu wiederholen. Also nehmen wir uns doch diesmal «Das Magazin» zur Brust. Allerdings macht’s einem das Cover schon mal nicht leicht. Britney Spears, Vegi-Wein und Schülermagazin, das ist das NZZ-Niveau?

Das NZZ am Sonntag Schülermagazin.

Was schlecht anfängt, kommt selten dann hinten hoch. Selbst Christoph Zürcher, dem es Mal für Mal gelingt, das Diktum von Karl Kraus mit Leben und Inhalt zu füllen, einen Feuilletontext zu schreiben bedeute, auf einer Glatze Locken zu drehen, findet diesmal keine Locke. Will man dann wissen, zu welchen Selbstbetrachtungen Fabian Cancellara fähig ist? Fabian who? Also bitte, der Radprofi, der ungedopte Strassenhero, der Mann, der’s in den Beinmuskeln und eigentlich nur dort hat.

Was macht selbst eine hochkarätige Redaktion mit lauter Geistesriesen, vielleicht auch Scheinriesen, wenn ihnen gar nix einfällt? Genau, sie gibt einer Gymiklasse die Aufgabe, ein paar Aufsätzchen zu Themen von allgemeiner Wichtigkeit zu schreiben. So Liga «Gerechtigkeit, Stil, Natur oder Sexismus.»

Da wohl noch niemals ein paar Seiten so schnell überblättert wurden, braucht’s nun einen sogenannten Stopper:

Stopp, wo ist das Niveau geblieben?

Voilà, man fühlt sich gestoppt. Allerdings: Was soll das? Eine offenbar ältere Dame hält ein merkwürdiges Plakat hoch, auf dem man mühsam «Free Britney» entziffern kann. Dann widmet sich Henriette Kuhrt, sonst für Stilfragen zuständig (geht Schuhe ohne Socken im Büro?), dem Thema Britney Spears. Viele Worte. Null neue Worte. Auf sechs Seiten. Aber das Layout hatte ein Einsehen mit dem Leser. Die Mittelspalte besteht fast immer aus Fotos. Und drei Seiten ausschliesslich. Danke.

Wir kommen zu unserem Liebling, der Seite «Konsumkultur». Diesmal werden hier Cashmere-Socken angepriesen. Kosten schlappe 98 Euro (ja, für zwei) und man sollte sich gleich einen Stapel zulegen: was nicht in der Wäsche eingeht, geht schnell im Schuh kaputt.

Aber da tröstet vielleicht eine «Tiffany Eternity-Uhr» mit ein paar Brilläntchen. Kostet nur schlappe 28’000 Franken aufwärts, wäre doch ein nettes Weihnachtsgeschenk.

Dann durfte Christoph Zürcher das «Hyatt» am Flughafen anschauen, das nicht gerade von Gästen überflutet wird. Nun ist der Charme eines Flughafenhotels überschaubar und seine Zweckbestimmung eigentlich nur, Durchreisenden kurzzeitig Beherbergung anzubieten. Aber ein geschickter Schwurbler wie Zürcher zwirbelt hier ein paar dünne Haarsträhnen zu Locken. Es bleibt aber eine Glatze darunter sichtbar.

Dann kümmert sich Schreibkraft Kuhrt noch um dringende Fragen des Lebensstils. Soll man noch die Türe aufhalten? Ja. Wann sagt man Gesundheit, und bringt’s Permanent-Make-up? Jein. Schliesslich schiesst Zuza Speckert das «Magazin» noch zu einem letzten Höhepunkt in die intellektuelle Stratosphäre: wer ist wo mit einem Weinglas in der Hand rumgestanden und war in der Lage, fröhlich-wichtig in die Kamera zu glotzen? Adabeis nennt man solche Leute in München. Gilt auch für Zürich und ist eines NZZ-Magazins unwürdig.

Es darf gelacht werden: immer sonntags

Slapstick Heiterkeit und Gelächter: die Sonntagspresse hat zugeschlagen.

Zunächst ein echter Brüller:

Die SoZ in Roooaaar-Stimmung.

Wie formuliert die dem Klimaschutz zugetane und männlichen Penisverlängerungen völlig abholde Redaktion der SoZ?

«Bereits die technischen Daten versprechen eine atemberaubende Performance und rennsportliche Dynamik, und das in einem 2,2 Tonnen schweren SUV.»

Wunderbar, sonst noch was? «Dieser Rennstreckenmodus öffnet nicht nur alle Klappen im Auspuff, sondern strafft auch noch das Fahrwerk und schärft die Motor- und Getriebekennlinie.»

Rooaar, brum, boller, gluglug. Das Unsinnige daran ist, dass von diesem völlig überflüssigen SUV schlappe 15’000 Exemplare verkauft wurden bislang und sein Preisschild (ab 250’000, Occasion) ihn sowieso für all SoZ-Leser (ausser vielleicht Supino) unerschwinglich macht. Warum dann im Papiermangel eine Seite aufs «Bollern» verschwenden?

Apropos Verschwendung; wieso darf im Ressort «Gesellschaft» der längst pensionierte Münchner (!) Ex-Bürgermeister Christian Ude seiner Katzenliebe frönen? «Wenn das Büsi schnurrt, ist alles in Ordnung», heisst der Schwachsinnsbeitrag.

Hätte uns das der Papiermangel nicht ersparen können?

Übrigens rezykliert vom 15. Oktober: «Mit dem Schnurren einer Katze wird alles gut», hiess der Originaltitel in der «Süddeutschen Zeitung». Dass Tamedia jeden Schrott aus München übernehmen darf, ist doch noch lange kein Grund für so was …

In der SZ macht’s wenigstens noch halbwegs Sinn …

Gut, bislang war das Blatt noch keinen Rappen wert, kommt vielleicht mal was Ernsthaftes? In der «Wirtschaft» zum Beispiel?

Laeri, die Stehauffrau, unterwegs zum nächsten Flop.

Gut, das Gefäss heisst ja «es darf gelacht werden». Aber hier schmerzt dann doch das Zwerchfell. Die Flop-Queen Patrizia Laeri (die kürzeste Chefredaktorin aller Zeiten, die kürzestes Talkshow-Produzentin) will nun Frauen helfen, ihr Geld richtig anzulegen. Na, das ist natürlich für die SoZ ein gefundener Kontrapunkt zum Lamborghini. Nur: vor lauter Lobhudelei vergisst Maren Meyer ein paar Kleinigkeiten.

Fängt beim Namen an. «ElleXX». Genial, bis man mal «ElleXXX» eingibt. Kicher. Dass die grossartige Frauenunterstützung in Zusammenarbeit mit der Migros-Bank unverschämte Fees, Gebühren, Verwaltungskosten usw. ziemlich intransparent ausweist: na und. Ein ETF ist bereits ab 0,3 Prozent zu haben, was beim heutigen Nullzinsumfeld nicht schlecht ist.

Wieso frau mindestens 1,3 Prozent für ihre Vermögensanlage via Laeri ausgeben soll, diese Frage hatte auf der Dreiviertelseite Lob und Hudel leider keinen Platz. Statt «will Frauen beim Investieren helfen» sollte es wohl besser heissen: will Frauen beim Geld rausballern helfen.

Ist also auch der Wirtschaftsbund ein Flop? Leider ja:

CS plante vielleicht, unter Umständen, wird gemunkelt.

Das ist eine gut hingeprügelte Schlagzeile. Im Kleingedruckten wird dann die Luft rausgelassen: «Die SonntagsZeitung hat nun von mehreren Quellen von einer geplanten Überwachung erfahren ….  Demnach plante die Bank … Ob die Observation durchgeführt wurde, ist unklar.»

Auf Deutsch: Die SoZ kolportiert ein Gerücht über eine mögliche Observation. Es darf gelacht werden, oder sagten wir das schon?

Dass Banken-Büttel Prof. Kunz den starken Max markieren darf und Bussen gegen Banken fordert – im sicheren Wissen darum, dass das in der Schweiz nicht stattfinden wird –, macht die Sonntagskatastrophe auch nicht kleiner.

Aber, man soll auch loben können, Oberchefredaktor Arthur Rutishauser ist offensichtlich schwer angefasst durch die unablässigen Skandale der Credit Suisse: «Es ist ein Hohn. Wenn es irgendwo in der Welt einen Finanzskandal gibt, die Credit Suisse ist mit dabei. Mit kriminellen Machenschaften rund um die Kredite für Moçambique schickte sie eines der ärmsten Länder in den Konkurs, mit der Bespitzelung der eigenen Angestellten und ihrer Angehörigen gibt sie sich der Lächerlichkeit preis.»

Geht doch, statt Antidemokraten wie Denis von Burg hier ihren Stuss absondern zu lassen. Ach, und Bettina Weber gehört zu den ganz wenigen Tamedia-Frauen, die sich nicht angelegentlich um den eigenen Bauchnabel, Genderfragen und Sprachvergewaltigungen kümmern: «Ausgerechnet die Partei, die sich dem Kampf gegen das Patriarchat verschrieben hat, lässt Opfer häuslicher Gewalt im Stich – wenn der Schläger fremder Herkunft ist.» Sie meint damit natürlich die SP.

Sie hat allerdings noch einen zweiten Pfeil im Köcher:

ZACKBUM legt Wert auf die Feststellung: real, keine Satire. Realsatire.

Hier versucht sie gegenüber brüllendem Wahsinn ein ernstes Gesicht zu machen: «Als eine Labour-Abgeordnete sich den Hinweis erlaubte, nur Frauen verfügten über eine Gebärmutter, man also doch bitte die Frauen direkt ansprechen solle, warf ihr die LGBTQ-Community vor, «anti-trans» zu sein. Schliesslich gäbe es Transmänner und non-binäre Menschen, die sich nicht als Frau fühlten, aber trotzdem einen Zervix hätten. Sie würden dank der neuen Formulierung endlich nicht mehr diskriminiert.»

Nun gut, der Ami und der Brite spinnen, aber auf Deutsch ist doch wenigstens immer noch das Sternchen das Problem? «Die SPD forderte in Sachsen kürzlich zum Beispiel am Weltmenstruationstag im Mai Gratis-Produkte für «menstruierende Männer und menstruierende nicht-binäre Personen in öffentlichen Männertoiletten». Der staatliche Sender MDR schrieb zum selben Anlass auf seiner Website ganz selbstverständlich von «menstruierenden Menschen»».

Wahnsinn, kann man da als Körper mit Hoden und Pimmel nur sagen.

Ganze 490 A ist dem Sonntagsblatt eine Riesendemo wert: «Tausende Gegnerinnen und Gegner der Corona-Politik haben sich gestern in Bern zu einer nationalen Grosskundgebung versammelt.» Das ist ziemlich blöd, denn nachdem am letzten Donnerstag nur wenige Manifestanten in Bern anwesend waren, frohlockte Tamedia schon, dass diesen Verirrten und Verpeilten nun endlich der Pfupf ausgehe und von Burg seine Angstmacherei vor deren angeblich unglaublich grossen Einfluss auf den Bundesrat einstellen könnte.

Und nun das; von Burg, übernehmen Sie!

Woran merkt man, wenn einer ganzen Redaktion der Pfupf ausgegangen ist? Wenn sie das hier als Aufmacher auf Seite eins stemmt:

War’s vor 50 Jahren? Oder vor 100? Oder vor 47? Egal, die SoZ braucht jetzt einen Aufmacher.

Nichts gegen den Altrocker Vescoli, aber echt jetzt? Und noch ein Absackerchen:

Oh, das ist ja in einer bezahlten Beilage erschienen. Nur: woran merkt man das eigentlich?

 

 

 

Das nennt man eine Kampagne

Blick nach Norden: der «Spiegel» geht auf Springer los.

Was der Tamediamann fürs Rüpeln Philipp Loser an Konzernjournalismus gegen Hanspeter Lebrument bot, war zwar unappetitlich, aber alles ist relativ.

Zudem kroch der Niedermacher zu Kreuze, der entsprechende Artikel wurde aus den Archiven gespült. Was bleibt, ist ein schaler Nachgeschmack bis heute und die Frage, wieso Loser sich nicht einen anständigen Beruf gesucht hat.

Nun zeigt aber der «Spiegel» mit «Sex, Lügen Machtmissbrauch», was eine richtige Breitseite gegen die Konkurrenz ist. Als gäbe es in Deutschland nicht gerade ein paar wichtigere Themen, bietet das Magazin ganze acht seiner geschrumpften Redaktionscrew auf, um in einer Titelstory den Springer-Verlag niederzumachen.

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Wieder eine «Spiegel»-Affäre?

Der «Spiegel» machte mit seiner süffigen Story «Vögeln, fördern, feuern» diesen Frühling auf die Unart des «Bild»-Chefredaktors aufmerksam, Mitarbeiterinnen, die bereit waren, sich hochzuschlafen, diese Möglichkeit einzuräumen. Wahrscheinlich werden wir uns demnächst noch Opferstorys anhören müssen, obwohl keine der Damen bislang von den diversen Möglichkeiten Gebrauch machte, sich gegen ungewolltes oder sogar nötigendes Verhalten zu wehren.

Der «Bild»-Bolzen Julian Reichelt konnte noch den Erstschlag wegstecken, nachdem eine Untersuchung kein kündigungswürdiges Fehlverhalten ergab. Aber dann, so ist die Globalisierung auch im Journalismus, kaufte Springer den US-Politblog «Politico» für ein paar hundert Millionen. Damit kam das Medienhaus from Germany auf den Radar der US-Medien, und die grosse NYT widmete eine Investigativstory den Verhältnissen bei Springer, mit besonderer Berücksichtigung der offenbar anhaltenden Unart des «Bild»-Bosses, am Arbeitsplatz den Hosenschlitz nicht geschlossen zu halten.

Es gäbe genügend Merkwürdigkeiten zu berichten

Auch in Deutschland hatte ein Rechercheteam das untersucht, wurde aber vom Besitzer des Medienhauses zurückgepfiffen. Statt sich aber diesen merkwürdigen Vorfällen zu widmen, nimmt sich der «Spiegel» in bester Boulevard-Manier das nächsthöhere Ziel vor die Flinte. Diesmal geht es gegen den starken Mann, Mitbesitzer und Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner.

Mit dem typisch launigen Einstieg wird geschildert, wie der angeblich wie «ein Sonnenkönig» nicht etwa Besprechungszimmer betrete, sondern er rausche «herein wie eine Erscheinung». Stimmt’s nicht, ist’s wenigstens gut erfunden wie legendäre Einleitungssätze im Stil: «Wütend griff Helmut Kohl zum Telefonhörer und wählte höchstpersönlich die Nummer von ..

Nicht nur an den Mief von Kohl erinnere Springer, sondern der Verlag sei geprägt von «einem zügellosen Boys Club, der feststeckt im chauvinistischen Muff der Sechzigerjahre». Zack, Blattschuss.

Viel Neues ist der Recherchier-Crew nicht aufgefallen, aber vielleicht will sie sich auch – nach den Relotius-Erfahrungen – etwas zurückhalten. Da gibt es ein etwas unglücklich formuliertes Mail von Döpfner, in dem er gegen den «neuen DDR Obrigkeits Staat» ranzt.

Das pumpt der «Spiegel» dann auf zu

«eine erschreckende Aussage in vielerlei Hinsicht, verachtend im Ton und verzerrt in der Wahrnehmung, vor allem aber ist sie kein Ausrutscher».

Offenbar hat sich der «Spiegel» ziemlich spurlos vom GAU erholt, der noch viel schlimmer als Sexismus oder vielleicht merkwürdige Aussagen ist: dass es passieren konnte, dass ein hochgelobter Mitarbeiter über Jahre hinweg durch alle Kontrollinstanzen hindurch Storys faken, erfinden, aufbretzeln, zusammenlügen konnte. Weil er wusste, wie er das Narrativ, das der «Spiegel» gern hörte, bedienen konnte.

In Wirklichkeit: sagen, wie’s sein sollte.

Nun aber spielt «Spiegel» das jüngste Gericht: «Was genau treiben die da bei Springer? Haben die noch nie von #MeToo gehört?» Mangels handfester Fakten legt das Nachrichtenmagazin den Springer-Chef nun auf die Couch des Psychiaters und setzt zur Fernanalyse an, gestützt auf die altbekannten «erzählen viele, die ihn gut kennen» – aber alle zu feige sind, mit Namen aufzutauchen. Also ist gut raunen und rüpeln:

Döpfner auf der Couch der «Spiegel»-Psychoanalytiker

«Sein obsessiver Freiheitsglaube sei umgeschlagen in eine Art Staatsfeindlichkeit, die allzu konsequentes Regierungshandeln als Bevormundung und Gängelung der Bürger deute. Die Coronapandemie hat seinen Hang zu solchen Dystopien offenbar zur Manie werden lassen.»

Das soll im Verlag offenbar Tradition haben, denn schon der Gründer Axel Springer habe «zeitweise Wahnvorstellungen, in denen er sich für den wiedergeborenen Jesus hielt», entwickelt. Von seiner ersten Frau, nach den Nürnberger Rassegesetzen der Nazis eine Halbjüdin, ließ er sich 1938 scheiden.»

Dass Springer zeitlebens und tatsächlich obsessiv für die deutsche Wiedervereinigung und die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen eintrat, worauf sich sogar jeder Mitarbeiter bis heute verpflichten muss, wird der Ordnung halber vermerkt, um dann wieder auf Reichelt loszugehen.

Den Auflage- und Bedeutungsverlust der letzten Jahrzehnte habe man mit Reichelt «erkennbar durch Lautstärke» wettmachen wollen. Ein kalter Krieger, Rabauke, Kriegsreporter halt, mit auch so seinen Ticks:

«Nach wenigen Tagen in der »Bild«-Redaktion begann er sich zu kleiden wie der damalige Chefredakteur Kai Diekmann».

Als Rechercheglanzleistung zitiert der «Spiegel» dann aus angeblichen Nachrichten des Chefredaktors an eine ungenannte Geliebte: «Ich will deinen Körper spüren.» Ob der Körper zur «Bild»-Mannschaft gehörte, darüber senkt der «Spiegel» das Redaktionsgeheimnis.

Warum liessen das so viele Mitarbeiterinnen über sich ergehen? Wagenburg halt, System der Angst, Boys Club, auch gegenüber einer von Döpfner beauftragten renommierten Kanzlei hätten sich Betroffene nur unter Zusicherung von Anonymität geäussert. Was dem «Spiegel» eigentlich auch klar sein sollte: man kann keinen Chef aufgrund anonymer Anschuldigungen feuern. Das machte den Protestbrief der 78 erregten Tamediafrauen auch zum Rohrkrepierer.

Auch der «Spiegel» steigerte sich ins Crescendo gegen Trump.

Der «Spiegel» ist stolz darauf, auf welches Niveau seine Recherchierkünste gesunken sind: «Ein SPIEGEL-Team sprach in den vergangenen Monaten mit einem halben Dutzend Frauen, die im Zuge des Compliance-Verfahrens befragt worden waren, sowie mit Vertrauten dieser Frauen, sichtete Hunderte Nachrichten auf Handys, Messengerdiensten und E-Mails und wertete Dokumente aus, um die Schilderungen zu überprüfen.»

Was kam dabei heraus? Nichts Handfestes, nichts Hartes, wie Boulevardjournalisten sagen. Nur Geraune und Werweissen: «Im Hause Springer sind die wildesten Spekulationen im Umlauf, was Reichelt gegen Döpfner womöglich in der Hand haben könnte, welche Geheimnisse die beiden teilen, welche Chatprotokolle noch in den Smartphones verborgen sind.» Also der übliche Klatsch oder Flurfunk, genau wie beim «Spiegel».

Die ganze Richtung des Springer-Bosses passt dem «Spiegel» nicht

Dann lässt der «Spiegel» die Corona-Maske fallen; ihm passt die ganze politische Richtung Döpfners nicht, der sich immer mehr zu einem Kritiker der deutschen Willkommenskultur entwickelte, die der «Spiegel» lange Zeit kritiklos unterstütz hatte. Dafür greift die Truppe zwei Sätze aus einem längeren Essay Döpfners heraus, um zu scharfrichten:

«Sätze, die im besten Fall nach Stammtischgefasel klingen, aber auch auf jedem AfD-Parteitag Applaus ernten würden.»

Gibt es sonst noch Gemeinsamkeiten zwischen Döpfner und Reichelt? «Auch Döpfner sammelt nackte Frauen, bei ihm hängen sie an der Wand, eine Kollektion von 350 Aktkunstwerken, von 8000 Jahre alten Artefakten bis hin zu zeitgenössischen Werken.» Das ist nun infam, der Vergleich.

Zähneknirschend muss der «Spiegel» allerdings einräumen, dass Döpfner seine inzwischen 20-jährige Karriere ganz oben nicht nur seiner besonderen Beziehung zur Springer Witwe Friede verdanke. Sondern auch seiner Fähigkeit, den Verlag radikal umzubauen und digital fit zu machen. Zu einer Anlageperle, die auch US-Investoren überzeugte. Springer gehört inzwischen zu 45 den New Yorker Investoren KKR und Partnern.

Dann wird noch der Nachfolger Reichelts kurz in die Pfanne gehauen, und die Titelschmierenstory endet mit dem Verdikt: «Der versprochene Kulturwandel bei »Bild« fällt also erst mal aus.»

Es gab Zeiten, als eine «Spiegel»-Titelstory die Benchmark für deutschen Journalismus war. Aber ein Mentalitätswandel fällt auch hier weiterhin aus.

«Bild»! Chef! Weg!

Nabelschau aller Orten. Ein Boulevardblatt feuert den Chef. Wahnsinn.

«watson» findet mal wieder die falschen Worte im Titel: «Medien-Tornado in Deutschland». Echt jetzt? Erscheinen die Tageszeitungen wegen Papiermangels nur noch als Faltblatt? Wurde das ß abgeschafft? Hat ein Chefredaktor vergessen, wo er seinen Porsche geparkt hat? Hat Tamedia vergessen, daraus parkiert zu machen?

Nein, der «Tornado» besteht darin, dass der Chefredaktor der «Bild»-Zeitung gefeuert wurde. Per sofort, denn anders geht das bei einem Chef nicht. Oder um es mit dem «Blick» ganz seriös zu formulieren: «Axel Springer entbindet «Bild»-Chefredaktor Reichelt von seinen Aufgaben». Ist halt schon blöd, wenn man mit Springer als Juniorpartner verbandelt ist.

Eigentlich ist die Story vom Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» schon längst auf den Punkt gebracht worden, wie es ein guter Boulevard-Journalist nicht besser könnte:

«Vögeln, fördern, feuern».

Das scheint eines der Führungsprinzipien von Julian Reichelt gewesen zu sein.

Inzwischen hat der Boulevard-«Spiegel» ganze acht Redaktoren an die Story gesetzt: «Warum Julian Reichelt gehen musste». Die zähe deutsche Regierungsbildung, Corona, Wirtschaft, nichts ist so wichtig wie diese Personalie. Auch in der Schweiz. Das Medienarchiv verzeichnet rund 100 Treffer für Reichelt, alle Schweizer Printmedien haben über den Rausschmiss berichtet.

Eigentlich eine banale Personalie

Dabei ist die Story so banal wie schnell erzählt. Ein erfolgreicher Chefredaktor kann seinen Hosenschlitz bei der Arbeit nicht geschlossen halten, reaktiviert die Casting-Couch und ermöglicht Karrieren per Beischlaf. Eine erste Untersuchung überlebt er noch leicht ramponiert, machte aber offenbar fröhlich weiter.

Bis dem Springer-Boss der Kragen platzt und Mathias Döpfner vornehm zum Zweihänder greift und köpft: «Privates und Berufliches nicht klar getrennt, dem Vorstand die Unwahrheit gesagt, Weg gerne gemeinsam fortgesetzt, das ist nun nicht mehr möglich.»

Um die Absetzung herum entwickelten sich tatsächlich lustige Nebengeräusche. Zunächst ist Reichelt Opfer einer globalisierten Welt. Denn Springer hat sich das Politportal «Politico» in den USA gekrallt. Eigentlich ein kleiner Laden, aber bedeutend als Nahbeobachter der Politik in Washington. Anlass für die NYT, sich den Käufer mal genauer anzuschauen.

So kam Reichelt in die NYT

Auch die grosse «New York Times» kann Boulevard: «At Axel Springer, Politico’s New Owner, Allegations of Sex, Lies and a Secret Payment». Darunter ein Foto von Reichelt, der sich sicherlich nicht gewünscht hätte, einmal so dort aufzutauchen.

Die Recherchen der NYT ergaben offenbar, dass einiges stinkt im Reiche Döpfner, und dass vor allem Reichelt im Zeitalter von «#metoo» schon längst untragbar war. Allerdings durch seinen Erfolg geschützt blieb, denn die «Bild»-Zeitung hat unter seiner Leitung die allgemeine Auflagenerosion zum Stillstand gebracht und durch knalligen Boulevard ihre Rolle als Meinungsbildner aufgefrischt. Denn wie sagte schon Altkanzler Gerhard Schröder so richtig: Man könne in Deutschland nicht gegen die «Bild» regieren.

So geht relevanter Boulevard.

 

Die Frage bleibt allerdings offen, wieso es genau in Zeiten von «#metoo» genügend willige Weiber gab, die sich tatsächlich den Weg nach oben erschliefen. Aber bald werden wir sicherlich erste Opferschilderungen vernehmen müssen, die wir den Lesern von ZACKBUM aber nach Möglichkeit ersparen.

Eine zweite knackige Nebenstory ergab sich aus der Tatsache, dass parallel zur NYT auch ein Investigativteam der Mediengruppe Ippen dem Unhold Reichelt nachrecherchierte. Aber das Verlagshaus heisst so, weil es dem Senior Dirk Ippen gehört («Frankfurter Rundschau», «Münchner Merkur» und das Boulevardblatt «TZ»).

Der hatte sich gerade, schon wieder Globalisierung, ein Team von der deutschen Ausgabe von BuzzFeed eingekauft. Die wollten als Einstiegskracher ebenfalls die schmutzige Unterwäsche von Reichelt an die Leine hängen. Aber da griff Ippen persönlich ein und stoppte die Publikation zwei Tage vor dem vorgesehenen Zeitpunkt.

Begründung:

«Als Mediengruppe, die im direkten Wettbewerb mit ›Bild‹ steht, müssen wir sehr genau darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, wir wollten einem Wettbewerber wirtschaftlich schaden.»

Das ist nun putzig und rührend, aber sicherlich nicht die Wahrheit.

Mir san mir und ich bin der Chef: Dirk Ippen.

Wir fassen das laue Lüftchen zusammen, das in den Schweizer Nabelschaumedien Themen wie drohende Energiekrise oder Corona locker wegblies. Ein Boulevardchef knüpft an die schlechten, alten Zeiten an. Sein Verlag stützt ihn als Erfolgsbringer. Der Ankauf eines US-Blogs erregt die Aufmerksamkeit der NYT, was in Deutschland untersagt wurde, wird in den USA publiziert. Weg isser.

Wäre doch eine Knaller-Story hier gewesen …

Sonst noch was? Ach ja, Christian Dorer könnte das garantiert nicht passieren. Ausgeschlossen. Für diesen Schwiegergmuttertraum legen wir die Hand ins Feuer. Vorstellbar wäre ein abruptes Ende höchstens, wenn der Hobbybusfahrer auf dem Fussgängerstreifen einen Rentner mit Rollator totfahren täte.

Under new management, wie der Ami sagt.

 

 

Obduktion der NZZaS, reloaded

Papiermangel, schlecht, Hirnschmalzmangel, schlechter. Hintergrund ohne Hintergrund.

Witz 4: Ladies first, also Nicole Althaus. Die Kampffeministin reitet immer mal wieder ins Gebüsch. Diesmal mit einer Tirade gegen die Behauptung, dass die Fruchtbarkeit der Frauen ab 35 deutlich abnehme, man in der Medizin gar von einer «Risikoschwangerschaft» spreche. Alles Quatsch, will die Gegnerin eines Burka-Verbots wissen, zudem untersuche die «am häufigsten zitierte Studie zur Abnahme der Fruchtbarkeit französische Geburtseinträge von 1670 bis 1830».

Das ist natürlich blühender Unsinn. Es gibt Studien zu Hauf, beispielsweise eine Langzeitstudie von ’59 bis ’18. Auch aus dem 16. Jahrhundert? Quatsch, von 1959 bis 2018. Ihre Uralt-Zahl und die Behauptung, dass sich die meisten Untersuchungen darauf beziehen, hat Althaus aus «Wir Eltern» übernommen, leider ohne Quellenangabe. Vielleicht hülfe auch die Angabe, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in diesen finsteren Zeiten in Frankreich bei (grob geschätzten) 41 Jahren lag.

Von «Risikoschwangerschaft» spricht man übrigens, weil die Chance von Gendefekten wie das Down-Syndrom oder körperlichen Defekten, sowie die Gefährdung der Mutter signifikant zunimmt, aber wieso sich ein schöne These von Fakten kaputtmachen lassen, sagt sich Althaus.

Witz 5: Wenn Banken-Büttel Peter V. Kunz das Wort ergreift, muss man sich immer fragen, ob er da aus einer bestellten Expertise als Banken-Professor zitiert. Hier lässt ihn die NZZaS als «externen Standpunkt» verkünden, dass die «Banken das Klima nicht retten» könnten. Behauptet eigentlich auch niemand, umso besser für Kunz. Dann verheddert er sich aber mit der selbstgestellten Frage, «welche ökologischen und sozialen Kriterien als Grenze für Bankdarlehen gelten» sollten.

Damit meint er natürlich: gibt’s nicht, geht nicht. Statt ihn lang zu widerlegen, vielleicht sollte er mal die «Globalance Bank» anschauen. Geht nämlich schon.

Witz 6: Felix E. Müller zum Zweiten. Anlass der Doppelseite ist, dass das Papier zurzeit knapp ist, «Zeitungen müssen ihre Umfänge reduzieren», weiss Müller, so auch die NZZaS. Wieso ausgerecht dann auf den Pensionär so viel wertvolles Papier verschwendet wird, damit er eine «Ode ans Papier» anstimmen kann? Mitsamt Erinnerung an die Druckerei seines Grossvaters (!), der dann wohl fast noch Gutenberg kannte. Sein schlagendes Argument gegen elektronische, digitale Datenträger:

«Haben Sie jemals versucht, aus einem Laptop einen Papierflieger zu falten»?

Wir falten die Doppelseite zu.

Witz 7: Journalisten interviewen Journalisten. Eine beliebte Methode, Geld und Sachverstand zu sparen. Aber bei der NZZaS? Hier wird der österreichische Chefredaktor Christian Rainer über Sebastian Kurz befragt. Seit 1998 ist er Herausgeber und Chef beim Nachrichtenmagazin «Profil». Rainer selbst, lange Jahre bei der sozialdemokratischen «Arbeiterzeitung», ist ein erbitterter Feind von Kurz. Aber wieso das erwähnen.

Aber kommt Rainer wenigstens zu neuen, tiefschürfenden Erkenntnissen über den Menschen Kurz? Nun ja, junge Menschen wollten ausgehen, Sport treiben, Spass haben, erinnert sich der 59-jährige Rainer an seine eigene Jugend. «Es ist eine Tatsache, dass ihm das genommen wurde, weil er es sich selbst genommen hat. Dadurch, dass er in Ämter kam, wo man eben nicht mehr die Nächte in Discos verbringen kann.»

Also wurde es Kurz nun genommen oder nahm er es sich selbst? Abgesehen davon, dass das seit der Jugend Rainers nicht mehr Disco heisst, was schliesst der Analytiker daraus?

«Wie sehr ihn das beeinflusst hat, kann ich nicht beurteilen

Ach was, genau deswegen erwähnt es Rainer dann nochmal und nochmal. Natürlich wäre auch spannend, seine Meinung über die Zukunft des gefallenen Politstars zu lesen: «Was in fünf Jahren ist, kann niemand sagen.» Ja schade auch, nicht mal in der NZZaS.

Auch hier behält die NZZaS trotz Papiermangel die Unsitte bei, ein halbseitiges Porträtfoto eines Politikers reinzuhängen. Dazu noch ein dermassen bösartiges, dass Kurz hier wie ein jugendlicher Hannibal Lecter den Leser anstarrt. Auch nicht die wirklich feine Art.

Was man aber sagen kann: eine solche geballte Ladung von Flachsinn, Widersprüchlichem, Banalem, Überflüssigen und Schalem, da kann es nur wieder bergauf gehen. Da Jonas Projer in dieser Ausgabe auf sein geliebtes Editorial verzichtete, ist anzunehmen, dass der Chef in den Ferien weilte und daher die Mäuse auf den Tischen tanzten. Hoffentlich kann Projer Katze