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Eine Grabrede

Es war einmal eine Idee, die zerschellte.

Die Idee war, wie viele Ideen, ziemlich gut. Christof Moser hatte sich lange mit dem Gedanken getragen, etwas zu machen, was der Traum wohl jedes Journalisten ist. Wie wär’s, wenn es ein Online-Magazin gäbe. Eines, das werbeunabhängig ist, nur von den Einnahmen seiner Abonnenten lebt und endlich wieder das macht, wozu Journalismus eigentlich da ist: Expeditionen in die Wirklichkeit, wie das der Schönschreiber Constantin Seibt schönschrieb.

Also wurde konzipiert und gehirnt und geschaut und schliesslich angekündigt. Man nahm dabei den Mund so voll, dass die «Republik» spöttisch als der selbsternannte Retter der Demokratie bezeichnet wurde.

Es wurde ein Crowdfunding gemacht, das alle Erwartungen übertraf. Dazu wurden mehrere Mäzene gefunden, die tief in ihre tiefen Taschen griffen. Dann wurde eine ausgefinkelte Struktur entwickelt, der eigentlich nur der Hauptsitz auf den Bahamas fehlte. Eine Holdingstruktur mit einer Genossenschaft und einer AG.

Da kamen die ersten Zweifel auf, ob die «Republik»-Macher wirklich wissen, was sie tun:

Nein, das muss man nicht verstehen, das versteht auch innerhalb der «Republik» kaum einer. Auf jeden Fall, der Fluch einer Holding, gab es dann einen Verwaltungsrat, einen Genossenschaftsrat, eine Geschäftsleitung und eine Chefredaktion. Und ein paar Indianer.

Im ersten Überschwang erklärte man die Finanzierung für mindestens zwei Jahre gesichert und legte los. Gleich der Start war eine ernüchternde Enttäuschung. Zwei Jungredaktorinnen plus Fotograf  reisten durch die USA und sollten eigentlich erklären, wieso denn Donald Trump gewählt worden war. Im Ansatz eine originelle Idee. Nur: die Mädels zofften sich in erster Linie und beschäftigten sich mit sich selbst. Journalistisch unterliefen ihnen reihenweise Unsauberkeiten und Fehler. So versuchte ein von ihnen übel in die Pfanne gehauener Geistlicher, wenigstens das Foto seines Sohnes aus dem Artikel zu löschen.

Da zeigte die «Republik» zum ersten Mal ihr hässliches Gesicht. Keine Chance, klag uns doch ein, wir korrigieren oder ändern nichts, beschied sie ihm. Die beiden Autorinnen hatten ihm Einsicht in seine Quotes versprochen, dachten dann aber wohl, dass so ein Wicht im Süden der USA doch niemals mitkriegen werde, wie man ihn in einem kleinen Schweizer Organ als Waffennarr karikiert – und pfiffen auf seine Autorisierung.

Diese Reisereportage legte auch in anderer Beziehung eine Marotte vor, die dann fleissig nachgeahmt wurde: die Überlänge von Beiträgen. 20’000 A waren eine Kurzstrecke, 40’000 A, 60’000, 120’000 und mehr; notfalls halt in mehrere Teile verhackt.

Was im Kleinen sich unangenehm äusserte, wurde auch zur schlechten Angewohnheit im Grossen. Eine aufgewärmte Story über üble Zustände im Bündner Immobilienwesen, mit einem übel beleumdeten Kronzeugen. Kritik daran wurde als Majestätsbeleidigung zurückgewiesen. Immer wieder folgten zu Riesenskandalen aufgeladene Storys, als wären die «Republik»-Macher bei den «Leaks»- und «Papers»-Aufplusterern in die Schule gegangen. ETH, ein Riesen-Mobbingskandal. Die ETH musste gerichtlich erzwingen, dass aus diesem Ballon die Luft rausgelassen wurde.

Die «Republik» verstieg sich bis zur Lächerlichkeit. Selbst als der Leiter einer Sitzung öffentlich bekanntgab, dass nicht wie von der «Republik» behauptet ein Professor daran teilgenommen hatte – und damit doch seinen Ruf in die Waagschale warf –, knirschte die «Republik», dass aufgrund ihr vorliegender Informationen das doch so gewesen sei.

«Globe Garden», ein angeblicher Riesenskandal, unglaubliche Zustände, alle basierend auf anonymen und nicht überprüfbaren Behauptungen ehemaliger Mitarbeiter, die «Republik» traute sich nicht einmal, selbst einen Augenschein zu nehmen, sondern «recherchierte» alles am Schreibtisch. Die seriöse Untersuchung einer spezialisierten und unabhängigen Kanzlei ergab: kein einziger Vorfall, einfach nichts liess sich erhärten oder nachvollziehen.

Inhaltlich denaturierte die «Republik» schnell zu einem Gesinnungsblasen-Bedien-Organ. Nachdem die «SonntagsZeitung» die ETH-Recherche der «Republik» in der Luft zerrissen hatte, rächte sich das Organ mit einer mehrteiligen Serie unter dem grossmäuligen Titel «Tamedia Papers». Der gleiche Autor verbrach dann ein Denunziationsstück über ein angebliches Netzwerk von «Infokriegern». Angeteasert als «Eine Reise ans Ende der Demokratie». In Wirklichkeit war das eine Reise ans Ende des seriösen und ernstzunehmenden Journalismus. Denn der Autor hatte lediglich mit einem einzigen der von ihm als Mitglieder eines üblen, rechten Netzwerks von Publizisten verunglimpften Gespensternetzes gesprochen. Das hinderte ihn nicht daran, eine Handvoll dieser Infokrieger namentlich zu nennen und wie ein irrer Verschwörungstheoretiker ein ganzes Organigramm zu pinseln.

Es war nicht als Selbstkritik gemeint, wenn es in dieser Schmiere hiess: «Trump und Pandemie haben einen Nährboden für ein Medien-Ökosystem geschaffen, in dem Fakten keine Rolle mehr spielen.»

Aber das war ja nur der inhaltliche Niedergang. Dazu gesellte sich schnell der finanzielle. Schon nach einem Jahr musste die «Republik» die erste Bettelaktion starten, der sich dann weitere hinzugesellten. Nach dem Gesetz der Steigerung drohte die «Republik» dann sogar damit, sich zu entleiben, aufzuhören und alle 55 Nasen, auf die die Payroll angeschwollen war, auf die Strasse zu stellen, wenn nicht ein Milliönchen oder so zusammenkäme.

Was die erlahmende Spendierlaune der Abonnenten nicht schaffte, mussten dann Sponsoren und Mäzene erledigen, zuvorderst die Brüder Meili, die sich wohl schon mehrfach gefragt haben, ob die Entscheidung, schlechtem Geld gutes hinterherzuwerfen, wirklich vernünftig war.

Als Höhepunkt dieser Nummer wurde ein sogenanntes «Klimalabor» ins Leben gerufen und üppig ausgestattet. Das beschäftigte sich mal ein Jahr mit sich selbst und mit der Frage, was es eigentlich tun solle. Als auch da das Geld knapp wurde, forderte die «Republik» einfach ultimativ weitere 250’000 Franken. Sonst müssten die Labormacher entlassen werden.

Zum inhaltlichen und finanziellen Niedergang gesellte sich dann die übliche Arschtreterei intern. Der Gründer und Chefredaktor Moser wurde rausgemobbt und als «Stabsstelle Chefredaktion» ruhiggestellt. Der angesehene Publizist Roger de Weck wurde zunächst mit grossem Trara als neuer VR-Präsident vorgestellt, trat aber sein Amt gar nicht erst an.

Auch der interimistische Chefredaktor wurde abgesägt, nachdem die «Republik» in einer Kamikaze-Aktion beschlossen hatte, den Abschwung und Geldmangel damit zu bekämpfen, noch viel mehr Geld auszugeben.

Statt mit Primeurs oder guten Storys macht die «Republik» immer häufiger Schlagzeilen mit internen Querelen, einer Steuerschummelei, einem bis heute undurchsichtigen Fall von angeblichen sexuellen Übergriffen eines Starreporters, der dann ohne Anhörung zuerst freigestellt, anschliessend fristlos gefeuert wurde.

Schliesslich outete sich der neue VR-Präsident als Traumtänzer und Irrwisch. Obwohl vorher bei der Eidgenössischen Finanzkontrolle beschäftigt, bezeichnet er die finanzielle Lage der «Republik» als gut. So gut sie halt sein kann, wenn selbst die Testatfirma eine Überschuldung konstatiert, die so gravierend sei, dass nur der Rücktritt grosser Gläubiger den Gang zum Konkursrichter verhindert habe. Wobei die Fähigkeit zum Weiterexistieren stark gefährdet sei.

Kein Problem, meint der medienfremde neue VRP, wir zielen einfach 100’000 Abos an, dann sind alle Probleme gelöst.

Ein interner Untersuchungsbericht legt schonungslos üble, intrigante Machtkämpfe in der Redaktion offen, die sich lauthals über solche Zustände bei anderen Medien beklagt hatte.

Wie Lukas Hässig schonungslos analysierte, ist die «Republik» eigentlich nur noch ein Zombie, ein künstlich beatmeter Untoter. Schlimmer noch: Renommee und Image sind angeschlagen bis ruiniert, journalistisch kriegt das Organ nichts mehr gebacken; Edelfeder Seibt ist fast verstummt; wenn nicht, verliert er sich in ellenlangen Warnungen vor dem neuen Faschismus in den USA, die keiner zu Ende lesen mag.

Das nach längerem Zögern inaugurierte Chefredaktor-Duo hat noch nie eine Redaktion geleitet. Daniel Binswanger nervte bislang höchstens durch seine wöchentlichen Episteln, in denen er der Welt, der Schweiz, allen Menschen und Anhängern der SVP insbesondere unablässig und ungefragt gute Ratschläge und Besserwissereien mit auf den Weg gibt.

Traurig, sehr traurig. Eigentlich war die Idee ja gut. Der alte Rock’n’Roll. Guter Journalist, gute Recherche, gute Story. Das freut den Leser, dafür zahlt er sogar.

Aber stattdessen eine mit sich selbst beschäftigte, verbitterte, kreischig gewordene Redaktion, umkreist von Sesselfurzern, deren Beitrag zur Erstellung von schlappen drei Lebenszeichen am Tag (wochentags, versteht sich) nicht erkennbar ist.

Ein desaströser Geschäftsbericht, der mit Alarmsirenen und flackernden Rotlichtern gespickt ist. Dazu ein VRP, der das alles keinen Anlass zur Beunruhigung findet. Abgespacet, sagt man wohl dazu. Der kleine Planet «Republik» hat sich von der Erde gelöst, im Rothaus an der Langstrasse hat nicht mal der krachende Konkurs des Kosmos Stirnfalten ausgelöst. Man schwebt halt in seiner Blase, bis sie platzt.

Dann war natürlich das Umfeld, der Rechtsruck, die widrigen Umstände, die üblen Netzwerke, auf jeden Fall alle anderen und alles andere dran schuld. Aber sicherlich nicht einer der Lohnempfänger, die Unternehmer spielen wollen und in dieser ganzen Leidensgeschichte mit unanständiger Bettelei niemals daran dachten, ihr fixes Gehalt ein wenig herabzusetzen. Immerhin der mit Abstand grösste Kostenfaktor.

Trauerspiel war’s lange Zeit, dann wurde es zur Tragödie mit Diadochenkämpfen, heute ists nur noch tragikomisch, eine Farce. Ein Witzblatt, das sich vielleicht als letzte Handlung um den Kauf des «Nebelspalter» bemühen sollte. Denn für Realsatire haben die «Republik»-Macher ein Händchen.

Wenn Skandale leise Servus sagen …

Läderach? Ach was. Katholische Kirche? Gähn.

Ausser, dass Trump mal wieder verurteilt wurde und die Krankenkassenprämien exorbitant steigen, was ist die Gewichtung der Qualitätsmedien?

Der KK-Schock sitzt bei den meisten Schweizern tief. Bis zu zehn Prozent mehr, bei sowieso schon exorbitant hohen Prämien. Das ist das Aufreger-Thema Nummer eins. Nur: ist ein wenig kompliziert. Nur: der Gesundheitsminister ist halt ein Sozi und kein SVPler. Nur: so viele Fachleute, so viele Meinungen.

Also tun die Medien das, was sie am liebsten machen. Sie wollen unbedingt zwei deutlich absaufende Skandale über Wasser halten, die schon komatösen Leichen wieder wachküssen. Denn beides ist unter dem Stichwort «Skandal» gespeichert. Da gibt es dann kein Halten mehr.

Aber verflixt, dass katholische Priester vor allem Kinder missbrauchen und dass Läderach Senior einen religiösen Sparren hat und an einer Schule beteiligt ist, in der es vor vielen Jahren recht rustikal zuging: das ist beides eigentlich weitgehend auserzählt. Opfer melden sich, gibt es noch weitere solche Schulen, was sagt der Experte dazu, was bewirkt das bei den Kindern?

Das sind bereits die vorletzten Zuckungen eines Skandals. Noch weiter ist man beim Abnudeln des Priester-Skandals:

So sieht es zuoberst auf der Homepage des «Tages-Anzeiger» aus. Von Tamedia, vom «Tages-Anzeiger», ach verflixt, what ever.

Nun werden sogar noch Kirchenhistoriker befragt. Die freuen sich über diesen unerwarteten medialen Sonnenschein, wo sie sonst doch eher unauffällig forschen. Dann gibt’s scheint’s noch eine Herbstsession vor den Wahlen, natürlich tickt der «Ukraine-Ticker», eine «Analyse von Abstimmungen» ist auch immer gut. Fehlt noch was? Natürlich, ein Frauenthema. Voilà: «Frauen bei Krebsvorsorge und Behandlung benachteiligt».

Oh, und das in der reichen  Schweiz? Ach was, natürlich weltweit. Aber jetzt gebe es eine «neue Kommission» dagegen. Ach, in der reichen Schweiz? Ach was, in den auch nicht armen USA. Die kommt zu erschütternden Erkenntnissen wie: «Frauen seien auch nicht genügend über die Krebs-Risikofaktoren Tabak, Alkohol, Adipositas (Fettleibigkeit) und Infektionen aufgeklärt.»

Vielleicht in finsteren Gegenden der USA oder Afrikas – aber in der reichen Schweiz? Erschwerend kommt noch hinzu, dass es sich um eine SDA-Tickermeldung handelt. Wäre nicht «Frau» im Titel gestanden, sie hätte es nicht mal auf die Homepage geschafft.

Aber mal im ernst, lieber Tagianer: Krankenkassen? Inflation? Lebensmittelpreise? Mieten? Heizkosten? Asylanten? Altersvorsorge? Sieben Themen, die die Schweizer umtreiben. Kein einziges ist hier vertreten. Aber immerhin: es gibt auch keinen Artikel über korrektes Gendern oder die Verwendung des Sternchens zur Verhunzung der Sprache.

Auch der «Blick» hat im Moment so ziemlich alles aus diesen beiden Skandalen rausgemolken – Eimer leer. Also ein neues Schwein durchs Dorf treiben:

Die 57-jährige Marie Theres Relin hat ein Buch geschrieben. Eigentlich wollte die Schauspielerin hier über ihre gescheiterte Ehe mit Franz Xaver Kroetz schreiben. Das interessierte aber offensichtlich nicht wirklich.

Also packt sie nach 43 Jahren ein «dunkles Familiengeheimnis» aus. Sie sei von ihrem Onkel «sexuell missbraucht, verführt, entjungfert – ohne Gewalt, aber gegen meinen Willen» worden. Praktisch dabei: Maximilian Schell ist 2014 gestorben, ihre Mutter Maria Schell schon 2005. Auch über die zieht Relin her: «Meine Mutter in ihrer dämlichen Männerverehrung hatte die pädophilen Neigungen sozusagen gefördert.»

Relin hatte ein paar frühe Rollen, dann machte sie Pause, um bei hochwertigen Filmen wie «Rosamunde Pilcher – Das Geheimnis der Blumeninsel» aufzutreten. Sie hatte es schon 2011 mit «Meine Schells: Eine Familie gesucht und mich gefunden» probiert. Wurde nicht gerade zum Bestseller.

Nun also diese Nummer. Die klare Nummer eins beim «Blick».

Ist der «Spiegel» die neue «Bunte»?

Als die «Bunte» People-Magazin wurde, war das noch originell.

Ein merkwürdiger Name muss nicht bedeuten, dass das Blatt erfolglos sei. Die «Bunte Illustrierte» (aus Zeiten, als bunt Gedrucktes noch wow war) ist nach wie vor eines der erfolgreichsten Magazine Deutschlands. Trotz Auflagenrückgang um über 50 Prozent seit 1998 verkauft die «Bunte» immer noch über 320’000 Exemplare.

Ihre Stärke ist Klatsch und Tratsch, aber auf durchaus höherem Niveau. Mit «Bunte» und «Focus», an dessen Erfolg zunächst niemand glaubte, ist dem Burda-Verlag ein erfolgreiches Duo gelungen, das jahrelang vom Ehepaar Markwort/Riekel geführt wurde.

Eine echte Konkurrenz für «Stern» und «Spiegel», die beiden Bertelsmann-Blätter. Der «Stern» verkauft noch 314’000 Exemplare, ein Minus von 71,4 Prozent seit 1998. Der «Spiegel» hält sich vergleichsweise gut mit etwas über 700’000 verkauften Exemplaren, ein Rückgang von lediglich 33,5 Prozent seit 1998.

Während aber «Bunte» und «Focus» von den ganz grossen Skandalen verschont blieben, machte sich der «Stern» mit den «Hitler-Tagebüchern» im Jahr 1983 unsterblich lächerlich. Hinter dem Rücken der Redaktion war die Chefetage auf eher billige Fälschungen eines Konrad Kujau reingefallen. So hatte der bei einem Tagebuch gerade kein A in Frakturschrift zur Hand und ersetzte es kurzerhand durch ein F.

Wer den Schaden hat, brauchte für den Spott nicht zu sorgen, zum Beispiel für die Frage, ob das nicht die Tagebücher von Fritzli Hitler seien.

Der «Spiegel» hat sich bis heute nicht vom Fall Relotius erholt. Der mit Preisen überschüttete Star-Schreiber, dem ein Scoop nach dem anderen gelungen sein sollte, der Reportagen möglich machte, an denen andere scheiterten, musste schliesslich einräumen, dass er das Meiste erfunden, gefälscht, geflunkert, geschönt hatte. Weil er aber das Narrativ der Redaktion bediente, die sich immer mehr darauf verlegte, Thesen-Journalismus zu betreiben, die sogar im Grössenwahn ernsthaft ankündigte, Donald Trump »wegschreiben» zu wollen, kam er lange Zeit damit durch.

Edelfeder Ullrich Fichtner musste seine ganze Schreibkraft aufwenden, um diesen Skandal schönzuschreiben, der ihn die schon auf sicher geglaubte Stelle des Chefredaktors kostete. Wie an einem Mantra klammerte sich der «Spiegel» an der Aussage seines Gründers Rudolf Augstein fest, «schreiben, was ist».

Dabei ist das sowieso nicht möglich, weil Beschreiben immer eine der möglichen Perspektiven auf die Wirklichkeit eröffnet. Beim «Spiegel» wurde das immer mehr zu «schreiben, was sein soll», oder gar «herbeischreiben, wie es sein sollte». Die Wahl Trumps war für den «Spiegel» schlichtweg «Das Ende der Welt», nur notdürftig abfedert mit der Unterzeile «wie wir sie kennen». Der «Spiegel» kannte sich dann selbst nicht mehr, und seither eiert er in einer Art herum, die beelendet.

Noch schlimmer ist aber, dass sich der «Spiegel» in die Gefilde des Boulevards, des Promi-Schnickschnacks begibt. Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Serie undenkbar gewesen. Der «Spiegel» denunzierte den deutschen Comedian Luke Mockridge als mutmasslichen Vergewaltiger. Die Story basierte lediglich auf den Aussagen dessen geschiedener Frau. Der Komiker überlebte diesen Rufmord nur knapp, der «Spiegel» wurde gerichtlich gezwungen, grosse Teile seiner Behauptungen zurückzunehmen.

Es folgte eine «Enthüllung» über den «Bild»-Chef Julian Reichelt. Dem schloss sich eine Breitseite gegen Mathias Döpfner an, den Chef des Springer-Verlags. Der auf billigen Medienhype angelegte «Enthüllungsroman» des PR-Genies Benjamin Stuckrad-Barre war dem «Spiegel» eine Titelstory wert.

Dann gab das Nachrichtenmagazin seiner Ex-Mitarbeiterin Anushka Roshani ungeprüft die Möglichkeit, einen Rufmord zu begehen, ihren ehemaligen «Magazin»-Chef als üblen Mobber und sexistischen Quälgeist zu beschimpfen, sich über mangelhaften Schutz des Tamedia-Verlags zu beschweren. Die Rache einer Frau, die es selbst mit Mobbing und Denunziationen nicht geschafft hatte, ihren Chef vom Sessel zu lupfen, den sie selbst gerne erklettert hätte. Stattdessen wurde sie gefeuert, der «Spiegel» war nicht in der Lage, dieses offenkundige Motiv für eine Abrechnung zu durchschauen.

Diverse Prozesse laufen. Aktuell ist der deutsche Schauspieler Til Schweiger dran; wie immer gespeist aus anonymen Quellen wird ihm ein gröberes Alkoholproblem vorgeworfen. Und bereits wird ein Drei-Sterne-Koch auf die Rampe geschoben, der sich in seiner Küche ungebührlich benommen haben soll.

Das alles bedient das Narrativ von toxischer Männlichkeit, von Frauendiskriminierung im Nachhall der «#me too»-Bewegung, deren erste Exponentin später selbst sexueller Übergriffe beschuldigt wurde.

Nicht nur ältere «Spiegel»-Mitarbeiter sind sich einig: das wäre in früheren Zeiten, unter dem letzten beeindruckenden Chefredaktor Stefan Aust nicht möglich gewesen. Inzwischen gilt:

Wenn Würstchen an die Macht kommen, wird der Senf rationiert.

Statt beeindruckender Enthüllungen wie früher, Stichwort Neue Heimat, Stichwort Parteispenden, folgt nun eine billige Fertigmacher-Story ad personam nach der anderen. Aus Schweizer Sicht ist der Fall Roshani besonders peinlich. Denn spätestens seit dem akkurat recherchierten Buch von Roger Schawinski ist klar, was auch ZACKBUM als eines der ganz wenigen Organe schon von Anfang an kritisierte: Canonica ist hier nicht der Täter, sondern das Opfer, und die Medien machten sich allesamt zu willigen Helfershelfern einer Frau auf dem Rachetrip. Sie übernahmen ungeprüft ihre Behauptungen, schmückten sie sogar mit weiteren, erfundenen anonymen Aussagen aus, schwiegen dann verkniffen, als sich immer mehr offenkundige Widersprüchlichkeiten und gar grobe Erfindungen herausstellten.

Besonders peinlich dabei das Verhalten der «Magazin»-Redaktion, eine Versammlung von Gutmenschen, darunter der Lebensgefährte der Kampffeministin Franziska Schutzbach, die jahrelang mit höchster Sensibilität Missbrauch und alles, was gegen Gutmenschentum verstiess, aufs schärfste verurteilten. Aber in eigener Sache Zeugnis abzulegen, Zivilcourage zu beweisen, dazu Stellung zu nehmen, dass sie von Roshani als Zeugen für angeblich öffentliche Ausfälligkeiten von Canonica aufgeführt wurden – da verordneten sie sich feiges Schweigen, tiefer als die Omertà der Mafia.

Aber all das wird unterboten vom Niedergang des «Spiegel», der nicht einmal mehr schreibt, was sein soll. Sondern sogar, was gar nicht ist.

 

Von Schiffen und Ratten

Führungsfiguren verdienen viel, weil sie viel Verantwortung tragen.

Selten so gelacht.

Das hier wird in die Lehrbücher als Beispiel für Heuchelei eingehen. Immer, wenn es Kritik an Millionensalären von Angestellten geht – denn alle Wichtigtuer in Geschäftsleitung und Verwaltungsrat sind das –, murmeln die was von grosser Verantwortung, schier übermenschlichen Leistungen, grosser Übersicht, weltweiter Erfahrung.

Als Sahnehäubchen setzen sie noch drauf, dass der Wettbewerb halt verlange, für gute Leute gute Saläre zu bezahlen. Schliesslich müsse sich Leistung lohnen, könne das nicht jeder. Was genau?

Die Credit Suisse wird von einem Skandal nach dem anderen geschüttelt. Der vorletzte CEO stolperte über eine Beschattungsaffäre. Der vorletzte VR-Präsident über seine Wurstigkeit gegenüber Corona-Regeln.

Der Aktienkurs dümpelt noch knapp über dem Allzeit-Tief bei 7,50 Franken. Nahe am Totalverlust für Anleger, die zu Höchstkursen einstiegen. Mit einem einzigen, vorbestraften Kunden fuhr die Bank einen Verlust von wohl 5 Milliarden ein, mit dem dubiosen «Geschäftsmodell» eines australischen Wunderknaben 2 Milliarden.

Engagement in Russland, offene Kredite im Rohstoff-Trading, Asset-Beleihung für reiche Russen: steht wo ein Fettnapf, die CS springt rein.

Das ist nun eindeutig die Zeit, Verantwortung zu tragen, die grosse Überlegenheit des Beziehers eines Millionensalärs auszuspielen. Hier ist der Verwaltungsrat gefordert, der schliesslich die Strategie vorzugeben hat, an die sich die GL halten soll.

Also genau der richtige Moment für den Pharma-Man Severin Schwan, die Verantwortung für seine Personalpolitik zu übernehmen. Rücktritt. Oder von Kai Nargolwala, berühmt geworden für seine Salärexzesse und Leiter des Vergütungsauschusses. Rücktritt. Oder für Juan Colombas, um zu zeigen, dass er nicht einfach als Horta-Osório-Mann in den VR kam. Rücktritt.

Da soll sich noch ein Banker wundern, wieso das Image dieser Berufsgattung im Keller ist und bleibt.