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Wumms: Stäuble, Amstutz

Der Leser hat das Wort. Aber nicht jedes.

Das nennt man Leser-Blattbindung. «Redaktionskonferenz mit der Chefredaktion», kündigte der Tagi etwas vollmundig an.

Das nennt man auch Aufklärung, denn vielen Lesern dürfte es zuvor gar nicht bewusst gewesen sein, dass es neben einem Oberchefredaktor auch noch gleich zwei Co-Chefredaktoren gibt. Was die tun? Gute Frage, sie sind wohl für die «Qualitätskontrolle» zuständig, bzw. für deren Versagen.

Aber gut, Tamedia hat sich einen neuen Slogan gegeben, «Finden wirs raus». Was? Ach, irgendwas. Falls uns nix einfällt, «unsere Botschaft an Sie lautet: Wir sind offen für Ihre Hinweise, Ihre Anliegen und Ihre Kritik.»

Schein und Sein. Diese Offenheit hatte dann allerdings ihre engen Grenzen. So wurde ZACKBUM zugetragen, dass es durchaus kritische Hinweise und Fragen gab. Zum Beispiel, was denn nun mit dem Protestbrief der 78 erregten Tamedia-Frauen geschehen sei, ob die Vorwürfe abgeklärt wurden, und wenn ja, mit welchen Konsequenzen. Die Frage erschien nicht in dieser ach so offenen Konferenz.

Genauso ging es auch der Frage, was denn an den Vorwürfen der «Republik» dran sei, die den Rausschmiss eines Redaktors damit in Verbindung brachte, dass der bei Big Boss Pietro Supino höchstselbst in Ungnade gefallen sei und sich auch sein Vorgesetzter Stäuble wortreich für eine Recherche habe entschuldigen müssen.

Sind sicherlich keine angenehmeren Fragen, aber die Vorwürfe stehen ja öffentlich im Raum, und der Leser und Teilnehmer an der Konferenz wollte das verständlicherweise wissen.

Antwort von Radio Eriwan, Pardon, der Chefredaktion: Im Prinzip nein. Das finden wir jetzt nicht raus. Schnauze. Nächste Frage …

Wie heute ein Artikel entsteht

Selbst für Fachleute liegt da vieles im Dunklen. Also Scheinwerfer an.

Die Welt ist rund, bunt und kompliziert. Das ist die schlechte Nachricht für moderne Newsproduzenten. Sie in all ihrer Komplexität abzubilden, das bräuchte die Fähigkeiten eines Joseph Roth, eines Kurt Tucholsky, Dominick Dunne, einer Oriana Fallaci, eines Tom Wolfe, Lincoln Steffens. Oh, sind alle schon tot? Ja, leider. Gay Talese wird auch bald 90.

Die Wirklichkeit in all ihrer Komplexität abzubilden, bräuchte die Geduld (und die Finanzkraft) der wenigen überlebenden Leuchttürme des Journalismus, alle in englischer Sprache. Wo ein Reporter noch sagen kann: Ich habe mich mit dem Thema nun ein Jahr befasst. Aber ich glaube, ich brauche nochmal ein Jahr, um etwas Sinnvolles abzuliefern.

Bevor wir uns nun im deutschen Sprachraum alle ins Hemd heulen, wollen wir ganz stark sein und in dieses Panoptikum einsteigen. Am Anfang natürlich, bei der Themenfindung. Die besteht aus einer eher kurzen Besprechung, die wiederum aus drei Teilen besteht. Der dazu abgeurteilte Redaktor gibt einen Überblick der Agenturmeldungen und der Ankündigung von Ereignissen an diesem Tag.

Die Journis, die etwas gebacken haben, drängen darauf, dass ihre Story nun wirklich ins Blatt müsse. Das sagen sie, wenn sie zu den wenigen überlebenden älteren Journis gehören. Endlich online gehen müsste, so sagen die Kindersoldaten in der Redaktion.

Routine, Nahkampf, Ämtchen verteilen

Dann kommt der kürzeste Teil, nämlich die Frage nach neuen Themen. Anschliessend der Kampfzwischenakt, wer darf einen Kommentar wozu schreiben. Da wird dann mit ausgefahrenen Ellenbogen und mit Untergriffen gearbeitet. Aber auch das Theater geht vorbei.

Ganz von alleine metastasiert sich ein weiterer Ersatz für Eigenrecherchen durch die Medienauftritte: die Kolumnitis. Keiner zu klein, Kolumnist zu sein. Kein Gedanke zu dünn, um nicht eine Kolumne damit zu füllen. Was immer geht: persönliche Betroffenheit. Wie die herbeigezerrt wird? Egal. Musterbeispiel dafür ist die neuste Blödkolumne von Philipp Loser im «Magazin». In Liestal fand bekanntlich eine erlaubte Manifestation von Gegnern der Corona-Politik in der Schweiz statt. Das findet Loser ziemlich scheisse. Dem wurde aber schon vielfach und auf allen Kanälen Ausdruck verliehen.

Auch das findet Loser ziemlich scheisse, denn er möchte auch noch unbedingt etwas dazu sagen. Nur wie? Einfach: Er ist Liestaler. Also betroffen. Er will die «Ehre der Heimat» retten. Denn die war intakt und nicht der Rede wert, «bis ein paar Maskengegner auftauchen und das nicht vorhandene Image versauen». Wirklich wahr, wie kann man mit der legalen Ausübung eines demokratischen Grundrechts auch nur ein Image versauen, selbst ein unsichtbares. Was für ein dummer Mensch, oder sagten wir das schon?

Nun werden die (wenigen) verbliebenen Kräfte eingeteilt, die sich eines Themas genauer annehmen sollen. Also irgendwas, was oberhalb von copy/paste, googeln und einem Telefonat mit einem Fachmann, einem Interessensvertreter, notfalls einem Politiker, besteht.

Damit diese wertvollen Kräfte nicht vergeudet werden, kann da der Redaktor nicht einfach drauflosrecherchieren. Wo kämen wir da hin? In den Bereich reiner Geld- und Ressourcenverschwendung, falls die Recherche kein Resultat ergibt – oder nicht das gewünschte.

Es war zum Beispiel in der gesamten Mainstreampresse absolut ausgeschlossen, auch nur eine Amtshandlung von Ex-Präsident Trump wohlwollend zu beschreiben. Obwohl es klar ist, dass er in seinen vier Jahren im Amt nicht nur und ausschliesslich und immer Schrott gebastelt hat.

Was ist unsere These? Ohne geht’s nicht in den Dschungel

Also fragt in diesem Moment der Chefredaktor, der Blattmacher, der Tagesverantwortliche oder wer auch immer: Und was ist die These? Denn man will sich wirklich nicht von der Wirklichkeit, diesem unkontrollierbaren Biest, überraschen lassen. Ist diese Frage befriedigend geklärt, kommt noch die zweite: Relevanz? Was bedeutet: interessiert das den Leser, unseren Leser? Wenn ja, warum? Dann braucht es nur noch eine Abklärung, wie lange das Stück denn werden darf.

Auch das hat nullkommanix mit den Resultaten der Recherche zu tun. Denn jede Seite oder jedes Ressort hat ihren Aufmacher, eventuell einen Zweitaufmacher, Meldungen, Beigemüse und eventuell einen Kommentar. Da es ja blöd wäre, 10’000 Anschläge auf die Hälfte zusammenzuholzen, sind solche Vorgaben nur sinnvoll. Wohin es ohne solche Grenzen führt, beweist die «Republik» fast täglich.

Also hat der Redaktor eine klare These, muss an den Lesernutzen denken, selbstverständlich an die Grundhaltung seines Organs, und darf sich nun der Wirklichkeit in vorsichtigen Schritten nähern. Ist es ein erfahrener, alter Hase, weiss er: tut ihm die Realität, ein Gesprächspartner, ein Fachmann nicht den Gefallen, genau das abzuliefern, was er für die Unterstützung seiner These braucht, dann gibt es nur eins: weglassen. Jemand äussert sich positiv über eine Person, die in einem Porträt niedergemacht werden soll? Weglassen.

Ein Fachmann widerspricht der These? Blöde Wahl, weglassen. Die Realität präsentiert sich in bunten, schreienden, sich widersprechenden Farben? Zu verwirrlich für den Leser, in Schwarzweiss umfärben. Ganz wichtig auch: Narrative verwenden. Putin? Eiskalter Machtmensch. Trump? Vollidiot. Merkel? Naturwissenschaftlerin, bedächtig. Berset? Riesentyp, und so sympathisch. Blocher? Wird langsam senil.

Fehler aus Unerfahrenheit

Ist aber der Redaktor ein Jungspund, dann kann es passieren, dass er trotz Briefing, These und klaren Vorgaben mit einer Story zurückkommt, die er so anpreisen will: während meiner Recherche habe ich herausgefunden, dass die These falsch ist, aber das ist doch auch interessant.

Aber leider sieht er sich dann hochgerollten Augen gegenüber, hört leichte Seufzer, auch den einen oder anderen Fluch. Dann nimmt ihn wer auch immer väterlich beiseite und erklärt ihm nochmal kurz, wie das so läuft. Das Gespräch endet dann mit: So, mein Sohn, löschen, nochmal neu. Und Deadline ist dann in zwei Stunden, gell?

Eines ist allerdings die reale, bittere, nicht wegzuschreibende Wahrheit: Auf diese Art wird der Journalismus garantiert keine Auferstehung erleben. Sondern in die Grube fahren und dort auch bleiben. Wobei nicht einmal ein Stein davor gewälzt werden muss.

«Wir sind die Remueurs der Redaktoren»

42 Artikel später: Beni Frenkel, René Zeyer und Lorenz Steinmann (Foto: Rolf Edelmann)

Es gibt uns seit 14 Tagen. Hoch die Flaschen!

Also bitte, in den heutigen schnelllebigen Zeiten ist das allerhand für eine neue Internet-Plattform über Medien.

Es gibt noch viel mehr gute Nachrichten. Wir sind schon weltberühmt geworden. Also in der kleinen Welt der Journalisten. Als «Aussortierte» («Schweiz am Wochenende») belächelt, für unsere «wohltuend klare Haltung» gelobt («Die Ostschweiz»), «Zackbum statt Zackzack heisst es künftig in der Schweiz», weiss «Horizont.at», ein Servus und gschamigster Diener nach Österreich.

Kontrolle ohne Rücksicht

«Zackbum verspricht Kontrolle ohne Rücksicht», behauptet persoenlich.com. Es wird natürlich auch dem Sprichwort nachgelebt, dass Neid die aufrichtigste Form der Anerkennung ist. Die «SonntagsZeitung» will einen kleinen Tiefschlag landen, hat aber lausig recherchiert, muss sich entschuldigen und eine Richtigstellung einrücken.

Auch persoenlich.com gerät etwas in Schnappatmung und will schon nach zwei Tagen bereits eine «Verwirrung um neue medienkritische Plattform» gesichtet haben. War aber nur ein gähnendes Sommerloch, da Kurt W. Zimmermann mit einem Tweet ausprobieren wollte, wie man mit einfachen Mitteln Aufmerksamkeit erregen kann.

Rena Zulauf wird ohne eigenes Verschulden als Mitarbeiterin genannt; weil sie Anwältin ist und sich auch eine Scheibe Aufmerksamkeit abschneiden will, muss CH Media überall richtigstellen, dass sie das nicht sei. Um ehrlich zu sein: Das ist auch gut so. Die «Weltwoche» verwechselt Beni mit seinem Onkel Max Frenkel. Ein Blick ins Impressum hätte genügt, um sich darüber zu wundern, ob Max Frenkel in den Jungbrunnen gefallen ist. Aber macht ja alles nix.

Schon zwei Wochen ohne Bettelaktion

Wir werden fleissig gelesen, für ein brandneues Medium auch schon fleissig kommentiert, schon bald können wir den «Freundeskreis der ZACKBUM.ch-Fans» aus der Taufe heben. Erste ernstgemeinte Angebote für Mitarbeit gibt es auch schon. Allerdings: bereits 42 Artikel veröffentlicht, und noch kein einziges Begehren um Gegendarstellung eingefangen. Wir sind enttäuscht, aber halt einfach gut.

Zudem sind wir noch nicht pleite und bislang ohne Bettelaktion, was uns von anderen Medienorganen wohltuend unterscheidet. Die Rettung der Demokratie ist schon vergeben, also bewerben wir uns für die Rettung des Journalismus.

Eigentlich wollen das ja alle Medienschaffenden wissen, aber keiner traut sich, die Frage zu stellen: Wie geht es eigentlich bei einer Redaktionssitzung von ZACKBUM.ch zu und her? Hier gilt die Omertà, also die klassische sizilianische Schweigepflicht, sonst Beton am Fuss und der im Wasser. Aber wir machen zur Feier des Tages mal eine Ausnahme.

Aus dem Nähkästchen geplaudert

Um schlag 19 Uhr schwingt René Zeyer jeweils eine grosse Glocke und brüllt: «Ruhe jetzt, es gibt viel zu tun.» Sein strafender Blick lässt die freien Mitarbeiter, die sich in Reihe zwei und drei um den Sitzungstisch versammelt haben, verstummen.

In der Stille hört man das Glug-glug besonders laut, mit dem drei Champagnergläser gefüllt werden. Ein leises Kling, dann meint Lorenz Steinmann kennerisch: «Der Dom Pérignon war das letzte Mal auch nicht schlecht, aber ein Krug schlägt natürlich alles.» – «Ist dieser Champagner eigentlich koscher?», erkundigt sich Beni Frenkel und nimmt einen grossen Schluck, ohne die Antwort abzuwarten.

Zeyer schenkt sich selbst nach und übersieht die flehentlichen Blicke seiner beiden Mitstreiter. Die freien Mitarbeiter haben sich schon lange daran gewöhnt, dass es für sie nur Hahnenwasser gibt. «Wir sind eigentlich wie die Remueurs», meint Zeyer nachdenklich, um davon abzulenken, dass er erst jetzt den anderen beiden nachschenkt und sich selbst nochmals.

«Hä?», sagt Frenkel und spricht damit allen aus dem Herzen. Zeyer schüttelt nachsichtig den Kopf, «keine Lebensart hier am Tisch», mäkelt er. «Der Remueur heisst auf Deutsch Rüttler. Das ist der, der die Champagnerflaschen rüttelt und dreht, damit der Hefezusatz in den Flaschenhals rutscht. Und etwas Vergleichbares machen wir doch mit den Schweizer Journalisten.»

«Ach so», sagt Frenkel, «verstehe, wir machen was Ähnliches mit den Palästinensern.» Steinmann schüttelt tadelnd den Kopf: «Keine Scherze auf Kosten von Juden oder Palästinensern, wir wissen doch nicht, ob hier alle dichthalten.» Das Kernteam am Tisch blickt misstrauisch zu den freien Mitarbeitern, die aber alle entrüstete Geräusche machen und verneinend mit dem Zeigefinger wackeln.

So entstehen die Storys täglich neu

«Nachdem wir auch das geklärt hätten», sagt Zeyer, «könnten wir vielleicht langsam zu neuen Themenvorschlägen übergehen.» – «Könnte ich ein Blatt Papier haben», fragt Frenkel, «ach, und einen Kugelschreiber, und ist eigentlich noch was in der Flasche?» – «Du bist mir ein schöner Journalist», tadelt Steinmann. «Vorsicht», sagt Frenkel, «ich bin ein jüdischer Journalist, und wenn nichts mehr in der Flasche ist, gibt es keinen Nachschub?»

Zeyer steht seufzend auf und holt eine zweite Flasche aus dem Kühlschrank. «Für die harten Sachen ist es vielleicht noch ein wenig früh», meint er. «Wieso?», fragen Steinmann und Frenkel im Chor. «Da habt Ihr auch wieder recht», lenkt Zeyer ein und stellt die Flasche Nummer 319 des Barbadillo Solera Gran Reserva auf den Tisch.

«Davon gibt’s aber nur ein Glas», sagt Zeyer präventiv, als Frenkel den Brandy mit einem Schluck vertilgt, «habe ich Euch schon mal erzählt, wie wir es schafften, in Havanna den Rumvorrat eines Restaurants auszutrinken?» – «Ja», sagen alle genervt im Chor. «Ach was», sagt Zeyer und schenkt sich selbst nach, bevor er die Flasche zukorkt und in ihren dreieckigen Schutzkarton zurückstellt.

Er schaut auf die Uhr und sagt: «Ich glaube, wir sind heute mal wieder ein schönes Stück weitergekommen; jeder weiss, was er zu tun hat. Dann machen wir wie üblich jeden Tag um punkt 7 morgens die Skype-Konferenz, und hier sehen wir uns dann in einer Woche wieder.»

Die freien Mitarbeiter nicken eifrig, Frenkel legt nach einem strafenden Blick von Steinmann den Kugelschreiber wieder auf den Tisch, den er eigentlich mitgehen lassen wollte, Zeyer schaut schon sehnsüchtig auf den Brandy-Karton. «Ist schon gut, dass das alles unter uns bleibt», sagt Steinmann zum Abschied.

So und nicht anders entstehen all die vielen knackigen Storys, mit denen ZACKBUM.ch Tag für Tag die grosse weite Welt der Journalisten unterhält. Es ist harte Arbeit, gepaart mit Fleiss und dem unablässigen Bemühen, topfnüchtern einen Blick auf die Medienlandschaft zu werfen. Aber das hält ja keiner aus, ohne sich die schönzusaufen.