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Dichtung und Wahrheit, Teil 2

Die Geschichte hinter der Geschichte von Raubkunst.

Hier geht’s zum ersten Teil.

Wer kann das viele, viele Jahre später noch unterscheiden? «Auch Leben ist eine Kunst», war der Sinnspruch von Max Emden. Das Nachleben der von ihm erworbenen Kunstwerke ist dagegen ein Trauerspiel.

Die Brissago-Inseln wurden 1949 von Emden an den Kanton Tessin für 600’000 Franken verkauft. Die Gemälde verblieben in der Obhut Schweizer Kunsthändler, darunter Werke von van Gogh, Renoir, Monet und anderen. So wurde beispielsweise der Monet vom Kunsthändler Fritz Nathan für 35’000 Franken an einen reichen Schweizer Waffenfabrikanten verkauft, im Jahre 1941.

Dieser Monet war Teil eines Raubes aus der Sammlung des Waffenhändlers; das Gemälde wurde aber 8 Tage nach dem Diebstahl im Jahre 2008 unversehrt wieder aufgefunden. Damals forderte ein Nachkomme des längst Verstorbenen Verkäufers die Rückgabe des Werks.

Die Verhandlungen dauerten bis 2012, wobei die Stiftung, als Rechtsnachfolgerin des Käufers, diese Forderung zurückwies und Vergleichsverhandlungen abgebrochen wurden. Die Stiftung sagt, dass auf ihre Bitte um Stellungnahme zu ihrer Position niemals eine Antwort erfolgte.

Der Sohn des damaligen Kunstberaters des Verkäufers erinnert sich, dass der Verkäufer immer mit Respekt vom Käufer sprach und niemals die Ansicht äusserte, dass er möglicherweise unter Ausnützung seiner damaligen Lage über den Tisch gezogen worden sei.

Dennoch melden sich nun seine Erben erneut und fordern die Rückgabe des Gemäldes. Die Wahrheit ist, dass solche Forderungen längst verjährt sind. Die Wahrheit ist auch, dass es angesichts der Raubzüge, die von den Nazis auf den Kunstbesitz von Juden geführt wurden, angesichts der Tatsache, dass Juden auf der Flucht sich von Kunstwerken trennen mussten, um die Flucht selbst und den Lebensunterhalt bestreiten zu können, angesichts der Tatsache, dass diese Notlage auch skrupellos ausgenützt wurde, hier eine Schwebung zwischen Dichtung und Wahrheit entstanden ist.

Bei all diesen Forderungen nach Restitution sollte abgeklärt werden, ob damals ein angemessener Preis bezahlt wurde, ob der Verkäufer über den Betrag frei verfügen und ihn auch ins Ausland transferieren konnte und ob der Verkauf unter Zwang oder in einer Notlage erfolgte.

Naturgemäss gehen hier die Auffassungen der Erben der damaligen Käufer und der Nachkommen der damaligen Verkäufer häufig auseinander.

Wie viele Wahrheiten gibt es?

Allfällige Wahrheiten müssen aus einem Gespinst aus Dichtung, Verlorengegangenheit und bis heute aufgeladenen Begrifflichkeiten herausgeschält werden. Schon alleine die Frage, ob ein «angemessener» Preis bezahlt wurde, führt in unendliche Verwicklungen.

Im Kapitalismus bestimmt sich der Preis eines Wertgegenstands, und das ist auch ein Kunstwerk, nach Angebot und Nachfrage. Der sollte im besten Fall um einen sogenannten inneren Wert oszillieren. Der ist bei einem Gebrauchsgegenstand, einer Immobilie, einer Fabrik einigermassen festzulegen. Auch bei Schmuck oder Edelmetallen gibt es Anhaltspunkte. Bei einem Kunstwerk ist es entschieden schwieriger.

Befand sich in diesem konkreten Fall der damalige Besitzer in einer Notlage, musste er unter Zwang verkaufen, wo er doch nachweislich Millionär war? Brauchte er schnell Liquidität, um seine Reise nach Chile zu finanzieren, wo er doch über bedeutende Bargeldreserven in Dollar auf US-Banken verfügte?

Wie soll man heute das Verhalten der Stiftung bewerten, wo doch beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland lange Jahre die Rückgabe von in Hitlers Sammlung gelangter Gemälde verweigerte, mit der putzigen Begründung, dass die beiden Bellotto-Bilder doch als legale Erwerbungen der Nazis gälten.

Verschwindet die Wahrheit über dieses eine Gemälde hinter dem gewaltigen Unrecht, das dem Stammvater der Familie angetan wurde, der zwar einen Teil seines Vermögens in die Schweiz rettete, aber gewaltigen Besitz in Deutschland und in von den Nazis okkupierten Ländern zurücklassen musste – der ihm schlichtweg gestohlen wurde?

Zwei seiner Urenkel leben in Deutschland und reiben sich bis heute an der Unwilligkeit deutscher Behörden, diesen Fall aufzuarbeiten. Schliesslich sei ihr Urgrossvater Max Emden doch trotz diesen Raubzügen der Nazis ein vermögender Mann geblieben, der sich ein luxuriöses Leben mit Frauen, Bediensteten und vielen Gästen in einer Villa auf einer eigenen Insel leisten konnte, behaupten deutsche Beamte eiskalt.

Auch der Nachkomme war finanziell gut gestellt

Schliesslich habe doch auch ihr Grossvater Hans Erich Emden noch über genügend Vermögen verfügt, um sich in Chile niederlassen zu können, ohne in materielle Bedrängnis zu geraten. Und schliesslich sei es doch bei allen Verkäufen in der Schweiz mit rechten Dingen zu und hergegangen. Von Ausnützen einer Notlage, von Fluchtkunst, von Mundraub könne nicht die Rede sein.

Schliesslich hätten sich doch auch in Deutschland fast alle Profiteure des arisierten Eigentums irgendwie herausgeschwätzt.

Der «Spiegel» schrieb 2017: «Mitte der Neunzigerjahre reiste Hans Erich Emden ein letztes Mal ins ungeliebte Deutschland, er besichtigte damals sein altes Elternhaus in Klein Flottbek, dieses weitläufige Anwesen, das schon lange niemand mehr Sechslinden nennt, und in dem seit Jahrzehnten eine private Schule untergebracht ist. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wo einst sein Kinderzimmer war, wie er auf dem Poloplatz nebenan gespielt hatte. Davon, dass in den 1930er-Jahren die Luftwaffe das Gebäude übernommen hatte, hatte er gehört.»

In seinem grossen Bericht über diese Familie schreibt das Hamburger Nachrichtenmagazin auch:

«In den Achtzigerjahren überwies das Ausgleichsamt in Bremen Hans Erich Emden in Chile für zwei verlorene Warenhausgrundstücke in Danzig und Stettin 40.000 Mark.»

Die wieder in Deutschland lebenden Urenkel berichten, dass all dieses Unrecht vor allem an ihrem Vater, dem ältesten Sohn von Hans Erich, dem damaligen Alleinerben, zehre.

War Remarques Bemerkung, als die Nazis sich die verbliebenen Besitztümer unter den Nagel rissen, zynisch oder zutreffend? «Er leidet unter der Millionärskrankheit: Er hat Angst, arm zu werden», schrieb der Schriftsteller, der häufig Gast auf der Insel war. Als der Tycoon 1940 mit erst 65 Jahren starb, fügte er kalt hinzu:

«Das hat er nun von seiner Angst gehabt!»

Was ist mit all den Besitztümern geschehen, wieso wurde kaum etwas entschädigt? War der reiche Begründer der Familie nicht jüdisch genug, weil er schon in seiner Jugend zum christlichen Glauben übergetreten war? Lebte er zu mondän als reicher Aussteiger mit 17-jähriger Geliebten im Tessin?

Zynische Rechtfertigungsversuche von Deutschland

Deutsche Rechtfertigungsversuche des damaligen Unrechts sind an Zynismus kaum zu überbieten. Während er damals als Jude behandelt wurde, seine Vermögenswerte aufgrund gegen Juden gerichteter Gesetze gestohlen wurde, stellte sich die Bundesrepublik später auf den Standpunkt, dass er als Nicht-Jude keinerlei Anrecht auf Wiedergutmachung habe. Zudem sei er ja gar nicht mehr deutscher, sondern Schweizer Staatsbürger gewesen.

Die «taz» verläuft sich in ihrer Beschreibung einer Dokumentation rettungslos in Dichtung und Wahrheit: «Vor der Abreise vertraute Hans Erich Emden eines der teuersten Bilder der Sammlung seines Vaters, das „Mohnfeld bei Vétheuil“ von Claude Monet, einem Vertrauten der Familie an. Der verkaufte es für den Spottpreis von 30.000 Schweizer Franken an den in der Schweiz lebenden deutschen Waffenhändler Emil Bührle – und steckte den größten Teil des Erlöses auch noch in die eigene Tasche.»

Verschwindet die Wahrheit hinter Absicht und Begierde?

Das scheint nun eindeutig mehr Dichtung als Wahrheit zu sein. Aber wie steht es mit den wiederbelebten Ansprüchen dieses ältesten Sohnes, der via ein Schweizer Online-Magazin schwerste Beschuldigungen über die damalige Behandlung durch die Stiftung erhebt und von seinem Anwalt ausrichten lässt: «Ich kann Ihnen versichern, dass die Ansprüche der Emden-Erben auf das ‹Mohnblumenfeld› keineswegs zurückgezogen werden. Faire und gerechte Lösungen sind das Ziel, die, wo immer möglich, mit einer Rückgabe einhergehen sollen

Ist das das Ziel oder hat der Sohn des damaligen Beraters von Hans Erich Emden recht, der abschätzig urteilt, dass es den beteiligten Anwälten doch nur ums Geld ginge und dass die Forderung nach einer Rückgabe in diesem Fall «absurd» und sogar unanständig sei?

Im Pulverdampf des Gefechts über längst vergangene Taten – oder Untaten? – verschwindet die Wahrheit hinter Dichtung, Absicht und Begierde.

Fortsetzung folgt: Auf der Suche nach Gerechtigkeit

 

Dichtung und Wahrheit, Teil 1

Bührle und kein Ende. Eine Suche nach der Wahrheit hinter dem Geschrei.

Wer kann das viele, viele Jahre später noch unterscheiden? «Auch Leben ist eine Kunst», war der Sinnspruch von Max Emden. Das Nachleben der von ihm erworbenen Kunstwerke ist dagegen ein Trauerspiel.

Es begab sich und trug sich zu: Es war einmal ein deutscher Millionär. In seinen besten Zeiten war er der Kaufhauskönig Europas mit über 6000 Angestellten und Geschäften an bester Lage in vielen Grossstädten. Er lebte hoch im Norden und wurde dem Dreck einer Hafenstadt, auch der Engstirnigkeit der Menschen Hamburgs überdrüssig.

Also verkaufte er den Grossteil seiner Beteiligungen, die ihn reich gemacht hatten, und wanderte gegen Süden aus. Er suchte Ruhe und Beschaulichkeit; die fand er im Tessin. Genauer auf zwei Inseln im Lago Maggiore. Die waren idyllisch und einsam genug, also kaufte er sie 1927 für 600’000 Franken, was damals eine hübsche Stange Geld war.

Um die Beschaulichkeit mit Behaglichkeit zu verbinden, liess er auf einer der Inseln eine schöne, klassizistische Villa mit 30 Zimmern errichten. Das war dann genug Platz für seine Familie und seine Kunstsammlung, die er an den zahlreich vorhandenen Wänden aufhängte.

Die Inseln boten auch genug Privatsphäre, dass er dort ein Leben als Aussteiger, Freigeist, Polospieler, Golfer und Liebhaber des Schönen und der Schönen führen konnte. Als Frühhippie, im Geiste des nahegelegenen Monte Verità.

Allerdings berichten viele Zeitzeugen, dass immer eine Aura von Melancholie und zurückhaltender Trauer um ihn war.

Bald kamen die braunen Zeiten in Deutschland

1931 liess er auf einer grossen Auktion aus seiner Sammlung Gemälde deutscher und französischer Meister des 19. Jahrhunderts, Möbel, Teppiche, Bronzen, deutsches Silber, Fayencen versteigern.

Die dunkelbraunen Zeiten, die in Deutschland anbrachen, machten die Inseln zu seinem Hauptwohnsitz; 1934 erwarb er das Bürgerrecht der Gemeinde Ronco. Illustre Gäste beherbergte er in seiner Villa, darunter Aga Khan, den König von Siam oder den berühmten Schriftsteller Erich Maria Remarque.

Als die braune Pest damit begann, seine in deren Einflussbereich verbliebenen Besitztümer zu arisieren oder schlichtweg zu stehlen, setzte er die Verkäufe seiner in die Schweiz verbrachten Kunstwerke fort, um seinen Finanzhaushalt zu stabilisieren. Denn Villa, Bedienstete, Boote, Polo, Frauen, das Leben, das war alles nicht ganz billig.

Zwei dieser damals verkauften Gemälde gelangten in die Sammlung Adolf Hitlers. Da die Bundesrepublik Deutschland die Rechtsnachfolge des Dritten Reichs angetreten hatte und sich ungern von jeglichem Besitz trennte, dauerte es bis 2019, dass die beiden Gemälde an die Nachkommen des Sammlers restituiert wurden.

Die in Deutschland enteigneten Besitztümer sind bis heute ein ungelöster Skandal

Bis heute ist aber die Enteignung seiner Besitztümer in Deutschland und im Einflussbereich der braunen Pest ein Verbrechen, das ungesühnt bleibt. Er war nicht nur der Kaufhauskönig der damaligen Zeit, sondern der bedeutendste Grundbesitzer in Hamburg, höchstwahrscheinlich sogar im ganzen Deutschen Reich.

Glücklicherweise hatte er seine Kaufhäuser, darunter das KaDeWe in Berlin oder Oberpollinger in München, noch rechtzeitig verkauft. Er blieb aber im Besitz der Grundstücke, bis ihm die abgepresst oder schlichtweg gestohlen wurden.

Als der Lebemann 1940 plötzlich starb, wurde sein einziger Sohn Alleinerbe. Der war nicht mit ins Schweizer Bürgerrecht aufgenommen worden und wurde daher staatenlos, als ihm der deutsche Schurkenstaat seine Staatsbürgerschaft entzog.

Aber der Sohn besorgte sich einen haitianischen Pass und beschloss, nach Chile auszuwandern; von dort stammte seine Mutter. Dabei liess er die beiden Inseln und einige Kunstwerke in der Schweiz zurück, die verkauft werden sollten.

Der Sohn und Erbe war finanziell gut gepolstert

Dringlichen Finanzbedarf schien er nicht zu haben, denn er verfügte insgesamt über ein Vermögen von rund 1,8 Millionen Franken. In Dollar umgerechnet wurden seine Kunstwerke auf 75’000 $ geschätzt, hinzu kam auf diversen New Yorker Bankkonten ein Guthaben von über 130’000 Dollar, jederzeit liquide.

In Chile gründete der Sohn mit diesem Vermögen eine eigene Firma. Da ihm als möglicherweise «feindlichem Ausländer» zweimal Visa-Anträge in die USA verweigert wurden, überwachten die US-Behörden seinen Geldverkehr genau. Da entsprechende Archive vorhanden sind, lässt sich belegen, dass er seine in Chile gegründete Firma Pre-Unic mit einer Kapitalbasis von 133’000 US-Dollar ausstattete und daraufhin weitere 135’000 Dollar für Investitionen und seinen Lebensunterhalt aus seinem Vermögen in den USA und anderswo bezog.

Das war rund eine Million CHF zum damaligen Umrechnungskurs. Zudem geht aus einem Schriftwechsel mit seiner damaligen Verwalterin in der Schweiz hervor, dass Olga Ammann eine Offerte der SBG (heutige UBS) für den Ankauf von drei Kunstwerken zurückwies; der Preis erschien ihr zu niedrig, und es herrschte offenbar Einverständnis zwischen ihr und Emden, dass diese Verkäufe langsam und bedächtig abzuwickeln seien, keine Eile oder Not bestünde.

Fortsetzung folgt: Der Enkel will Genugtuung

 

Konzernjournalismus

Wie steht es mit der Raubkunst im Hause Coninx?

Der Artikel ist in der «Weltwoche» erschienen. Pfui. Er stammt von Christoph Mörgeli. Pfuipfui. Er wird mit Verachtung und Schweigen gestraft werden.

Dabei ist es ein naheliegendes und gutes Stück Recherche. Tamedia  singt ja die erste Stimme im Chor der Verdammer der Bührle-Sammlung im Kunsthaus. Waffenhersteller, Geschäfte mit den Nazis, Kunstwerke «problematischer» Herkunft. Also eigentlich Raubkunst. Pfuipfuipfui.

Dagegen erzählt Mörgeli die Geschichte eines Picasso, den Verlegergattin Berta Coninx im Mai 1945 für schlappe 3200 Franken kaufte. 1948 wurde sie vom Bundesgericht dazu gezwungen, es dem Vorbesitzer Paul Rosenberg zurückzugeben. 2007 wurde das Gemälde für 825’000 Dollar verkauft.

Einzelfall? In der Werner-Coninx-Stiftung ist die Herkunft fast aller Kunstwerke nicht abgeklärt. Bei der Untersuchung von 163 Papierwerken stellte sich heraus, dass die Provenienz bei 16 unbedenklich sei, bei 142 «die Herkunft nicht eindeutig geklärt oder nur lückenhaft belegt», schreibt Mörgeli. Bei 10 Grafiken gebe es Hinweise auf NS-Raubkunst.

Die sozusagen hauseigene Sammlung wird von Tamedia in Lob gebadet. Putzig ist noch das Detail, dass die Coninx-Stiftung vom gleichen Alexander Jolles präsidiert wird und der gleiche Lukas Gloor im Stiftungsrat sitzt – die beide in ihrer Funktion bei der Bührle-Stiftung harsch kritisiert werden.

Ein weiteres schlagendes Beispiel: Der Journalismus, die Medien gehen nicht an rückläufigen Inseraten und in Scharen davonlaufenden Abonnenten zugrunde. Sondern an ihrer abgründigen Heuchelei.

Die Beute-Bronzen von Benin

Im Schlagabtausch über die Bührle Sammlung herrscht Begriffsverwirrung.

Der Populist mag’s vulgär. Raubkunst, abgepresst, Ausnützung einer Notlage. Verachtenswert, moralisch unter jeder Kritik.

Da ist die Welt heil und sauber in schwarz und weiss geteilt. Da kann man vor Rechtschaffenheit bebend im Nachhinein Oberlehrer spielen und von der Kanzel der guten Gesinnung Brandreden mit erhobenem, moralingetränktem Zeigefinger halten. Nur ist das ein fruchtloses Tun mit null Erkenntnisgewinn.

Wunderbar, dass wenigstens die NZZ* einem Fachmann Platz für Einordnung gibt. Der Autor Richard Schröder, emeritierter Professor an der Humboldt-Universität in Berlin und Theologe, weiss, wovon er spricht. Denn Berlin – und dort heute das Humboldt Forum – ist im Zentrum der Debatte um die sogenannten Benin-Bronzen.

Benin war ein Königreich in Westafrika, heute eine Provinz von Nigeria. Bronzefiguren schmückten damals den Palast und dienten auch als Kultgegenstände bei der Ahnenverehrung. Im Gefolge der Eroberung durch England fanden mehr als 3000 Exemplare ihren Weg nach Europa.

Und schon sind wir mitten in der Definitionsfrage. Raubkunst? Beutekunst? Konfiskation? Reparation? Privileg des Eroberers, sich schadlos zu halten? Rückgabe? An wen? Wer nicht oberflächliche Luftkämpfe mit Schlagworten gewinnen will, muss zuerst Begriffe ordnen.

Zunächst eine klare Auslegeordnung der Begriffe

Das Wort Raubkunst «wurde ursprünglich für Kulturgüter verwendet, die während des Nationalsozialismus geraubt» wurden, erklärt Schröder. Das war nicht kriegsbedingt, sondern eine Form von Gewaltanwendung des NS-Staates, vor allem gegen Juden.

Das macht die Verwendung des Wortes im kolonialen Zusammenhang und auf Afrika bezogen problematisch. Zudem stigmatisiert es Kriegsbeute; ein über Jahrhunderte, Jahrtausende übliches Vorgehen, auch bei innerafrikanischen Kriegszügen. Während ein Raub unter allen Titeln ein Straftatbestand ist, wer mit Geraubtem handelt, ein Hehler, war Beutemachen das «unbestrittene Recht des Siegers».

Bis zur Haager Landkriegsordnung von 1899. Noch Napoleon hatte in den von ihm eroberten Ländern massenhaft Kunstwerke als Kriegsbeute mitgenommen. Nun kann man solche Regeln für barbarisches Kriegshandwerk wohlfeil verurteilen; dabei übersieht man aber, dass völlige Regellosigkeit ein Synonym für Willkür und Barbarei ist.

«Man muss also Beute, die vor 1899 gemacht wurde, nicht zurückerstatten, aber man darf. Solche Rückgabe ist nicht zwingend und nicht erzwingbar, sondern eine Geste des Wohlwollens, die ihrerseits mit Wohlwollen sollte rechnen dürfen und nicht mit dem Vorwurf: «Ihr seid Diebe, Räuber, Hehler!» Man kann nicht gleichzeitig solche Vorwürfe erheben und mit Wohlwollen rechnen.»

Vom Feldherrenhügel der moralischen Überlegenheit herab …

Wer hier mit Steinen wirft, sollte nicht im Glashaus sitzen:

«Kriegsbeute zu nehmen und zu verkaufen, sahen die Könige von Benin als ihr selbstverständliches Recht an. Nach seiner Wahl wurde vom König erwartet, dass er sein Amtscharisma durch einen erfolgreichen Kriegszug beweist, den Kopf des Überfallenen und reichlich Gefangene zur Versklavung und Opferung heimbringt

Das darf natürlich nicht zu einem «die auch, wieso wir nicht» missbraucht werden. Zeigt aber, dass es – wie meist im realen Leben – komplizierter ist als «hier die räuberischen Kolonialisten, dort die edlen Wilden, denen ihre Kulturgüter geraubt wurden». Da verhält es sich ähnlich wie mit der Sklaverei. Die war – lange vor der Ankunft europäischer Kolonialherren – unter afrikanischen Stämmen völlig üblich, und diverse Völker wurden reich damit, den weissen Sklavenhändlern an der Westküste Afrikas ihre «Ware» zuzutreiben.

Das Wort «Raub» ist also bei näherer Betrachtung simplifizierend. Auch das Wort «Kunst» bedarf genauerer Definition in diesem Zusammenhang. «Geldwert erlangt ein Gegenstand, wenn er auf einem Markt nach Angebot und Nachfrage bewertet wird. Die Beniner Bronzegiesser gehörten zum Königshof und haben ausschliesslich für ihn gearbeitet. Bis 1897 waren ihre Produkte unverkäuflich. Soweit sie auf Ahnenaltären standen, hatten sie einen religiösen Wert, der sich in Geld so wenig ausdrücken lässt wie der Wert des Kölner Doms für die Domgemeinde.»

Nachdem solche Kultgegenstände lange Zeit als «Curiosa» galten und höchstens dazu dienten, in Museen ausgestellt zu werden, werden solche Benin-Bronzen heute für Millionen gehandelt:  «Erst der europäische Kunstmarkt hat die Benin-Bronzen in einem interkulturellen Zusammenspiel zu Kunstwerken geadelt und ihnen auf dem Kunstmarkt einen erheblichen Geldwert verschafft.»

Auch der Begriff Kunst bedarf der genaueren Definition 

Auch unser europäischer Kunstbegriff trifft auf viele solcher Artefakte nur bedingt zu, da er der Originalität und Einmaligkeit einen sehr hohen Stellenwert zumisst, zudem spielt Zweckfreiheit eine grosse Rolle. Hinzu kommt: «Die Objekte, die üblicherweise als afrikanische Kunst bezeichnet werden, wie Ahnenskulpturen, Zauberfiguren oder Masken aus den Dörfern, bestehen aus pflanzlichem Material. Sie sind dem Verfall ausgesetzt und müssen deshalb periodisch ersetzt werden, nicht durch eine Kopie, sondern durch einen Nachfolger.»

Alleine schon diese Erwägungen machen klar, dass das Hantieren mit dem moralischen Totschläger «Raubkunst» zwar die Chancen erhöht, in einer Debatte die Lufthoheit zu erobern, aber letztlich keinerlei Erkenntnisgewinn beinhaltet.

Als typisch westliche Arroganz wird natürlich auch denunziert, dass trotz den Verheerungen durch zwei Weltkriege viele dieser afrikanischen Artefakte bessere Überlebenschancen in einem europäischen Museum als in den ewigen Bürgerkriegswirren Schwarzafrikas hatten.

Schliesslich ist es bei den Juden und anderen Verfolgten des NS-Regimes gestohlenen Kunstwerken gelegentlich aufwendig, aber möglich, die ursprünglichen Besitzer (oder ihre Erben) ausfindig zu machen. Wer aber wäre der legitime Nachfolger des Oba, des Herrschers von Benin? Der nigerianische Staat?

 

Was der Begriff Raubkunst verschleiert», Gastbeitrag vom 30. November 2021, hinter Bezahlschranke.

 

 

 

Zu früh für Papiermangel

Glanz und Elend nah beieinander: Kevin Brühlmann sucht und leidet.

Wir haben ihn gelobt. Sein Recherche-Stück über den Kommunisten-Jäger Ernst Cincera war erstklassig. Das hätte Brühlmann doch einfach so stehenlassen können.

Aber nein, noch vor dem Papiermangel gab ihm Tamedia Platz für eine «persönliche Betrachtung». So kommt auf einer Zeitungsseite ziemlich viel Elend zusammen, bis hinunter zum Elendsinserat einer Organisation, die offensichtlich zu viel Geld zum Verbraten hat.

Oben grau, unten grässlich: da hofft man auf Papiermangel.

Wenn diese Nicht-Werbung den Text darüber bezahlt, kann man wirklich von einer schlimmstmöglichen Wendung im dürrenmattschen Sinne sprechen.

Denn die «Betrachtung», die besser in «mein liebes Tagebuch» versenkt worden wäre, behandelt den Besuch Brühlmanns des neueröffneten Erweiterungsbaus des Kunsthauses Zürich. Darüber haben nun schon so ziemlich alle geschrieben, nur eben Brühlmann noch nicht.

Mit den Versatzstücken eines Pseudo-Artikels

Szenischer Einstieg, muss man machen, das weiss er, also erfindet er eine «Frau in den Fünfzigern», die im Garten hinter dem Kunsthaus sitze und «einen gespritzten Weissen» trinke. Tat zwar niemand, aber macht ja nix, Kunst ist frei.

Die Besucher weniger, denn vom «Flachdach herunter filmen Kameras die Bürgerinnen, die dieses Gebäude grösstenteils finanziert haben», beobachtet Brühlmann mit Adlerauge. Was ihn noch mehr erschüttern dürfte: auch diese Kameras wurden von den Bürgerinnen (allerdings auch von den Bürgern) bezahlt, zudem sind sie Bestandteil einer nicht unnötigen Überwachung des öffentlichen Raumes und des Inhalts des Kunsthauses im Speziellen.

Natürlich sagt ein Mann in der Bührle-Sammlung:

«Da steht ja gar nichts über seine Waffengeschäfte mit den Nazis.»

Den ganzen Saal, der das thematisiert, haben sowohl der Betrachter wie der Mann, den er erfunden hat, wohl übersehen.

Dann will Brühlmann, und da kommt Kunst halt leider von können, salopp-ironisch werden; nachdem er Angelesenes zu Bührle nachgereicht hat, schliesst er

«und ja, ein bisschen Raubkunst verfolgter jüdischer Kunsthändler war dabei, aber nichts Störendes».

Keine Ahnung, aber viel Meinung haben, eine unerquickliche Mischung.

Geht’s noch schlimmer? Immer. Denn Brühlmann erwartet von sich selbst nun noch künstlerisch Wertvolles. Also macht er sich über «Earth Beat» her, genauer über ein Kunstwerk von Joseph Beuys, «sozialkritischer Aktionskünstler und Feind des Kapitals». Was man mit Googeln so alles herausfindet.

Auf jeden Fall hängt dessen Werk «an einer grauen Wand, wie alles an uferlosen grauen Wänden hängt. Und das uferlose Grau neutralisiert. Macht aus den Kunstwerken blosse Bilder ohne Geschichte. Darum ist Beuys hier tot. Und Bührle zum Leben erweckt.» Hä? Also wenn man Bührles Sammlung ohne Geschichte betrachtet, dann wäre die doch auch tot. Oder nicht? Oder wohl?

Betrachtungen eines unverstandenen Unverständigen

Ach, lassen wir das, sagt sich Brühlmann, es fehlt doch noch etwas. Genau, nach der Kapitalismus-Kritik die Rassismus-Kritik. Wie bestellt sagt da eine weitere Kunstfigur, «ich finde auch schlecht, dass man nicht mehr Negerli sagen darf. Zehn kleine … ja, was soll man jetzt sagen?» Da denkt es in Brühlmann, und das kann er dem Leser nicht vorenthalten: «Gedanke: Einfach die rassistische Scheisse lassen. Antwort: «Schwarze.» «Das haben sie doch auch nicht gern.»»

Damit ist der Rassismus-Kritiker aber schachmatt gesetzt, noch die Sammlung Merzbacher geguckt, im Internet darüber schlau gemacht: «stammt aus jüdischer Familie in Deutschland, Flucht 1939 in die Schweiz (Eltern im KZ ermordet), verweigerte Einbürgerung, dann Pelzhandel-Millionär und Kunstsammler. Blick nach oben, zur Bührle-Sammlung. Uff. Wo ist der Ausgang?»

Pennälerscherze nannte man solche pubertären Anwandlungen früher.

Man merkt, nicht der Neigung, sondern der Pflicht gehorchend muss Brühlmann nun zum Ende kommen, maximale Anzahl Buchstaben verbraucht. Aber verflixt, Schlusspointe, das muss genauso sein wie der szenische Einstieg. Alle finden den gut beschilderten Ausgang problemlos, nur Brühlmann nicht:

«Eine Sicherheitsfrau zeigt auf ein grün-weisses Schild. Notausgang.»

Den hätte der Autor allerdings schon ganz am Anfang nehmen sollen. Dann wäre seine Reputation als cleverer Rechercheur intakt geblieben. Oder wie heisst es so schön: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Denn Kunst ist nicht für jedermann.