Dichtung und Wahrheit, Teil 2

Die Geschichte hinter der Geschichte von Raubkunst.

Hier geht’s zum ersten Teil.

Wer kann das viele, viele Jahre später noch unterscheiden? «Auch Leben ist eine Kunst», war der Sinnspruch von Max Emden. Das Nachleben der von ihm erworbenen Kunstwerke ist dagegen ein Trauerspiel.

Die Brissago-Inseln wurden 1949 von Emden an den Kanton Tessin für 600’000 Franken verkauft. Die Gemälde verblieben in der Obhut Schweizer Kunsthändler, darunter Werke von van Gogh, Renoir, Monet und anderen. So wurde beispielsweise der Monet vom Kunsthändler Fritz Nathan für 35’000 Franken an einen reichen Schweizer Waffenfabrikanten verkauft, im Jahre 1941.

Dieser Monet war Teil eines Raubes aus der Sammlung des Waffenhändlers; das Gemälde wurde aber 8 Tage nach dem Diebstahl im Jahre 2008 unversehrt wieder aufgefunden. Damals forderte ein Nachkomme des längst Verstorbenen Verkäufers die Rückgabe des Werks.

Die Verhandlungen dauerten bis 2012, wobei die Stiftung, als Rechtsnachfolgerin des Käufers, diese Forderung zurückwies und Vergleichsverhandlungen abgebrochen wurden. Die Stiftung sagt, dass auf ihre Bitte um Stellungnahme zu ihrer Position niemals eine Antwort erfolgte.

Der Sohn des damaligen Kunstberaters des Verkäufers erinnert sich, dass der Verkäufer immer mit Respekt vom Käufer sprach und niemals die Ansicht äusserte, dass er möglicherweise unter Ausnützung seiner damaligen Lage über den Tisch gezogen worden sei.

Dennoch melden sich nun seine Erben erneut und fordern die Rückgabe des Gemäldes. Die Wahrheit ist, dass solche Forderungen längst verjährt sind. Die Wahrheit ist auch, dass es angesichts der Raubzüge, die von den Nazis auf den Kunstbesitz von Juden geführt wurden, angesichts der Tatsache, dass Juden auf der Flucht sich von Kunstwerken trennen mussten, um die Flucht selbst und den Lebensunterhalt bestreiten zu können, angesichts der Tatsache, dass diese Notlage auch skrupellos ausgenützt wurde, hier eine Schwebung zwischen Dichtung und Wahrheit entstanden ist.

Bei all diesen Forderungen nach Restitution sollte abgeklärt werden, ob damals ein angemessener Preis bezahlt wurde, ob der Verkäufer über den Betrag frei verfügen und ihn auch ins Ausland transferieren konnte und ob der Verkauf unter Zwang oder in einer Notlage erfolgte.

Naturgemäss gehen hier die Auffassungen der Erben der damaligen Käufer und der Nachkommen der damaligen Verkäufer häufig auseinander.

Wie viele Wahrheiten gibt es?

Allfällige Wahrheiten müssen aus einem Gespinst aus Dichtung, Verlorengegangenheit und bis heute aufgeladenen Begrifflichkeiten herausgeschält werden. Schon alleine die Frage, ob ein «angemessener» Preis bezahlt wurde, führt in unendliche Verwicklungen.

Im Kapitalismus bestimmt sich der Preis eines Wertgegenstands, und das ist auch ein Kunstwerk, nach Angebot und Nachfrage. Der sollte im besten Fall um einen sogenannten inneren Wert oszillieren. Der ist bei einem Gebrauchsgegenstand, einer Immobilie, einer Fabrik einigermassen festzulegen. Auch bei Schmuck oder Edelmetallen gibt es Anhaltspunkte. Bei einem Kunstwerk ist es entschieden schwieriger.

Befand sich in diesem konkreten Fall der damalige Besitzer in einer Notlage, musste er unter Zwang verkaufen, wo er doch nachweislich Millionär war? Brauchte er schnell Liquidität, um seine Reise nach Chile zu finanzieren, wo er doch über bedeutende Bargeldreserven in Dollar auf US-Banken verfügte?

Wie soll man heute das Verhalten der Stiftung bewerten, wo doch beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland lange Jahre die Rückgabe von in Hitlers Sammlung gelangter Gemälde verweigerte, mit der putzigen Begründung, dass die beiden Bellotto-Bilder doch als legale Erwerbungen der Nazis gälten.

Verschwindet die Wahrheit über dieses eine Gemälde hinter dem gewaltigen Unrecht, das dem Stammvater der Familie angetan wurde, der zwar einen Teil seines Vermögens in die Schweiz rettete, aber gewaltigen Besitz in Deutschland und in von den Nazis okkupierten Ländern zurücklassen musste – der ihm schlichtweg gestohlen wurde?

Zwei seiner Urenkel leben in Deutschland und reiben sich bis heute an der Unwilligkeit deutscher Behörden, diesen Fall aufzuarbeiten. Schliesslich sei ihr Urgrossvater Max Emden doch trotz diesen Raubzügen der Nazis ein vermögender Mann geblieben, der sich ein luxuriöses Leben mit Frauen, Bediensteten und vielen Gästen in einer Villa auf einer eigenen Insel leisten konnte, behaupten deutsche Beamte eiskalt.

Auch der Nachkomme war finanziell gut gestellt

Schliesslich habe doch auch ihr Grossvater Hans Erich Emden noch über genügend Vermögen verfügt, um sich in Chile niederlassen zu können, ohne in materielle Bedrängnis zu geraten. Und schliesslich sei es doch bei allen Verkäufen in der Schweiz mit rechten Dingen zu und hergegangen. Von Ausnützen einer Notlage, von Fluchtkunst, von Mundraub könne nicht die Rede sein.

Schliesslich hätten sich doch auch in Deutschland fast alle Profiteure des arisierten Eigentums irgendwie herausgeschwätzt.

Der «Spiegel» schrieb 2017: «Mitte der Neunzigerjahre reiste Hans Erich Emden ein letztes Mal ins ungeliebte Deutschland, er besichtigte damals sein altes Elternhaus in Klein Flottbek, dieses weitläufige Anwesen, das schon lange niemand mehr Sechslinden nennt, und in dem seit Jahrzehnten eine private Schule untergebracht ist. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wo einst sein Kinderzimmer war, wie er auf dem Poloplatz nebenan gespielt hatte. Davon, dass in den 1930er-Jahren die Luftwaffe das Gebäude übernommen hatte, hatte er gehört.»

In seinem grossen Bericht über diese Familie schreibt das Hamburger Nachrichtenmagazin auch:

«In den Achtzigerjahren überwies das Ausgleichsamt in Bremen Hans Erich Emden in Chile für zwei verlorene Warenhausgrundstücke in Danzig und Stettin 40.000 Mark.»

Die wieder in Deutschland lebenden Urenkel berichten, dass all dieses Unrecht vor allem an ihrem Vater, dem ältesten Sohn von Hans Erich, dem damaligen Alleinerben, zehre.

War Remarques Bemerkung, als die Nazis sich die verbliebenen Besitztümer unter den Nagel rissen, zynisch oder zutreffend? «Er leidet unter der Millionärskrankheit: Er hat Angst, arm zu werden», schrieb der Schriftsteller, der häufig Gast auf der Insel war. Als der Tycoon 1940 mit erst 65 Jahren starb, fügte er kalt hinzu:

«Das hat er nun von seiner Angst gehabt!»

Was ist mit all den Besitztümern geschehen, wieso wurde kaum etwas entschädigt? War der reiche Begründer der Familie nicht jüdisch genug, weil er schon in seiner Jugend zum christlichen Glauben übergetreten war? Lebte er zu mondän als reicher Aussteiger mit 17-jähriger Geliebten im Tessin?

Zynische Rechtfertigungsversuche von Deutschland

Deutsche Rechtfertigungsversuche des damaligen Unrechts sind an Zynismus kaum zu überbieten. Während er damals als Jude behandelt wurde, seine Vermögenswerte aufgrund gegen Juden gerichteter Gesetze gestohlen wurde, stellte sich die Bundesrepublik später auf den Standpunkt, dass er als Nicht-Jude keinerlei Anrecht auf Wiedergutmachung habe. Zudem sei er ja gar nicht mehr deutscher, sondern Schweizer Staatsbürger gewesen.

Die «taz» verläuft sich in ihrer Beschreibung einer Dokumentation rettungslos in Dichtung und Wahrheit: «Vor der Abreise vertraute Hans Erich Emden eines der teuersten Bilder der Sammlung seines Vaters, das „Mohnfeld bei Vétheuil“ von Claude Monet, einem Vertrauten der Familie an. Der verkaufte es für den Spottpreis von 30.000 Schweizer Franken an den in der Schweiz lebenden deutschen Waffenhändler Emil Bührle – und steckte den größten Teil des Erlöses auch noch in die eigene Tasche.»

Verschwindet die Wahrheit hinter Absicht und Begierde?

Das scheint nun eindeutig mehr Dichtung als Wahrheit zu sein. Aber wie steht es mit den wiederbelebten Ansprüchen dieses ältesten Sohnes, der via ein Schweizer Online-Magazin schwerste Beschuldigungen über die damalige Behandlung durch die Stiftung erhebt und von seinem Anwalt ausrichten lässt: «Ich kann Ihnen versichern, dass die Ansprüche der Emden-Erben auf das ‹Mohnblumenfeld› keineswegs zurückgezogen werden. Faire und gerechte Lösungen sind das Ziel, die, wo immer möglich, mit einer Rückgabe einhergehen sollen

Ist das das Ziel oder hat der Sohn des damaligen Beraters von Hans Erich Emden recht, der abschätzig urteilt, dass es den beteiligten Anwälten doch nur ums Geld ginge und dass die Forderung nach einer Rückgabe in diesem Fall «absurd» und sogar unanständig sei?

Im Pulverdampf des Gefechts über längst vergangene Taten – oder Untaten? – verschwindet die Wahrheit hinter Dichtung, Absicht und Begierde.

Fortsetzung folgt: Auf der Suche nach Gerechtigkeit

 

1 Antwort
  1. Ruedi Rudolf
    Ruedi Rudolf sagte:

    Der Fall Max Emden: Kaufhauskönig, Kunstraub und der lange Arm der Nazis Doku (2018)
    https://www.youtube.com/watch?v=AWQm-8JKNrs

    Zwei Bilder die nach dem Krieg in denn Besitz der Bundesrepublik Deutschland kamen, wurden denn Erben der Familie Emden 2019 zurück gegeben. Das Bernardo Bellotto Canaletto Bild des Zwingergraben von Dresden, wurde 2020 in London für mehrere Millionen Euro versteigert.

    Die zwei Bilder sind natürlich nur ein ganz kleiner Teil des Max Emden Vermögens. Der Verkauf der Brissago Inseln, war ein Notverkauf an den Kanton Tessin im Jahr 1949 für 600’000 Fr. Der einzige Sohn Hans Erich von Max Emden, war durch die Nazis als Jude Staatenlos geworden (ausgebürgert). Er wurde von der Schweiz unverständlicherweise nicht eingebürgert, unverständlich deswegen, weil der Vater Max hatte denn Schweizer Pass. Der Sohn Hans Erich Emden floh nach Chile.

    Für denn größten Teil des von denn Nazis geraubten Vermögen, Firmen- und Privat-Besitz der Familie Emden (Handelsimperium 30 Kaufhäuser 10’000 Angestellte), gab es bis Heute keine Entschädigung.

    Die Schweiz auch in diesem Fall eine opportunistische Hure des Geldes. Die Schweiz war in dieser Zeit der Kunsthandelsplatz Nr.1 in Europa. In vielen Bereichen, wurde mit denn Nazis zusammen gearbeitet.

    Der Deutsche Emil Georg Bührle, ab 1929 Hauptanteilseigner der 1906 gegründeten Schweizerischen Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (SWO), Hauptgeschäft die Waffenherstellung. Emil Bührle der Bilder günstig von der Emden Sammlung kaufte, lieferte unter Autorisation der Schweizer Regierung, Waffen an alle Kriegsparteien, also auch an die Nazis. Die Bilder wurden mit Blutgeld bezahlt, und aus einer Notsituation der Besitzer heraus gekauft.

    Alle Bilder der Bührle Kunstsammlung haben Jüdische Vorbesitzer, sind Nazi Raubkunst.

    Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer war in den 1950er Jahren auf den Brissago-Inseln und empfand die Aussicht auf Ascona als „eine der schönsten Europas“.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Emden

    https://de.wikipedia.org/wiki/Oerlikon-B%C3%BChrle

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