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Tagi mit teutonischer Sicht

Nichts hasst man so, was man mal liebte.

Philipp Bovermann ist von der taz (die tägliche Ausgabe der WoZ in Deutschland) zur Süddeutschen Zeitung gewechselt. Das sind innerdeutsche Angelegenheiten. Nun beschallt er aber via Tamedia auch das Schweizer Leserpublikum (soweit es sich das noch bieten lässt).

Geradezu wagnerisch-düster ist bereits der Titel. «Greta Thunbergs tiefer Fall». Bovermann fand neben Hinweise auf Neues «im Kino und Streaming», neben einer TV-Kritik über eine Talksendung, neben einer Kritik an X (vormals Twitter) auch noch Zeit, in der SZ über die gefallene Thunberg zu schreiben.

Diesmal erschöpfen sich die Redigierkünste von Tamedia weitgehend im Herausoperieren von ß. Der Titel wird übernommen und mitsamt Lead und Artikel einen Tag nach der SZ als lauwarmer Kaffee dem Tamedia-Leser serviert. Einzig im Lead wurden kleine Veränderungen vorgenommen.

Original: «Einst verkörperte sie die Hoffnung – lange her. Über eine junge Frau, die erst zur Klimaheiligen und dann zum antisemitischen Dämon gemacht wurde.» Kopie: «Einst verkörperte sie die Hoffnung – das scheint nun vorüber. Über eine junge Frau, die erst zur Klimaheiligen erhoben und dann zur Antisemitin gestempelt wurde

Ach, und dann muss natürlich auch noch das hier geändert werden. Original: «Wahrscheinlich ist Thunberg weder die engelsgleiche Verkünderin von Klimawahrheiten noch der antisemitische Dämon, zu dem sie nun vor allem in Deutschland stilisiert wird.» Kopie: «Wahrscheinlich ist Thunberg weder die engelsgleiche Verkünderin von Klimawahrheiten noch die antisemitische Dämonin, zu der sie nun stilisiert wird.»

Ist es redlich, «vor allem in Deutschland» herauszuoperieren, auf dass es dem Schweizer Leser nicht so auffällt, dass er mal wieder einen deutschen Text einer deutschen Tageszeitung in seiner Schweizer Zeitung liest – und dafür erst noch bezahlen muss?

Und was schreibt Bovermann denn über den «tiefen Fall»? Er schreibt nochmal zusammen, dass alle Thunberg-Bewunderer, die sich nicht einkriegten vor diesem leicht behinderten Mädchen, wie das allen die Leviten las, von Gipfeltreffen zu Gipfeltreffen weitergereicht wurde, alle die, die sich noch vor Kurzem auf ein gemeinsames Foto drängten, sich inzwischen erschüttert abwenden.

Dabei hat Thunberg einfach ihr Repertoire etwas erweitert und mischt sich nun genauso kreischig in den Nahostkrieg ein, wie sie es vorher in der Klimadebatte tat. Dabei kritisiert sie die israelische Militäraktion, fordert einen Waffenstillstand und benützt auch das Wort «Genozid». Darüber ist nun eine akademische Debatte entstanden, ob man die Kriegsverbrechen, die Israel im Gazastreifen verübt, als Genozid bezeichnen darf. Nach Definition des Wortes wohl nicht, als medialer Kampfbegriff, warum nicht.

Aber plötzlich wird gefordert, dass sich Thunberg doch gefälligst auf Schulstreiks fürs Klima und markige Worte auf diesem Gebiet beschränken sollte. Warum eigentlich? Hätte sich jemand daran gestört, wenn Thunberg das Massaker der Hamas, die Massenvergewaltigungen und Verstümmelungen, den brutalen Überfall auf ein Musikfestival mit kräftigen Worten verurteilt hätte?

Ist sie tatsächlich tief gefallen, weil sie nicht mehr das Narrativ von Bovermann erfüllt? Interessiert in der Schweiz wirklich, wie scharf in Deutschland die Auseinandersetzung zwischen Thunberg und dem deutschen Ableger von «Fridays for Future» geführt wird? Und sollte man für die unqualifizierte Meinung des Filmkritikers  und Kulturjournalisten Bovermann in ihrer Zweitverwertung wirklich bezahlen müssen?

Handelt es sich hier nicht eher um einen tiefen Fall von Tamedia? «Analyse zur Aktivistin auf Abwegen», stabreimt Tamedia. Dabei ist es ein Meinungsbeitrag im Feuilleton der SZ. Die einzig offene Frage: grenzt das nur an Leserverarschung oder ist’s das?

NZZ: Es darf gelacht werden

Das Blatt verliert Mass und Mitte und macht sich lächerlich.

Ob die von allen einmal angehimmelte Greta Thunberg, die grosse Ikone der Klimabewegung, gut beraten war, sich in den Nahost-Konflikt einzumischen («Stand with Gaza») ist tatsächlich eine berechtigte Frage.

Dass «Fridays for Future International» ihr Kernthema verlässt und gerne scharfe Israelkritik äussert, ist auch bedenklich. Ob das schon antisemitismuskeulenwürdig sei, ist die Frage. Entsprechende Posts haben sicherlich Anklänge an Verschwörungstheorien und sind etwas wirr: «The western media is capitalizing the sh*t out of the ongoing genOzide in gaza

Nun greift Alexander Kissler, Redaktor der NZZ in Berlin, zum verbalen Zweihänder; damit inzwischen in bester Tradition seines Blatts. Er fordert die führende deutsche Klimaaktivistin ultimativ auf: «Luisa Neubauer muss sich im Namen ihrer deutschen Mitstreiter von der Dachorganisation lossagen.»

Denn: ««Fridays for Future International» ist eine linksextremistische Organisation geworden, die den Klimaschutz als Hebel benutzt, um gegen den Westen, gegen die Marktwirtschaft und gegen Israel hetzen zu können. Da genügt es nicht, wenn sich die deutsche Organisation in ermüdender Vorhersehbarkeit abgrenzt.»

Vielleicht sollte Kissler erst mal sich selbst gegen eigene frühere Aussagen abgrenzen. So schrieb er 2014 in der Politpostille «Cicero»: «Die Kommentatoren sind sich einig: Sibylle Lewitscharoff habe in Dresden eine menschenverachtende Polemik gehalten. Nein, es war eine poetische Rede nach allen Regeln der Kunst.»

In dieser «poetischen Rede» geriet die inzwischen verstorbene Lewitscharoff völlig von der Rolle, wird aber von Kissler zustimmend zitiert: «Horror sah sie bei den „Methoden, auf künstlichen Wegen eine Schwangerschaft zustande zu bringen“, ja „abscheulich“ seien diese. Weil ihre Abscheu in solchen Fällen größer sei als ihre Vernunft, nannte sie Menschen, die auf solche Weise im Labor entstanden sind, „zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas“ ». Das habe sie dann später zurückgezogen, kommentiert Kissler fast bedauernd.

Dass sich die irrlichternde Dame auch für ein «Onanieverbot» ausgesprochen hatte, das waren alles Mosaiksteine, um diese Rede als geistige Entgleisung zu verurteilen, nicht als «allen Regeln der Kunst» entsprechend zu lobhudeln. Auch den absurden Prunk des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz, der zu dessen Entbindung von seiner Position führte, interpretierte Kissler als «Hatz auf Tebartz», die obszönen Kosten eines von Tebartz errichteten sakralen Baus war für Kissler lediglich eine «Provinzposse».

Und so jemand fordert nun von Neubauer ultimativ nicht nur klare Worte, sondern auch eine Abspaltung des deutschen Ablegers von «Fridays for Future International». Auch zu Thunberg selbst findet Kissler klare Worte: «Thunbergs fahrlässige Identifikation mit der «Free Palestine»-Bewegung, auf einem von ihr geteilten Foto zudem unter Verwendung einer als antisemitisch deutbaren Krake, lässt die Bewegung implodieren.»

Antisemitisch deutbare Krake? Der Mann hat doch – mit Verlaub – einen an der Waffel. Um in seinem altestamentarischen Duktus zu bleiben: er sieht den Splitter im Auge des anderen, aber den Balken im eigenen nicht. Dabei müsste er sich doch nur an seinen eigenen Satz gegen Schluss dieses masslosen Sirachens halten: «Jeder Diskurs ist immer so gut wie die Menge an begründeten Gegenmeinungen, die er einbindet

Gute Formulierung. Messen wir sein Geschreibsel daran. Begründete Gegenmeinungen in seinem Diskurs? Null. Wert: null. Eigentlich unter null. Denn er polemisiert nicht nur, sondern versteigt sich zu harschen Befehlen, was andere tun und lassen sollte.

So weit würde ZACKBUM nie gehen. Aber sagen wir mal so: die NZZ wäre gut beraten, solche kreischigen Kommentatoren mit dubioser Vergangenheit etwas zurückzubinden. Sie muss sich ja nicht gleich von ihnen distanzieren …

 

 

 

Kulturelle Aneignung

Gerechtigkeit für König Christian IV.!

Es ist ein eklatanter Fall von Übergriffigkeit zu denunzieren. Von kultureller Aneignung. Unerträglich. Das Opfer ist der dänische König Christian IV. (1577 – 1648). Der überlebte den Dreissigjährigen Krieg, aber seither rotiert er im Grab.

Denn er trug mit Stolz seinen Weichselzopf. So nannte man damals eine Zusammenballung verfilzter Haare. Sein Beispiel machte über den Hofstaat hinaus Schule. Und dann? Dann eigneten sich Rastafari und andere Gruppen frech die Unsitte an, die Haare nicht mehr zu waschen oder zu kämmen. Das nannten sie dann Dreadlocks, um die Herkunft vom Weichselzopf zu verschleiern.

Dieser unappetitlichen und übelriechenden Unsitte wird von vielen Menschen gefrönt. Das darf aber nicht jeder. Sicher nicht Ronja Maltzahn. Denn die Musikerin wurde von den Aktivisten von «Fridays for Future» zuerst ein-, dann wieder ausgeladen. Sie sollte in Hannover helfen, die Zukunft zu retten.

So nicht, Ronja Maltzahn.

Aber nicht so: «Wenn eine weisse Person Dreadlocks trägt, dann handelt es sich um eine kulturelle Aneignung, da wir uns als weisse Menschen aufgrund unserer Privilegien nicht mit der Geschichte oder dem kollektiven Trauma der Unterdrückung auseinandersetzen müssen», meinen die Klimaschützer zur Begründung.

Das ist erlaubt: Whoopi Goldberg.

Nimm das, König Christian IV. Wieso setzen sich diese Kämpfer gegen Aneignung nicht für die Rehabilitation des Weichselzopfes ein? Wieso gibt es keine Ausladung von schwarzen Künstlern, die sich kulturimperialistisch dieses Zeichen vom dänischen Hof angeeignet haben?

Ist der Zopf ab, ginge es

Nun hätte Maltzahn allerdings eine Chance gehabt, doch auftreten und die Zukunft retten zu dürfen. Ganz einfach; wenn der Zopf ab wäre. Die Schuleschwänzer hatten der Musikerin anheim gestellt, dass sie mit abgeschnittenen Dreadlocks, also ohne, durchaus auftreten dürfe. Dieser Wahnsinn war dann aber selbst diesen Wahnsinnigen zu viel; das sei ein Eingriff in die Privatsphäre gewesen, entschuldigte sich «Fridays for Future» später.

Wir lernen: die Erderwärmung mag durchaus ein ernstzunehmendes Problem sein. Aber viel dringlicher wäre es, etwas gegen Kopferwärmung zu unternehmen. Gegen den im roten Bereich drehenden Schwachsinn, dass auch beispielsweise in Zürich ein Piktogramm wieder verschwinden musste, dass im ÖV darauf hinwies, dass Musizieren nicht erlaubt sei.

Das ist erlaubt: Verbot ohne Sombrero. Aber schwarz …

Das wurde verboten: mit Sombrero, auch schwarz.

Oh Graus: dafür wurde ein Gitarrist mit Sombrero gezeigt. Verdammter Rassismus. Aber wehe, wer an der Fasnacht einen Sombrero trägt (und kein Mexikaner ist). Dann wär’s kulturelle Aneignung. Auch pfuibäh.

Julia Timoschenko. Erlaubt, aber nicht zum Nachahmen.

Und aufgepasst, liebe Damen. Man erinnert sich sicherlich noch an die in der Versenkung verschwundene grosse weibliche Hoffnung der Ukraine: Julia Timoschenko. Die hatte auch eine spezielle Haartracht. Wer die nun als Solidarität nachahmt, muss sich sagen lassen, dass er damit das Verbrechen der kulturellen Aneignung begeht. Was allerdings schnurstracks zur Frage führt: darf ein Nicht-Ukrainer die ukrainische Flagge schwenken? Sich blau-gelbe Striche ins Gesicht malen? Wir erwarten eine Stellungnahme von «Fridays for Future». Oder zumindest des Eidgenössischen Büros für Gleichstellungsfragen.