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Kuba ist weit weg

Erschütterndes Niveau der Auslandberichterstattung bei Tamedia.

Am 5. August veröffentlichte der Redaktor der «Süddeutschen Zeitung» Benedikt Peters den Artikel «Ans Eingemachte. Auf der sozialistischen Karibikinsel öffnet nach vielen Jahren wieder eine Marmeladenfabrik. Doch den eklatanten Mangel kann das nicht überdecken», vermeldete der Recherchierjournalist, der für solche Analysen überqualifiziert erscheint: «Stammt aus Mönchengladbach und ist immer wieder gern im Rheinland, wo er inzwischen eine zauberhafte Nichte hat», vermeldet seine Autorenseite.

Diese News hat Peters natürlich nicht etwa vor Ort recherchiert, sondern im Internet. Denn schon vor einigen Wochen berichteten diverse spanischsprachige Medien innerhalb und ausserhalb der Insel darüber. Also kalter Kaffee aufs Brötchen, sozusagen. Aber nicht so alt, dass ihn Tamedia nicht nochmal aufwärmen würde.

Nach zehntätiger Bedenkzeit überrascht das Haus des Qualitätsjournalismus am 15. August mit diesem Artikel:

Einfach einen schlechteren Titel drüberkleben, den Lead etwas einschweizern, schon hat die Auslandredaktion ihres Amtes gewaltet. Wir vermissen nur einen fäustelnden Kommentar des Auslandchefs Christof Münger. Aber vielleicht kommt der noch.

Nun ist das Abschreiben spanischer Quellen die eine Sache. Das Recherchieren von zusätzlichen Fakten eine andere. Peters will einen Einblick in die Lebensmittelkosten geben. Ein Karton Eier koste inzwischen 1200 Pesos. Auf dem Schwarzmarkt. Das ist noch einigermassen realistisch, der Durchschnittspreis liegt bei 1000 Pesos für 30 Eier. Auch den Preis für einen Liter Speiseöl hat Peters korrekt gegoogelt: 700 Pesos.

Was dem fernen Kuba-Kenner allerdings entgangen ist: bis heute existiert noch die sogenannte «Libreta», eine Rationierungskarte, auf der Grundnahrungsmittel wie Reis, Bohnen, Zucker, Salz, Speiseöl oder Milchpulver für Kinder sowie spezielle Diätnahrung für Schwangere oder Chronischkranke zu staatlich subventionierten Preisen abgegeben werden. Zwar in bescheidenen Quantitäten, aber dafür kostet das alles den Kubaner kaum mehr als 50 Pesos.

Natürlich machen solche Zahlen nur Sinn, wenn man sie mit den Einkommen vergleicht. Und da hat Peters schwer danebengehauen beim Googeln. «Eine Ärztin», also wohl auch ein Arzt, verdiene «5000 Pesos im Monat». Da würden Ärztinnen und Ärzte aber eine Flasche Rum aufmachen, wäre das so. In Wirklichkeit oszilliert das Jahresgehalt zwischen 13’000 bis maximal 40’000 Pesos.

Wir betreten ganz dünnes Eis mit einer Angabe zum Durchschnittseinkommen in Kuba. Denn statistische Angaben sind auf der letzten Insel des Sozialismus eine ziemlich schmutzige kapitalistische Erfindung. So etwas wie ein statistisches Jahrbuch gibt es nicht, den Zahlen, die gelegentlich aus der Staatsbürokratie heraustropfen, kann man glauben – oder auch nicht. Aber sagen wir mal rund 1000 Pesos im Monat. Welche Kaufkraft haben die nun? Wenn wir den Wechselkurs zur weiterhin inoffiziellen Zweitwährung US-Dollar nehmen, entspricht das etwas mehr als 8 Dollar.

Nun weiss Peters noch, dass «seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre und dem damit einhergehenden Wegfall der sozialistischen Wirtschaftshilfe Kuba in einer Art Dauerkrise» stecke. Auch das ist Unsinn; es gab die «spezielle Periode in Friedenszeiten» bis zur Jahrtausendwende, als in Venezuela eine linke Regierung an die Macht kam und die Rolle der Sowjetunion übernahm. Bis sie selbst vor ein paar Jahren in existenzielle Probleme geriet und die brüderliche Unterstützung zurückfahren musste.

Das und der Zusammenbruch der zweitwichtigste Deviseneinnahmequelle Tourismus durch die Pandemie treiben inzwischen Kuba an den Rand. Bis zu 18-stündige Stromausfälle im brütend heissen Sommer, mitverursacht durch ständige Ausfälle der angejahrten Ölkraftwerke. Versorgungsprobleme aller Art, Kleptokratie, Schlamperei, Korruption, Behördenversagen wie im Fall des Grossbrands eines Tanklagers in Matanzas, bei dessen Bekämpfung 17 Feuerwehrleute starben, das sind die wahren Probleme Kubas heute.

Peters sieht da ganz andere Ursachen: «Schuld an der Misere sind verunglückte Wirtschaftsreformen der Regierung ebenso wie US-Sanktionen, die zum grossen Teil noch unter Ex-Präsident Donald Trump beschlossen wurden.» Der zweite Grund ist die ewige Entschuldigung des Regimes für hausgemachtes Versagen. Abgesehen davon, dass die US-Sanktionen seit Jahrzehnten in Kraft sind. Eine fruchtbare subtropische Insel, die über 80 Prozent ihrer Nahrungsmittel importieren muss, darunter auch Zucker (und bis vor der Revolution Nettoexporteur von fast allem war), es braucht keine weiteren Zahlen, um das krachende Versagen der Revolution in der Landwirtschaft und in der Wirtschaft zu belegen.

Seit dem Tod des charismatischen Fidel und dem Rückzug seines Bruders Raúl Castro von öffentlichen Ämtern sieht man zum ersten Mal immer wieder Protestaktionen der Bevölkerung. Trotz drakonischen Strafen von bis zu 12 Jahren für die blosse Teilnahme an einer Manifestation gelingt es dem Regime nicht, solche Zeichen des zunehmenden Unbehagens zu unterdrücken.

Mit einem hat Peters dann allerdings wieder recht: alleine in den letzten Monaten haben über 140’000 Kubaner ihre Insel fluchtartig verlassen. Vor allem Jugendliche sehen keinerlei Zukunftsperspektive mehr und haben eigentlich nur einen Wunsch: nix wie weg.

DAS ist offenbar auch der unermüdlich arbeitenden Auslandredaktion von Tamedia aufgefallen. Denn, wozu gibt’s das Digitale, wieso nicht einen schlechten Titel durch einen anderen ersetzen und den Lead noch etwas umformulieren? Merkt doch keiner (leider doch). Also sah die Einschenke nach wenigen Stunden dann so aus:

Weg mit der Konfi im Titel, aber der Inhalt bleibt gleich …

Kuba ist kompliziert – und faszinierend. Oberflächliche und uninformierte Ferndiagnosen, aufgezäumt an einer völlig unwichtigen Ankündigung der möglichen Wiedereröffnung einer Marmeladenfabrik, sind eine Schande für ein Qualitätsorgan, das für solche Leistungen aus dritter Hand auch noch Geld verlangen will. Ein solcher Bericht ist keinen Peso wert.

Der Blöd-«Blick» verstolpert sich allerdings schon beim Setzen eines korrekten Titels, Luft nach unten ist immer:

Vielleicht hätte Erklärungsnot nicht mehr auf die Zeile gepasst, also wurde das Wort passend gemacht …

Der Tiefflieger

Unser Bundesrat fliegt. Nur: wohin?

Ausserhalb der Schweiz wäre das ein Dauerbrenner für die sommerliche Saure-Gurken-Zeit. Ein Regierungsmitglied, dessen Partei eine traditionelle Flugshow verbieten will, gurkt im Privatflieger ins Ausland, kapriolt durch den Himmel und wird schliesslich von einem französischen Kampfjet zur Landung gezwungen.

Offenbar ist «Top Gun Alain» («Inside Paradeplatz») in ein militärisches Sperrgebiet eingedrungen. Der fliegende Bundesrat ist zunächst einmal ein flunkernder Bundesrat:

«Gegenüber der Nachrichtenagentur SDA gab der Innenminister an, er werde seine Ferien zusammen «mit der Familie in der Schweiz verbringen»

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Selbst die staatstragende NZZ greift zu frivolen Formulierungen:

«Ob der Bundesrat irgendwo Schnecken essen oder eine Freundin besuchen wollte, weiss man nicht.»

Immerhin erspart ihm die Autorin den Scherz mit Froschschenkeln oder Austern.

Einen sinnlosen Recherchier-Ausflug unternimmt Tamedia: «Bersets Cessna mit dem Kennzeichen HB-TDR steht auch Tage nach seiner Rückkehr prominent vor dem Hauptgebäude.» Dagegen trägt CH Media Finanzielles zur Untersuchung des Desasters bei: «Kostenpunkt: 489 Franken pro Stunde plus 63 Franken fürs Benzin.» Da scheint Berset aber sehr günstig getankt zu haben.

Aber vielleicht kommt doch noch eine gesalzene Rechnung auf ihn zu: «Einsatz der Luftpolizei – «Für Alain Berset kann es richtig teuer werden»», will «20Minuten» wissen.

nau.ch spannt den Spekulationsmuskel kräftig an:

Tamedia weidet sich hingegen an den gequälten Windungen der SP: «Keine inhaltlichen Kommentare gibt es bei der SP. Liv Mahrer, Co-Präsidentin der SP Stadt Zürich, die Flugshows am Züri-Fäscht verbieten will, sagt: «Der Bundesrat hat natürlich eine Vorbildfunktion. Das gilt für öffentliche Auftritte.» Sie möchte aber «nicht kommentieren, was SP-Bundesräte in ihrer Freizeit machen».

Samira Marti, die Inlandflüge verbieten wollte, ist nicht erreichbar. Cédric Wermuth, der Europaflüge verbieten wollte, weilt in den Ferien und verweist an Co-Präsidentin Mattea Meyer. Diese teilt per SMS mit: «Die SP verzichtet auf eine Stellungnahme.»»

Da und dort kommt man zu abschliessenden Forderungen: «Kurz: Es ist Zeit für einen Jobwechsel.» (Tamedia) «Fliegt Berset, der Vielflieger, nun aus dem Bundesrat? Anmerkungen zu einer tödlichen Bagatelle», macht Markus Somm vor kleinem Publikum im «Nebelspalter».

Inzwischen findet die NZZ wieder zur gewohnten zurückhaltenden Ausgewogenheit: «Rücktrittsforderungen an Alain Berset sind übertrieben. Der Bundesrat offenbart allerdings ein merkwürdiges Verständnis von «privaten Angelegenheiten». Irgendwo hört auch die Privatsphäre eines Regierungsmitglieds auf, und da begänne die öffentliche Verantwortung.»

Wohin und zu wem gurkte unser fliegender Bundesrat durch den französischen Himmel? Wieso behauptete er, mit seiner Familie Ferien in der Schweiz zu machen, während er mutterseelenallein im Flieger durchs Ausland düst? Das wären doch interessante Fragen, die ganze Sache ein gefundenes Fressen für den Boulevard. Aber offenbar durch die Hitze erschöpft fällt dem «Blick» nichts Langweiligeres ein, als «Krisenkommunikationsspezialisten» zu befragen, was die denn von Bersets Kommunikation, bzw. Schweigen hielten. Nicht viel, machen die Werbung in eigener Sache.

Über 500 Treffer verzeichnet das Medienarchiv SMD bislang zum Thema. Aber langsam verröchelt es und wird wohl bald einem Hitzschlag erliegen. Wenn nicht endlich mal ein Recherchierjournalist aufwacht und Neues zu Tage fördert. Prädestiniert dafür wäre Peter Hossli, der angeblich sowieso noch auf einem nicht-veröffentlichten Enthüllungsstück zum Thema Berset sitzt. Mit dem Rückenwind des Propellers einer Cessna wäre das doch nun die Gelegenheit …

Es darf gelacht werden: Resteverwertungen

Ob’s eine Milliarde verbessert? Unsere zwei Qualitätskonzerne als Abfalleimer.

Wie es inzwischen auch Tamedia aufgefallen ist: Die Ära Merkel geht in Deutschland zu Ende. Echt jetzt. Dazu interessiert den Schweizer Leser der gesammelten Kopfblätter sicher eine Bilanz, eine Würdigung. Vielleicht auch aus Schweizer Sicht.

Wieso denn, es gibt doch Linda Tutmann. Linda wer? Also bitte, die Dame ist Redaktorin bei «Zeit»-Online und wird dort als Allzweckwaffe eingesetzt. Das Schicksal in Afghanistan steckengebliebener und verratener Hilfskräfte, Ganztagesbetreuung in Deutschland, Schule und Corona, virtuelles Verlieben, kein Thema ist vor ihr sicher.

Da reicht es doch auch noch für «Wie die Kanzlerin mir als Linke ans Herz wuchs». Für so einen Quatsch wäre sich «Die Zeit» zu schade, aber da haben wir doch unsere helvetischen Resteverwerter wie Tamedia.

Qualität mit copy/paste und Bauchnabelschau

Ausland: wird weitgehend von der «Süddeutschen» angeliefert. Wie auch Kultur, Gesellschaft, so ziemlich alles. Nun also auch noch eine deutsche Linke über ihr Verhältnis zu Angela Merkel. Das ist von rasender Brisanz, von atemberaubender Aktualität, eine Pflichtlektüre für jeden aufgeschlossenen Schweizer Leser, wenn er nicht gerade damit beschäftigt ist den «Freiheitstrychlern» zu lauschen.

Welchen Gewinn kann man aus den 17’000 A ziehen?

«Wenn man so will, ist Angela Merkel die Savanne unter den Politikern und Politikerinnen.»

Ehrlich gesagt begann ZACKBUM hier, nur noch quer zu lesen. Bei Karl May lassen wir uns sogar «Durch die Wüste» gefallen, aber ein solches schräges Bild, hergeleitet vom Schnarch-Modebegriff «Resilienz»? Nein, danke.

Apropos, der Head Global Media, die Repräsentanz von «Equal Voice» bei Ringier, Ladina Heimgartner, baut ihre ganze Karriere auf dieses Wort. So oft verwendete sie es bei einer Podiumsdiskussion des Clubs der Zürcher Wirtschaftsjournalisten. Die Zukunft der Medien? «Resilienz». Die Strategie? «Resilient werden.» Überlebenschancen eines Printprodukts? «Hängt davon ab, wie resilient es wird.»

Im Gegensatz zu Tamedia will aber Ringier auch nicht unbedingt als Konzern gelten, der nur teuer zu bezahlende Qualität, überragende Eigenleistungen herstellt. Wobei die Frage schon gestellt werden darf, wieso man für Nonsens über Schamlippen, per copy/paste übernommene Artikel aus der SZ und der Restenverwertung allgemein mehr als 700 Franken im Jahr bezahlen soll. Plus eine Zusatzmilliarde an Steuergeldern für notleidende Medienclans.

Was treibt der andere Teil des Tageszeitungsduopols?

Aber schauen wir, was der andere Teil des Tageszeitungsduopols so macht, also CH Media. Dort zeigt Daniel Zulauf Wirtschaftskompetenz. In seinem Kommentarfoto sieht er allerdings, mit Verlaub, mehr so aus, als hätte er gerade in eine Steckdose gefasst. Aber das muss ja keine schädlichen Auswirken auf die Hirnzellen haben.

Redaktor mit Notfrisur: Daniel Zulauf.

Er will die Leser über «Die Not mit der Politik des Geldes» aufklären. Nein, er fängt ganz grundsätzlich an; Staatskunde für Anfänger:

«Bei uns bedeutet Politik Staatsführung zum Nutzen aller.»

Da bohrt endlich mal einer ganz dicke Bretter. Aber es geht ihm gar nicht so um Politik zum Nutzen aller, sondern um «die Politik des Geldes». Also Geldpolitik, nur hört sich eine Genitiv-Konstruktion viel gelehrter an als ein Kompositum.

Zulauf klärt dann  alle CH Media-Leser auf, dass Geld ja keine Zinsen mehr abwirft, daher die Notenbank kaum etwas tun kann, um das «Kreditangebot im überhitzten Hypothekenmarkt so rasch als möglich weiter zu verknappen».

Am Leitzins könne Nationalbank-Chef Thomas Jordan «kein Jota» ändern, das würde eine massive Aufwertung des Franken bewirken. Eine Erkenntnis, die nicht nur einen Dreitagebart wie Zulauf hat. Dann gäbe es aber noch den «antizyklischen Kapitalpuffer». Also der Zwang für Banken, bei Kreditvergabe mehr Eigenkapital dafür vorzuhalten.

Auch diese Erkenntnis ist so neu wie die Zeitung von vorgestern. Abgesehen davon, dass bei weiter brummender Konjunktur und Nullzinsen der Hypothekenmarkt weit entfernt von Überhitzung ist: ein Kommentar, dessen Erkenntniswert für den Leser ungefähr dem Studium einer Keilschrift entspricht.

Immerhin eigene Auslandberichterstattung, wobei …

Nun muss man der Gerichtkeit halber erwähnen, dass CH Media die Berichterstattung über den deutschen Wahlkampf von Fabian Hock bestreiten lässt. Nein, der arbeitet nicht für ein deutsches Organ, sondern ist Co-Leiter Ausland und durfte tatsächlich an einen Auftritt von Armin Laschet nach Villingen-Schwenningen reisen. Allerdings: Damit muss dann die einzige Seite «Ausland» gefüllt werden.

Denn der Begriff Co-Leiter ist ein wenig irreführend. Das gesamte Ausland-Ressort des zweiten Qualitätsmedienverbunds besteht aus haargenau zwei Nasen. Und wenn eine auf Reisen ist, muss die andere schlichtweg die ganze Welt im Blick behalten. Das traut sich nicht jeder zu.

Anderes Niveau bei der NZZ

Ganz anders aufgestellt, muss auch gelobt werden, ist die NZZ. Am gleichen Freitag gönnt sie dem Leser ganze vier Seiten «International», darunter eine Seite verdienstvolle Berichterstattung über die Befürchtungen der Journalisten in Afghanistan. Die haben entschieden andere Probleme, als sich über die Verwendung des Begriffs Schamlippen aufzuregen.

Wie man mit einer Karikatur den Abschied Merkels viel besser darstellen kann, als eine minderbegabte Autoren mit vielen Buchstaben, zeigt die NZZ nebenbei auch:

Politisch nicht ganz korrekt, aber lustig.