Wumms: Bill Gates

Der gefallene Held des Wertewestens.

Von Felix Abt

Wir «normalen» Bürger mögen aus verschiedenen Gründen keine Fans von Bill Gates sein. Die Mainstream-Medien hingegen waren aus verschiedenen Gründen schon immer begeistert von ihm. Jetzt aber hat es sich der Medien-Darling mit seinen Fans gründlich verdorben – denn er spricht die bittere und unpassende Wahrheit über die derzeitige ukrainische Regierung von Wolodymyr Selenskyj aus:

«Korrupt, eine der schlechtesten der Welt, kontrolliert von ein paar Reichen!»

Die Aussage fiel am Montag im Rahmen eines öffentlichen Dialogs zwischen Gates und dem Executive Director des von der Gates-Stiftung unterstützten Lowy Institute, Michael Fullilove. Warum wohl haben sich die westlichen Medien, die normalerweise über jedes Wort von Bill Gates berichten, in dieser Angelegenheit in Schweigen gehüllt?

Doch Gates‘ plötzliche und unerwartete Ehrlichkeit war auch in einem anderen Zusammenhang schockierend, wo man sie von ihm kaum erwartet hätte – und auch hier fand sie natürlich keinen Widerhall in den Medien: «Die derzeitigen Impfstoffe sind nicht infektionshemmend; sie sind nicht breit gefächert, so dass man den Schutz verliert, wenn neue Varianten auftauchen, und sie haben eine sehr kurze Wirkungsdauer.»

Damit nicht genug, hatte Gates es zudem kürzlich auch noch gewagt, etwas Vernünftiges über China zu sagen, was den NATO-freundlichen westlichen Medien ganz sicher auch nicht gefallen haben wird: «Chinas Aufstieg [ist] ein großer Gewinn für die Welt […] Die derzeitige Mentalität in den USA [ist], dass, wenn man US-Politiker fragt: ‚Hallo, wollt ihr, dass die chinesische Wirtschaft schrumpft oder um 20 % wächst‘, [sie] mit ‚ja, lasst uns diese Menschen in die Armut treiben‘ stimmen würden.»

Wenn Sie also Bill Gates nicht mögen, können Sie sich freuen … Denn Sie werden in Zukunft nicht mehr viel von diesem Abtrünnigen der «Guten» hören. Zumindest nicht in den Mainstream-Medien. Wollen Sie wetten?

Walder weg?

Journalisten in Hochform: Klatsch über sich selbst.

Neben dem eigenen Bauchnabel gibt es noch ein Objekt, das dem Journalisten ungemein wichtig ist: der Bauchnabel anderer Journalisten. Besonders, wenn sie eine bedeutende Position haben und nicht aus dem eigenen Haus sind.

Niemals würde es einem NZZ-Journalisten einfallen, ein kritisches Wort über den NZZ-Godfather Eric Gujer zu sagen. Der macht sich mit einem Wellness-Hotelaufenthalt samt Gattin lächerlich? Gerne liest man das auf ZACKBUM, aber nicht mal hinter vorgehaltener Hand wird darüber gekichert.

Niemals würde es einem CH Media-Journalisten einfallen, etwas Kritisches über das erratische Verhalten von Big Boss Wanner zu sagen. Wenn der sich als Kriegsgurgel outet oder einen fähigen Manager wegschiebt, damit ein weniger fähiger Sprössling nachrücken kann – kein Wort darüber.

Niemals würde es einem Tamedia-Journalisten einfallen, etwas Kritisches über den profitgierigen und nicht sonderlich erfolgreichen Big Boss Pietro Supino mitsamt seiner Protzvilla zu schreiben. Wie man es als Verlegerverbandspräsident mit der versammelten Medienmacht schafft, von einer kleinen Truppe die Subventionsmilliarde an der Urne weggenommen zu kriegen, sagenhaft.

Niemals würde es einem Ringier-Journalisten einfallen, etwas Kritisches über Michael Ringier, Frank A. Meyer oder Marc Walder zu schreiben. Der Big Boss hässelt gegen den kleinen Finanzblog «Inside Paradeplatz», FAM blubbert Kriegerisches über seinem Embonpoint, Walder erklärt ungeniert in der Öffentlichkeit, wie er seinen Redaktionen Leitlinien vorgibt: Schweigen an der Dufourstrasse.

Aber jetzt ist das Halali auf Walder eröffnet. Standleitung nach Bern, Hofberichterstattung gegen Primeurs, Männerfreundschaft mit Berset, Geben und Nehmen, überhaupt Walders Wunsch, als Emporkömmling mit Mächtigen und Wichtigen auf Augenhöhe zu scheinen. Gerd Schröder, eine Mission Putin, Bundesräte, Wirtschaftsführer, Bankenlenker, insbesondere der schöne Ermotti und der leutselige Vincenz, das ist Walders Welt.

Dazu die Digitalisierung. Weg mit den schlecht sitzenden Krawatten, stattdessen Rollkragenpullover und Sneakers, der Schweizer Steve Jobs kommt. Die Digitalisierung des Ringier-Konzerns dürfte ihm auch den Kopf retten in der aktuellen Krise.

Tamedia ist wie meist unentschieden, ob man der Konkurrenz Ringier eins reinwürgen will oder sich selbst. Für «sich selbst» ist der Politchef von Burg, für Ringier der Oberchefredaktor Rutishauser. Die NZZ hielt sich länger vornehm zurück, jetzt aber volles Rohr. Gleich drei Journalisten blättern alle Facetten der Story auf, mit dem provokanten Titel «Ringier-Chef Walder soll offenbar entmachtet werden». Lucien Scherrer versucht sich an einem Psychogramm: «Sein Problem: Er will von den Mächtigen geliebt werden.»

Federführend ist aber ein neues Dream-Team von CH Media. Oberchefredaktor Patrik Müller und der von der NZZ übergelaufene Francesco Benini treiben Walder und Ringier regelrecht vor sich her. Jedes Wochenende eine neue Enthüllung. Offenbar, denn natürlich wurden sie angefüttert, hat sich die Quelle überlegt, dass die «Weltwoche» nicht genügend Wirkung entfalten könnte. Zu klar positioniert, Mörgeli zu parteiisch. Also das auflagenstärkste Blatt, die «Schweiz am Wochenende».

Die spielt ihre Karten fantastisch aus. Es ist fast wie beim Schiffeversenken. Ansatzlos der erste Treffer, souverän Dementis und Gequengel abgewartet, dann letztes Wochenende der zweite Treffer. Und nun schon der dritte, fast könnte man sagen: «versenkt».

Neuste Schlagzeile: «Beben im Verlagshaus Ringier: Der CEO Marc Walder hat beim «Blick» nichts mehr zu sagen». Benini/Müller berufen sich diesmal auf «verlässliche Quellen». Laut denen solle «Blick»-Oberchefredaktor Christian Dorer nun direkt in publizistischen Belangen Michael Ringier unterstellt sein, in geschäftlichen Angelegenheiten der Dame mit der extrabreiten Visitenkarte Ladina Heimgartner.

Auch die Ernennung oder Absetzung wichtiger Chefredaktoren behält sich der Verwaltungsrat selbst vor, Walder habe da nicht mehr zu sagen. Ist das so?

Bei allem Triumphgeheul: Walder ist weiterhin Mitbesitzer und Protegé und designierter Nachfolger von Michael Ringier, damit auch künftiger Präsident des VR. Eine solche Figur wird nicht einfach wegen eines Gewitters abgesägt. Geflissentlich wollen alle den letzten Satz in Ringiers Hausmitteilung ignorieren: «Der Verwaltungsrat steht uneingeschränkt hinter dem CEO und Miteigentümer Marc Walder.»

Zudem hat Walder, was im Verlag eher selten ist, auf wirtschaftlichem Gebiet Pflöcke eingeschlagen, das Haus Ringier diversifiziert, an die Mobiliar-Versicherung geflanscht und eng mit dem mächtigen Springer-Verlag verflochten.

Die Familie Ringier ist längst nicht mehr alleine Herr im Haus, eine Personalien wie die von Walder, da darf auch Mathias Döpfner oder gar Friede Springer ein Wörtchen mitreden. Also sollten hier nicht zu früh Nachrufe auf Walder erscheinen.

Das zweite Problem: who’s next? Prädestiniert für die Machtübernahme wäre Heimgartner. Frauenbonus, bislang skandalfrei gesegelt. Das Problem ist allerdings: alleine mit dem Wort «Resilienz» kann man kein grosses Verlagshaus führen. In ihren wenigen öffentlichen Auftritten war sie noch ungeschickter als Walder letzthin, intern hat sie auch noch keine Pflöcke eingeschlagen oder Höchstleistungen erbracht, also kommt sie wohl höchstens als Frau am Fenster in Frage.

Dass man gegen aussen nun markieren muss, dass vor allem der «Blick» «unbeeinflusst» sei, ist klar. Ob allerdings Walder, FAM, Ringier oder sonst jemand der Chefredaktion den Tarif durchgibt, was zu schreiben und zu meinen sei, ist doch völlig egal.

Das wäre es auch bei den anderen Verlagen.

Wenn etwas fürs Publikum lehrreich ist in diesem Schlamassel: wieder einmal entlarvt sich die Mär der unabhängigen, nur journalistischen Kriterien gehorchenden und ausschliesslich den Interessen der Leser dienenden Medien. Das war schon immer ein Märchen und wird es auch immer sein.

«bajour» will gefördert werden

Das hätten die auch dringend nötig.

Was ist von einem Organ zu halten, das seit Monaten als «Bajour-Kollektion» diesen Schrott anbietet?

Oder steckt dahinter subversive Ironie?

«Hier fehlt der Inhalt», ist das nicht der passende Satz für das Organ im Allgemeinen?

Was ist von einem Organ zu halten, das das seinen Lesern und «Member» anbietet?

Was ist von einem Organ zu halten, das seit Langem keinerlei Zahlen mehr über Reichweite, zahlende Abonnenten oder andere Angaben mehr bekannt gibt?

Was ist von einem Organ zu halten, bei dem der «Herausgeber» und «Geschäftsleiter» noch Zeit findet, als Vereinspräsident zu amtieren?

Was ist von einem Organ zu halten, das News von gestern heute bringt?

Nichts.

Die WoZ spinnt

Das Gefäss «Die Welt spinnt» ist gestrichen. Das erledigt die WoZ selbst.

Eigentlich sollte man die Lektüre einstellen, wenn ein Artikel so beginnt: «Der Mann ist ein intimer Kenner der SVP, einer aus der parteinahen Presse. «Berset ist die grösste Trophäe!», meint er im Lärm des Zürcher Schützenhauses Albisgüetli.»

Eigentlich sollte man die Lektüre einstellen, wenn dieser Satz auftaucht: «Die WOZ sprach mit Dutzenden Beteiligten und Expert:innen aus Politik, Justiz und Medien.» Die aber leider alle anonym bleiben wollten.

Eigentlich sollte man gar nicht mit der Lektüre beginnen, wenn der Artikel so ausgestattet ist:

Treibjagd? Zu Fall bringen? Niederungen der Zürcher SVP? Schön, dass von Anfang an klargestellt wird, dass hier ergebnisoffen recherchiert wurde.

Selbstverständlich wird auch nicht mit maliziösen Unterstellungen in Frageform gearbeitet: «Der Druck auf Marti ist immens. Endet seine Karriere mit einem komplett verpfuschten Verfahren? Und ist das schon ein Motiv für die Weitergabe von Untersuchungsakten

Auch absurde Forderungen wie die, dass ein Journalist seine Quellen offenlegt, haben im Text der WoZ nichts zu suchen: Patrik «Müller (Oberchefredaktor bei CH Media, Red.), der in allen seinen Texten gegen Berset zielt, will nicht offenlegen, ob er weiss, auf welchem Weg die Dokumente zu ihm gekommen sind, wer dahintersteckt und was das Motiv ist.»

Neu ist auch, dass Müller in «all seinen Texten» gegen Berset ziele, aber wenn’s die WoZ sagt, die in all ihren Texten gegen die SVP zielt …

So nebenbei werden auch noch Hiebe gegen unliebsame Konkurrenz ausgeteilt: «Warum führt er (Untersuchungsrichter Marti, Red.) sein Verfahren so treffsicher in Richtung Lauener, Ringier und Corona? Ein Motiv, das sagen verschiedene Auskunftspersonen, könnte darin bestanden haben, dass Marti eine Art Coronaverschwörung witterte. Er habe bei den Verhören auch aus dem Schwurblerportal «Die Ostschweiz» zitiert».

Schwurblerportal? Abgesehen davon, dass ZACKBUM-Redaktor René Zeyer dort schwurbelt: eine so bösartige Unterstellung aus Corona-Zeiten sollte dann vielleicht schon ein wenig belegt sein, oder nicht, Kollegen von der Wäffel-WoZ.

Wunderbar sind auch immer geschwurbelte Unterstellungen, die sich auf Hörensagen und angebliche persönliche Verbindungen abstützen: «Offen ist auch, ob Marti Getriebener war oder Geschobener, ob er also für seine Ermittlungen Anstösse von aussen erhalten hat. Schliesslich ist er Teil eines Zürcher SVP-Bekanntenkreises, zu dem Alexia Heine gehört, die Präsidentin der Aufsichtsbehörde der Bundesanwaltschaft, ebenso wie Nationalrat Alfred Heer, Mitglied der Geschäftsprüfungskommission.»

Es gab vor vielen Jahren vor allem in Italien die Tradition des Politthrillers, der immer so anfing, dass in Neapel einer tot vom Fahrrad fällt, in Mailand ein Untersuchungsrichter knapp einem Attentat entgeht, und in einem Hinterzimmer üble Gestalten ein Komplott ausbrüten.

Offenbar haben die WoZ-Redaktoren zu viel solcher Filme gesehen: Der Generalsekretär des EDA Markus «Seiler stand wiederholt im Verdacht, Urheber der Leaks gegen Berset zu sein. Tatsächlich gibt es zeitliche Parallelen: Wann immer Seiler unter Druck geriet, gab es ein Leak zu Berset. «Die Luft wird dünn für Seiler», hiess es wegen des Crypto-Untersuchungsberichts am 11. November 2020 im «Tages-Anzeiger». Nur zehn Tage später sprachen alle Medien nur noch von der Erpressungsaffäre gegen Berset».

Zufälle aber auch. Wobei, wenn’s nicht Seiler war, könnte es auch so gewesen sein: «Durchaus denkbar, dass ein SVP-Maulwurf sie weitergab.»

Und wenn sich die WoZ schon im Konjunktiv der Verschwörungstheorien verliert, kann sie auch gleich völlig ins Gebüsch fahren: «Falls die Kampagne gegen Berset in den hohen Berner Regierungssphären oder in den Zürcher SVP-Niederungen ihren Ursprung hätte, käme das einem politischen Skandal gleich.»

«Falls hätte, käme gleich», welch ein Geschwurbel.

Am Schluss setzt die WoZ dann noch ein letztes Glanzlicht. Den Autoren ist nämlich doch noch aufgefallen, dass sie eigentlich die Einzigen sind, die solchen Verschwörungstheorien nachhängen. Das könnte nun, um eine Konjunktiv-Vermutung zu äussern, damit zu tun haben, dass man bei abstrusen Konstrukten immer ziemlich alleine auf weiter Flur steht.

Aber das kann natürlich nicht sein, also gibt es laut WoZ einen schlimmen Verdacht, wieso sich nur die aufrechten und furchtlosen Zwei, das Dream-Team Renato Beck und Kaspar Surber, unter Lebensgefahr an eine solche Recherche wagen: «Die Frage, ob es nicht mindestens so zwingend wäre, die jetzige Kampagne gegen Berset politisch zu untersuchen, hat bisher niemand in Bern offen gestellt. Den Grund, den man im Off hört, ist durchaus beunruhigend: Wir wollen nicht selbst plattgewalzt werden.»

Da sind wir aber beunruhigt und platt. Und hoffen, dass den beiden nichts zustösst, bevor ihnen die Tapferkeitsmedaille für angst- schwindel- und realitätsfreien Journalismus verliehen wird.

Pokerface Berset

Wie hier schon angekündigt, geht er «all in».

Hat er’s gewusst oder nicht? Das ist zur zentralen Frage in der Affäre Alain Berset geworden. Hat der Bundesrat gewusst, dass sein Pressesprecher sozusagen eine Standleitung zum Ringier-CEO Marc Walder unterhielt und den wohl auch mit dem Amtsgeheimnis unterliegenden Informationen fütterte?

Das ist eine banal-binäre Frage, mit lediglich zwei Varianten. Ja, er wusste es. Nein, er wusste es nicht. Der Beweis dafür, dass er es nicht wusste, ist naturgemäss nicht zu führen. Der Beweis, dass er es wusste, das wäre eruierbar.

Hat Bersets Ex-Sprecher Peter Lauener Vertrauliches durchgestochen? Sollten damit Bundesratsentscheide beeinflusst werden? Stimmt die dünne Behauptung der «Blick»-Leitung, dass man aus eigenen Kräften und keineswegs vom CEO munitioniert, Primeurs rausgehauen habe?

Das alles sind sozusagen ephemere Fragen. Die Frage aller Fragen ist: wusste er, wusste er nicht. Bislang vermied es Berset, darauf eine klare Antwort zu geben; er verurteilte lediglich das Durchstechen, sollte es eines gegeben haben.

Aber seit der jüngsten Pressekonferenz ist das anders. Da verlas der Bundesratssprecher André Simonazzi eine Erklärung in leicht gewundenem Beamtendeutsch:

«Gestützt auf die Angaben des Bundespräsidenten, der versichert hat, von solchen Indiskretionen keine Kenntnis gehabt zu haben, wird der Bundesrat die Geschäfte auf der Grundlage des wiederhergestellten Vertrauens weiterführen.»

Das nennt man beim Pokern all in. Also der Spieler schiebt alle seine Chips in die Spielwette. Verliert er, ist er all out, nämlich pleite. Gewinnt er, bekommt er das Doppelte seines Einsatzes zurück. Wer als Poker Player all in geht, tut das aus zwei Gründen. Er ist sich verdammt sicher, dass er das beste Blatt hat. Oder er blufft und will das seine Mitspieler glauben machen.

Indem Berset klar sagen lässt, dass er von allfälligen Indiskretionen nichts gewusst habe, geht er all in. Im Gegensatz zum Pokern lässt er damit seinen langjährigen Pressesprecher Lauener im Regen stehen. Der habe also auf eigene Faust, ohne Wissen seines Chefs Informationen an Walder weitergegeben.

Dafür landete Lauener schon vier Tage im Knast und wurde kürzlich unter nicht geklärten Umständen von seinem bewunderten Chef getrennt. War das schon ein Bauernopfer? Auf jeden Fall fiel Lauener weich. Ihn gegen das anhaltende Schweigegelübde eines ehemaligen Chefbeamten verstossen zu lassen, das bräuchte wohl einen so grossen Batzen Geld, wie ihn kein Schweizer Medium aufwerfen will.

Und für ein rachsüchtiges «jetzt rede ich» ist Lauener wohl zu schlau; er ist ja noch ein paar Jährchen von der Pensionierung entfernt.

Von da droht Berset also keine Gefahr. Ausser, Lauener spielt über die Bande und lässt das eine oder andere aus seinem Giftschrank heraustropfen, ohne Absender, versteht sich.

Aber: was man früher den Paper Trail nannte, die Papierspur, ist heute ein digitales Meer. Wer war schon so blöd (nicht mal allzu wenige), heikle Themen schriftlich festzuhalten. Ein Gespräch im Park war immer das Mittel der Wahl.

Aber heutzutage benützt jeder SMS, WhatsApp, Threema, Instagram, Facebook, dazu E-Mail und sogar Videobotschaften. Nun kann Berset nur darauf hoffen, dass niemand in diesem Meer eine Aussage von ihm findet, aus der klar hervorgeht, dass er doch von diesen Indiskretionen wusste. Natürlich gibt es da Interpretationsspielraum, aber wenn es eine mehr oder minder klare Aussage dazu von Berset gibt:

Dann ist er nicht mehr haltbar. Muss, schnell oder langsam, zurücktreten. Was gerade im Wahljahr nicht wirklich gut ist. Aber besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende – ein Berset, der um sein Amt kämpft und mit aller Rabulistik trotz klaren Belegen und Indizien weiter abstreitet.

Zumindest sieht es schwer danach aus, dass ein Bündnispartner auf Distanz geht. Statt des Lobes voll zu sein über den Riesenstaatsmann Berset, mopst der «Blick» nach der Pressekonferenz:

«Berset liess die Journalistenfragen jedoch an sich abprallen. Selbst auf die Frage, weshalb er zur Medienkonferenz antrete, wenn er den Journalisten doch nichts sage, sagte er nichts. Dafür gibt in Bundesbern schon zu reden, dass Berset sich nun demonstrativ von seinem über Jahren treusten Mitarbeiter distanziert. «Typisch Berset, das war ja so klar, dass er das macht», sagen solche, die den Freiburger Bundesrat lange kennen

Überdeutlich: dort wird er nicht mehr geliebt. Und obwohl der Oberchefredaktor Christian Dorer behauptet, dass niemand Einfluss nehme: eine solche Klatsche kommt nur ins Blatt, wenn ganz oben Einverständnis signalisiert wurde.

Man möchte nicht in der Haut seines besten Vertrauten stecken, der nun all diesen Schriftverkehr durchforsten muss. Und sich eventuell sogar strafbar macht, wenn er verräterische Sequenzen löscht. Wobei man im Internet nie weiss, wo was noch zusätzlich gespeichert ist …

Die Zauberlehrlinge

Wenn Dummheit schreibt, schweigt die Vernunft.

Bildungsferne ist etwas Schädliches. Nur ist sich der Bildungsferne dessen nicht bewusst. Sonst würden sich ach so viele Schreiberlinge an dieses Gedicht von Goethe erinnern:

«O du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
steh doch wieder still!»

«Schwere Waffen müssen her», wer sich an geltende Waffenexportgesetze halten will, fängt sich das «Kopfschütteln» anderer Staaten ein. Bejubelt wird, dass unter Bruch klarer und geltender Gesetze die Ukraine nun auch mit Kampfpanzern ausgerüstet wird.

Ganze Jubelchöre erschallen mit Lobpreisungen des grossen Freiheitskämpfers Selenskyj. Die Welt hängt an seinen Lippen, diesen Eindruck versuchen wenigstens die europäischen Massenmedien zu erwecken. Es ist auch perfekt inszeniert, was der Schauspieler abliefert, der vom komischen ins ernste Fach gewechselt hat. Inzwischen mit martialischem Bart, olivgrüne Leibchen spannen über dem muskulösen Oberkörper, jede Rede ist perfekt durchkomponiert.

Es wird eine ganze Reihe von Langfingern in Spitzenpositionen der Regierung ausgewechselt? Wird vermeldet, aber ohne den Hintergrund, dass die Ukraine das korrupteste Land Europas war und ist. Kein Wort darüber, dass auch Selenskyj Besitzer hübscher Immobilien im Ausland ist und sein verschlungenes Finanzimperium sogar in einem der vielen «Leaks» und «Papers» als besonders abstossendes Beispiel erwähnt wurde. Kein Wort darüber, dass er genauso korrupt ist wie viele andere, kein Wort darüber, dass ihm von einem reichen Oligarchen die Präsidentschaft gekauft wurde, der damit ein eigenes Problem elegant löste.

Kein Wort darüber, dass die Auftritte von Selenskyj perfekt inszeniert und gescriptet sind. Kein Wort über Andrij Jermak, ehemaliger Filmproduzent. Kein Wort über Mychajlo Podoljak. Oder über Olexij Arestowitsch. Kein Wort über die US-PR-Bude Hill & Knowlton. Das sind die Spin Doctors, die zur Legitimation des ersten Golfkriegs die Mär erfanden, dass entmenschte Soldaten von Saddam Hussein bei der Invasion Kuwaits Säuglinge aus Brutkästen gerissen und auf den Boden geworfen hätten.

Hill & Knowlton präsentierte eine Krankenschwester als tränenreiche Zeugin. Dass die in Wirklichkeit die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA war und noch nie im Leben etwas mit Säuglingen zu tun gehabt hatte, was soll’s.

Die gleiche Agentur überwacht heutzutage die Auftritte des ukrainischen Präsidentendarstellers. Die dazu führten, dass die westlichen Staaten ihren anfänglichen Widerstand gegen die Lieferung immer schwererer Waffen aufgaben.

Während aber noch die Zauberlehrlinge in den Redaktionen diesen angeblich überfälligen Entscheid bejubeln, «schwere Waffen müssen her», Europa «schüttelt den Kopf», weil sich die Schweizer Regierung an ihre Gesetze hält, sind Selenskyj und sein Mann fürs Grobe, der ehemalige ukrainische Botschafter in Deutschland, bereits einig: das kann’s ja wohl nicht gewesen sein.

Panzer ist ja gut, aber viel mehr davon, bitte. Panzer ist gut, aber wo bleibt die schwere Artillerie? Wo bleiben die Kampfjets? Die U-Boote? Mittelstreckenraketen? Wo bleiben zudem Bodentruppen, vielleicht taktische Atombomben?

Dass das Regime von Selenskyj kein Mass kennt, mag noch verständlich sein. Schliesslich wurde die Ukraine unter Bruch aller Verträge und Zusicherungen überfallen. Aber dass die meisten Medien in der Schweiz wie Papageien seine Forderungen nachplappern, das ist beelendend.

Keiner dieser Sandkastenstrategen, dieser Videogame-Generäle stellt sich die einfache, naheliegende und banale Frage: welche Strategie soll eigentlich hinter der Eskalation der Waffenlieferungen stehen? Soll die Ukraine tatsächlich «siegen», wie das die Schande für grüne Prinzipien, die deutsche Aussenministerin Baerbock, lauthals fordert?

Was wäre dann ein Sieg der Ukraine? Die völlige Vertreibung russischer Truppen, inklusive von der Krim? Kann man solche absurden Kriegsziele, sozusagen einen modernen Endsieg, wirklich ernsthaft ins Auge fassen? Wohin soll die Eskalation in der Ukraine führen? Glaubt wirklich jemand ernsthaft, dass Russland mit konventionellen Waffen besiegt werden kann? Glaubt jemand ernsthaft, dass ein Autokrat wie Putin  – wie jeder Potentat, der sich gegen die Wand geklatscht fühlt – nicht an den Einsatz von Atomwaffen vor dem Eingeständnis einer totalen Niederlage denken würde?

Ist es wirklich so, dass von der deutschen Aussenministerin abwärts bis zu all den kleinen Schreibtsichgenerälen in der Schweizer Etappe, die so gerne andere in den Tod schicken möchten, dass all die wirklich glauben, in der Ukraine spiele sich der Endkampf zwischen Gut und Böse ab? Zwischen westlichen Werten und russischen Unwerten? Zwischen der Zivilisation und der Barbarei?

Und wenn das so wäre, gibt es all diesen Kriegsgurgeln auf dem Kreuzzug gegen das Böse nicht zu denken, dass lediglich etwas mehr als 30 Länder Sanktionen gegen Russland verhängt haben? Von insgesamt 195? Also halten 165 Länder Russland nicht für die Inkarnation des Bösen, das gnadenlos bestraft werden muss? Darunter so bedeutende Wirtschaftsmächte wie China oder Indien.

Die USA haben 2045 einzelne Sanktionen gegen Russland verhängt. Der Musterknabe Schweiz folgt auf dem zweiten Platz mit 1379. Dann Grossbritannien mit 1167, die EU mit 1155, Australien mit 894 und Japan mit 692. Mit entsprechenden wirtschaftlichen Eigenschäden, vor allem in Europa.

Wo soll das alles hinführen? Wer Krieg führt, hat normalerweise Ziele und eine Strategie. Die Ziele der ukrainischen Regierung sind klar formuliert: Zurückeroberung aller durch russische Truppen okkupierten Landesteile. Die russischen Kriegsziele hingegen sind nicht so klar. Wirklich die Beseitigung eines angeblich faschistischen Regimes in Kiew? Sicherung der Krim? Landverbindung zu Russland? Donbass? Man weiss es nicht.

Was sind die Ziele der westlichen Alliierten der Ukraine? Die gleichen wie die der dortigen Regierung? Eine Demütigung Russlands? Ein militärisches Ausbluten auf Kosten der ukrainischen Bevölkerung? Gar ein Umsturz oder Systemwechsel in Russland? Für wie gefährlich wird die Möglichkeit eines atomaren Schlagabtauschs eingeschätzt? Man weiss es nicht.

Man weiss nur: Munition, schwere Waffen, Artillerie, Flugabwehrgeschütze, Kampfpanzer, Flugzeuge, U-Boote – taktische Atomwaffen, Atomkrieg. Muss nicht sein. Kann aber.

Krieg und Leichen

Erinnerungen an Zeiten, als noch nicht alles ins Rutschen kam.

1932 erschien in der Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) diese doppelseitige Fotomontage von John Heartfield:

«Krieg und Leichen – die letzte Hoffnung der Reichen», so lautete die Unterzeile. Die Hyäne trägt einen Zylinder als Symbol für die Reichen, um den Hals den Orden «pour le mérite», der höchste preussische Kriegsorden. Heartfield machte daraus «pour le profit».

Die Ausgabe der AIZ wurde beschlagnahmt und nach dem Protest namhafter Künstler wieder freigegeben. Fast eine halbe Million Menschen haben einen «offenen Brief an den Bundeskanzler Scholz» unterschrieben.

Darin heisst es unter anderem:

«Wir begrüßen, dass Sie bisher so genau die Risiken bedacht hatten: das Risiko der Ausbreitung des Krieges innerhalb der Ukraine; das Risiko einer Ausweitung auf ganz Europa; ja, das Risiko eines 3. Weltkrieges. Wir hoffen darum, dass Sie sich auf Ihre ursprüngliche Position besinnen und nicht, weder direkt noch indirekt, weitere schwere Waffen an die Ukraine liefern. Wir bitten Sie im Gegenteil dringlich, alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können.»

Zu den Erstunterzeichnern gehören unter anderen Alexander Kluge, Professor Reinhard Merkel, Gerhard Polt, Alice Schwarzer, Martin Walser, Ranga Yogeshwar und Juli Zeh. Auch ZACKBUM-Redaktor René Zeyer hat unterzeichnet. Laut dem Trendbarometer von RTL/ntv  lehnt eine Mehrheit der Deutschen (55 Prozent) die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine ab.

Auf zunehmenden Druck aus dem In- und Ausland – besonders peinlich dabei grüne Kriegsgurgeln aus der ehemaligen Friedenspartei, Petra Kelly und Gert Bastian rotieren in ihren Gräbern – hat Bundeskanzler Scholz beschlossen, mit der Lieferung von Kampfpanzern eine neue Eskalationsstufe im Ukrainekrieg einzuläuten.

Unter dem Beifall der Mainstream-Medien; so dümmlich feiert zum Beispiel der «Blick»:

Dazu textet eine «Aussenreporterin News» namens Myrte Müller: «Neue schwere Waffen müssen her, sonst droht die ukrainische Verteidigung zu kollabieren.»

Da keimt der Gedanke auf, einen neuen Messfühler in die Welt zu setzen. Wir nennen ihn den «Stupidity-Worldometer». Seine Aufgabe ist es, den aktuellen Zustand der Dummheit zu messen. Kein leichtes Unterfangen, es gleicht dem Versuch, eine Messlatte in den Ozean zu stecken. Aber man kann auch Symptome heranziehen.

Zum Beispiel den Satz «schwere Waffen müssen her». Damit bekommt die Autorin auf der Skala von 1 bis 10 locker eine 12. Wer den Titel «Leopard-Panzer zum Geburtstag» verbrochen hat, kratzt damit an einer 9, hat aber noch Luft nach oben.

Jede Skala, die meertiefe Dummheit misst, versagt aber vor dem Spitzenprodukt der Schweizer Medienszene. Genau, wir sprechen wieder einmal von «watson». Es ist schwierig, in der allgemeinen Kriegsbegeisterung noch einen draufzusetzen, aber Carl-Philipp Frank schafft es mit traumwandlerisch sicherer Geschmacklosigkeit:

Offensichtlich verwechselt er Panzerschlachten mit einem Videogame. Blut, Leichen, Leid und Zerstörung? Ach was, mit indolenter Begeisterung preist Frank die Mordmaschinen an: «Der Kampfpanzer «Leopard 2A6» gilt als gutes Gesamtpaket.» Oder: «Gerüchten zufolge soll ein einziger Abrams damals sieben T-72 am Stück zerstört haben, ohne selber namhaften Schaden genommen zu haben.» Oder: «Das Flaggschiff der russischen Kavallerie ist der T-90A, eine modernere Version des T-90.» Und noch mehr Sprachdurchfall: «Beim Design des britischen Boliden wurde, laut Hersteller, grosser Wert auf die Sicherheit der Besatzung gelegt.»

Da Selenskyj zum Geburtstag einen Schwung Panzer geschenkt bekommt, hat er natürlich Appetit auf mehr. Nun fordert er – claro – mehr Panzer. Und Flugzeuge. Ach ja, und Langstreckenraketen. U-Boote bitte nicht vergessen. Vielleicht sollten es auch noch ein paar taktische Atomwaffen sein, und überhaupt, Interkontinentalraketen machen sich auch immer gut. Natürlich schallt ihm ein ganz entschiedenes Nein entgegen. Wie bei Flugabwehrgeschützen. Wie bei Waffenlieferungen allgemein.

Aber hier ist ein Nein kein Nein. Hier ist ein Nein die Einleitung zu «so nicht». Dann «jetzt nicht». Dann «unter Umständen schon», «falls die anderen auch». Schliesslich: «also gut, bitte sehr». Die Vorhersehbarkeit dieser Wendehälse erinnert an den Ausbruch von Max Liebermann: «Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte

Der Zeitpunkt scheint näherzurücken, an dem mal wieder alle das nicht gewollt haben. Niemals nicht Kriegshetze betrieben. Immer für den Frieden waren. Sich gar nicht vorstellen konnten, dass so etwas passieren könnte. Überrascht, konsterniert, erschüttert, verzweifelt sind und «Nie wieder Krieg» rufen.

Aber vorher muss man, auch wenn es einem dabei übel wird, der Chronistenpflicht genügen.

 

Die Mechanik des Rücktritts

Ob Berset gehen muss oder nicht, hängt von einer Sache ab.

Es ist erstaunlich, dass all die Spin Doctors, die Krisenkommunikationsspezialisten, die teuer bezahlten Versager zum x-ten Mal und bei jeder Krise die einfache Mechanik eines drohenden Rücktritts nicht durchschauen.

Fingergehakel um Wissen oder Nicht-Wissen, schädliche Verbündete wie Jacqueline Badran, die sich mit ihrem üblichen Verve, aber ohne vertiefte Sachkenntnis in die Schlacht wirft, vorhersehbare Rücktrittsforderungen der SVP und des Mini-Megaphons Markus Somm.

Alles Nebensächlichkeiten. Zur Abteilung «es darf gelacht werden» gehören die Beteuerungen des «Blick»-Oberchefredaktors Christian Dorer und seiner ansonsten unsichtbaren Vorgesetzten Ladina Heimgartner (die Quotenfrau mit extrabreiter Visitenkarte), dass man dann völlig unbeeinflusst sei, im Fall, und niemals nicht Informationen des CEO Marc Walder verwendet habe. Der korrespondierte mit dem Departement Berset nämlich nur aus rein privatem Interesse.

Aber immerhin, Walder macht das einzig richtige: er schweigt. Das kann man von Tamedia nicht behaupten. Einerseits will man mit allen Fingern auf Ringier zeigen, andererseits will man klarstellen, dass man selber zwar auch von Indiskretionen profitiere, aber natürlich nicht so wie Ringier. Während dann noch der Politikchef Denis von Burg den Querschläger spielt und die ganze Aufregung um mögliche Amtsgeheimnisverletzungen und börsenrelevante Vorabinformationen als «Heuchelei» abkanzelt. Aber von Burg als Antidemokrat mit totalitärem Vokabular ist ein Fall für sich.

Währenddessen zeigt CH Media, wofür Journalismus gut ist. Man haut einen Skandal raus, und sobald die Wogen hoch und wieder runter gegangen sind, legt man nach. Gutes, altes Schulbeispiel, wie man eine Kampagne aufzieht und ein Thema am Köcheln hält: ja nicht gleich am Anfang alles verballern.

Die NZZ schliesslich schwankt etwas zwischen vornehmer Zurückhaltung, leisem Glucksen vom Spielfeldrand und fiesen Hieben, denn schliesslich ist Wahljahr. Und ein angeschlagener Berset, der sich durchschleppt, ist viel besser als ein zurückgetretener Berset.

Wovon hängt nun dieser Rücktritt ab? Wie immer, wie immer und überall von einer einzigen Sache. Kann man Berset eine Unwahrheit nachweisen oder nicht. Seit Barschels Ehrenwort (ältere Leser erinnern sich, ansonsten googeln) und auch zuvor gilt immer ein Prinzip. Jede öffentliche Figur, sei das in der Wirtschaft oder in der Politik, überlebt jeden Shitstorm, wenn nicht die eigenen Leute am Stuhl sägen. Oder wenn nicht nachgewiesen wird, dass eine Unwahrheit gesagt wurde.

Der letzte grosse Fall ereignete sich vor ein paar Jahren mit dem damaligen Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank. Philipp Hildebrand geriet etwas ins Feuer wegen Vorwürfen des Insiderhandels. Die Debatte spitzte sich darauf zu, ob Hildebrands Frau ohne oder mit seinem Wissen Devisengeschäfte getätigt hatte. Seine erste Verteidigungslinie, dass er darin nicht involviert gewesen sei, brach zusammen, als sein eigener Anwalt vermeintlich zu seiner Entlastung weitere Dokumente vorlegte.

Zudem war Hildebrand von einem der üblichen Krisenkommunikationsfuzzis beraten. Die stellen meistens die Krise selbst dar, die sie zu bekämpfen vorgeben. Also geschah das Unvermeidliche: Hildebrand, zuvor Sunnyboy, Sympathieträger mit gewinnendem Äusseren und Auftreten, trat zurück.

Könnte, hätte, Fahrradkette. Aber dieser Rücktritt war garantiert vermeidbar, wenn man sich von Anfang an auf das banale Prinzip jeder Krisenkommunikation besonnen hätte. Was immer man gegen aussen sagt, gegen innen muss Kassensturz gemacht werden. Was trifft zu, was nicht, was kann belegt werden, was kann plausibel abgestritten werden.

Besonders der letzte Punkt ist heikel. Wir erinnern uns an den berühmten Satz des Schwerenöters im Oral Office: «I did not have sex with this woman.» Es brauchte die geballte Power einer der teuersten PR-Buden der Welt, um da noch die Kurve zu kriegen. Die genialische Idee: in den Südstaaten der USA gilt Oralverkehr nicht als Sex, also habe Bill Clinton nicht gelogen. Als sich dann auch noch seine Frau hinter ihn stellte, war die Präsidentschaft – trotz allen Bemühungen des politischen Gegners – gerettet.

Aus ähnliche Verwicklungen ist Bundesrat Berset bereits, nur leicht lädiert, herausgekommen. Auch ihm half, dass seine Frau grosszügig über den bekannt gewordenen Seitensprung hinwegsah – und dass Berset keine Unwahrheit nachgewiesen werden konnte.

Dafür braucht es auch eine klare Aussage, die widerlegt werden kann. Bei den vielen Kontakten zwischen seinem Kommunikationschef und dem Ringier-Verlag gibt es eine solche Aussage von Berset. Er habe davon nichts gewusst. Er habe vor allem nicht gewusst, dass hier möglicherweise vertrauliche, dem Amtsgeheimnis unterliegende Informationen weitergegeben wurden.

Das ist nun eine klare wahr/unwahr Situation. Kann man Berset über jeden vernünftigen Zweifel hinaus nachweisen, dass das so nicht stimmt, bleibt ihm nur der Rücktritt. Wir erinnern uns an den Fall der  ersten Bundesrätin Elisabeth Kopp. Der wurde nicht ein Telefonat mit ihrem Gatten zum Verhängnis. Sondern seine Aussage («um Himmels willen, nein»), dass es nicht stattgefunden habe. Was nachweislich gelogen war.

Also dürfte die Entourage von Berset, also die wenigen Personen seines völligen Vertrauens, fieberhaft damit beschäftigt sein, alle schriftlichen Äusserungen (und heutzutage hinterlässt jeder ein Meer von SMS, WhatsApp-Nachrichten, Threema-Chats und E-Mails) zu durchforsten. Eine zentrale Rolle spielt auch der geschasste Kommunikationschef Bersets. Denn wenn einer weiss, ob sein Chef etwas wusste, dann er. Aber ihn hindert am Auspacken seine Schweigepflicht und das Amtsgeheimnis, das natürlich über eine Entlassung hinaus gilt. Um ihn zum Reden zu bringen, bräuchte es ein sehr verlockendes Angebot.

Wir fassen zusammen. Ob Berset zurücktreten wird oder nicht, hängt nicht vom Gebelfer der Medien ab. Auch nicht von neuen Enthüllungen. Sondern einzig und alleine davon, ob man ihn einer Lüge überführen kann oder nicht. On verra, wie der Welsche zu sagen pflegt.

Operation Libero-Gaga

Wer fragt, kriegt Antworten. Nur was für welche.

Die «Operation Libero» hat gravierende Probleme. Die haben wir bereits mehrfach beschrieben. Eines der Probleme ist die «Co-Präsidentin» Sanija Ameti. Die drängte sich mit der Behauptung in die Medien, sie erhalte bis zu 100 Hassmails am Tag. Daraufhin bekam sie ein Mail von ZACKBUM:

Sie lassen sich in den Medien damit zitieren, dass Sie bis zu «100 Hassmails» am Tag bekämen.
Das ist sehr bedauerlich. Sie sind sicherlich in der Lage, diese Behauptung zu dokumentieren.
Gerne erwarten wir eine Zusammenstellung von 100 Hassmails von einem Tag Ihrer Wahl.
Sie können die Absender schwärzen oder die Klarnamen stehenlassen, wir werden sie selbstverständlich nicht veröffentlichen.
Wir haben noch eine zweite Frage. Sie bezeichnen sich abwechslungsweise als Muslima oder als Atheistin. Welche der beiden Aussagen trifft mehr zu?
Es wäre wunderbar, wenn Sie uns diesen Beleg für Ihre Behauptung und die zweite Auskunft bis morgen, Donnerstag, 5. Januar 2023, 16.00 Uhr, zukommen lassen können; dafür bedanken wir uns im Voraus.
Eher überraschungsfrei traf keine Antwort von Frau Ameti ein. Darauf bekam sie ein zweites Mail von ZACKBUM:
Sie habe leider nicht geruht, zeitgerecht auf diese Anfrage zu antworten.
Daraus schliesse ich, dass Ihre Behauptung, bis zu 100 Hassmails pro Tag zu bekommen, substanzlos ist – um den Ausdruck «brandschwarz gelogen» zu vermeiden.
Wissen Sie, mit solchen Peinlichkeiten erweisen Sie sich selbst und Ihren Anliegen einen Bärendienst, vom Verhältnis von Schweizern zu Flüchtlingskindern ganz zu schweigen.
Das ist, dafür gibt es keine anderen Ausdrücke, erbärmlich, unanständig und niveaulos.
Darauf reagierte die «Operation Libero» mit Schnappatmung und Herzstillstand, also gar nicht. Bis zum 24. Januar, da griff die Geschäftsführerin in die Tasten:
Guten Abend Herr Zeyer 
Frau Ameti hat damit aufgehört, auf E-Mails wie die Ihre zu antworten – und das ist gut und richtig so. Aus verschiedenen Gründen: Die Mails sind nicht konstruktiv, leisten keinen Beitrag, sie sind höchst persönlich, obwohl man sich nicht persönlich kennt, sie sind unnötig angriffig und beleidigend, und zudem oftmals rassistisch geprägt und motiviert. 
Was nach meinem Guthalten erbärmlich, unanständig und niveaulos ist, sind Mails, wie die Ihre und dann gleichzeitig eine Antwort zu erwarten. 
Sie haben weder das Recht noch dürfen sie einen Anspruch darauf erheben, Frau Ameti Aufträge zu erteilen. Und wie so oft gilt auch im kritischen Miteinander: c’est le ton qui fait la musique. Sie sind an der Aussage von Frau Ameti interessiert? Warum nicht fragen anstatt zu unterstellen? Warum nicht um ein Gespräch bitten, anstatt Deadlines zu setzen, die Frau Ameti vielleicht, aus anderen Gründen nicht wahrnehmen kann und will, als die, die sie ihr unterstellen. 
Jemand einer Lüge zu bezichtigen ist dicke Post. Unterstellungen sind es ebenso. 
Und für das, dass sie Ihr gegenüber nicht kennen, sind die Anschuldigungen wie die ihre in meinem Verständnis unanständig. Von Mensch zu Mensch. 
Finden Sie nicht? 
Daraufhin erhielt die «Operation Libero» ein drittes und wohl letztes Mail von ZACKBUM:
Wie Sie – oder Frau Ameti – dazu kommen, eine höflich formulierte journalistische Anfrage, die wie allgemein im Journalismus üblich mit einer Antwortfrist versehen ist, dermassen arrogant, überheblich und geradezu dümmlich abzuqualifizieren, erschliesst sich mir nicht.
Ich habe Frau Ameti, welch merkwürdige Wortwahl von Ihnen, keinerlei Auftrag erteilt. Sie hat öffentlich eine Behauptung aufgestellt und ich habe ihr Gelegenheit bieten wollen, diese Behauptung zu belegen. Ein ganz normaler und üblicher Vorgang. Nichts Persönliches.
Wenn Sie – oder ich – öffentlich behaupten würden, bis zu 100 Hassmails am Tag zu bekommen, müssten wir auch darauf gefasst sein, dazu aufgefordert zu werden, eine solche Behauptung zu belegen.
Bleibt – zudem begründungslos – eine Antwort aus, ist es ebenfalls völlig normal, daraus zu schliessen, dass es sich um eine leere, unbelegte Behauptung handelt. Oder schlichtweg um eine Lüge. Dass das Ignorieren einer journalistischen Anfrage erbärmlich, niveaulos und unanständig ist, darüber sollte es wohl keine Meinungsverschiedenheit geben.
Statt all dieses Aufschäumen zu veranstalten, wäre es doch für Frau Ameti ein Leichtes gewesen, meine Anfrage direkt zu beantworten. Falls sich bei ihr die Hassmails dermassen stapeln, sollte das kein Problem darstellen.
Schauen Sie, es ist doch ganz einfach: würde ich öffentlich behaupten, ich würde von der Operation Libero unflätige Mails bekommen, dann wäre doch anzunehmen, dass Sie mich dazu auffordern würden, diese Behauptung entweder zu belegen oder zurückzunehmen.
Nun könnte ich das sogar belegen, denn mir zu unterstellen, mein Mail sei beleidigend oder gar noch rassistisch geprägt oder motiviert, ist schon ein starkes Stück. So mit der Rassismuskeule zu fuchteln, das ist eine Beleidigung für alle, die wirklich rassistischen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Sie sollten sich eins schämen.
Es beweist sich hier mal wieder: wer dermassen austeilt, will damit etwas kaschieren. Denn mal Hand aufs Herz: haben Sie bis zu 100 Hassmails im Mailaccount von Frau Ameti gesehen?
Oder ist diese Frage etwa auch beleidigend und rassistisch motiviert?
Wenn ich Ihnen noch einen kleinen Ratschlag mit auf den Weg geben darf: das Beherrschen der deutschen Rechtschreibung hilft ungemein, sich verständlich zu machen. Da könnten Sie durchaus noch etwas üben, statt mit Verbalinjurien um sich zu werfen. Finden Sie nicht?
Ohne rassistisch, sexistisch oder beleidigend sein zu wollen: auf eine journalistische Anfrage nach einer Sendepause von 19 Tagen eine solche Antwort zu schicken, das ist schon ziemlich gaga. Finden Sie nicht?

Panzergeneräle

World gone wrong. Da hilft nicht mal das Dichterwort.

Setz dich hierher und hör zu. Das scheint Bob Dylan auf dem Cover seines Albums zu verlangen. Aber auch alttestamentarische Strenge nützt nichts im kriegsbesoffenen Wahnsinn des Jahres 2023.

Anscheinend hat der einzig bedächtige Staatsmann Olaf Scholz dem multiplen Druck nachgegeben und der Lieferung von Leopard-Panzern in die Ukraine zugestimmt. Es ist nicht bekannt, dass solche militärische Hilfe auch dem Jemen zuteil wird. Oder den Kurden, die in einem völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg vom NATO-Mitglied Türkei in Syrien in Grund und Boden bombardiert werden.

Aber das ist ja nur die Abteilung normale Heuchelei. Neutral bis jubelnd vermelden Schweizer Gazetten: «Deutschland gibt grünes Licht für Leopard-Panzer». So scheitert der «Blick» an der Herausforderung, auch noch Ukraine in den Titel zu quetschen. «Berichte: Deutschland liefert Leopard-Panzer an die Ukraine», tickert Tamedia auf Sparflamme. Ergänzt durch die Meldung: «Vor dem Hintergrund eines Korruptionsskandals in der Ukraine sind 5 Gouverneure und 4 Vize-Minister ihrer Ämter enthoben worden.» 

Die NZZ hält sich in den frühen Abendstunden noch bedeckt, vermeldet aber: «Brisante Wende bei den Waffenexporten: Schweiz soll für Lieferung von Munition und Panzern an die Ukraine Hand bieten.» Etwas begeisterter ist der «Blick», denn: «Seit Beginn des Ukraine-Kriegs sorgt der Bundesrat für Kopfschütteln im Ausland. Mehrfach lehnte er aus Neutralitätsgründen Anfragen für den Export von Rüstungsmaterial ab.»

Eine Nationalratskommission fordere nun aber: «So soll die Schweiz auf die Nichtwiederausfuhr-Erklärung verzichten, wenn «die Wiederausfuhr des Kriegsmaterials an die Ukraine im Zusammenhang mit dem russisch-ukrainischen Krieg erfolgt». Geht es nach der Kommission, tritt die Gesetzesänderung schon am 1. Mai in Kraft und wäre vorerst bis Ende 2025 befristet.»

World gone mad, aber versuchen wir es dennoch mit der Stimme der Vernunft. Sowohl deutsche wie Schweizer Gesetze verbieten den Waffenexport in Kriegsgebiete, auch via Drittländer, um diese naheliegende Lücke geschlossen zu halten.

An der Eindeutigkeit dieser gesetzlichen Bestimmungen ist nichts zu rütteln. Erst vor wenigen Monaten wurde das Kriegsmaterialgesetz der Schweiz noch verschärft. Aber seitdem haben sich vor allem Sozialdemokraten und Grüne in wahre Kriegsgurgeln verwandelt. Wie Schreibtischgenerale, Sandkastenhelden fordern sie lauthals die Lieferung von Waffen aller Art an die Ukraine.

Damit dort mehr und besser gestorben wird. Denn auch Panzer sollen überraschenderweise weder zum Schneeräumen, noch zum Transport von Getreide eingesetzt werden. Aber die Debatte, ob eine zunehmende Verwicklung in den Ukrainekrieg sinnvoll oder zielführend ist, müsste eigentlich gar nicht geführt werden.

Wenn rechtsstaatliche Grundsätze wie das Einhalten von Gesetzen noch irgend eine Bedeutung hätten. Der Bundesrat sorge für Kopfschütteln im Ausland, weil er sich an Schweizer Gesetze halten will? Wie verpeilt muss man sein, um einen solchen Satz zu schreiben?

Kriege werden nicht durch Panzer beendet. Sondern durch Verhandlungen. Kriege werden nicht durch Eskalation beendet. Sondern durch Verhandlungen. Einen Autokraten in die Enge zu treiben, der über das grösste Atomwaffenarsenal der Welt verfügt, ist keine gute Idee. Von einem möglichen Sieg der Ukraine zu schwadronieren, ist gemeingefährlich und fordert kaltherzig weiteres Leiden der ukrainischen Bevölkerung. Aus der sicheren Etappe.

Soll man denn der völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Invasion durch Russland einfach zusehen? Soll man, genauso, wie man der völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Invasion Jemens durch Saudi-Arabien zusieht. Wie man der verbrecherischen und völkerrechtswidrigen Invasion Syriens durch die Türkei zusieht. Oder eben nicht. Sondern indem man alles tut, damit Verhandlungen die Massaker beenden.

Aber in der Ukraine werden doch westliche Werte gegen russische Unwerte verteidigt, geht es um Freiheit und Demokratie gegen Knechtschaft und Autokratie. Hier treffen sozusagen Gut auf Böse, das Richtige auf das Falsche. Welch ein gerüttelter Unsinn. Die Ukraine war das korrupteste Land innerhalb der ehemaligen UdSSR, und das will etwas heissen. Die Ukraine ist das korrupteste Land Europas, und auch das will etwas heissen. In der Ukraine herrscht keine Freiheit und Demokratie, sondern ein autokratischer Präsident mit Günstlingswirtschaft, Pressezensur und Unterdrückung jeglicher Opposition.

Soll der Westen dafür eine atomare Auseinandersetzung riskieren? Soll die Schweiz dafür – und gegen das Kopfschütteln – ihre Gesetze über Bord werfen oder aufweichen?

Was soll man zu diesem Wahnsinn noch sagen? Kann’s der Dichter, der Lyriker, der Literaturnobelpreisträger, der schon über die «Master of War» sang, aber inzwischen eigentlich auch aufgegeben hat:

Feel bad this morning, ain’t got no homeNo use in worrying, ‹cause the world gone wrongI can’t be good no more, once like I did beforeI can’t be good, babyHoney, because the world’s gone wrong