Teutonenkrach

Ein deutscher Feuilletonist keift einen deutschen Komiker an.

Und was geht das den Schweizer Leser an? Er wird in der «SonntagsZeitung» damit zwangsbeglückt. Denn SZ-Feuilletonist Jens-Christian Rabe arbeitet sich an den Plagiatsvorwürfen gegen seine stellvertretende Chefredakteurin ab. Nein, Scherz, so mutig ist er natürlich nicht.

Er ist aber ein ganz tiefer Denker, wie man seiner Autorenseite entnehmen kann: Er versuche, «als Literatur- und Popkritiker herauszubekommen, ob es stimmt, wie Adorno einmal schrieb, dass sich der Schwachsinn des Ganzen aus lauter gesundem Menschenverstand zusammensetzt – oder ob es womöglich nicht doch genau umgekehrt ist.»

In seiner Polemik gegen Kaya YanarWas guckst du?») will er wohl das Umgekehrte belegen, den lauten Schwachsinn des Einzelnen. Denn Yanar hat es – sehr zum Missfallen von Rabe – gewagt, seine Meinung zum Nahostkonflikt zu äussern. Zuerst in einer satirischen Rolle als Gastarbeiter Yildirim. Das tut er schon nicht ungestraft: «Welchen Mehrwert die formale Entscheidung haben soll, es mit Rollen-Comedy zu versuchen, ist rätselhaft», massregelt Rabe streng. Oder vielleicht hat er, siehe Adorno, es einfach nicht verstanden.

Aber dann muss er wirklich unwirsch werden: «Nach 18 Minuten und 40 Sekunden taucht der Comedian dann allerdings doch noch ohne Yildirim-Maske auf. Und macht es leider nicht besser. Im Gegenteil.» Was erlauben sich Kaya denn? Immerhin:

«Also, um der Redlichkeit willen ausführlich zitiert: «Es gibt einen Fakt, den niemand bestreiten kann, seit dem 7. Oktober sterben jeden Tag unschuldige Zivilisten in Gaza. Wir wissen, es wurden Tausende Kinder, Tausende Frauen getötet, es wurden Hunderte medizinische Kräfte, Hunderte UNO-Mitarbeiter, Hunderte Journalisten getötet, mehr als zwei Millionen Menschen wurden vertrieben. Es gibt faktisch keine Schutzzonen, weder im Norden noch im Süden. Das Völkerrecht wird tagtäglich mit Füssen getreten. Je länger die Bodenoffensive und Bombardierung durch Israel andauert, desto mehr Menschen werden traumatisiert und auch radikalisiert. Vor allem werden sie verletzt und getötet.»»

Jetzt lässt Rabe eine richtige Denkbombe platzen:

«Das ist bestürzenderweise nicht völlig falsch».

Das ist allerdings völlig richtig, und bestürzend ist daran nichts, ausser vielleicht der korrekte Inhalt. Aber: es sei «pauschal formuliert, und es blendet auffällig sehr, sehr viele weitere Fakten kurzerhand komplett aus».

Weiter ins Rabes Hinrichtung: «Die vermeintliche Position «der Medien» und «unserer Politiker» wird schliesslich, wie üblich für Propaganda aller Art und weit jenseits alles Faktischen, vereinheitlicht: «Aber das ist echt, echte Bomben töten echte Menschen, die Hinterbliebenen zittern, schreien und weinen, während unsere führenden Politiker und Medien das alles mit Selbstverteidigungsrecht rechtfertigen.» Zum Schluss gibt es noch eine Aufzählung von mehr oder weniger konkreten palästinensischen Einzelschicksalen, von denen – ohne Belege – behauptet wird: «Keiner von ihnen hatte etwas mit der Hamas zu tun, nichts davon hatte etwas mit Selbstverteidigung zu tun.»»

Die Gesinnungspolizei ist mit heulender Sirene vorgefahren, das Urteil wird gleich auf Platz verkündet: «In seiner konsequenten Einseitigkeit ist das alles so hart an der Grenze perfider (antisemitischer) Propaganda, dass man sich schwertut, den vorgeschützten Humanismus seinerseits als «Fakt» zu nehmen – und nicht als die Heuchelei, die sich seinerseits halt Kaya Yanar erlaubt.»

Wir versuchen, zusammenzufassen. Yanar macht völlig korrekte Aussagen. Die seien aber «pauschal», «Propaganda», «ohne Belege», zusammenfassend «hart an der Grenze perfider (antisemitischer) Propaganda». Besser entlarven als mit dem letzten Satz kann sich Rabe eigentlich nicht. Mit «hart an der Grenze» will er sich feige wegducken; damit man weiss, welcher Art die angeblich perfide Propaganda sei, schiebt er noch in klammern ein antisemitisch rein, um Yanar schliesslich der Heuchelei zu beschuldigen.

In einer Gedankenkurve, die wohl nicht mal Adorno verstanden hätte. Also ist Yanar ein Heuchler, der perfide antisemitische Propaganda betreibe. Was Rabe zu einem arroganten Scharfrichter macht, der argumentationsfreie Polemik mit erlaubter Kritik verwechselt. Rabe hätte es sich auch einfacher machen können. Ihm passt die ganze Richtung nicht bei Yanar. So plump und banal ist’s. Aber stattdessen der Jargon der Eigentlichkeit, hier in der Version Weinerlichkeit …

Das mag den deutschen Leser dieser innerdeutschen Auseinandersetzung noch knapp interessieren, wenn er zur Gesinnungsblase der SZ gehört. Wieso der Erguss allerdings auf Schweizer Frühstückstischen landen muss, wo der Leser missgestimmt in sein Gipfeli beisst, die SoZ überblättert und verkündet: «Ich glaub›, das Jahresabo ist definitiv rausgeschmissenes Geld, da könnten wir auch gleich die SZ kaufen, wäre erst noch billiger.» Womit er bestürzenderweise völlig recht hat.

 

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