Denunziations-Maschinen
Soziale Medien werden zum Rache-Verstärker. Die Medien auch.
Ihr freiwilliger Beitrag für ZACKBUM
«Unter einer Denunziation versteht man das Erstatten einer (Straf-)Anzeige durch einen Denunzianten aus persönlichen, niedrigen Beweggründen, wie zum Beispiel das Erlangen eines persönlichen Vorteils. … Das Wort «denunzieren» hat noch eine weitere Wortbedeutung, nämlich „als negativ hinstellen, brandmarken, öffentlich verurteilen“.»
Die Definition des Begriffs aus Wikipedia ist einfach. Die Methode selbst ist abartig und widerwärtig. Dazu gibt es aus dem Jahre 1884 ein hübsches Gedicht, das das Wesen des Denunzianten auf den Punkt bringt:
«Verpestet ist ein ganzes Land,
Wo schleicht herum der Denunziant.
[…]
Der Menschheit Schandfleck wird genannt
Der niederträcht’ge Denunziant.»
Üblicherweise erfolgen Denunziationen anonym. Im Rahmen der «#metoo»-Bewegung hat sich aber ein neues Modell entwickelt. Der Denunziant steht mit seinem Namen hin, denunziert aber eine einzelne Person oder eine ganze Gruppe von nicht genannten Opfern. Herausragendes Beispiel ist dafür der «Protestbrief» von 78 erregten Tamedia-Mitarbeiterinnen, die über 60 angebliche Vorfälle als Beleg aufführten, dass im Konzern eine frauenfeindliche, diskriminierende, sexistische und demotivierende Stimmung herrsche.
Kleiner Schönheitsfehler: keine einzige dieser Denunziationen war verortbar. Es fehlten Umstände, Zusammenhänge, Zeitangaben. Daher konnte bis heute kein einziger Vorwurf verifiziert oder falsifiziert werden.
Eine Steigerung dazu stellt das dar, was gerade (und ausgerechnet) der linksradikalen deutschen Punkband «Feine Sahne Fischfilet» passiert. Sie muss sich damit auseinandersetzen, dass ein anonymer Blog anonyme und nicht einmal spezifizierte Vorwürfe angeblicher «sexualisierter Gewalt» mit angeblich 11 Opfern erhoben hat. Diese Denunziation tauchte im August 2022 im Internet auf und verfolgt die Band seither wie ein Gespenst.
Nicht nur für Patrizia Laeri sind solche Behauptungen sexueller Übergriffe ein wohlfeiles Transportmittel, um mal wieder in die Medien zu kommen. Solche Vorwürfe haben meistens drei Dinge gemein. Sie werden von einer Frau erhoben, sie liegen jenseits aller Verjährungsfristen in der Vergangenheit, sie wurden damals nicht aktenkundig gemacht, und sie richten sich zumindest öffentlich gegen unbekannt, gegen eine nicht genauer identifizierte Person. Damit wird jeglicher Klage oder Anzeige wegen Rufschädigung oder Ehrverletzung vorgebeugt.
Stellt sich in einer Untersuchung (die sich nach so vielen Jahren naturgemäss sehr schwierig gestaltet) heraus, dass sich der Vorwurf nicht erhärten lässt, zudem bei genauerer Betrachtung Widersprüche auftauchen, dann behauptet die Denunziantin, dass hier sicherlich schwerwiegende Fehler begangen wurden. Gerne deutet sie auch an, dass es sich um Männersolidarität handeln könnte.
Das Schweizer Farbfernsehen hatte es letzthin gleich mit zwei solcher Fälle zu tun. Einer betraf einen welschen TV-Starmoderator, der andere angeblich eine Führungskraft am Leutschenbach. Beide Denunziationen stellten sich als halt- und substanzlos heraus.
Die verschärfteste Version ist die öffentliche Hinrichtung mit Namensnennung in einem reichweitenstarken Titel. Das exerziert gerade eine gefeuerte Mitarbeiterin gegen ihren ehemaligen Chef und ihren Ex-Arbeitgeber durch. Beide hat sie öffentlich und mit Namensnennung denunziert, gegen den Arbeitgeber hat sie Klage eingereicht.
Besonders fatal ist hier noch, dass diese Denunziation im leserstarken «Spiegel» erschien, begleitet von einer fast zeitgleichen Veröffentlichung in der «Zeit» durch die offensichtlich mit der Denunziantin verbandelte Journalistin Salome Müller, die deren Behauptungen ungeprüft und im Indikativ übernahm. Zudem mit weiteren angeblichen anonymen «Zeugenaussagen» ausschmückte.
Hier zeigt eine genauere Überprüfung der konkret beschriebenen Vorwürfe, dass sie in ihrer grossen Mehrheit nicht haltbar sind, zum Teil aus der Lüge überführter Quelle stammen und von keinerlei namentlichen Zeugen bestätigt wurden.
Nicht einmal das mögliche und naheliegende Motiv der Urheberin – Rache, nachdem sie ihr Ziel nicht erreichte, den Posten des Angeschuldigten zu erobern und stattdessen gefeuert wurde – wurde vor Veröffentlichung zumindest überprüft.
Ob es sich um anonyme Anschuldigungen in den asozialen Medien oder um Behauptungen in den Mainstream-Medien handelt: immer entwickelt sich schnell ein ganzer Schwarm von Kolporteuren, die die Denunziation aufnehmen, ausschmücken, mit angeblichen (und natürlich auch anonymen) weiteren Zeugenaussagen unterfüttern.
In keinem dieser Fälle gelingt es jemals – unabhängig davon, ob die Vorwürfe erfunden und erlogen sind oder zumindest teilweise zutreffen –, den Geist wieder in die Flasche zu kriegen. Kann der Betroffene seine Anonymität wahren, hat er noch Schwein gehabt. In keinem einzigen Fall getraute sich ein so anonym Angerempelter, öffentlich hinzustehen und zu sagen: Ich soll der Täter gewesen sein, das ist aber erstunken und erlogen.
Obwohl oder gerade weil bei solchen Denunziationen die Beweisumkehr gilt. Nicht der Beschuldiger muss seine Behauptungen beweisen, der Beschuldigte muss seine Unschuld belegen können. Wie aber soll das ihm gelingen, da es sich meistens um Ereignisse handelt, die sich naturgemäss unter vier Augen, Ohren und zwei Körpern abspielten – sehr häufig vor vielen Jahren.
Nicht nur in der Schweiz gibt es erschreckende Beispiele für diese neue Denunziationskultur. Der deutsche Komiker Luke Mockridge wurde zu Unrecht der versuchten Vergewaltigung beschuldigt. Obwohl das Verfahren eingestellt wurde (eben typisch Männersolidarität), begleiten seine Tourneen seither Proteste, auch in der Schweiz, er soll gecancelt werden, von der Bühne verschwinden. Die Juso Zürich entblödeten sich nicht, gegen seinen Auftritt im Hallenstadion eine Petition zu starten.
Der US-Schauspieler Kevin Spacey verlor seine ihm auf den Leib geschneiderte Hauptrolle in «House of Cards»; bislang kam es zu keiner Verurteilung gegen ihn. Der schmutzige Scheidungskrieg zwischen Amber Heard und Johnny Depp endete trotz massiver Anschuldigungen gegen ihn mit seinem Sieg. Beschädigt blieben beide zurück. Dem 85-jährigen Morgan Freeman wurde vorgeworfen, vor vielen Jahren anzügliche Bemerkungen auf Filmsets gemacht zu haben. Schliesslich wurde Bob Dylan beschuldigt, vor fast 60 Jahren sexuell übergriffig geworden zu sein. Diese Klage machte ihn zum Rekordhalter, noch vor Dustin Hoffman, gegen den lagen die Vorwürfe lediglich rund 50 Jahre zurück.
Was all diesen Fällen gemeinsam ist: sie verhöhnen die Opfer wirklicher Belästigungen, Übergriffe, Vergewaltigungen. Vor den öffentlichen Gerichtshöfen der Moral werden gnadenlos und schnell gesellschaftliche Todesurteile ausgesprochen, Karrieren vernichtet, Menschen jahrelang wenn nicht lebenslänglich stigmatisiert.
Dass das Internet, die sozialen Plattformen dafür ungeahnte Möglichkeiten bieten, ist widerlich, aber wohl kaum vermeidbar. Dass sich auch sogenannte Qualitätsmedien daran beteiligen, allen voran und bedauerlicherweise der deutsche «Spiegel», ist abscheulich und wäre durchaus vermeidbar.
Dafür müssten sie sich nur an ein paar grundlegende Regeln des Handwerks erinnern. Motivlage des Anklägers. Faktencheck. Umfeldrecherche. Zeugenbefragung. Aufdecken von Widersprüchen. Und bei wackeliger Ausgangslage: Verzicht auf Publikation.
Aber seit der Unsitte der «Leaks» und «Papers», also das Arbeiten mit Hehlerware aus anonymen Quellen mit völlig undurchsichtigen Motiven, sind die Massstäbe eindeutig verrutscht. Nicht zum Wohle der Bezahlmedien …
Kläglich ist auch die Reaktion involvierter Medien auf Anfragen. Tamedia (wir wollen es bei diesem Begriff belassen) räumt lediglich ein: «Wir können bestätigen, dass eine Klage bei uns hängig gemacht wurde. Weitere Details dazu können wir nicht bekannt geben.» Also was genau Anuschka Roshani einklagte und wie sich Tamedia dagegen zu wehren gedenkt: Staatsgeheimnis. Auch die «Zeit», deren Mitarbeiterin Müller eine mehr als zwielichtige Rolle in der Affäre spielt, geruht nicht mehr, auf Anfragen zu reagieren. Ein Verhalten, das von Journalisten sonst gerne lauthals beklagt wird.
Besonders widerwärtig ist dabei, dass es auch rechtlich kaum Möglichkeiten gibt, sich gegen solche Denunziationen zur Wehr zu setzen. Was soll ein Gericht zu geschickt formulierten, viele Jahre zurückliegenden Vorwürfen sagen, die die Denunziantin damit begründet, dass es sich laut ihr so abgespielt habe oder sie zumindest eine Äusserung so empfunden habe?
Geradezu brüllend komisch ist eine Nebenwirkung dieser neuen Denunziationskultur. Viele Chefs entdecken hier den Vorteil des Grossraumbüros. Und sollten dennoch Gespräche zu heiklen Themen (ungenügende Arbeitsleistung, Kritik an einem Fehler, gar Kündigung) in vertraulichem Rahmen stattfinden, wird inzwischen immer ein Zeuge dazugerufen. Am besten weiblich und verlässlich. Damit die Kritisierte erst gar nicht auf die Idee kommt, mit einer Denunziation zurückzuschlagen.
Ausserdem getraut sich kein Mann, der noch bei Sinnen ist, in einen Lift einzusteigen, in dem sich eine einzige Frau befindet. Auch das Führen eines Tagebuchs drängt sich auf, mit wichtigen Eckdaten. So kann man dann beispielsweise den Vorwurf, es sei bei einer Jahre zurückliegenden Weihnachtsfeier zu anzüglichen Bemerkungen (oder gar Handlungen) gekommen, problemlos als Lüge entlarven, weil die Feier gar nicht stattfand – oder man gar nicht anwesend war …
Ein grosses Bravo. Facettenreich und einleuchtend geschrieben.
Der Tagesanzeiger hätte meinen grossen Respekt, wenn es diesen fundierten Beitrag von René Zeyer als Gastbeitrag veröffentlichen würde. Jeder (belanglose) Quark wird von der Süddeutschen übernommen. Hier wäre jetzt eine Version, die nun wirklich zum Denken anregen würde.
Frau Raphaela Birrer: Springen sie über ihren eigenen Schatten und publizieren sie für einmal eine klare, unbequeme und ungefilterte Sicht.
Auch der nunmehr 81 Jahre alte Bob Dylan hätte diesen Beitrag verdient. Die unbekannte Frau genannt «JC», hatte Bob Dylan beschuldigt, sie 1965, als sie 12 Jahre alt war, sexuell missbraucht zu haben. Ihre Klage wurde vom Gericht vor einem Jahr abgewiesen.
Gute Idee. Diese unbequeme Sichtweise von René Zeyer gehört als Gastkommentar in den Tagesanzeiger. Das Facelift mit neuer Chefredaktor im TA würde beinhalten, solche substanziellen Einsichten in die Diskussion zu werfen.
Seine Meinung alleweil fundierter, als der miserable Wisch über Finn Canonica in der ZEIT (Salome Müller).
Der journalistische Filter von Frau Chef Raphaela Birrer sollte eine brauchbare Justierung bekommen.
Die «ausgezeichnete Führungskraft der nächsten Generation» auch ihr Mentor Peter S. dulden keinen kritischen Journalismus, besonders nicht wen der sich mit Üblem im eigenen Haus beschäftigt, daher «no way for Zeyer».
Endlich habe ich gechecked, wer dieser überraschende Götti Peter ist. Dauerte bei mir seine Zeit in der Lösungsfindung……
Auch der Mentor Peter muss rasch umdenken. Die heute publizierten Leserzahlen seines schwächelnden Tagesanzeigers verlangen erst recht unkonventionelle Lösungen.
„You have lost the battle but you can still die with honor“ sollte doch nicht sein fatalistisches Credo sein.