Gegendarstellungsfreie Insel

Hau doch nochmal Kuba in die Pfanne.

Martina Scherf ist laut Autorenseite «seit 1993 Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, berichtete über das Münchner Kulturleben, die bayerische Hochschullandschaft und seit 2015 als Teil des Leute-Teams über Menschen in München, die etwas zu sagen haben».

Nun ist Scherf dem Winterwetter in München entronnen, wo dank ein wenig Schnee und Bahnstreik sowieso nicht viel läuft. Da hilft dermassen qualifiziert ein Ausflug auf die letzte Insel des Sozialismus ungemein. Das hat einige Vorteile. Das Wetter ist dort viel angenehmer. Das Leben als Tourist auch. Dann hat Havanna bis heute diesen morbiden Charme des ständigen Zerfalls. Natürlich geht es den Kubanern schlecht. Also wirklich schlecht, Noch schlechter als schlecht.

Das ist allerdings das Problem jeder Berichterstattung über Kuba von durchreisenden und uniformierten Journalisten. Sie reden mit ein paar Kubanern, die ihnen etwas vorjammern, in der Hoffnung, dafür eine milde Gabe zu bekommen. Sie schauen sich etwas um, ohne das Geringste zu verstehen.

«In Havanna wird nur hinter vorgehaltener Hand über die vollen Gefängnisse geredet. «Die einen sitzen im Knast, die anderen hauen ab», sagt Sánchez bitter. An diesem Abend wird er mit seinem alten Moskwitsch seinen Cousin zum Flughafen fahren. Visafrei nach Nicaragua, dann mit dem Flüchtlingstreck gen Norden. Das ist für viele inzwischen der letzte Ausweg

Dass es in Kuba offiziell keinen einzigen politischen Gefangenen gibt, für karibische oder lateinamerikanische Verhältnisse verschwindend wenige, dass in Kuba auch Dissidenten einen Gefängnisaufenthalt überleben, es niemals Todesschwadrone gab wie in fast allen umliegenden Ländern, dass viele Kubaner zwar abhauen, aber die meisten als gut ausgebildete Fachkräfte, Ärzte, Ingenieure oder Architekten, das wäre dann die andere Seite. Aber die wichtigste Informationsquelle für Schwachstrom-Reporter ist immer noch der von ihnen angemietete Taxifahrer, der natürlich den ganz grossen Überblick hat.

Es werden in Havanna tatsächlich absurd monströse Hotels gebaut, dabei wäre das Baumaterial anderswo viel dringender nötig. Aber warum? Um das zu verstehen, müsste man ein Fitzelchen der jüngeren kubanischen Geschichte verstehen, die gegenseitige Annäherung während der Präsidentschaft Obamas, wo sogar wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen wurden und Kuba auf eine Riesenwelle von US-Touristen hoffte – und begann, dafür Hotelkapazitäten zu erweitern. Die Welle blieb aus, denn nach Obama kam Trump.

Alle kleinen und grösseren Absurditäten des Alltags, die Scherf oberflächlich beschreibt, finden tatsächlich statt. Viel schwieriger wäre es allerdings, zu erklären zu versuchen, wieso sich das kubanische Regime entgegen allen Unkenrufen seit dem dem Tod Fidel Castros noch an der Macht halten kann. Viel mehr Zeit bräuchte man, um die Ausformungen der Überlebensstrategien zu verstehen, in die sich alle Kubaner geflüchtet haben.

Aber stattdessen «wer nicht im Knast landet, haut ab». Was die anderen 11 Millionen Kubaner so machen, das bleibt für Scherf (und den Leser) ein Buch mit sieben Siegeln.

Da sie sicherlich als Touristin einreiste, blieb ihr zudem jeder Kontakt mit offiziellen Stellen verwehrt, dazu hätte sie eine Akkreditierung gebraucht. Aber das Schönste für sie, abgesehen von Land, Leuten, Sonne, Strand und Mojito, ist natürlich: Kuba ist völlig gegendarstellungsfrei. Also reichen der Taxifahrer Pedro Sánchez, eine Strassenszene, ein paar hingeworfene Beschreibungen der wirtschaftlichen Lage und eine hingeknödelte Schlusspointe aus, um zu offenbaren, dass die Autorin eigentlich nichts von Kuba verstanden hat. Das kann passieren. Aber schlimmer ist: sie hat sich auch überhaupt nicht bemüht, etwas zu verstehen.

Sie berichtet nach der bescheuerten Devise: es gibt nichts Besseres, als sich seine Vorurteile zu bestätigen, indem man alles ausblendet, was ihnen nicht entspricht. Und das ist in Kuba, einer Welt für sich, so vieles, was eigentlich eine Reportage spannend machen würde. Aber wie Kunst von können kommt, ist es einer People-Journalistin, die sich normalerweise um die Münchner Schickeria kümmert, nicht gegeben, eine ferne Insel verstehen zu wollen.

Qualitätskontrolle, aber das sagten wir wohl schon …

5 Kommentare
  1. C. Wallens
    C. Wallens sagte:

    Bei den Zuständen kann der Pöbel froh sein, über so kompetetene Magistraten wie in Deutschland zu verfügen. Um das geht es bei dem Artikel. Das Konzept is das gleiche, wie am Ende der Tagesschau über Naturkatastrophen oder Unfälle irgendwo in Burkina Faso zu berichten. Da soll sich der Bürger wieder richtig gut fühlen – im besten Deutschland aller Zeiten.

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  2. Felix Abt
    Felix Abt sagte:

    Irgendwie kommt mir diese Kuba-Berichterstattung bekannt vor. Diese oder ähnliche Reporter erzählen ihren Lesern, Zuschauern und Zuhörern seit Jahrzehnten, wie die Nordkoreaner verhungern oder im Gulag krepieren. Zum Glück kannten ihre Medienkonsumenten die Bevölkerungsstatistik nicht: Statt massiv zu schrumpfen, ist die nordkoreanische Bevölkerung «normal» gewachsen. https://www.amazon.com/Prison-Camps-Starving-Slaves-Nuclear-ebook/dp/B09XXW9KQK/ref=sr_1_1?crid=3L6C

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  3. Slavica Bernhard
    Slavica Bernhard sagte:

    Immer wenn der Leser von der Sache mehr versteht als der Journalist (oder Politiker), wird offensichtlich, wie falsch und furchtbar schlecht die heutigen Medien geworden sind.

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    • Manfred
      Manfred sagte:

      Vielleicht werden wir auch einfach nur immer älter, «wissen» immer mehr und beklagen wortreich die Ignoranz der Nachgeborenen – wie zu allen Zeiten.

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