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Und die Kommunisten?

Geschichtsschmiere und verklebter Blick auf die Gegenwart in der NZZ.

«Der 20. Juli sollte zum Feiertag werden», fordert Ulrich Schlie im Organ der gepflegten Denke und des kenntnisreichen Diskurses. Schön wär’s. Leider ist diese Suada ein überzähliger Beweis dafür, dass Geschichte nicht einfach vergangen ist. Sondern immer und immer wieder umgeschrieben, umgedeutet, durch ideologische Brillen gesehen wird. Viel berechtigter wäre die Ernennung des 8. November 1939 zum Feiertag. Aber ob Schlie der Name Georg Elser ein Begriff ist?

Schlie benützt den üblen Taschenspielertrick,  Parallelen zur Gegenwart zu ziehen, indem er in die Vergangenheit etwas hineinprojiziert, um dann Heureka zu sagen: ich hab’s in der Geschichte gefunden. Selten ist es aber so niveaulos, oberflächlich, einseitig wie bei ihm. «Das ukrainische Volk kämpft gegen den Wahnsinn der russischen Invasoren.» Das ist mal ein Satz. Was hat der nun mit dem schmählich gescheiterten Attentat einer Militärkamarilla um den überzeugten Nazi Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler zu tun? Gemeinsam sei beiden Ereignissen die Antwort auf die Frage «Wer hält stand?», die Dietrich Bonhoeffer stellte.

Für diesen Missbrauch eines historischen Zitats sollte man dem Historiker Schlie die Schulterklappen herunterreissen. Aber eigentlich ist er genügend gezeichnet, denn er sei «Henry-Kissinger-Professor für Sicherheit- und Strategieforschung an der Universität Bonn». Wer einen Lehrstuhl bekleidet, der nach einem Kriegsverbrecher benannt ist, was ist von dem schon zu erwarten.

Reine Geschichtsschmiere. Schlie lobhudelt den späten Versuch des Nazimilitärs, Hitler loszuwerden. Als längst klar war, dass Deutschland den Krieg verlieren würde und die Alliierten mit dem Gröfaz nur über eine vollständige Kapitulation verhandeln würden. Wieso also nicht ihn beiseite räumen, um dann zusammen mit den Westalliierten nochmals auf die UdSSR losgehen? Das war der feuchte Traum der Wehrmacht; von Stauffenberg hatte während seines Einsatzes im Osten genügend Erfahrung mit den bolschewistischen Untermenschen gesammelt, während des Vernichtungsfeldzugs, an dem er klaglos teilnahm. Und nicht nur Churchill fragte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, ob man nicht «das falsche Schwein geschlachtet» habe.

Schlie sieht das ganz anders, das seien alles nur «Klischees»: «Dazu zählt vor allem auch die Auffassung, Stauffenberg und seine Freunde hätten sich nur zum Äussersten entschlossen, weil die militärisch kaum noch abzuwendende Niederlage nur durch einen Regimewechsel hätte verhindert werden können, und ihr massgebliches Motiv sei «das kollektive Eigeninteresse der alten Eliten» gewesen, wie es der Historiker Peter Longerich formulierte.»

Allerdings fällt Schlie nun keine Erwiderung auf diese korrekte Feststellung ein, die nicht nur ein einziger Historiker formuliert, sondern die weitgehend Konsens  ist. Aber was heisst auch schon Konsens. In Deutschland gab und gibt es immer wieder Historiker, die Hitlers Überfall auf die Sowjetunion zu einem durch Stalin provozierten Präventivschlag umlügen. Sie werden immer wieder in die Schranken gewiesen, kriechen aber immer wieder aus ihren Löchern.

Schlie macht nun noch einen weiteren Ausflug in die Gegenwart, der völlig zusammenhangslos aufpoppt: «Vieles von dem, was wir zu den Bedingungen des Widerstands gegen Hitler in den Zeiten der deutschen Diktatur analysiert haben, kann im heutigen Russland beobachtet werden.» Hä? Was will uns das dunkle Historikerwort sagen? «Der Einsatz des Einzelnen, die Frage, wie man standhält und nicht untergeht, ist heute so aktuell wie damals.»

Das mag so sein. Aber gerade von einem Historiker kann man auch bei einer Feier zum missglückten Attentat doch erwarten, dass er wenigstens ein Wort über den Widerstand verliert, der am massivsten war, der die meisten Opfer gebracht hat: den Widerstand der Kommunisten in Deutschland. Sie füllten neben den Juden die Konzentrationslager.

Wilhelm Knöchel, Willi Seng, die Herbert-Baum-Gruppe, die Uhrig-Römer-Gruppe, die Schulze-Boysen-Gruppe, die Widerstandgruppe Lechleiter, der Hitler-Attentäter Georg Elser, diese tapferen Kämpfer und so viele namenlose Antifaschisten, die ihr Leben liessen, das sind die wahren Helden des Widerstands gegen Hitler.

Die haben dem Wort von Bonhoeffer nachgelebt, selbst im Wissen um die Vergeblichkeit, die Alfred Andersch in seinem Roman «Sansibar oder der letzte Grund» beschrieben hat.

Aber das passt nicht ins ideologische Raster von Schlie, so wie ganz allgemein ungern erwähnt wird, dass die Sowjetunion mit Abstand den grössten Blutzoll bei der Befreiung Europas vom Hitlerfaschismus geleistet hat. Immer wieder werden dabei Gräueltaten beklagt, die die Rote Armee bei ihrem Vormarsch gegen Westen beging. Was diese Soldaten allerdings zuvor sehen mussten, als sie zuerst die Sowjetunion von den deutschen Barbaren befreiten, welches Leid, welche Zerstörung, welche namenlosen Verbrechen sie ertragen mussten (neben den Ungarn und den Österreichern waren nebenbei die Ukrainer um den Kriegsverbrecher und Antisemiten und heute noch umjubelten Stepan Bandera die fleissigsten Helfershelfer der Nazis), das wird gerne unterschlagen.

Wenn man Geschichte à la Schlie betrachtet, dann lernt man nichts daraus. Im Gegenteil, eine solche Verfälschung, eine solche Klitterung, eine solche Schmiere verklebt den Blick auf die Gegenwart. Schlie, das ist Geschichtsschreibung à la Hollywood, wo Tom Cruise, der Scientologe, einen heldenhaften Stauffenberg spielte, eine Karikatur der Karikatur.

Ein weiterer Beweis, dass auch bei der NZZ die Qualitätskontrolle schwere Lücken aufweist.

Anschlag auf die Pressefreiheit

Es geht um das Wort «besonders». Es geht um nichts weniger als freie Berichterstattung.

«Zensur ist verboten.»

In typisch schweizerischem Understatement regelt die Bundesverfassung eine der wichtigsten Grundlagen einer freien und offenen Gesellschaft.

Nur der unbeschränkte und ungehemmte Austausch von Meinungen und Argumenten ermöglicht Erkenntnis und Fortschritt. Wo das eingeschränkt wird, sei es von Diktaturen oder von Gesinnungstätern oder von inquisitorischen Rechthabern, die genau wissen wollen, was gut und richtig sei: wo das passiert, verfault die Debatte, stockt der Fortschritt, gewinnt wieder Glauben und Überzeugung gegen Erkenntnis.

Natürlich kann Meinungsfreiheit – wie jede Freiheit – nicht grenzenlos sein, sonst wird sie zur Willkür. Daher gibt es in der Gesetzgebung der Schweiz diverse Einschränkungen. Sie sollen verhindern, dass vor allem die Macht der Medien missbraucht wird.

Es gibt Grenzen der Medienfreiheit

Um Aufreger zu schaffen, hat in den letzten Jahren tatsächlich der Kampagnen- und Fertigmacherjournalismus zugenommen. Oftmals bleiben übel behandelte Opfer zurück, wenn sich herausstellt, dass alle Vorwürfe und Behauptungen falsch waren. Aber natürlich kleben bleiben.

Um das möglichst zu verhindern, gibt es auch den Artikel 266 der Zivilprozessordnung (ZPO). Er regelt die Anwendung einer superprovisorischen Massnahme. Superprovisorisch heisst, dass zur Abwendung eines Schadens gerichtlich etwas verfügt wird, ohne dass die betroffene Partei vorab Gelegenheit hätte, sich dagegen zu wehren. Ein rechtlicher Spezialfall.

Art. 266 lautet: Gegen periodisch erscheinende Medien darf das Gericht eine vorsorgliche Massnahme nur anordnen, wenn:

  1. die drohende Rechtsverletzung der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen kann;
    b. offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund vorliegt; und
    c. die Massnahme nicht unverhältnismässig erscheint.

Das heisst, dass es möglich ist, einen geplanten Bericht, von dem ein Betroffener Kenntnis erhalten hat, verbieten zu lassen. Da es sich um einen gravierenden Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit handelt, sind die Hürden recht hoch gelegt. Natürlich unterliegt auch die Anwendung dieses Artikels der gerichtlichen Auslegung im Einzelfall.

Es wird schneller verboten als früher

Es ist eindeutig die Tendenz festzustellen, dass solche Verbote lockerer als in der Vergangenheit ausgesprochen werden. Einer umstrittenen Person ist es sogar letzthin gelungen, die geplante Publikation eines Buches superprovisorisch untersagen zu lassen. Beziehungsweise Themenfelder aus der Aufarbeitung einer Affäre auszuschliessen, obwohl von diesem Buch nicht einmal ein Entwurf bekannt ist. Immerhin liegt noch kein rechtsgültiges Urteil vor.

Nun mag der Laie denken, dass das Wort «besonders» vor «schweren Nachteil» Pipifax sei. Deshalb wohl habe die Rechtskommission des Ständerats vorgeschlagen, genau dieses Wort zu streichen. Also es einem Betroffenen leichter zu machen, eine superprovisorische Verfügung zu erwirken.

Der Medienanwalt Matthias Schwaibold widerspricht vehement: «Das Wort «besonders» ist in der Gerichtspraxis extrem wichtig». Damit sei die Latte für Kläger bewusst hoch angesetzt worden. Es solle die Medien vor Zensur schützen, sagt der Fachmann, der sich seit Jahrzehnten mit solchen sogenannten vorsorglichen Massnahmen herumschlägt und auch einschlägige Fachartikel publiziert hat.

Er warnt:

«Alle Medienschaffenden, insbesondere aber die «unbequemen» ausserhalb des Mainstreams, haben ein eminentes Interesse daran, diesen Anschlag auf die Meinungsfreiheit zu bekämpfen: wenn ein Superprovisorium gegen ein Medienhaus schon möglich sein soll, wenn bereits ein «schwerer Nachteil» und nicht länger ein «besonders schwerer Nachteil» genügt, wie es seit 1985 Gesetz war, dann hagelt es in Zukunft solche Verbote.»

 

Auch Organisationen wie «Reporter ohne Grenzen» sprechen sich klar gegen diesen Zensurversuch aus. Denn eine superprovisorische Massnahme ist – naturgemäss – schnell angeordnet. Ob sie auch rechtens ist, das muss oftmals in langwierigen Verfahren entschieden werden. Und liegt dann ein rechtsgültiges Urteil vor, ist meistens bereits so viel Zeit verstrichen, dass sich niemand mehr an den Sachverhalt erinnert.

Sollte das Medienorgan, wenn es überhaupt die finanziellen Mittel aufzuwerfen bereit ist, oftmals nach Jahren Recht bekommen, also die Superprovisorische wird aufgehoben, dann interessiert das eigentlich niemanden mehr.

Wieso will dieses Kommission die Hürde für Medienzensur niedriger legen?

Der Kommissionspräsident, der Mitte-Ständerat Beat Rieder, behauptet: «Es gibt immer noch zu viele Presseartikel, die auf Sensationen aus sind.» Aufgrund welcher Erfahrungen oder Interessensbindungen er das sagt, geht leider aus der trümmeligen Webseite des Rechtsanwalts nicht hervor.

Es ist absolut unverständlich, wie die Kommission auf die Idee kommen konnte, diesen Artikel verschärfen zu wollen. Es kann aus Inkompetenz oder aus Absicht geschehen sein. In beiden Fällen ist hier wirklich massiver Widerstand und Protest nötig. Hoffentlich auch aus dem Mainstream, der darunter genauso leiden würde wie Aussenseiter wie wir.