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Laientheater um Vincenz

Auch Rutishauser vergaloppiert sich.

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, nach dem Prozess ist vor dem Prozess. Diese Fussballerweisheit gilt nun auch für die Justiz. Worin sich alle einig sind: selten ist ein Staatsanwalt so abgewatscht worden wie Marc Jean-Richard-dit-Bressel, der Leiter der Abteilung A der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich. Genauso langfädig wie Name und Titel war auch seine Anklageschrift.

Die führte dann zu einem Auflauf von 1200 Seiten Urteilsbegründung des Bezirksgerichts Zürich. Alles Mumpitz, befand das Obergericht, der Prozess hätte gar nicht stattfinden dürfen. Weil schon die Anklage untauglich ist.

Dieses Versagen kostet den Steuerzahler ingesamt Millionen. Obwohl ihm das Obergericht eine detaillierte Rechtsbelehrung mit auf den Weg gegeben hat, dass gegen seinen Beschluss kein Rekurs möglich ist, gelangte der unbelehrbare Staatsanwalt dennoch ans Bundesgericht. Weitere Geld- und Zeitverschwendung.

Nun hat ein Trio vom Recherchierdesk von Tamedia bereits im juristischen Unterholz dilettiert und unter Beweis gestellt, dass ihm der Unterschied zwischen einem Strafbefehl und einer Anklageschrift nicht geläufig ist.

Auf diesen Spuren wandelt nun auch der Chefredaktor der «SonntagsZeitung». Auch er meckert am Beschluss des Obergerichts herum, er stehe «im Widerspruch zum Bundesgericht», behauptet er. Gleich dreimal schlägt Arthur Rutishauser damit auf. Aufmacher «Wirtschaft», Aufmacher Front «Das Obergericht widerspricht sich selber» und Editorial («Ein Entscheid der niemandem etwas bringt»).

Damit strapaziert Rutishauser ein wenig die Meinungsfreiheit und sein Privileg, dass sich natürlich niemand traut, dem Chefredaktor zu widersprechen. Ein Phänomen, unter dem auch Raphaela Birrer leidet – und letztlich die Leser von Tamedia.

Zum einen ist Rutishauser bis heute nicht klar, was die Voraussetzungen für die Erfüllung des Tatbestands der ungetreuen Geschäftsbesorgung sind. Wie ihm Strafrechtsprofessor Niggli und andere schon vergeblich zu erklären versuchten, ist ein wesentlicher Bestandteil die Schädigung desjenigen, dessen Geschäfte besorgt werden. Wenn nun aber Raiffeisen (und natürlich auch Vincenz und Stocker) profitierten?

Dass Puffbesuche auf Geschäftskosten zumindest anrüchig sind, möglicherweise Spesenbetrug, nun gut. Aber der Staatsanwalt hatte sich mit dem Verhängen von U-Haft in der exorbitanten Dauer von mehr als 100 Tagen selbst unter Zugzwang gesetzt, nicht nur einen banalen Spesenbeschiss anklagen zu können.

So verkantet war der Fall von Anfang an, begleitet von einem unablässigen Strahl von durchgesickerten internen Ermittlungsergebnissen, mit denen das mediale Terrain für eine Vorverurteilung planiert werden sollte. Erfolgreich, und Hauptprofiteur dieser durchgestochenen Dokumente war ausgerechnet – Rutishauser.

Der halst heute: «Es ist ein echter Schildbürgerstreich, den sich das Zürcher Obergericht leistet.» Kann man im Rahmen der Meinungsfreiheit als juristischer Laie so sehen. Allerdings hat wohl auch der Chefredaktor die konzise, knappe und vernichtende Begründung des Beschlusses des Obergerichts gelesen. Was ihm aber offensichtlich nicht in den Kram passte.

Dass er zudem dem Obergericht vorwirft, es habe selbst das Unterlassen von Übersetzungen nicht beanstandet, nehme das nun aber als einen von zwei Vorwänden, um nicht nur das Urteil, sondern auch die Anklageschrift zu kippen, zeugt doch von tiefem Unverständnis juristischer Feinheiten.

Wie ein begossener Pudel, auch diese Würdigung unterlässt Rutishauser, steht nun der Staatsanwalt mit dem länglichen Namen da. Solche Niederlagen pflastern seinen Weg an die Spitze der Staatsanwaltschaft. Eine Anklage gegen Martin Ebner wurde vom Bezirksgericht des Saales verwiesen, auch eine seltene Klatsche. In einem anderen Prozess nahm sich der Staatsanwalt dank seines lockeren Mundwerks wegen Befangenheit selbst aus dem Rennen, selten blöd. Und nun noch das. Was als krönender Abschluss einer jämmerlichen  Karriere gedacht war, gerät zum Desaster sondergleichen.

Das wären genügend Gründe für Rutishauser gewesen, sich aufzuregen. Aber statt auf den eigentlichen Versager prügelt er auf das Obergericht ein, das doch nur zu retten versucht, was bei diesem Justizskandal noch zu retten ist.

Die Fake-Meisterschaft

Der Ball ist rund. Für die Gebrüder Schifferle und den Ringier-Konzern.

Corona-Alarm beim FC Zürich, bei Neuenburg Xamax und beim FC Basel. Trotzdem wird die Meisterschaft fortgesetzt. Auslaugende zwei bis drei Spiele pro Woche sorgen dafür, dass Teams mit Tempofussball wie der FC St. Gallen immer häufiger verlieren. Niemand hinterfragt, warum man dem Trauerspiel nicht einfach ein Ende setzt und die Saison abbricht. Es fehlt offensichtlich die Distanz, eigentlich ein Corona-Gebot der Stunde.

Doch im Schweizerischen Fussball ist das Gegenteil der Fall. Fast alle sind miteinander verbandelt und voneinander abhängig. Ringiersports.ch, das wie der «Blick» zum Ringier-Konzern gehört, vermarktet die Werberechte der Swiss Football League. Kein Wunder, will die Sportredaktion des «Blick» die ordentliche Meisterschaft durchpeitschen. Da spielt sogar der temperamentvolle Ancillo Canepa, der FCZ-Präsident, artig mit. Er lässt ein Nachwuchsteam antreten, um keinen Meisterschaftsabbruch zu riskieren. Und Thomas Schifferle, einflussreicher Sportredaktor bei der TX Group, schreibt als Bruder des umstrittenen Liga-Präsidenten Heinrich Schifferle oft über Fussball und Vereinsbelange. Und selten kritisch.

«Wohl nicht mehr über Fussballbelange schreiben»

A propos Schifferle. Blenden wir zurück. 20. November 2011: Heinrich Schifferle lädt zum Gespräch. Im «Hotel Banana City» in Winterthur, wie die «NZZ» damals vermeldete. Heinrich Schifferle, seit 1999 im Swiss Football League-Vorstand, will in einer Kampfwahl das Präsidium des damaligen Ligapräsidenten Thomas Grimm übernehmen. Und versichert gegenüber der NZZ: Künftig werde Thomas Schifferle, sein Bruder, wohl nicht mehr über Liga-Belange schreiben.

Heinrich Schifferle gewann die Wahl wenige Tage später. Hauptamtlich blieb der neue Präsident Geschäftsleiter der Immobilien-Holding Siska mit einem Immobilienbestand von gegen einer Milliarde Franken. Doch hinter den Kulissen rumorte es gewaltig.

«Unverfroren und selbstherrlich»

Juli 2020: Heinrich Schifferle ist immer noch Präsident der Swiss Football League und will es gemäss Interview mit Radio SRF bis 2021 auch bleiben. Aber er ist mittlerweile verurteilt wegen mehrfacher ungetreuer Geschäftsbesorgung. Bestraft wurde er mit einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen à 800 Franken (was happige 144 000 Franken ausmacht). «Er agierte unverfroren und geradezu selbstherrlich», heisst es in der Urteilsbegründung. Schifferle war 2014 fristlos entlassen worden als Geschäftsführer der Siska. Siska, das ist das Familienunternehmen Heuberger aus Winterthur mit gut 2000 Wohnungen im Portfolio. Und der Aktienmehrheit von Radio und Tele Top. Die Anklagepunkte lassen auf eine gewisse kriminelle Energie von Heinrich Schifferle schliessen. Oder zumindest auf ein abgehobenes Weltbild à la Sepp Blatter. Einfach zwei Ligen tiefer. Schifferle hat private Fahrzeugversicherungen für seinen Aston Martin über die Firmenkasse abgerechnet. Zudem hat er «einen dubiosen Deal» (NZZ) mit seinem Zahnarzt abgeschlossen. Im Stil von: «Ich mach Dir die Buchhaltung, Du mir die Zähne». Dumm nur, dass Schifferle diese Arbeit von der Siska-Buchhaltung erledigen liess. Das erstinstanzliche Urteil hat Heinrich Schifferle nun ans Obergericht weitergezogen. Damit kommt es zu einem zweitinstanzlichen Prozess – frühestens nach den Sommerferien. Bis zu einem rechtsgültigen Urteil gilt die Unschuldsvermutung.

Reputationsschaden wegen Verurteilung?

Das Blätterrauschen zu diesem Gerichtsurteil vom Herbst 2019 war lau – verdächtig lau. Die NZZ stellte immerhin die Frage in den Raum, ob Heinrich Schifferle noch tragbar sei oder nicht in den Ausstand treten soll, bis das Verfahren beendet sei. Stichwort Reputationsschaden für den Schweizer Fussball. Derweil dozierte Redaktor Thomas Schifferle im Tagesanzeiger vom 30. April 2020 frischfröhlich darüber, ob Geisterspiele – also Meisterschaftsspiele ohne Zuschauer – sinnvoll seien. Sein Fazit: wegen der Finanzen (die vierte Finanztranche an die Clubs in der Höhe von 7,5 Millionen Franken) ist der Saisonabschluss nötig. Und das sollen keine Ligabelange sein?

Die Fussballmeisterschaft in der Schweiz gleicht seit Wochen einer Operettenliga, um das Lieblingswort von Sportjournalist Klaus Zaugg zu benutzen. Aber es hängt zu viel Geld am Meisterrennen. Die letzte Tranche à 7,5 Millionen Franken für die Übertragungsrechte bekommen die Clubs nur, wenn die Meisterschaft zu Ende gespielt wird. Kein Wunder, will sich auch von den Medien, zumindest von den Sportressorts, beim Thema Schweizer Fussball niemand die Finger verbrennen.