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«Blicks» dargebotene Hand

Da soll noch einer sagen, Medien hätten kein Herz.

Die Story bewegt die Schweiz. Na ja, vielleicht Swiss Miniature. Vielleicht hartgesottene Fans von Hazel Brugger. Die machte zu ihrem Markenzeichen, dass sie mit einer Miene wie weiland Buster Keaton in der «Heute Show» Prominenten freche Fragen stellte.

Nach der Devise: ich die coole Hazel, du der vorgeführte Trottel. Kann man machen, muss man nicht machen. Kann man lustig finden, muss man nicht lustig finden.

Nun ist’s Brugger samt Herzallerliebstem aber gar nicht mehr zum Lachen zumute. Nachdem sie schon aufgrund falscher Behauptungen auf einen deutschen Comedian losgingen, haben sie nun die Bauarbeiter an ihrem neuen Häuschen aufs Korn genommen. Sie und alle anderen, die laut der tobenden Familie nur Pfusch und Unfertiges abliefern. Das ist so furchtbar, dass sie bereits auf den Sozialen Medien auf ihr tragisches Schicksal aufmerksam machten.

Der Knaller war dabei, dass sie sogar auf der eigenen Baustelle Personenschutz bräuchten, um sich sicher zu fühlen gegenüber den Bauarbeitern. Furchtbar. Das interessierte zwar nicht wirklich, aber Andreas Tobler, angeblich Kulturredaktor bei Tamedia, erkennt immer eine Story, wenn man sie ihm auf die Nase drückt.

Tobler machte sich dabei leise ironisch lustig über die Tatsache, dass Prominenten «nichts zu unwichtig ist – und sich selbst Alltägliches als «Content» verwerten lässt». Allerdings ohne die Selbstironie zu besitzen, sich darüber im Klaren zu werden, dass er genau das Gleiche macht.

Aber Tobler hat fertig, also kümmert sich nun der «Blick» um das Komikerpaar in Not. Wie mediengeil muss man eigentlich sein, wenn einem ein Auftritt in solcher Umgebung wurst ist?

Auf jeden Fall ist nun «das nächste Kapitel im Haus-Drama» aufgeschlagen worden: «Hazel Brugger muss wegen Problemen auf der Baustelle ihres neuen Eigenheims einen Auftritt absagen

Das ist ja furchtbar, wo hätte das «ich find’s nicht lustig»-Paar den auftreten sollen? «Sie und ihr Mann Thomas Spitzer (35) wären an der Gamescom in Köln – der weltweit grössten Messe für Computerspiele und Unterhaltungselektronik – zu Gast gewesen. Dies fällt nun ins Wasser.» Meine Güte, die Gamescom muss nun ohne Brugger/Spitzer zu überleben versuchen.

Denn Brugger ist mit den Baumängeln restlos ausgelastet:

«Fast täglich teilt die Schweizerin auf Instagram Mängel und andere Probleme auf der Baustelle ihres Hauses.»

Zudem haben die beiden auch gute Tipps für andere auf Lager, die sich auch einen Hausbau überlegen. «Eine externe Bauleitung beauftragen oder die Bauleitung selbst übernehmen», meint Spitzer. Was bei fehlenden Baukenntnissen sicher sehr gut käme.

Interessant ist auch dieser Tipp: «Ausserdem würde Spitzer beim nächsten Mal ein Fertighaus kaufen.» Offenbar stellt er sich das so vor, dass dann ein Lastwagen vorfährt, ein Kran das Fertighaus aufs Grundstück wuchtet – und schon kann eingezogen werden.

Aber irgendwo verständlich. Obwohl der «Blick» gar kein Boulevardorgan mehr sein möchte, konnte er diese Boulevard-Story natürlich nicht den heiligen Hallen der Tamedia-Kultur überlassen.

 

Tunnelblick

Alles zu. Na und?

Es ist wohl unbestreitbar, dass die Nord-Süd-Achse durch den Gotthard eine gewisse Bedeutung für die Schweiz, ihre Wirtschaft, den Verkehr, den Gütertransport und noch ein paar weitere Dinge hat.

Nun hat ein deutscher Zug den Gotthard-Eisenbahntunnel weitgehend ausser Betrieb gesetzt. Mit einer Normalisierung sei frühestens 2024 zu rechnen.

Am Sonntagnachmittag wurden tausende von fluchenden Autofahrern davon überrascht, dass der Gotthard-Autotunnel gesperrt sei. Wegen «technischer Probleme», und schätzungsweise bis Montagmorgen. Das erwischte die Rumpfredaktionen am Sonntag unserer grossen Qualitätsmedien auf dem falschen Fuss. «Blick», CH Media, Tamedia und NZZ liessen es bei der dürren Meldung bewenden, dass der Tunnel wegen «technischer Probleme» bis auf Weiteres gesperrt sei und dass es sich dabei nicht um einen Unfall handle.

Damit sind die beiden Herzstücke der Nord-Süd-Verbindung ausser Betrieb. Bei einem weiss man wenigstens die Ursache, beim anderen weiss man nix. Klimakleber? Bombenalarm? Droht die Decke einzustürzen? Funktioniert die Abluftanlage nicht? Muss eine Glühbirne ausgewechselt werden?

Es gab mal Zeiten, da wären angesichts dieser Lage die Redaktionen zu Höchstformen aufgelaufen. Reporter vor Ort, Spezialisten, O-Töne von begeisterten Automobilisten im Stau, Fragen nach Verantwortlichkeiten, Vorschläge zur Abhilfe, Klugscheissereien.

Aber heute? Der gelangweilte Sitzredaktor hebt eine Tickermeldung auf die Webseite, ansonsten ist es halt ziemlich heiss, er klebt an seinem Sessel.

Wirklich wahr, wozu sollen denn dann diese Medien noch gut (und teuer) sein? Über das Erdbeben in Marokko ist man ausführlich und umfassend informiert. Das ist leicht, die Qualitätsmedien müssen nur die internationalen News-Agenturen abschreiben, telefonisch Schweizer im Erdbebengebiet erreichen.

Ausserdem passierte das Erdbeben nicht an einem Sonntag.«Focus Online» bringt es auf den Punkt:

Ist das ein anhaltendes Trauerspiel.

PS: ZACKBUM hat seherische Fähigkeiten. Es war anscheinend keine Glühbirne, aber ein Stück Decke ist runtergefallen …

Quo vadis, Tamedia?

So ist das im Journalismus. In Ruhe die Welt ordnen, und dann klirrt’s im Glashaus.

Es ist nicht gerade alltäglich, dass sich der Zürcher Kantonsrat auf eine fraktionsübergreifende Mitteilung verständigt. SVP/EDU, SP, FDP, GLP, Grüne als gemeinsamer Absender? Aber hallo. Nur die fromme CVP-Mitte und die ebenso fromme EVP zierten sich.

Was ist der Anlass dafür, dass SVP und Grüne, FDP und SP gemeinsam zum Griffel greifen? Der Titel der Mitteilung lässt es schon erahnen: «Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen».

Zu diesem fraktionsübergreifenden Kalauer sah man sich angesichts der Berichterstattung aus dem Hause Tamedia veranlasst. Über Frauendiskriminierung im Kantonsrat? Nein, nicht ganz. Sondern über die Querelen am Unispital Zürich, im Speziellen um die Herzklinik.

Irritierend einseitige Berichterstattung?

Da hat auch der «Tages-Anzeiger» «mit der Veröffentlichung von Missständen unbestrittenermassen wichtige Aufklärungsarbeit geleistet», loben die Fraktionen. Um gleich im Anschluss ein sich akzentuierendes Problem von Tamedia anzusprechen: «Mehr und mehr aber hat die personalisierte, zunehmend einseitige Berichterstattung irritiert.»

Den Ergebnissen des Untersuchungsberichts der «Aufsichtskommission für Bildung und Gesundheit» sei deutlich weniger Platz «als der Verteidigung eigener Thesen» eingeräumt worden. Zudem habe sich der Tagi nicht hinterfragt, ob er sich nicht von einem Whistleblower habe instrumentalisieren lassen. Oder ob er seine Sorgfaltspflicht gegen alle Protagonisten und Institutionen «wahrgenommen hat».

Man rafft sich dann sogar zum kleinen Scherz auf: «Dieser Fall zeigt leider, dass sich Journalistinnen und Journalisten auch sitzend verrennen können.»

Natürlich findet es niemand gut, öffentlich in die Pfanne gehauen zu werden. Aber wenn sich fast alle Parteien im Kantonsrat darauf verständigen, Tamedia dringlich nahezulegen: «Lesen Sie die Erklärung des Schweizer Presserats zu den Pflichten von Journalistinnen und Journalisten und nehmen Sie diese ernst!», dann klirrt es nicht nur im Glashaus Tamedia, sondern wegen des Holzgebälks ist auch noch Feuer im Dach.

Die Liste der Probleme wird länger und länger

Man muss inzwischen von einer Krise sprechen. Schmerzliche Reduktion des Angebots, Krankschrumpfung der Redaktion. Einheitssauce, die sich aus Zürich über alle Kopfblätter von Basel bis Bern und anderswo ergiesst. Aushungern der Lokalredaktionen, die gebrochenen Versprechen in Bern, der dividendengetriebene Kurs des Managements, das durch unzählige Profitcenter den Gewinn optimiert.

Eine zunehmende Tendenz, nicht nur in diesem Fall, parteilich in eigener Sache zu werden, sich auf einzelne Personen einzuschiessen. Erinnert sei an den Fall Jean-Claude Bastos. Der Geschäftsmann wurde aufgrund von gestohlenen Geschäftsunterlagen an den Pranger gestellt und ruiniert. Anschliessend stellte sich heraus, dass kein einziger der vielen Vorwürfe vor Gericht Bestand hatte.

Schliesslich ist es den kommentierenden Journalisten deutlich anzumerken, dass Existenzängste, der Bedeutungsverlust der Printmedien, der eigene Bedeutungsverlust zunehmend zu arroganter Rechthaberei führen. Der zurechtweisende, fordernde, Zensuren verteilende, besserwisserische Kommentar wird immer häufiger als Zufluchtsort missbraucht, als Möglichkeit, sich Pseudobedeutung zu verschaffen.

Anfüttern lassen statt eigene Recherche

Eigene Recherche wird – mangels Ressourcen – immer häufiger durch die Verwendung von angefüttertem Material ersetzt. Ein Whistleblower im Fall Unispital, interessierte Kreise im Fall Vincenz, die Teilnahme am Ausschlachten von Hehlerware, euphemistisch als Leaks oder Papers bezeichnet. Dramatische Fehleinschätzungen wie bei den vorletzten Präsidentschaftswahlen in den USA, Konzernjournalismus, fehlende Selbstkritik, zunehmender Gesinnungsjournalismus, abnehmende Funktion als Plattform für freie Meinungsbildung. Schliesslich die kritikfreie und wirtschaftlich getriebene Übernahme von immer mehr Artikeln aus der «Süddeutschen Zeitung», faktisch die gesamte Auslandberichterstattung wird aus München angeliefert.

Die Liste wird immer länger. Dazu noch der Protest von 78 Mitarbeiterinnen über frauenfeindliche Arbeitsbedingungen. Nun auch noch fast der gesamte Kantonsrat, der in seltener Einmütigkeit dem «Tages-Anzeiger» die Kappe wäscht, wie man es so noch nie gesehen hat.

Zeit für energische Massnahmen

Werdstrasse, ihr habt ein Problem. Nicht zuletzt Eure Selbstgerechtigkeit fällt Euch jetzt auf die Füsse. Ihr habt so viele Probleme gleichzeitig, unterfüttert mit einem garstigen wirtschaftlichen Umfeld, dass es mit beruhigenden Geräuschen und den üblichen Ankündigungen der Besserung, der Veränderung, der Neuorientierung nicht getan ist. Denn auch hier stinkt der Fisch vom Kopf. Wer sich all diese Kritik anhören muss, wer zudem als Co-Chefredaktoren von der eigenen Belegschaft so angerempelt wird, nachdem sie schon ins zweite Glied zurückgestossen wurden, die müssen gehen. Zweifellos.

Aber zuerst beschwichtigen

So sieht das Hissen der weissen Flagge mit Buchstaben aus.

Nach einer Denkpause haben Priska Amstutz und Arthur Rutishauser beschlossen, sich «in eigener Sache» zu Wort zu melden. Von allen denkbaren Varianten haben sie sich für das gesenkte Haupt und den blinden Glauben an den Wahrheitsgehalt der Behauptungen im Protestschreiben entschieden: «Wir haben diese Schilderungen mit grosser Betroffenheit gelesen. Zahlreiche erwähnte Beispiele sind nicht akzeptabel. Jegliche Art von Belästigung und Diskriminierung wollen wir nicht tolerieren.»

Es ist berührend und beelendend zugleich, wie hier die Leitungsebene von Tamedia einknickt und sich Asche aufs Haupt streut. Dabei ist bislang keine einzige dieser anonymen Schilderungen verifiziert worden. Dabei gibt es genügend Gegenmeinungen und bedeutende Mitarbeiterinnen, die sich dem hier entstandenen Gruppendruck nicht gebeugt haben. Dazu bald mehr.