Schlagwortarchiv für: Olaf Scholz

Deutsches Gewäffel

Fortsetzung unserer Serie über copy/paste-Tamedia.

Das «Classic-Jahresabo» der Qualitätszeitung «Tages-Anzeiger» kostet 605 Franken. Oder im Monats-Abo 64 Franken. Für so viel Geld kann man doch einiges auf Papier und digital erwarten. Recherche, Analyse, Einordnung, Eigenleistung. Erwarten kann man viel, geliefert kriegt man wenig.

So veröffentlicht die «Süddeutsche Zeitung» einen Kommentar unter dem Titel: «Scholz lässt sich von Abbas vorführen». Autorin ist Alexandra Föderl-Schmid. Seit Juli 2020 stellvertretende Chefredakteurin dort, zuvor Israel-Korrespondentin. Sie erregt sich nicht zu Unrecht darüber, dass der Palästinenserführer Mahmud Abbas beim gemeinsamen Auftritt nach seinem Besuch im Kanzleramt gesagt hatte, dass Israel gegenüber den Palästinensern seit 1947 50 Holocausts begangen habe.

Geschmacklos, unappetitlich, widerlich. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz reagierte darauf erst mit länglicher Verzögerung. Dafür wird er nun von Föderl-Schmid abgewatscht. «Er verabschiedete Abbas sogar noch mit Handschlag – eine Geste, die völlig deplatziert war und für die er allein verantwortlich ist.» Dazu «inhaltlich zu wenig eingearbeitet», «Vertrauen erschüttert», «Beziehungen zwischen Deutschland und Israel in schwieriger Phase», «Gefahr, dass dem Eklat im Kanzleramt ein weiterer folgt».

Zackbum. Da hat’s die Österreicherin dem deutschen Kanzler aber gegeben. Sozusagen eine innerdeutsche oder reichsdeutsche Angelegenheit, vorgetragen in diesem schneidigen Ton, den man im grossen Kanton im Norden so gerne anschlägt. Nur: was hat das mit der Schweiz zu tun? Richtige Antwort: nichts.

Moment, das sieht das Haus des Qualitätsjournalismus, der stupenden Eigenleistungen für üppige Bezahlung aber anders. Hier wird aus dem Kommentar schwups grossspurig eine «Analyse», die unter einem angespitzten Titel erscheint:

Aber nach dieser Gewaltsleistung sinkt die Ausland-Redaktion von Tamedia ermattet in ihre Verrichtungsboxen; schon der Lead wird eins zu eins übernommen, der übrige Text auch. Natürlich minus ß, so viel Anstrengung muss dann schon noch sein.

Da der Kommentar sich auf dem Weg von München nach Zürich zu einer «Analyse» gemausert hat, wäre es doch eigentlich angebracht, dass Ausland-Chef Christof Münger seinerseits einen Kommentar zum Kommentar, Pardon, zur Analyse, schreibt. Aber das wäre wohl zu viel der Mühewaltung. Für läppische 605 Franken kann man doch nicht mehr erwarten.

Um dem Tamedia-Leser eine eigene Analyse über Themen von schweizerischem Interesse zu servieren, dafür müsste der Kellner schon vierstellig kassieren dürfen. Aber die Redaktions-Kellner werden halt an der ganz kurzen Leine geführt und zu Tode gespart. Sonst könnte Tx-Boss Pietro Supino sich selbst und die Mitaktionäre vom Coninx-Clan doch nicht mit einer Sonderdividende erfreuen.

Wumms: Cédric Wermuth

Der Dummschwätzer duckt sich weg.

In einem unseligen Triumvirat mit Balthasar Glättli und Bastian Giroud lässt der SP-Co-Präsident Wermuth keine Gelegenheit aus, in den Medien präsent zu bleiben. Jungstar Fabian Molina muss noch viel üben, um mitzuhalten.

Wer viel redet und fordert, dem fliegt das manchmal um die Ohren. So verkündete Wermuth im Rahmen seines Aufmerksamkeitsmanagements 2019:

«Flüge an Ziele, die in zehn bis zwölf Stunden mit dem Zug erreichbar sind, müssen künftig verboten werden.»

Das war für einen kurzen Lacher gut. Als Vielschwätzer hatte das Wermuth längst vergessen, als er für ein unscharfes Foto mit dem deutschen Wahlsieger Olaf Scholz mal kurz nach Berlin flog. Sei leider nicht anders gegangen, meinte der Verbotskünstler, denn solche Verbote gelten natürlich nur für die anderen.

Während die Zürcher SP sich nicht entblödet, fürs nächste Züri Fäscht Flugshow und Feuerwerk verbieten zu wollen, glüht ihr Bundesrat Alain Berset offenbar schon seit Jahren mit einem Privatflieger durch die Gegend. Während er offiziell die Ferien mit seiner Familie in der Schweiz verbringen will, hüpft er schnell mal nach Frankreich. Dummerweise kam er dabei einer militärischen Sperrzone zu nahe, wurde vom Himmel geholt und seine CO2-Bolzerei kam ans Tageslicht.

Das wäre nun für den SP-Co-Präsidenten eine Gelegenheit, Rückgrat zu beweisen und tapfer ein paar tieffliegende Tomaten für seinen Bundesrat abzufangen. Aber: Wermuth ist in den Ferien, zwar erreichbar, aber er duckt sich weg und reicht die heisse Kartoffel lieber an seine Co-Präsidentin weiter. Und die teilt mit, dass sie nichts mitzuteilen habe.

Wundert es noch jemanden, dass Politiker mit Journalisten darum wetteifern, wer am wenigsten glaubwürdig erscheint, am wenigsten Vertrauen verdient? Dummschwätzen, heucheln und schweigen, was für ein überzeugender Dreisprung.

Die letzten Gläubigen

Das WEF ist ein Schatten seiner selbst. Selbst die Demos dagegen …

All das übliche Brimborium fehlt. Wichtige und Mächtige, die in schwarzen, gepanzerten Limousinen durch Davos pflügen. All die Begegnungen «kenne ich den oder muss der mich kennen?». Die Empfänge, Partys, das Come-Together, die prall gefüllten Agenden. Wer hat die beste Suite im ersten Hotel am Platz, wer muss in Zürich übernachten und anreisen?

Wie viele wichtige Präsidenten und Weltenlenker sind anwesend, wo stapeln sich die Privatjets und die ganz grossen Flieger? Alles fehlt, stattdessen haben wir einen Olaf Scholz, eine Christine Lagarde, eine von der Leyen als Ersatzstars. Nicht mal Schnee gibt’s.

Was macht noch Schlagzeilen? Klitschko: «Bleibt die Schweiz passiv, klebt auch Blut an ihren Händen». – «Davos im Metaversum: WEF-Gründer kündigt digitales Grossprojekt an.» – «Die Welt war naiv. Klaus Schwab auch.» – «Oxfarm fordert höhere Steuern für Konzerne und Vermögende

Russland ist ausgeladen, Selenskij hat eine seiner tollen Video-Ansprachen gehalten, bei denen alle ganz betroffen schauen. Und ein ehemaliger Box-Weltmeister bereitet schon das Terrain vor: «Wladimir Klitschko hat die Schweiz zu einem Verbot russischer Staatsmedien aufgefordert. Dort laufe anti-ukrainische Propaganda. «Die Gehirnwäsche findet auch in der Schweiz statt», sagte er in einem Interview mit dem «Blick» am Rande des WEF in Davos.» Gehirnwäsche in der Schweiz? Muss doch was dran sein, dass zu viele Kopftreffer nicht spurlos an Boxern vorbeigehen.

Soweit, so gähn. CNN, die grossen Medien, sie berichten mehr aus Gewohnheit und unter ferner liefen über das WEF. «Blick» ist es aber gelungen, dem «CNN-Starmoderator» Richard Quest in Davos ein Statement zu entlocken. Was erwarte er denn vom diesjährigen WEF? «Nothing

Nicht viel mehr als nichts war auch der erste Versuch eines Protests durch die Jusos: «Nur gerade 60 WEF-Gegner protestieren gegen das Forum. Juso-Präsidentin Ronja Jansen lässt sich von der kleinen Teilnehmerzahl nicht beirren.» (siehe Screenshot vom «Blick» als Artikel-Foto.)

Aber immerhin, in Zürich war wenigstens etwas Action:

Tränengas, Gummischrot, Doppelmoppel-Parole.

Aber die NZZ hält in alter Treue am WEF fest und gönnt dem 84-jährigen Klaus Schwab den grossen Bahnhof, bzw. das grosse Interview. Aber auch ihr fällt es schwer, Fragen zu stellen, die Antworten erhalten, die dem Leser nicht als Ersatz für Schafezählen zum Einschlafen dienen könnten.

Seine Lieblingspose seit gefühlten 100 Jahren.

Auch auf die Gefahr hin, dass der Leser hier wegschnarcht, einige Höhepunkte des Interviews:

  • Die globale Solidarität hätte grösser sein können, das stimmt. Ich glaube, Corona hat uns alle egoistischer gemacht, und die Staaten sind nationalistischer geworden.
  • Ich habe mich angepasst und war online sehr aktiv. 
  • Das Global Village soll zur ersten Metaversum-Anwendung mit einem echten «purpose» werden.
  • Wir erwarten über 50 Regierungs- und Staatschefs und über 200 Kabinettsmitglieder.
  • Als der Krieg ausbrach, erinnerte ich mich an dieses Gespräch. Nun war völlig klar: Der Versuch, Putin zu überzeugen, europäischer zu werden, ist gescheitert. Ich war traurig und entsetzt.
  • Ich glaube, wir erleben tatsächlich gerade Geschichte an einem Wendepunkt.
  • Die Welt wird fragmentierter, wahrscheinlich zerbrechlicher.
  • Ich habe Drohschreiben erhalten, unser Haus wurde fotografiert und das Bild ins Internet gestellt.

Ist noch jemand wach? Dann haben wir noch die endgültige Schlafpille. Denn Schwab wird gefragt, wie es mit den wirtschaftlichen Beziehungen zu China (auch mit der dritten Garnitur am WEF vertreten) stehe: «Das ist die Frage, die dieses fliessende System besonders beschäftigen wird. Wie wird das Verhältnis der neuen westlichen Werteallianz zu China sein? Militärisch, aber auch wirtschaftlich.»

Falls es irgendwelche Antworten auf diese Frage geben sollte, bei denen man nicht sofort wegschnarcht; ZACKBUM wird berichten.

Kleine Umnutzung des früheren Russia House in Davos.

 

 

Wumms: Peter Rásonyi

Wie sehr darf man sich von seiner Herkunft leiten lassen?

In der Affäre Djokovic (erinnert sich noch jemand an das unglaubliche Geschrei?) durfte vor allem bei Tamedia über den Serben hergezogen werden, dass es eine Unart hatte. Besonders ausfällig wurde ein Schreiber mit kosovarischem Hintergrund; Enver Robelli teilte ganz übel (und unkontrolliert) aus.

Der Auslandchef der NZZ ist der Sohn ungarisch-deutscher Eltern und wurde 1966 in Zürich geboren. Es steht zu vermuten, dass eine Flucht nach dem ungarischen Aufstand von 1956 zur Familiengeschichte gehört.

Damit soll Peter Rásonyi nun nicht eine quasi genetisch bedingte Russlandfeindlichkeit unterstellt werden. Es ist aber dennoch auffällig, dass er bei osteuropäischen Themen ziemlich ranzig wird. Wenn er die EU dafür lobt, «schnell und entschlossen gegen Lukaschenko gehandelt» zu haben, vergisst er nicht, «dessen Schutzmacht Russland» zu erwähnen.

Obwohl zur ungarischen Vergangenheit – neben Faschismus – auch ein Aufstand gehört, ist Rásonyi anderswo strikt gegen solchen zivilen Ungehorsam. Die LKW-Blokaden in Kanada seien «unverhältnismässig», befindet er, nie um einen guten Ratschlag verlegen: «Die Regierung sollte härter dagegen einschreiten

Den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz begleitete Rásonyi mit einem ganzen Geschwader an Ratschlägen, Vorgaben und Handlungsanweisungen. Da wäre man bei der NZZ mit dem immer noch besten Netz an Auslandkorrespondenten um eine Spur mehr Differenziertheit dankbar.