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Ein Hauch von Vernunft, Part II

Gute und schlechte Nachrichten von der Belästigungsfront.

Wie ein juristisch fitter Leser anmerkte, hat das Bundesgericht das Urteil des Obergerichts Zürich aufgehoben, das einem wegen angeblicher sexueller Belästigung entlassenen Banker eine Entschädigung zusprach. Das Obergericht hatte argumentiert, dass die Bank zwar den denunzierenden Mitarbeitern Anonymität versprochen habe. Aber: «Sichere die Bank ihren Mitarbeitenden Vertraulichkeit zu, könne dies aber nicht zulasten der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeschuldigten gehen, hält das Obergericht nun fest.»

Dagegen argumentiert das Bundesgericht, dass solche strafprozessuale Regeln nicht ins Privatrechtliche übertragen werden könnten. Während es im Strafrecht keine Verdachtsverurteilungen gebe, seien die im Arbeitsrecht zulässig. Sie seien nicht einmal missbräuchlich, wenn sich der Verdacht später als unbegründet erweise. Das ist mal wieder, gelinde ausgedrückt, weltfremd.

Denn es bedeutet: ein Arbeitnehmer wird gekündigt, weil anonym gegen ihn die Anschuldigung einer verbalen sexuellen Belästigung erhoben wurde. Da er weder deren genauen Inhalt, noch den Denunzianten kennt, kann er sich dagegen nur unzulänglich wehren. Das müsste er aber können, um der Kündigung zu entgehen. Und noch schlimmer: die Arbeitgeberin müsse nicht beweisen, dass die Anschuldigung zutreffe, der Angeschuldigte hingegen seine Unschuld. Nur: wie soll das gehen, wenn er weder den genauen Vorwurf, noch den Urheber kennt? Und als Gipfel: selbst wenn sich der Verdacht im Nachhinein als unbegründet erweisen sollte, ist die Kündigung nicht missbräuchlich.

Eine Schweinerei, nicht-juristisch formuliert. Und ZACKBUM streut Asche aufs Haupt, dass wir den Recherchierkünsten des «Tages-Anzeiger» vertrauten …

Nun gibt es ein neues Gerichtsurteil. Hier sind unappetitliche Details bekannt, berichtet der Tagi: ««Was für einen schönen grünen Tanga du trägst», soll ein Bundesangestellter zu seiner Arbeitskollegin gesagt haben. Er soll versucht haben sie zu küssen, ihr ungefragt ein Bild seines Penis gezeigt und sie am Po berührt haben.»

Konsequenz: fristlose Kündigung. Die Beschwerde des Arbeitnehmers hiess nun das Bundesverwaltungsgericht gut. Das Beweismass sei nicht erreicht worden, und es bestünden «nach der Gesamtwürdigung der eingereichten Beweise Zweifel an den Anschuldigungen». So gebe es zum Beispiel Protokolle der Gespräche, die der Arbeitgeber intern geführt habe: «Ein Zeuge sagt aus, gesehen zu haben, wie der Angeschuldigte die Arbeitskollegin am Po berührt und sie befummelt habe. Allerdings verwendet er Ausdrücke wie «so schien es mir» oder «ich hatte den Eindruck»».

Schliesslich rügt das Gericht auch, dass die Untersuchung «schlampig geführt» wurde.

Ein weiterer Beitrag an der Kampffront «sexuelle Belästigung» als Killervorwurf, als anonym abgefeuerte Drohne, die häufig ihr Ziel erreicht und fertigmacht. Das Problem besteht darin, dass eine angebliche verbale sexuelle Belästigung keine Spuren hinterlässt und es meistens nur zwei Ohrenzeugen gibt. Es gibt die Person, die anschuldigt, und die, die angeschuldigt wird. Normalerweise muss eine Anschuldigung bewiesen werden, der Beschuldigte hat nicht die Verpflichtung, seine Unschuld zu beweisen.

Erschwerend kommt hier hinzu: wie soll jemand beweisen, dass er nicht gesagt hat «was für einen schönen grünen Tanga du trägst»?

Natürlich gibt es Indizien, bestenfalls auch Zeugen ähnlicher Sprüche, vielleicht sogar eine schriftliche Form, wie sie ein gefallener linker Starreporter hinterliess. Aber selbst dann ist immer noch die Frage, ob das tatsächlich – ohne Straftatbestand zu sein – für eine fristlose Entlassung ausreicht.

Wer mit einer solchen Anschuldigung konfrontiert wird, der erleidet mindestens einen schweren Karriereknick, ist nicht allzu selten gesellschaftlich, sozial und beruflich erledigt.

Es gibt nun – neben berechtigten Klagen über unappetitlich-anzügliches Verhalten – auch die Verwendung solcher Anschuldigungen aus Rache, aus Ranküne, als Verleumdung.

Nicht nur, dass dann der Betroffene seine Unschuld beweisen muss. Der anonyme Denunziant, selbst wenn sich seine Anschuldigung als haltlos, falsch, missbräuchlich erweist, muss dann keinerlei Sanktion befürchten. Das ist ein unhaltbarer Zustand, bei allem Verständnis für den berechtigten Schutz von Mitarbeitern vor unerlaubten verbalen oder gar tätlichen sexuellen Übergriffen.

Auch dieses Urteil kann noch ans Bundesgericht weitergezogen werden.

Richter Ratlos

Ungeheuerliches im Zürcher Obergericht.

Thomas Hasler vom «Tages-Anzeiger» ist ein sehr erfahrener Gerichtsreporter. Als solcher braucht er eine Akkreditierung am Gericht. Das ist der einzig vorstellbare Grund, wieso er nicht mit scharfen Worten eine Ungeheuerlichkeit kritisiert, die im Obergericht stattfand. Das gilt auch für Tom Felber von der NZZ, der ebenfalls schon im Titel ein skandalöses Zitat bringt: «Ein «Drittklass-Freispruch»».

Seien Sie nicht allzu stolz auf diese Urteilsbegründung …

Darum geht es: Das Bezirksgericht Meilen hatte im September 2020 über einen Mordfall geurteilt. Eine 73-jährige Ärztin war im August 2016 in ihrer Villa in Küsnacht zu Tode gekommen. Viele Indizien wiesen auf Mord hin, allerdings wurde die Obduktion der Leiche durch eine Schlamperei der Zürcher Rechtsmedizin viel zu spät durchgeführt, so dass Zweifel blieben.

Aber es gab genug Indizien, um einen heute 39-Jährigen wegen Mordes zu 19 Jahren zu verurteilen. Der aber schweigt bis heute eisern und teilte dem Gericht nur mit, dass er es nicht gewesen sei. Als Auftraggeberin des Tötungsdelikts geriet schnell die heute 48-jährige Tochter der Ärztin in Verdacht. Sie war damals drogenabhängig und stand in Gefahr, enterbt zu werden. Das brachte ihr vier Jahre Untersuchungshaft ein, in der auch sie immer ihre Unschuld beteuerte.

Sie war in der ersten Instanz freigesprochen worden und hatte eine Entschädigung von 200’000 Franken für die U- und Sicherheitshaft erhalten. Die Staatsanwaltschaft wollte das nicht so stehen lassen und forderte auch vor dem Obergericht eine Freiheitsstrafe von 18,5 Jahren wegen Anstiftung zum Mord. Die Tochter soll dem damals mit ihr Liierten 300’000 Franken dafür versprochen haben.

Aber auch die zweite Instanz erkannte auf Freispruch. Im Zweifel für den Angeklagten, und die Indizien reichten nicht aus, um über jeden vernünftigen Zweifel erhaben den Mordauftrag zu beweisen. Das ist gerichtlicher Alltag.

Dann aber wurde es aschgrau: «Seien Sie nicht allzu stolz auf den 3.-Klass-Freispruch», zog der Gerichtspräsident Christoph Spiess vom Leder. Das Urteil sei auf Messers Schneide gestanden, was sich in einem 2:1-Mehrheitsentscheid für Freispruch ausgedrückt habe. Einmal in Fahrt, fuhr Spiess fort:

«Sie sind in den Fall verstrickt und haben mit dem Tod der Mutter zu tun. Aber wir wissen nicht wie.»

Es habe ein dichtes Indiziennetz gegeben, aber das sei leider nicht eindeutig gewesen.

Damit nicht genug der Philippika: Die Tochter habe eindeutig ein Motiv gehabt: «Sie werden freigesprochen, auch wenn Sie nicht sauber sind», donnert der Richter, als wolle er eine moderne Fassung des «zerbrochnen Krugs» geben. Deshalb sei es dem Gericht «schwergefallen», der Tochter 200’000 Franken Genugtuung zuzusprechen. Zustände wie am Dorfgericht von Richter Adam. Nur nicht so lustig.

In unserem Rechtsstaat gibt es für einen Angeklagten nach der Gerichtsverhandlung zwei Zustände. Schuldig oder nicht schuldig. Es gibt keine Schuld- oder Freisprüche erster, zweiter oder dritter Klasse. Laienbeobachter möchten gerne zwischen einem Freispruch wegen erwiesener Unschuld und seinem kleinen Bruder «aus Mangel an Beweisen» oder wegen «im Zweifel für den Angeklagten» verschiedene Klassen unterscheiden.

Richter Spiess führt nebenbei das Sekretariat der «Schweizer Demokraten» und blödelte auch schon auf Tiktok herum:

Letztes Jahr erhob sich die Frage, ob Spiess sich damit der Würde seines Amtes angemessen verhalten habe. Hier kann man noch sagen, dass im Privaten schlechter Geschmack nicht strafbar ist. Auch etwas abseitige politische Orientierung ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Aber einen Freispruch mit dieser Begründung eigentlich in einen Schuldspruch verwandeln, das ist ein starkes Stück.

Denn eigentlich sagt Richter Gnadenlos: Sie sind’s gewesen, aber leider können wir’s Ihnen nicht nachweisen und müssen Sie contre coeur freisprechen. Dass Sie auch noch Geld kriegen, tut uns weh, als käme es aus unserem Portemonnaie.

Wildwest im Rechtsstaat – und keiner protestiert.