Es darf gelacht werden: Lange Lunte im Puff
Valentin Landmann, Milieu-Anwalt. Feiert die Wiedereröffnung eines Bordells. Skandal!
Es ist zwar erst Anfang Juni. Aber die schwindende Möglichkeit, wegen der Pandemie mal wieder von Tausenden von Toten zu unken, strengere Massnahmen zu fordern, Lockerungen als grobfahrlässig, ja tödlich zu kritisieren, den zuvielten Wissenschaftler aufzubieten, der auch noch berühmt werden möchte – all das wirft einen Schatten aufs kommenden Sommerloch.
Oder so. Auch der ahnende und raunende Schriftsteller Lukas Bärfuss, der schon diagnostizierte, dass in der Schweiz Geld wichtiger als Menschenleben sei und daher bald Zustände wie in Norditalien herrschen werden, also wie in dem Videoschnipsel, wo ein paar Armeelastwagen Särge abtransportieren, belästigt längst andere Themen mit seinen unausgegorenen Zeilen.
Es kommt zu ersten Verzweiflungstaten der Medien
AHV-Alter für Frauen, nun ja, auch nicht so der Brüller in den News. Da kommt es zu Verzweiflungstaten. Und schon grüsst auch der Herdentrieb. Denn am 4. Juni kam die «Schweizer Illustrierte» ihrer Berichterstatterpflicht nach. Obwohl sie dafür keine Extra-Batzeli vom Steuerzahler kriegt, wagte sie die Investigativ-Recherche: «Endlich wieder ausgehen!» Die C- bis D-Prominenten Fabienne Bamert («Samschtig Jass») und Mario Gyr (rudert unglaublich schnell) schafften es aufs Cover der SI – und wagen ein «Candle Light Dinner» am helllichten Tag um 17.45. Oder gar 5.45 Uhr; weiss man’s?
Vorne Candle, hinten Sonne, in der Mitte Dreitagebart.
So weit, so schnarch. Aber als Nächster setzt sich Valentin Landmann in Szene. Länger nichts mehr gehört vom «Rotlicht-Anwalt», auch schon 71 Lenze alt. Aber nun wieder rein ins Vergnügen, er «steht im Globe in Schwerzenbach ZH, dem grössten Schweizer Sexclub», weiss die SI. Nun, auf dem Foto sitzt er, und auch der SI-Fotograf scheint das «riesige Nachholbedürfnis» zu spüren und lässt zwei Angestellte seinen Job tun.
Auf der nächsten Seite wird es dann richtig schlimm. Kaum ist die Pandemie auf dem Rückzug, sind neuerliche Attacken auf die hilflose deutsche Sprache zu befürchten – als ob ein virulenter Lukas Bärfuss nicht schon schlimm genug wäre. Zeichnet sich hier also ein Skandal ab?
Simone Meier, Sunil Mann und Milena Moser: Angriff der Killer-Literaten.
Aber nein, wir blättern eine Seite zurück, Dort sitzt der Skandal im Puff. Worin besteht nun der «Eklat» (Tamedia), wieso sorgt Landmann «für Empörung» (nau.ch)? Oder um es mit der NZZ entschieden staatstragender zu sagen:
«Der SVP-Kantonsrat Valentin Landmann lässt sich im Bordell fotografieren und verärgert damit Ratskolleginnen und -kollegen».
Wie man auf der Fotografie aber deutlich sieht, ist Landmann völlig bekleidet, begeht keinerlei unzüchtige Handlungen – aber er trägt weisse Socken!
Werden Landmann seine Prekariat-Socken zum Verhängnis?
Das geht nun gar nicht, nicht mal beim Puffbesuch. Aber darüber erregt sich die GLP-Kantonsrätin Andrea Gisler nicht in erster Linie. «Das ist eine degoutante Inszenierung mit einem Mann inmitten junger Frauen», kritisiert sie. Ohne näher zu erläutern, was daran degoutant sein soll. Hier werde eine «schummrig-plüschige Idylle im Rotlicht-Milieu geschildert», beschwert sich Gisler – mit 50 Mitunterzeichnern – gleich mal beim Ringier-Verlag. Denn den «Profiteuren der Prostitution» dürfe man keine mediale Plattform bieten.
Das bringt nun den allgemein als sanftmütig bekannten Landmann etwas in Rage: Es sei «unwürdig», ihn als «illegitimen Profiteur der Prostitution zu verunglimpfen». Schliesslich treibe ein Prostitutionverbot «die Frauen in die Unterwelt. Dort sind sie nicht geschützt, sondern Übergriffen und Ausbeutung ausgeliefert.»
Auch quer durch feministische Kreise geht der Streit, ob der Beruf der Sexarbeiterin Ausdruck weibliche Befreiung oder männlicher Ausbeutung sei. Was aber an Landmanns Auftritt – abgesehen von den weissen Socken – degoutant sein soll und was das andere Mitglieder (Pardon) des Kantonsrats angeht, ist unerfindlich.
In Bern wäre die verzögerte Reaktion normal – aber in Zürich?
Ebenso bleibt die verzögerte Reaktion ein Rätsel. Die SI erschien mit diesem Eklat-Foto letzten Freitag. Niemand machte einen Eklat draus. Erst am Montag schwoll der Protest im Kantonsrat an. Ob da alle 50 Mitunterzeichner des Schreibens an Tamedia wissen, was sie genau unterschrieben haben? Und wieso berichtet die Journaille flächendeckend erst ganze 5 Tage nach dem Bild des Anstosses? Auch bemerkenswert: niemand interessiert sich für das Schicksal der drei leicht- oder nicht bekleideten Damen auf der Fotografie.
Zwei von ihnen sind offenbar ganz nackt, dazu gesichtslos, also zum Sexobjekt herabgewürdigt. Und als Helferinnen beim Shooting (schon alleine dieser Ausdruck in dieser Umgebung, igitt) missbraucht. Wobei sie zudem die Handleuchten so falsch halten, dass sicherlich wieder Herrenwitze über «Frau und Technik» auf ihre Kosten gemacht wurden. Schliesslich: hat der Fotograf nur an seiner Kamera abgedrückt?
All das wäre doch einer investigativen Recherche wert. Eigentlich müssten in diesem Sexclub schon längst Massen von Journalisten stehen, die mit dem Presseausweis winken und Rabatt verlangen. Aber eben, kein Pfupf mehr in den Redaktionsstuben. Wo bleibt die knallharte Recherche über das traurige Schicksal der auf der Fotografie missbrauchten Frauen? Keine der 78 Unterzeichner des Protestschreibens hat Zeit dafür? Sehr bedauerlich.
Das ist bitter für ein Boulevardblatt
Blöd läuft’s nur für den «Blick». Die einzige Zeitung mit im Titel eingebauten Regenrohr kann nun schlecht in die Kritik einstimmen; schliesslich erscheint die SI im gleichen Verlag. Landmann den Rücken stärken, das könnte aber in der Verlagsetage auch nicht gut ankommen. Das ist natürlich voll den Bach runter für das Blatt der gehobenen Lebensart
Was könnte man da für Boulevard-Storys rausmelken. Besucht Landmann das Puff auch als Gast? Wenn ja, gibt’s Freifahrschein? Was sagen denn Damen, die ihn schon bedient haben, über sein Verhalten im Bett? Ist sein Alter denn kein Problem? Oder sein Bluthochdruck? Kann man ihm dabei juristische Fragen stellen?
All diese gnadenlos guten Storys werden nun nie erscheinen – dabei ist es noch mindestens einen Monat hin bis zum echten Sommerloch. Das kann noch heiter werden.