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Fehler? Niemals

Es herrschen Sitten wie weiland im Vatikan.

Wo gehobelt wird, fallen Späne. Irren ist menschlich. Fehler passieren. Es zeichnet das menschliche Streben aus, dass wir nicht unfehlbar sind. Das hat sogar der Papst eingesehen, und das will ja etwas heissen.

Ob der Journalist nun Gottes unerforschlichem Ratschluss auf der Spur ist oder ganz weltlich irgend etwas beschreiben, reportieren, erklären will: dabei passieren Fehler.

Wie man mit denen umgeht, das nennt man Fehlerkultur. Journalismus ist zunehmend kulturlos. Zumindest im deutschen Sprachraum. Im angelsächsischen hat jedes Qualitätsorgan eine eigene Rubrik, in der es pedantisch alle Fehler aufzählt, die passiert sind. Und korrigiert.

Eine in deutschen Medien unbekannte Rubrik. Halt, die «Zeit» führt immerhin den Blog «Glashaus», in dem sie ab und an sogar kritisch über begangene Fehler berichtet. Aber im Glashaus an der Werdstrasse, an der Falkenstrasse, an der Dufourstrasse und auch in Aarau sind solche Einrichtungen unbekannt, ebenso am Leutschenbach.

Nur wenn flächendeckend und offensichtlich Unsinn verzapft wird, rafft man sich knirschend zu einer Richtigstellung auf. Paradebeispiel in Deutschland ist die Schlagzeile «Karlsruhe verbietet NPD». Damit war gemeint, dass das deutsche oberste Gericht die bräunliche Partei NPD verboten habe. «Spiegel online», «Zeit», NZZ, ARD, Phönix, die Schlagzeile. Nur: das Bundesverfassungsgericht hatte lediglich die Verlesung des Verbotsantrags vermeldet.

Das sind dann jeweils Anlässe, «Abläufe und Arbeitsweisen» kritisch zu hinterfragen – und sich sogar mal zu entschuldigen. Aber die Lieblingsnummer der Medien ist immer noch: ups, aber wenn’s keiner öffentlich merkt, einfach drüber hinwegsehen, ist dann mal weg.

Besonders einfach ist die Fehlerkorrektur online. Wenn hier vorher «offline» stand: schwups, weg isses, hat doch niemand gemerkt. Und selbst wenn, wer macht schon einen Screenshot zur Beweissicherung. Der Deutsche Journalistenverband hat mal die Malaise schön zusammengefasst:

«Namen werden falsch geschrieben, Zitate unsauber wiedergegeben, Gerüchte für bare Münze genommen, Zahlen unsinnig interpretiert, Statistiken missverstanden oder Überschriften so zugespitzt formuliert, dass sie sachlich falsch werden.»

Wenn ZACKBUM das als eigen Formulierkunst verkauft und nicht als Zitat ausgewiesen hätte: wer hätte es gemerkt? Wer hätte den Absatz durch Google gejagt? Das unlautere Verwenden von Zitaten ohne Quellenangabe ist nicht ein eigentlicher Fehler, aber auch ein Zeichen der allgemeinen Sittenverluderung. Was in angelsächsischen Medien erschien, was im fernen Indien, in Indonesien, in Brasilien, in Südafrika publiziert wird, wer kennt das schon? Copy/paste plus Übersetzungsprogramm.

Besonders übel wird die mangelnde Fehlerkultur, wenn Betroffene eine Korrektur, eine Richtigstellung verlangen. Ist es nicht ein offensichtlicher Fehler (falscher Name, falscher Ort, falsche Tatsachenbehauptung) wehren sich die Redaktionen bis aufs Messer. Vorreiter dieses üblen Brauchs ist die «Republik», aber auch die grossen Medienkonzerne in der Schweiz betrachten die Forderung nach einer Korrektur als Beschäftigungsprogramm für ihre juristischen Abteilungen.

Viele werden schon damit abgeschmettert, dass eine Gegendarstellung einigen Formvorschriften entsprechen muss, die dem Laien nicht bekannt sind. Tun sie das, gilt dennoch meistens: ist nicht gegendarstellungsfähig, abgeschmettert. Beschreiten Sie doch den Rechtsweg, und viel Spass dabei. Wir hoffen, dass Ihnen unterwegs nicht das Geld ausgeht.

Im besten Fall erscheint dann ein Jahr später eine Gegendarstellung oder «Richtigstellung» oder ein «Korrigendum». Meistens hängt die rachsüchtige Journaille noch den Satz dran: «Die Redaktion hält an ihrer Darstellung fest.» Womit der Effekt gleich null wäre.

Auch sonst tun Redaktionen viel, um die Korrektur eines Fehlers zu vermeiden. beliebt ist beispielsweise, dem fehlerhaft Kritisierten die Möglichkeit zu geben, in einem Interview seine Position darzulegen. Der Leser fragt sich vielleicht, was das soll; es soll eine Gegendarstellung vermeiden. Ein anderes Mittelchen ist der anschliessende Lobhudel-Artikel.

Nur ganz selten wird’s richtig bitter und teuer in der Schweiz. «Ringier entschuldigt sich bei Borers» war so ein Fall. Da musste Michael Ringier höchstpersönlich auf der Frontseite zu Kreuze kriechen:

«Auch Herrn Dr. Thomas Borer und seiner Frau stand eine Entschuldigung zu. Sie haben beide Ungemach erlitten, was ich bedaure. Wir haben uns bei ihnen entschuldigt. … Wir haben uns auch verpflichtet, für den finanziellen Schaden, welcher dem Ehepaar Borer-Fielding entstanden ist, aufzukommen. In langen Gesprächen konnte auf dieser Basis eine einvernehmliche Lösung im Interesse aller Beteiligten gefunden werden.»

Lange Gespräche ist gut. Normalerweise wird so etwas in der Schweiz mit einer Zahlung im vier- oder höchstens fünfstelligen Bereich beigelegt. Hier war der Betrag siebenstellig, weil dank der US-Staatsbürgerschaft von Frau Borer auch ein dortiger Gerichtsstand möglich gewesen wäre. Und US-Gerichte kennen keine Gnade bei der Festlegung von Schadenersatz wegen Persönlichkeitsverletzung.

Aber all das ist keine Fehlerkultur, sondern knirschendes und erzwungenes Nachgeben.

Neu im diesen Theater ist die «Gewinnherausgabe». Damit ist gemeint, dass das Opfer einer Persönlichkeitsverletzung auf dem Zivilweg verlangen kann, dass durch diese Verletzung entstandener Gewinn herausgegeben werden muss. Hört sich einfach an, ist aber in Wirklichkeit sauschwer. Denn wie misst man diesen Gewinn? Zurzeit läuft da ein Pilotprozess, bei dem die Vorstellungen des Opfers und die Wirklichkeit massiv auseinanderklaffen.

Durch die Monopolisierung des Tageszeitungsmarkts sind die Möglichkeiten einer korrigierenden Gegenmeinung sowieso fast inexistent. Tamedia und CH Media behaupteten am Anfang, dass sie sich ihres gesellschaftlichen Auftrags durchaus bewusst seien und sich selbstverständlich als Podiumszeitungen verstünden, in denen auch Gegenmeinungen durchaus ihren Platz hätten. Völliger Unsinn, wie ZACKBUM schon ausgetestet hat.

Probiert man’s, bekommt man selbst von einem zugewandten Redaktor die Rückmeldung: fantastisch geschrieben, aber du meinst doch nicht etwa, dass ich das an der Redaktionskonferenz vorbringen könnte.

Löbliche Ausnahme, das muss erwähnt werden, ist die «Weltwoche». Hier darf man sogar den Chefredaktor, Besitzer und Verleger in den Senkel stellen, wenn man’s kann. Oder man stelle sich eine kritische Kolumne vor, in der in der NZZ Eric Gujer, bei CH Media Patrik Müller, bei Tamedia Raphaela Birrer oder im «Blick» Christian Dorer, oh, Pardon, der ist ja weg, also Gieri Cavelty, hops, auch weg, also irgend ein Chief oder Head kritisiert würde.

Nein, kann man sich nicht vorstellen. Aber eigentlich macht nur die Kontroverse, die Gegenmeinung, die Korrektur eine Lektüre spannend. Doch Papiermangel, Geldmangel, Ideenmangel, das Glaskinn der Mimosen, die sich Journalisten nennen, die miefigen Gesinnungsblasen ohne Frischluftzufuhr, die von oben vorgeschriebenen Leitlinien, denen jeder zu gehorchen hat, obwohl sie natürlich nicht schriftlich festgehalten wurden, all das trägt dazu bei, dass die Lektüre der Tagespresse so oft schlichtweg mieft.

Fehlerkultur

Billionen, Millionen, Hunderttausende? Ist doch egal.

Gedruckt ist gedruckt. Das ist dann blöd, wenn beispielsweise 500 Millionen steht, wo eigentlich 500’000 richtig wäre.

Ein häufiger und beliebter Fehler von unterbelichteten Wirtschaftsjournalisten ist, das englische «one billion» mit «eine Billion» zu übersetzen. Naheliegend, aber falsch. Auf Englisch kennt man die Milliarde nicht, und eine deutsche Billion wäre dann eine «trillion».

Was der Wirtschaftsjourni kann, kann Kulturjournalist Jean-Martin Büttner schon lange. Zum Vielschreiber mutiert, äussert er sich auch zum Fall einer Amerikanerin, die vom verstorbenen US-Verbrecher Jeffrey Epstein sexuell missbraucht und angeblich auch an seine Bekannten weitergereicht worden sei. Darunter auch Prinz Andrew.

Nun habe die inzwischen 39-Jährige damals einen Deal bekommen. Schweigegeld, was all ihre Begegnungen betrifft. Zuerst hantiert Büttner dabei mit der doch etwas überraschenden Zahl von 500 Millionen Dollar. Fällt im Qualitätsorgan Tamedia mit unendlich vielen Kontrollstellen, Produzenten, Blattmachern, Tagesverantwortlichen, Internet-Verantwortlichen plus Korrektorat – niemandem auf.

Also kommt’s so ins Netz. Das fällt dann aber doch dem einen oder anderen aufmerksamen Leser auf:

Diese Kommentare bleiben, der Text sieht allerdings neu so aus:

Weil im Internet eben – im Gegensatz zum Print – spurlos radiert, korrigiert, verändert werden kann, ist es bei Qualitätsmedien Brauch, bei solchen Änderungen eine Anmerkung dranzuhängen, dass in einer ersten Version von 500 Millionen Dollar die Rede war, das aber inzwischen aufgrund von Leserhinweisen korrigiert worden sei, und Entschuldigung auch.

Das ist wie gesagt bei Qualitätsmedien so. Bei Tamedia heisst es einfach «aktualisiert vor …». Mehr Aufhebens wird doch wegen so einem kleinen Fehler nicht gemacht.

Bei jedem Gendersternchen wird dreimal der Sitz überprüft, es werden ganze Seiten über die richtige Verwendung einer nicht-diskriminierenden, nicht-ausgrenzenden Sprache verschwendet. Es werden ganze Abhandlungen zu Binnen-I, Doppelpunkt, Sternchen und anderem Woke-Wahnsinn verfasst. Aber ein Korrigendum bei einem zwar nebensächlichen, aber doch peinlichen Fehler? I wo, digital radiert und verbessert, dann Schlamm drüber.

Corona-Kreischen, aufgepasst

Gute Zeiten für Plakatträger mit «The End Is Near».

Aber vor lauter Empörung, aufgeregter Warnung, Bekrittelung von diesem und jenem entgeht ihnen ein wirklich unglaubliches Ding.

Darauf wies in seiner zurückhaltenden Art gerade der «Beobachter» hin. «BAG erfasst Impfdurchbrüche nicht konsequent», bemängelt das Magazin das «Chaos in der Statistik».

Dazu muss man wissen, dass die Datenerfassung beim BAG von Anfang an ein Trauerspiel war. So wurden über lange Zeit Informationen per Fax (für jüngere Leser: das ist so ein Ding, bevor es das Internet gab) übermittelt.

Dabei ist es doch völlig klar, dass nur eine möglichst umfangreiche und lückenlose Erfassung von Daten eine gesunde Grundlage für Entscheidungen bieten kann. Die dann eben nicht aufgewühlt und aus dem Bauch heraus erfolgen, sondern faktenbasiert.

Aber faktenbasiert ist nicht so das Ding der Weltuntergangspropheten. Allerdings sind sie manchmal zu unfreiwilligem Humor fähig:

«Niemand muss Verantwortung übernehmen.» Dieser Niemand heisst Brupbacher.

Hat der Mann mit seiner Fehlerkultur unterhalb der Hölle ein Schwein, dass er völlig haftungsfrei und ohne Konsequenzen poltern und rempeln kann, weil glücklicherweise niemand auf ihn hört. Also ist es auch völlig egal, ob er seine Fehlprognosen korrigiert oder nicht.