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Erstaunlicher Flachsinn

Wenn die WoZ kindisch ideologisch wird.

50 Jahre Militärputsch in Chile. Als der Vietnamkrieg sich dem Ende zuneigte, gab es für die damalige Linke ein neues Erweckungserlebnis. Der von den USA unterstützte Putsch gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Chiles Salvador Allende. Eingefädelt worden war er vom Friedensnobelpreisträger und Kriegsverbrecher Henry Kissinger.

Augenfälliger konnte die Heuchelei und Doppelmoral der USA nicht demaskiert werden. Nun sind aber viele Jahre ins Land gegangen, und zum grossen Schmerz vieler Linker geht es Chile wirtschaftlich – alles ist relativ – immer noch vergleichsweise gut. Nicht zuletzt wegen der Wirtschaftsreformen, die unter Pinochet eingeleitet wurden.

Aber in der Verklärung der Vergangenheit kann das natürlich nicht sein. Eigentlich sollte ja eine Gesellschaftsanalyse – vor allem eine linke – sich bemühen, möglichst wirklichkeitsnah Entwicklungslinien aufzuzeigen, damit es Orientierung in der aktuellen, orientierungslosen Welt gibt.

In einem ganzen Dossier zu Chile gibt die WoZ Stephan Lessenich das Wort für einen Essay. Der Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung und Gründer der Splitterpartei «Mut» lässt es lange nicht mehr los und kommt zu erstaunlich absurden Schlussfolgerungen.

Nachdem er die üblichen Verdächtigen kurz aufgezählt hat (Hayek, Friedman, Mont Pelerine Society, aber auch «Zeitungen wie die «Daily Mail» oder die NZZ»), kommt er mit einem Salto zum eigentlichen Thema:

«So gesehen und verstanden, kann «Chile 1973» in der Tat als Chiffre für die Geburtsstunde des transnationalen Neoliberalismus gelten.»

Nun wäre der Leser natürlich gespannt, wie sich denn dieser Säugling konkret entwickelt hat. Aber konkret ist nicht so das Ding Lessenichs:

«Mit der Machtübernahme von General Augusto Pinochet beziehungsweise des chilenischen Militärs und der mit ihm politisch-sozial verbandelten Eliten wurde das südamerikanische Land vor nunmehr fünfzig Jahren gleichsam über Nacht zum Versuchslabor und Exerzierfeld neoliberaler «Reformen». Damals nahm eine Politik radikaler Marktliberalisierung ihren Anfang, die praktisch sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfasste – Bildungswesen und Alterssicherung, Kupferbergbau und Wasserversorgung – und deren Nach- und Nebenwirkungen bis heute massgeblich die Lebensrealität der chilenischen Bevölkerung bestimmen.»

Das nennt man im wissenschaftlichen Diskurs belegloses Geschwafel. Ergänzt durch persönliches Erleben, nämlich den Film «Missing» von Costa-Gavras in Höchstform mit einem grossartigen Jack Lemmon. Das war ein perfekt gemachter Politthriller zur Erklärung chilenischer Verhältnisse. Was Lessenich allerdings auslässt, weil sonst die Wirklichkeit für ihn zu widersprüchlich würde: produziert und gedreht in Hollywood, mit einem US-Starensemble.

Dann rattert der Sozialwissenschaftler im Schnellgang durch Gedankensplitter über Thatcher, den Bergarbeiterstreik 1984 zur brutalen Schlussfolgerung:

«Ja, Neoliberalismus tötet: Er zerstört die natürlichen Lebensgrundlagen weltweit und die sozialen Lebensbedingungen von Hunderten Millionen, vermutlich eher einigen Milliarden Menschen. Er tötet im Mittelmeer, an den Aussengrenzen der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten, bei Foxconn in China und in den Textilfabriken von Bangladesch, in den Erzminen, auf den Agrarplantagen und an den Produktionsstätten internationaler Konzerne rund um die Welt.»

Das ist ja furchtbar. Man könnte denken, dass eine völlig verfehlte Flüchtlingspolitik für die Tragödien im Mittelmeer verantwortlich sei, und der chinesischen Parteidiktatur hat man schon vieles vorgeworfen, aber dass sie neoliberal sei, bislang noch nicht.

Aber was ist schon ein linksverschwurbeltes Essay ohne eine Erwähnung von Foucault? Richtig, nichts ist es:

«Sterben lassen und leben machen: Das hat Michel Foucault, der es als vom Zeitgeist durchaus affizierter Gesellschaftskritiker wissen musste, zum Grundprinzip neoliberaler Biomacht erklärt.»

Versteht man zwar – wie so vieles von Foucault – nicht wirklich, hört sich aber irgendwie gut an. Aber was ist denn ein Essay ohne Schlussfolgerung und Handlungsanleitung? Genau, leeres Geschwurbel. Also kommt sie am Schluss. Eingeleitet von einem aufregenden «mea culpa»:

«Sind wir heute nicht alle ein bisschen neoliberal? Werfen wir unsere Steine nicht selbst, wenn schon nicht von den privilegiertesten Positionen in der Sozialstruktur, so doch aus den Glashäusern unserer durch das gesellschaftliche Reproduktionsmodell des Neoliberalismus vermittelten Existenz?
Zumindest gilt es, diese Eventualität in Rechnung zu stellen, wenn man von Auswegen und Alternativen, vom Anderen des Neoliberalismus nicht nur gewohnheitsmässig sprechen möchte. Statt der in linken Gesellschaftskritiken allzu häufig zum leeren Ritual gewordenen Anrufung der «widerständigen Subjekte» gälte es, die Möglichkeiten und Grenzen von gelebter antineoliberaler Solidarität zu erkunden, wissenschaftlich wie lebensweltlich. Der 11. September 1973 bietet dafür bis heute Anlass genug

Also dass wir alle ein wenig neoliberal seien, das versteht man noch knapp. Unsere Existenz in Glashäusern, nun ja. Die Anrufung des «widerständigen Subjekts»? Hört sich irgendwie auch nach Foucault an, also unverständlich. Aber was sollen wir denn nun tun? Die «Möglichkeiten und Grenzen erkunden» von nicht irgendeiner, sondern «gelebter antineoliberaler Solidarität». Und wie geht das? «Wissenschaftlich wie lebenswirklich».

Ähem. Hilfe. Hier stehen wir und können nicht anders. So gerne möchten wir lebenswirklich antineoliberale Solidarität leben. Einatmen. Spüren. Im Alltag. Im Glashaus. Nur: wie? Wie denn? Foucault, Lessenich, Adorno, Horkheimer: helft. Bitte. Oder gibt es doch kein richtiges Leben im falschen?

 

Zzzzzzz

Wie eine Versicherungsgesellschaft sich lächerlich macht.

Es gab einmal die gute, alte Zürich Versicherungs-Gesellschaft. So hiess sie jedenfalls von 1872 bis 1998. Dann brach auch hier die Hektik der grossen Giermanager aus. «Zurich Financial Services» hiess der zum Allfinanzkonzern umgebaute Riese von 1998 bis 2012.

Dafür opferte man die ü-Pünktchen, no German, please. «Zurich Insurance Group» heisst der Konzern seit 2012. Da trat dann der mehrfach gescheiterte Banker Joe Ackermann an, um mal wieder zu zeigen, wie man’s nicht macht. Als sich daraufhin der CFO der Versicherung das Leben nahm und Ackermann in seinem Abschiedsbrief schwer beschuldigte, trat der so schnell wieder ab, wie er gekommen war.

Auch der ehemalige CEO Martin Senn schied ein Jahr nach seinem nicht ganz freiwilligen Rücktritt 2016 aus dem Leben.

Zurich, Z, oder die Windfahne …

Offensichtlich raue, sehr raue Sitten. Nun aber trennt sich die Versicherung «vorläufig» von ihrem Markenzeichen. Dem Z. Zumindest in den Social Media. Denn auf russischem Militärgerät prangt auch dieser Buchstabe, obwohl man nicht genau weiss, was er da eigentlich soll.

Neu nicht mehr das schön geschweifte Z,
sondern das kleingeschrumpfte Zurich.

Offensichtlich ist Z, Pardon, Zurich der Auffassung, dass es da zu Verwechslungen kommen könne. Obwohl nicht bekannt ist, dass Z, Pardon, Zurich, zu den Putin-Verstehern gehörte oder kriegerische Handlungen versichert.

Aber sich lächerlich machen, das kann Z, Pardon, Zurich, also eigentlich Zürich.

Dabei ist es vielleicht so, dass die Russen eben gewisse Bildung zeigen wollen. Es gab nämlich mal einen Film von Costa-Gavras namens «Z» (Kindersoldaten: googeln). Ein aufrüttelnder Streifen gegen die griechische Militärdiktatur (Kindersoldaten, ach, vergesst es). 1969 entstanden, der Klassiker des engagierten Kinos. Ob der unter diesem Namen heute noch gezeigt werden dürfte?

Natürlich, ein Wort in eigener Sache. Unser Autor Zeyer gedenkt nicht, sich vorläufig in Eyer umzubennenen. Alleine schon wegen der Nebenbedeutung. Auch diese Plattform hier hält mutig an ihrem Namen fest. Obwohl es einem Kommentator schon einfiel, die naheliegende Erklärung für das Z auf russischem Panzerzeugs zu liefern: das stehe natürlich für ZACKBUM.