Ein Sektenspezialist als Sektierer
Hugo Stamm hatte mal einen Ruf zu verlieren. Hatte.
Es gibt eine verdienstvolle Seite von Stamm. Er war jahrezehntelang im Dienst des «Tages-Anzeigers» unterwegs, um Sekten, Scharlatane und alle Formen der Ausnützung von labilen Menschen zu bekämpfen.
Herausragend sein Beitrag zur Bekämpfung von Scientology oder den VPM, der vor allem in Zürich sein Unwesen trieb. Er veröffentlichte verschiedene Bücher, in denen er die Ergebnisse seiner Recherchen zusammentrug. Er war lange Jahre Anlaufstelle für Verzweifelte, die versuchten, aus den Fängen einer Sekte zu entkommen.
2014 wurde er dann in Teilpension verabschiedet, sein Sekten-Blog erscheint seit einigen Jahren bei «watson». Es ist schwierig zu analysieren, ob diese Tätigkeit schlussendlich ihren Tribut forderte, ob es in seiner Persönlichkeitsstruktur angelegt ist – oder ob er einfach im Gespräch bleiben wollte.
Stamm wollte vom Ruf Jegges profitieren
Auf jeden Fall bekam er über die Opferhilfe Zürich Kenntnis von einem Fall, bei dem ein ehemaliger Zögling von Jürg Jegge diesen Pädagogen beschuldigte, ihm gegenüber sexuell übergriffig geworden zu sein. Für jüngere Semester: Jegge wurde mit seinem Bestseller «Dummheit ist lernbar» berühmt, als es 1976 erschien, wurde er schnell zum Standardwerk der Reformpädagogik, die Zwänge in der Erziehung auch von Schwererziehbaren ablehnte.
Seine Erfahrungen hatte Jegge in seiner zwanzigjährigen Tätigkeit als Sonderschullehrer gewonnen. Obwohl sein Ruf in den letzten Jahren verblasste, bleibt Jegge und vor allem der Titel seines Buchs doch präsent.
Keine Möglichkeit zur Stellungnahme vor dem Rufmord
Von dieser Berühmtheit wollte ein ehemaliger Zögling Jegges profitieren, der mit Hilfe von Stamm das Buch veröffentlichte «Jürg Jegges dunkle Seite». Darin beschuldigte er seinen ehemaligen Lehrer sexueller Übergriffe, die allerdings bei der Publikation 2017 schon über 40 Jahre zurücklagen.
Jegge wurde vor der Publikation keine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Das und diverse andere Ungereimtheiten, vor allem auch die zeitlich übergrosse Distanz zu den Vorfällen riefen diverse Kritiker auf den Plan. Ich veröffentlichte damals eine Abrechnung mit diesem Vorgehen in der «Basler Zeitung».
Vor allem warf ich dem Journalisten Stamm vor, dass er absichtlich daurauf verzichtet hatte, Jegge die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. «Der Journalist müsste wissen, dass man einen solchen Vorwurf ohne vorherige Konfrontation des Beschuldigten nicht veröffentlichen darf», schrieb ich damals.
Insbesondere, wenn sich der Journalist zum willfährigen Werkzeug eines Denunzianten macht, der den Ruf eines Pädagogen mit dem Vorwurf, ein Pädosexueller zu sein, rettungslos ruiniert. Jegge verzichtete auf jeglich Gegenwehr, räumte Übergriffe ein, die der damaligen Zeit geschuldet gewesen seien, und tauchte anschliessend ab.
Das Buch wurde zum Flop
Da alle Vorwürfe längst verjährt waren, was Stamm natürlich wusste, gab es auch keinerlei Strafuntersuchung. Das Buch, das mit grossem Trommewirbel als der Enthüllungsskandal des Jahres hochgetrommelt worden war, wurde dann auch zum Flop.
Wie es damals in der von Markus Somm geführten liberalen «Basler Zeitung» Brauch war, wurde Stamm zu einer Replik eingeladen. Zuvor hatte er sich per Mail an mich direkt gewandt, und da ich keiner Debatte aus dem Weg gehe, entwickelte sich daraus ein kurzer Mailverkehr. Als ich den Verdacht bekam, dass Stamm diesen privaten Meinungsaustausch allenfalls öffentlich verwenden will, machte ich ihn ausdrücklich auf mein Recht am eigenen Wort aufmerksam und untersagte ihm jede Verwendung.
Mangelnder Anstand und Charakterschwäche
Es passt aber leider zu seinem Charakterbild, dass er dann in seiner Replik ein paar aus dem Zusammenhang gerissene Mail-Fetzen von mir zitierte. Daraufhin brach ich jeglichen Kontakt mit ihm ab, mangelnder Anstand und Charakterschwäche sind Eigenschaften, die ich nicht tolerieren kann.
Der Fall schien soweit erledigt, bis sich ZACKBUM.ch-Redakor Lorenz Steinmann mit einigen interessanten und auch kritischen Fragen an den Sektenspezialisten Stamm wandte. Statt sie zu beantworten, wie es sich wohl gehörte, wenn es Stamm um die Sache ginge, mailte er zurück: «Rene Zeyer hat das Buch, das ich zusammen mit Markus Zangger über seine Missbrauchserfahrungen mit seinem ehemaligen Lehrer geschrieben habe, in der BaZ als Drecksbuch (im Titel!) bezeichnet. (…) Sie können sicher verstehen, dass ich unter diesen Umständen kein Interesse habe, Ihre Fragen zu beantworten.»
Hat Stamm die Schmach einer Kritik nicht verwunden?
Es bleibt wohl Stamms Geheimnis, wieso die bis heute nicht verwundene Schmach durch meine Kritik Anlass sein könnte, journalistische Fragen zu Sekten von einem anderen Journalisten nicht zu beantworten.
Kollege Lorenz hat ohne mein Wissen – aber natürlich mit meinem völligen Einverständnis – im Rahmen einer Recherche einige Fragen an den Sektenspezialisten Stamm gerichtet. Geantwortet hat die beleidigte Leberwurst Stamm, den die blosse Erwähnung meines Namens noch nach Jahren in Schnappatmung und Gehirnstarre versetzt.
Auf jeden Fall konnte ich Stamm nun Gleiches mit Gleichem vergelten und aus seiner Mail zitieren. Womit ich tatsächlich hoffe, dass ich von diesem Herrn in Zukunft in keiner Form mehr belästigt werde.
Wie tauglich jemand ist, über Sekten zu schreiben und aufzuklären, der selber einen dermassen verschobenen Blick auf die Wirklichkeit hat, sei dahingestellt.
Mein Dank an Kollege Zeyer für den Artikel, der für Transparenz sorgt. Hier zur Abrundung noch die Fragen, die ich an Herrn Stamm schickte und leider keine Antwort bekam.
1. Sie hatten in Ihrer Journalistenkarriere Dutzende Anklagen von Sekten abzuwehren. Bezahlte diese Verfahrenskosten jeweils Ihr Arbeitgeber?
2. Seit Sie nicht mehr beim Tagi sind, wird dort das Thema Sekten stiefmütterlich behandelt. Was sind aus Ihrer Sicht die Gründe?
3. Allgemein sind Sekten nicht mehr so präsent in der Öffentlichkeit. Warum könnte das so sein?
4. Was halten Sie eigentlich von Giuseppe Gracia, dem Schriftsteller und Mediensprecher des Bistums Chur?
5. Ihr jüngster Blog auf Watson «Wenn Missionierung tödlich endet» hat enorm viele Kommentare hervorgerufen. Zufrieden?
6. Sie bezeichnen Beatrice Stöckli als freikirchliche Missionarin. Wissen Sie, welcher Freikirche Stöckli angehört?
7. Die Hauptbotschaft des Blogs lautet: Selber schuld und erst noch vergeblich auf die Hilfe Gottes gehofft. Ist das nicht ein bisschen pietätlos der Verstorbenen und ihren Angehörigen gegenüber?