Schlagwortarchiv für: Weltbilder

Roger Köppel: der Missversteher

Der Chefredaktor/Verleger/Besitzer hat schon ein Händchen für Timing.

Der bisherige Höhepunkt war «La crise n’existe pas». Eine Jubel-Titelstory «UBS und CS wieder auf dem Vormarsch», publiziert an dem Tag, als die UBS zu Kreuze kriechen und Staatshilfe erbetteln musste. Geschrieben von vier Koryphäen, die seit 2008 nur sehr ungern daran erinnert werden wollen.

Nun legt Roger Köppel mit einer Titelstory über Waldimir Putin, den «Missverstandenen», nach. Publiziert an dem Tag, als der russische Präsident sein Militär Richtung Ukraine in Marsch setzte. Geschrieben von einem regelmässigen Mitarbeiter von «Russia Today». Thomas Fasbender ist Journalist und Unternehmer mit Firmen in Russland.

Das muss seinen Blick nicht unbedingt beeinflussen, könnte ihn aber daran hindern, sich allzu kritisch über den Kreml zu äussern, da dessen Reaktionen auf Kritik – bspw. durch Oligarchen wie Chodorkowski – sattsam bekannt sind.

Die «Weltwoche» versucht sich hier in einem einfühlsamen psychologischen Porträt, einer Motivforschung eines leider «Missverstandenen». Auf der Ebene: «Er will doch nur spielen».

Wieder einmal wird Köppel zum Opfer seines Grundreflexes:

«Wenn alle dafür sind, bin ich dagegen. Worum geht es eigentlich? Keine Ahnung, macht aber nix

Es war absehbar, dass er sich der zunehmend hysterischen und kriegstreiberischen Berichterstattung über Russlands Ukraine-Politik immer massiver entgegenstemmen würde.

Anlass zur Kritik gibt es genug

In seinen täglichen Videocasts, schriftlich, auf allen Kanälen warnte Köppel, warb er um Verständnis, kritisierte eine Verteufelung des Machthabers im Kreml, sah das Wiederaufleben alter Reflexe gegen den russischen Bären.

Es gibt tatsächlich einiges zu kritisieren an der Politik der NATO, den USA und Westeuropas gegenüber Russland, gegenüber ehemaligen Sowjetrepubliken oder Staaten des verblichenen Warschauer Pakts. Es gibt noch mehr zu kritisieren an der teilweise hysterischen Kriegsrhetorik westlicher Medien, die manchmal ohne weiteres den Tonfall treffen, der schon vor dem Ersten Weltkrieg herrschte: «Jeder Schuss ein toter Russ.»

Das ändert allerdings nichts daran, dass man Putin eigentlich nicht missverstehen kann. Wenn man um Verständnis für seine Politik wirbt, wird man selbst unverständlich. Gleich sieben Artikel der aktuellen «Weltwoche» widmen sich dem Thema Putin. In einer «Kleinen Psychologie der Putin-Kritik» versteigt sich Hobby-Historiker Köppel von einem schrägen historischen Vergleich zu einer Abrechnung zwischen «Tradition, Familie, Patriotismus, Krieg, Religion, Männlichkeit, Militär, Machtpolitik und nationale Interessen», verkörpert durch Putin.

Der sei eine «wandelnde Kriegserklärung an den Zeitgeist, an die «Woke»- und «Cancel-Culture», der unsere Intellektuellen und viele unserer Politiker so inbrünstig huldigen». Also kurz, er entlarve «den hohlen Moralismus seiner Gegner. Und die Dekadenz des Westens.» Der gesunde Naturbursche Putin, der sich gerne mit nacktem Oberkörper auf dem Pferd präsentiert, als Gegenbild zum verweichlichten westlichen Intellektuellen, der unter Bedenkenträgerei fast zusammenbricht.

Ähnliche Bilder, sorry to say so, ähnlichen Körperkult betrieben sonst nur die Nazis. Und dass Wilhelm II, ein körperlich und geistig behinderter Irrwisch, durchgeknallte Gespräche führte, die dann zu einem von der deutschen Regierung unverständlicherweise autorisierten Interview in einer englischen Zeitung wurden, das hat nun mit Putin und dem 21. Jahrhundert genau null zu tun.

Gerade Männer des Wortes und der Schrift, wie Köppel einer ist, begeistern sich seit Urzeiten an harten Männern, an Stellvertretern: Putin fahre «mit seinen Panzerdivisionen auf. Botschaft: Es gibt da draussen doch noch so etwas wie eine harte Wirklichkeit der Tatsachen, nicht nur das eingebildete Metaversum der «Diskurse» und «Narrative», mit denen man sich die Welt so zurechtlegt, wie man sie gerne hätte.»

Im Grunde ist das eine Selbstkritik des Autors, der genau das tut. Sich als Hobbywelterklärer ein Metaversum schaffen, ein Narrativ eines unverstandenen Naturburschen Putin aufbauen. Wir wagen es nicht zu hoffen, dass Köppel zur Selbstreflexion und Selbstkritik fähig ist, die nun angebracht wäre.

Denn bevor in den Nebeln der Worte und des Krieges die Wirklichkeit der Tatsachen verschwindet:

Jeder wie auch immer geartete Angriff auf die territoriale Integrität der Ukraine ist ein klarer Bruch russischer Zusicherungen und vertraglicher Vereinbarungen. Damit ein Angriff auf das Völkerrecht, lässt an der Vertragstreue Russlands im Allgemeinen zweifeln.

Sollte Russland tatsächlich die Ukraine erobern, was militärisch kein grosses Problem sein dürfte, bindet sich der Kreml ein Milliardenproblem ans Bein, müsste einen bankrotten, korrupten Staat aufräumen, der im «nation bulding» seit 1991 nicht wirklich weit gekommen ist. Ein Spielball von Oligarchen und Cliquen, bei dem ein Komiker der kleinste gemeinsame Nenner für einen Staatspräsidenten ist.

Wenn man sich die Welt nicht so zurecht legt, wie man sie gerne hätte: wäre Putin wirklich ein geschickter Machtpolitiker, würde er nicht in ein solches Fass ohne Boden hopsen. Aber wer sich als Naturbursche mit nacktem Oberkörper fotografieren lässt …