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Hannes Keller, Genie †

Der Mann, der alle Tiefen auslotete.

Hannes Keller war von Beruf und Berufung Genie. Das äusserte sich darin, dass es nicht darauf ankam, welches Problem zu lösen war. Einfach das, was seine Aufmerksamkeit erregte. Und dann brauchte er nicht viel mehr als einen Bleistift, Papier – und natürlich seinen Kopf.

Tauchen war so ein Problem. Wie kann man in die Tiefe tauchen, ohne die üblichen Probleme der Dekompression. Wo ein Problem war, hatte er eine Lösung. Tauchtabellen, spezielle Atemgasmischungen. Wo eine Lösung war, musste er sie auch ausprobieren. Also tauchte er 1961 im Lago Maggiore auf 230 m ab. Ein Jahr später gelang es ihm, in einer Tauchglocke vor Kalifornien sogar über 300 m zu erreichen.

Hannes (1934 – 2022) war nicht nur ein theoretisches, sondern auch ein praktisches Genie. Bei diesem Tauchgang ging es plötzlich um Leben und Tod; er konnte sich mit einer reflexartigen Reaktion retten, zwei Taucher starben dabei. Die erreichte Tiefe wurde erst 1975 überboten.

Computer erregten seine Aufmerksamkeit, also entwickelte er schon vor allen anderen Programme für Rechtschreibekorrektur und für automatische Übersetzungen. Und verabscheute aus tiefstem Herzen Bill Gates.

Skianzüge interessierten ihn, 1971 stattete seine Skin AG die Schweizer Ski-Mannschaften aus.

Wie alle Genies war er schnell gelangweilt, wenn er etwas durchdrungen hatte.

In seinen jüngeren Jahren war er dem Luxus durchaus zugetan; sein goldener Rolls-Royce war legendär.

Als ich ihn kennenlernen durfte, wohnte er mit seiner Frau in einem wunderschön verwunschenen Häuschen in Niederglatt. Welche Abende, welche Gedankenflüge, welche Assoziationen. Er der ungestüme, von einem Einfall zum nächsten eilende Geist, ich derjenige, der manchmal Ordnung ins kreative Chaos zu bringen versuchte.

Er hatte immer noch so viele Projekte, allerdings mehr im Bereich der Kunst. Copyright-freie Kunstsammlung im Internet, das war sein letztes grosses Projekt. Zudem war er ein begnadeter Pianist. Unvergessen sein Auftritt im Konzert «Der grosse Tartarov», in dem er als fiktiver russischer Pianist fiktive Kompositionen eines anderen Russen in der Tonhalle aufführte. Dabei war alles von ihm komponiert und natürlich selbst gespielt.

In seinen späteren Jahren faszinierte ihn die schwarze Romantik, das Genie Baudelaire. Öffentlichkeit und Massen interessierten ihn immer weniger. Seinen Prachtband Charles Baudelaire, Gedichte aus Die Blumen des Bösen mit Bildern von Hannes Keller liess er in 20 Exemplaren drucken.

Es ist eine der grössten Ehrungen in meinem Leben, dass er mir das erste Exemplar mit der Widmung schenkte:

«Meinem lieben Freund in den grossen, wahrhaft nahrhaften Dialogen in den Niederglatter Nächten.»

Wie immer, wie immer öfter: viel zu wenige waren’s. Zu viel Alltagsgestrüpp stellte sich vor Fortsetzungen. Bei der Buchvernissage zu seinem 85. sah man sich das letzte Mal, versprach baldige Fortsetzung – und hielt sie nicht ein.

Das gehört zu den bedauerlichsten Fehlern meines Lebens.

Wir unterhielten uns oft über das Transzendentale, das Jenseitige, das Dunkle, das vielleicht hell werden kann. Ich wünsch’s so sehr meinem lieben Freund, dass er nun mit Gott vierhändig Klavier spielt und ihm dieses und jenes erklärt, analysiert und beweist.

Wenn Gott klug ist, hört er auf ihn.