No panic!
Der «Blick» ist eine Zeitung, die mit ausschliesslich positiven Nachrichten Wellness für die Seele bieten will. Panik verbreiten ist ihr fremd.
Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe, mag die leisen Töne. «Ich habe meine Redaktion angewiesen, keine Panik zu verbreiten», sagte er vor einer Woche im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema «Corona und die Medien». Das war seine Reaktion auf den genau gegenteiligen Vorwurf, dass sich nämlich seine Medien auf alles stürzen, was selbst Kanalratten vor Angst aus den Städten vertreiben würde. Ausserdem sagte er sinngemäss, Corona sei eine so wilde Situation, dass man gar nicht künstlich übertreiben müsse, die Realität sei ja verrückt genug.
Aber das ist sie eben offenbar doch nicht. Eine Woche nach dem salbungsvollen Versprechen steckten sich in St. Moritz zwölf Personen mit einem mutierten Virus an. Der «Blick» titelte, das Virus «wüte» im Wintersportort. Wobei ein Taschenspielertrick angewendet wurde, das Wort «wütet» fand sich nur auf dem Anriss auf der Startseite von blick.ch, im Artikel ist dann die Rede von «breitet sich aus». Immer noch völlig falsch und übertrieben, aber immerhin ist Ausbreitung kein Begriff aus dem Paniksprech.
So verbreitet man garantiert keine Panik
Am Tag darauf darf zwar ein Mitglied der Engadiner Task Force an gleicher Stelle relativieren, es sei «kein wilder Ausbruch, nur eine Häufung von Fällen». Die Panik wäre damit etwas gedämpft, aber das ist offenbar nicht erwünscht. Daher wählte die Dorer-Truppe bei dieser Entwarnung als Übertitel «Turbo-Virus wütet in St.Moritz». Turbo und wütet. Viel mehr Panik geht nicht.
Lässt sich mal keine Panik verbreiten von der Redaktion, welche die Anweisung hat, sie solle keine Panik verbreiten, gibt sie einfach die Panik einer anderen Person wieder. «Schock für Mutter Julia T.* (45) anfangs Woche!», schreibt der Blick. Ja, klar, Anfang Woche, Montag halt, da ist sind wir alle geschockt. Aber nein, es ist schlimmer. Denn: Auf eine Terminanfrage bei einer Ärztin erhielt Julia T. als Antwort, sie – die Ärztin – werde keine Maske tragen bei der Behandlung. Schock! Man kann sich wahrlich vorstellen, wie Frau T. kraftlos vom Stuhl kippte, als sie diese E-Mail sah. Zumal das ja die einzige Ärztin ist, die in der Schweiz praktiziert und es somit keine Alternativen gibt.
Panik gestern, Panik heute, Panik morgen. Aber don’t panic
Und auch am Tag danach herrscht Panikmodus in der panikbefreiten Redaktion von blick.ch. Der «Global Risk Report» des WEF zeigt: Corona war gestern, wir müssen uns schon in diesem Jahr auf neue ansteckende Krankheiten vorbereiten. Das könnte man vorübergehend relativ gelassen nehmen, weil die WEF-Experten bereits 2006 vor einer Pandemie warnten, die sich danach 15 Jahre Zeit nahm, bis sie auftauchte. Aber die «Blick»-Onliner zimmern aus der lauwarmen Prognose sicherheitshalber doch den Aufmacher. Für den Fall, dass die Panikwelle nach St.Moritz bereits wieder verebbt ist.
Entweder hat die Redaktion ihrem Chef nicht zugehört, als der aufrief, keine Panik zu verbreiten oder es hält sich keiner daran. Dritte Variante: Das alles ist nach «Blick»-Massstäben keine Verbreitung von Panik. Dann darf man gespannt sein, wie die Zeitung aussieht, wenn ein zukünftiger Chefredaktor auf Panik steht.
Der Autor Stefan Millius ist Chefredaktor der «Ostschweiz».
Packungsbeilage: Unser Mitarbeiter René Zeyer publiziert dort regelmässig.