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Dorer und kein Ende

Wen interessiert’s – ausser dem Journalisten?

Selbst die sonst doch Unterleibs- und Klatschgeschichten eher abholde NZZ konnte es nicht lassen, ein Stück Feuilleton für eine Vermutungsberichterstattung über die halbjährige Auszeit des Chefs der «Blick»-Gruppe zu opfern. Nicht ohne den Hinweis, dass nichts Justiziables vorliege und für Christian Dorer die Unschuldsvermutung gelte. Was eigentlich die Frage hätte auslösen sollen: und wieso soll dann ein Artikel darüber publiziert werden? Der zudem auf den üblichen «informierten Quellen» und «eigenen Recherchen» beruht. Also auf Gerüchten und Hörensagen.

Christian Mensch fasst für CH Media den Vorgang immerhin anständig zusammen und könnte damit für Lucien Scherrer von der NZZ durchaus als Vorbild dienen.

Während Tamedia hingegen, Pardon, das heisst ja jetzt «Tages-Anzeiger» mit angeschlossenen Kopfblättern, während also der Tagi verkniffen zum Skandal im eigenen Haus schweigt, obwohl immer mehr Zweifel an der Abrechnung der ehemaligen Mitarbeiterin Anuschka Roshani mit ihrem ehemaligen Vorgesetzten und ihrem Arbeitgeber  auftauchen, hatte er sich schon ausführlich über Marc Walder ausgelassen.

Der sei teilweise entmachtet worden, gab der Recherchier-Tagi mehr seiner Hoffnung als der Realität Ausdruck. Doch nun noch Werner de Schepper und vor allem Dorer, wow.

Sage und schreibe vier (in Zahlen 4) Redaktoren bietet die Schrumpfredaktion auf, um den geneigten Leser darüber aufzuklären, «was hinter der Auszeit des «Blick»-Chefs steckt». Anielle Peterhans, Simone Rau, Catherine Boss und als Alibi-Mann Roland Gamp bemühen sich um Aufklärung, dazu noch als Zusatzleistung: «ein Arbeitsrechtler ordnet ein».

Einen gleichen Aufwand hätte man auch gerne gesehen, als es um die Berichterstattung über das Liebesleben eines Bundesrats ging. Aber item, was ist hier falsch?

Falsch daran ist, dass es Journalisten ungeheuerlich, die Leser und Konsumenten nur mässig interessiert, aus welchen Gründen welcher Chef weggemobbt wurde, neu ans Gerät geht, Weiterentwicklungen einleitet oder Kontinuität garantiert. Oder eine Auszeit nehmen muss. Was den Leser interessiert, ist die banale Frage, ob das, was er täglich serviert bekommt, auch seinen Preis wert ist.

Der Tagi entblödet sich nun nicht, seinen Artikel mit diesem Satz zu schmücken: «Der Recherchedesk von Tamedia hat deshalb mit mehr als einem Dutzend Personen gesprochen: mit Kaderleuten, die mit Dorer zu tun hatten, ebenso wie mit Untergebenen und Mitarbeitenden aus den letzten zehn Jahren.» Blöd nur, dass auch alle diese «Personen» keine Namen tragen …

Daher heisst es «Frühere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erzählen seit Jahren», die «Journalistin» Miriam Suter habe «zum Fall eines Chefredaktors monatelang recherchiert», «ein Kadermann in einem Schweizer Medienhaus sagt: Es sei ihm (gemeint ist Dorer, Red.) nicht bewusst gewesen, was er getan habe», «die Gespräche des Recherchedesks deuten in keiner Weise auf körperliche Übergriffe hin», «eine Journalistin sagt, als Frauen seien sie «ignoriert, aber nicht diskriminiert» worden».

Für diese Zusammenstellung von anonymem Klatsch braucht es wirklich das «Recherche Desk» des grössten Schweizer Zeitungskonzerns? Das das Null-Ergebnis seiner Recherche nicht einfach in den Rundordner steckt?

Für Insider zum Totlachen ist, wie die vier tapferen Schreiberlein um den Fall Canonica/Roshani herumtänzlen, ihn zwar erwähnen, aber sozusagen nur auf Armeslänge.

Und der Arbeitsrechtler, der einordne? Natürlich handelt es sich um den emeritierten Professor Thomas Geiser, der zunächst als Packungsbeilage «betont dass man eine Situation vorsichtig einschätzen müsse, wenn man den Sachverhalt nicht im Detail kenne». Dann schätzt er dennoch dies und das ein, was man so, aber auch ganz anders sehen könne, je nachdem.

Am lustigsten ist aber die Fussnote unter diesem Machwerk: «Haben Sie einen vertraulichen Tipp für uns? Verfügen Sie über Informationen oder Dokumente, die an die Öffentlichkeit gehören? Es gibt verschiedene Mittel und Wege, um sicher und anonym mit unseren Journalistinnen und Journalisten Kontakt aufzunehmen. Hier zeigen wir Ihnen, wie.»

Mit anderen Worten: wollen auch Sie anonym jemanden anschwärzen? Namenlos zitiert werden? Ihren Beitrag dazu leisten, dass Tamedia, Pardon, der Tagi wieder mal über 11’000 Buchstaben darauf verbrät, in einem ellenlangen Artikel genau drei Namen zu erwähnen? Den Dorers, einer Journalistin, die angeblich über ihn recherchiert, aber nichts gebacken gekriegt habe, und den eines Arbeitsrechtlers, der professoral Ausgewogenes von sich gibt.

Der Leser darf also vier Journalisten dabei beobachten, wie sie Dorers Umfeld beobachten und um ihn herum Klatsch und Tratsch aufstapeln. Das sollten sie allerdings Blättern überlassen, die das können. Vielleicht sollte das «Recherche Desk» mal eine Fortbildung bei der «GlücksPost» absolvieren. Da könnten sie noch viel lernen.