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Gibt Tamedia die Kultur auf?

Es ist Wüste. Und es gibt kein Leben dort.

ZACKBUM hat vor Kurzem die Kulturlosigkeit der unzähligen Tamedia-Kopfblätter kritisiert. Das hat gewirkt. Inzwischen verzichten die immerhin sieben Kulturschaffenden völlig auf eigene Beiträge. Man muss vermuten, dass sie in einen Streik getreten sind:

Das schämt sich auf der Homepage von Tamedia nicht, unter der Rubrik «Kultur» zu erscheinen. Im «Magazin» wurde ein Autor zu einem Kinoerlebnis befragt. Journalisten interviewen Journalisten, das ist immer das Begräbnis der Berichterstattung.

Weil nun wirklich nichts, einfach nichts produziert wurde, kommt sogar eine Kolumne aus dem «Magazin» zum Handkuss und wird unter «Kultur» aufgereiht. Die Kolumnisten werden sich sicherlich fragen, wie sie denn zu dieser zweifelhaften Ehre kommen. Nun, sie dürfen sich von jetzt an Kulturschaffende nennen, was sicherlich zu Lachsalven im Publikum führen wird.

Dann wird am «News-Ticker Kultur» weitergetickert. Hier überrascht uns die Kulturredaktion mit der Nachricht, dass der US-Schauspieler Danny (who the fuck) Masterson zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Denn er habe vor 20 Jahren zwei Frauen vergewaltigt. Aber die Berichterstattung ist nicht einmal eine Eigenleistung, sondern einfach von der SDA übernommen.

Und wenn sie sich schon mal bei der SDA eingetickert hatten, übernahmen sie auch gleich noch den epochalen Bericht über die neusten Entwicklungen im «Missbrauchsskandal». Wo, wie, was, haben wir etwas verpasst, wer wird denn in der Schweiz oder in Deutschland ans Kreuz genagelt? Aber nein, es geht um «Geständnisse in Japans Entertainment-Branche». Auch auf die Gefahr hin, als Sexist beschimpft zu werden: sowohl dieser Skandal wie auch seine Geständnisse im fernen Japan gehen uns so was von an einem bestimmten Körperteil vorbei, das lässt sich gar nicht in Worte fassen.

Aber zum grossen Leidwesen der Tamedia-Kulturredaktion bestehen diese Rubriken jeweils aus vier Ankündigungen. Da wurde aber Grosses geleistet. Denn die «Streaming-Tipps» für den Monat August wurden tatsächlich durch die Tipps für den Monat September ersetzt. Nach dieser herkulischen Anstrengung herrscht da aber wenigstens bis Oktober Ruhe.

Aber, manchmal gibt es Gedankenübertragung, beim Schreiben dieses Artikels tat sich plötzlich was in der Tamedia-Kulturwüste:

 

Wer bemerkt den Unterschied? Richtig, der «Kulturticker» ist weg. Dafür gibt es einen neuen Beitrag. Na also, geht doch. Geht nicht, denn das würde nun aber der Zentralredaktion zu viel abfordern. Also greift sie auf den Autor der «Süddeutschen Zeitung» zurück. Immerhin hat Willi Winkler das richtige Alter, um den neusten Streich der Altherrencombo «Rolling Stones» zu würdigen. Hat man zwar überall schon gelesen und gehört, aber halt noch nicht hier. Die haben ein neues Studio-Album aufgenommen. Wow. Nach 18 Jahren. Sagenhaft. Was soll man denn  dazu sagen? Da greift Winkler zum Kunstmittel, die Ankündigung in einem einzigen Bandwurmsatz abzuhandeln. Genial, originell, ungefähr so Neuland wie das erste Stück aus dem neuen Album.

Sehr beunruhigend dabei: dass die alten Säcke zur alten Nummer «wir sind ganz böse Jungs» ein leicht geschürztes Busenwunder sich auf einem roten Mercedes-Cabrio räkeln lassen, das muss sich noch unbedingt einen scharfen Verweis der Gender-Fraktion einfangen. Wo bleiben Tobler und Loser (hops, den Namen wollten wir ja nie mehr nennen), wo bleibt Hiltmann, ja wo bleibt Birrer, wenn man sie mal braucht?

Des Rätsels Lösung dürfte sein: alle sind so beschäftigt, dass sie keine Hand mehr frei haben, um sich über diesen neusten Sexismus-Skandal zu erregen:

 

Tour oder Tortur?

Mal im Ernst: Was ist mit der Musik los?

Zusammen bringen diese drei Herren fast 240 Jahre auf die Bühne:

Während der Opa rechts tatsächlich so alt aussieht, wie er niemals werden könnte, trägt der mittlere Opa das gefärbte Haar immer noch im Rebel-Look. Und der links, na ja, auch gefärbt, und Ron Wood steht eigentlich nur in der vorderen Reihe, weil er noch lebt. Wobei man bei allen drei nicht so ganz sicher ist, ob es sich nicht um Avatare handelt.

40 Jahre ist der vorletzte neue Song alt, dann gibt’s noch «Living in a Ghost Town» von 2020, wobei nicht ganz klar ist, ob die Drei von der Rentnerband die Geister sind.

Obwohl viele jung gestorben sind, scheint diese Generation von Musikern ziemlich hart im Nehmen zu sein und steht solange auf der Bühne, bis sie Füsse voran hinausgetragen werden. So ging es Chuck Berry oder Leonard Cohen, aber auch David Bowie. Bob Dylan ist mehr oder weniger seit Jahrzehnten mit seiner «never ending tour» unterwegs; manchmal mit Stimme, manchmal ohne, manchmal krächzend.

Die Stones singen unermüdlich «Start me up», «Street Fighting Man» oder «Gimme shelter», ihren wohl besten Song.

Die Bandmitglieder sterben einer nach dem anderen weg, aber die Überlebenden füllen weiterhin die Stadien mit einer «Sixty»-Tour. Begleitet von Lobeshymnen in den Medien. Ist das noch eine Tour oder schon eine Tortur?

Was sagt das über eine Gesellschaft aus, wenn fast 80-Jährige einen auf rebellischen Blueser machen? Wenn Multimillionäre rotzige Protestsongs rezyklieren? Wenn im Publikum nicht nur in Nostalgie schwebende Alt-68er feuchte Augen kriegen, sondern auch Fans dabei sind, die noch nicht mal geboren waren, als die Stones schon alt wurden?

Wenn der Breitmaulfrosch Mick über die Bühne joggt, während viele in seinem Alter schon mit dem Rollator unterwegs sind, wenn Keith trotz gichtigen Händen immer noch die Töne auf der Gitarre trifft, wenn Ron einfach das ist, was er schon immer war: anwesend, wenn die Kleider so geschmacklos sind wie schon immer in der langen Karriere der Stones: was macht das Faszinosum aus?

Was besiegt die lauernde Lächerlichkeit? Während sich Dylan in seinen Altersperformances häufig darauf konzentriert, seine alten Songs endgültig kaputtzusingen, versuchen die Stones, selbst «Satisfaction» heute noch so über die Rampe zu schieben, als hätte der Song nicht 1965 das Licht der Welt erblickt.

Als sie vor ein paar Jahren in Havanna spielten, hätte sich ZACKBUM-Autor René Zeyer von seinem Wohnsitz dort nur einen knappen Kilometer ins Stadium zum Gratis-Konzert bewegen müssen. Kä Luscht; richtig alt werden sollte man nicht auf der Bühne.