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Die «Sonntagszei»

Die heisst doch «SonntagsZeitung»? Nicht beim schnellen Überblättern.

So sieht der obere Teil einer Front aus, wenn der Samstag nachrichtenmässig ein echter Scheisstag war.

ZACKBUM lobt aber, was lobenswert ist. Solche Sätze liest man in Tamedia eher selten:

«In den USA will das von den Demokraten geprägte Establishment von den «Twitter Files» nichts wissen und hat kaum eine Ahnung von den inzwischen vorliegenden Tatsachen, über die sich das konservative Amerika und die Republikaner aufregen. Danach hat Twitter vor der Musk-Ära routinemässig kontroverse Tweets heimlich ausgebremst oder ihre Autoren blockiert. Kritiker der Covid-Politik verloren ihre Konten. Vor den 2020er-Präsidentschaftswahlen wurde die explosive Story von Hunter Bidens verräterischem Laptop auf Geheiss der Geheimdienste unsichtbar gemacht. Obwohl seine Tweets keine Richtlinien verletzten, wurde Präsident Donald Trump von der Plattform ausgesperrt.

Aus den «Files» geht weiter hervor, dass das US-Militär und die Geheimdienste Twitter aktiv als Propagandawerkzeug einsetzten. Bereits unter Trump liess die Firma – entgegen ihren Grundsätzen – Fake-Konten zu, damit Amerikas Gegner wie Russland, China oder der Iran psychologisch bearbeitet werden konnten. Zum Beispiel verbreiteten US-Agenten als angebliche Iraker Tweets, worin dem Iran Drogenschmuggel vorgeworfen wurde.»

Autor Martin Suter wechselt noch vom fernen Amerika nach Europa: «Nach einem Bericht der Website «The Intercept» vom Montag wurde Twitter im Dezember 2020 von der Pharmafirma Biontech und dem Amt für Informationssicherheit der deutschen Bundesregierung kontaktiert. Beide forderten Twitter auf, Tweets von Aktivisten zu unterdrücken, die von «Big Pharma» eine Aufhebung des Patentschutzes für Covid-Impfstoffe verlangten. Offenbar versuchten die Impfstoffhersteller und ihre staatlichen Fürsprecher, zu verhindern, dass sich der Ruf nach billigen Alternativvakzinen für den globalen Süden in der Öffentlichkeit verbreitet.»

Da fragt man sich bang, wann Suter in Pension geschickt wird …

Allerdings balanciert die SoZ solche Sternstunden sofort wieder aus. Zum Beispiel mit der unsäglichen Kolumne von Jacqueline Badran. Wenn Namensscherze nicht verpönt wären, müsste man von der Baldrian-Kolumne sprechen. Immerhin wirft sie sich hier nicht – wie in der «Arena» – mit unsinnigen Behauptungen für ihren Bundesrat Berset in die Bresche.

Sie macht Schlimmeres. Zuerst eine Nabelschau. «In den 80er-Jahren war ich Skilehrerin des legendären «Spiegel»-Gründers Rudolf Augstein.» Da Tote sich nicht mehr wehren können, fügt sie maliziös hinzu: «Wir schwangen von Hütte zu Hütte, damit er seinen täglichen Bierkonsum decken konnte

Ich und Augstein, Aufhänger dafür, dass sich Badran Gedanken über «Zuhälter-Journalismus» macht. So habe sie – angeblich zum Gefallen Augsteins – das Heraustropfen von Interna bezeichnet.

Worauf sie gleich selbst ein Müsterchen dafür gibt. Ein bösartiges Hörensagen: «Letztes Jahr fragte ein Journalist der NZZ aus dem Ressort Zürich am Telefon den Präsidenten der SP der Stadt Zürich, wieso immer der «Tages-Anzeiger» von der SP die Primeure erhalte.» Ist’s nicht wahr, so doch schön erfunden. Nun gleitet es aber ins Schmierige ab: «Und er sagte: «Wenn wir der NZZ nicht auch einmal etwas exklusiv zuhalten würden, müssten wir nicht glauben, sie würden wohlwollend über die SP schreiben.»»

Ein NZZ-Redaktor (hat der auch einen Namen?) soll sich nicht entblödet haben, seiner Bitte um einen Primeur aus der SP (ausgerechnet) mit einer Drohung zu verbinden? Da lachen doch die Hühner, aber nicht Badran.

Sie macht hingegen ein Pseudo-Geständnis: «Ich war schon mehrfach in Versuchung, das Kommissionsgeheimnis zu verletzen.» Und, gab sie der Versuchung nach oder nicht? Da schwadroniert sie dann ins Ungefähre.

Das Bemühen der SoZ, ein Gegengewicht zur Kolumne von Markus Somm zu schaffen, ist lobenswert. Viel besser wäre hingegen eine andere Art der Ausgewogenheit: beide einsparen. Schon wieder eine Lücke hinterlassen, die das, was vorher dort war, vollständig und schmerzlos ersetzt.

Hat der «Spiegel» einen Schuss?

Vor 27 Jahren berichtete das Nachrichtenmagazin über einen «Todesschuss».

Es war die Spätphase des Linksterrorismus in Deutschland. Die Rote Armee Fraktion (RAF) lag in den letzten Zügen, nicht viel später flüchteten die letzten Überlebenden in die DDR.

Am 27. Juni 1993 war bei einem polizeilichen Zugriff einiges schiefgegangen. Es entwickelte sich im Bahnhof Bad Kleinem eine wilde Schiesserei, in deren Verlauf ein Polizist und der gesuchte Terrorist Wolfgang Grams ums Leben kamen.

Der «Spiegel» prangerte in seiner Titelgeschichte das «Versagen der Terrorfahnder» an; ein «Zeuge» habe ausgesagt, Grams sei am Boden liegend von einem Polizisten erschossen worden. «Die Tötung des Herrn Grams gleicht einer Exekution», soll der am Geschehen Beteiligte unter dem Schutz der Anonymität gesagt haben.

Das führte dann unter anderem zum Rücktritt des damaligen Innenministers, der Generalbundesanwalt wurde in den Ruhestand versetzt, gegen zwei Polizisten der Spezialeinheit GSG9 wurde wegen vorsätzlicher Tötung ermittelt.

Damals Skandal, heute immer noch, aber anders

News von gestern, frisch aufgebrüht? Nicht ganz. Denn schon beim Erscheinen des Skandalberichts gab es ernsthafte Zweifel an seiner Richtigkeit. Vor allem die Aussagen dieser anonymen Quelle machten Kopfzerbrechen.

Der Reporter beruft sich natürlich bis heute auf Quellenschutz, der ihm heilig sei. Nach Relotius etwas empfindlich geworden, hat der «Spiegel» auch hier eine Kommission eingesetzt, die den Wahrheitsgehalt dieser Titelstory nochmals überprüft hat. Und auf 10 Seiten zum niederschmetternden Resultat kommt:

«Der SPIEGEL hat mit der Berichterstattung auf Basis einer mangelhaft geprüften und falschen Aussage einen journalistischen Fehler begangen.»

Das ist bedauerlich, aber der Bericht deckt auch schonungslos auf, wie schlampig, unseriös und ohne grosses Bemühen um Verifikation schon damals der «Spiegel» der Versuchung erlag, einen Riesenskandal zur Titelgeschichte zu machen.

Bis heute kommen noch die verhaltensauffälligen Empfindlichkeiten von Journalisten dazu. Denn der damalige «Spiegel»-Redaktor heisst Hans Leyendecker. Der war damals im Düsseldorfer «Spiegel»-Büro beschäftigt. Durch seine Beteiligung an der Aufdeckung der Flick-Affäre um Parteispenden und anderer Skandale hatte er sich bereits einen Ruf erarbeitet.

Anschliessend war und ist Leyendecker, inzwischen 71, bei der «Süddeutschen Zeitung» zum grossen Enthüllungsjournalisten gereift, angesehen, eine Instanz. Kein Wunder, dass er sich mit Händen und Füssen dagegen wehrt, dass er einen Zeugen erfunden habe und lediglich beruhend auf der Aussage eines anonymen Tippgebers, der schon damals erkennbar Lüge und Wahrheit vermischte, die Sache zu einer Riesenaffäre aufgepumpt habe.

Die Wahrheit ist bunt, unterschiedlich und widersprüchlich

Akribisch weist ihm der «Spiegel» allerdings nach, dass er im Verlauf der Jahre über die Anzahl seiner Zeugen, über die Anzahl der Treffen, ob es zu persönlichem oder nur telefonischem Kontakt kam, eine gewisse Bandbreite an Darstellungen zu Protokoll gab. Vor allem steht in Zweifel, ob es zwei oder nur eine Quelle gab, deren Identität Leyendecker zudem nicht kannte.

Was selbst im ruppigen deutschen Journalismus selten ist: Leyendecker drohte nach der Erstveröffentlichung der Untersuchungsergebnisse seinem ehemaligen Arbeitgeber mit dem Anwalt und verlangte eine bessere Darstellung seiner Position. Weil im Bericht auch vermerkt ist, dass der «Spiegel»-Gründer Rudolf Augstein mehrfach bedauerte, ihn nicht rausgeschmissen zu haben, legt Leyendecker zudem Wert auf die Feststellung, dass Augstein später mehrfach versucht habe, ihn zurückzuholen.

Da geht noch einer drüber. Auch ein ehemaliger Chefredaktor des «Spiegel» bedroht sein Ex-Blatt mit einer Strafanzeige. Denn Klaus Brinkbäumer sieht sich durch diesen Bericht verunglimpft. Eine Abschrift des Telefongesprächs zwischen Leyendecker und dem anonymen Informanten fand 2015 wieder den Weg zum «Spiegel». Daraufhin habe sich schon damals ein Rechercheur der Sache angenommen und eine Liste mit 43 Fragen an Leyendecker erstellt. Aber der damalige Chefredaktor Brinkbäumer habe das abgelehnt und entschieden, nichts zu unternehmen.

Stimmt gar nicht, erregt sich Brinkbäumer und fordert eine Gegendarstellung per Anwalt. Das dürfte eine Premiere sein. Aber was ist das Fazit, ausser verletzten Gefühlen von Primadonnen?

Ausweitung der Zone des Zweifels und Schrumpfung der Glaubwürdigkeit

Es ist ernüchternd. Wenn eine kleine Zeitschrift, geblendet von der Publikation eines möglichen Riesenskandals, einige Rotlichter überfährt um der Sensation willen, so ist das noch verständlich. Spielt sonst nicht in dieser Liga, es fehlt an Erfahrung, Wissen, Kontrolle. Aber der «Spiegel»? Damals noch in der strahlenden Gewissheit, dass seiner berühmten Dokumentation nicht mal entgehe, ob ein in einem Artikel beschriebener Baum keine Tanne, sondern in Wirklichkeit eine Esche sei. Von Faktencheck, Plausibilitätsanalyse, Quellenlage, Verifizierung ganz zu schweigen.

Weil es kein Blättchen, sondern der «Spiegel» war, trat dann sogar der Innenminister zurück. Grundlos, denn wie sich später herausstellte, wurde der Terrorist nicht exekutiert. Auch nicht von einer verirrten Polizeikugel getroffen. Sondern er beging Selbstmord.

Man kann nun sagen, es sei aufrecht vom «Spiegel», auch dieser Fake News nachgegangen und die Ergebnisse öffentlich gemacht zu haben. Das mag sein. Aber gleichzeitig hat das Magazin die Zone des Zweifels in die Vergangenheit ausgeweitet. Und darauf erweitert, dass Relotius wohl nicht so singulär war, wie der «Spiegel» behauptet. Und das ist tödlich für die Glaubwürdigkeit.